Brief an die derzeit inhaftierten Aktivisten

climate sign outside blur Lesedauer 4 Minuten

Diejenigen der Letzten Generation, welche sich “noch?” in Freiheit befinden, baten auf Twitter um ermutigende bzw. aufmunternde Briefe für die 13 inhaftierten Aktivisten/innen. (Joel, Charlotte, Jakob, Wolfgang, Winfried, Jens, Nelson, Moritz, Miriam, Malte, Lars, Judith und Elena)

Ich nahm dies zum Anlass einen Brief an alle zu schreiben. Es wäre im hierfür entwickelten Formular auch möglich gewesen, einen/eine Einzelne/n anzuschreiben. Aber sie haben gemeinsam gehandelt und gekämpft, womit sie auch alle einen verdienen. Hier der von mir übersandte Brief:

An Alle


Hallo!

Zunächst meinen Respekt für das, was ihr macht. Es war voraussehbar, dass der Staat und Teile des Bürgertums reagieren, wie sie es aktuell tun. Eure Aussage und Forderungen stehen im Gegensatz zu dem, was sich viele zu Recht gelegt haben. Ich nenne es die kollektive kognitive Dissonanz. Auf staatlicher Seite stehen die faulen Kompromisse, die mit einigen Leuten aus der Wirtschaft eingegangen werden. Aber das wisst ihr ja. De facto geht es auch nicht „nur“ um das Klimageschehen, sondern um eine komplexe Haltung zum Thema Umgang mit dem Lebenssystem Erde. Mich stoßen Begriffe wie Umwelt, Umweltschutz, Klimaschutz, ab. Wir leben zusammen mit anderen Spezies in einer Welt. Da kann es keine Um/welt geben. Ebenso können wir sie nicht schützen, sondern lediglich schädigende Eingriffe einstellen. Dies gilt so auch für das Klima. Schutz spiegelt die Arroganz wieder, mit der sich der Mensch ins Zentrum setzt und alles darf von ihm in Mitleidenschaft gezogen werden bzw. hat ihm zu dienen.
Ich bin Mitte der 60er geboren und erlebte deshalb die komplette Entwicklung seit der ersten Veröffentlichungen des Club of Rome. In den 80ern waren es die großen Umweltskandale, die Anti – AKW Bewegung und die Friedensbewegung. Damals wie heute hieß die Antwort vielfach: Haftstrafe, Geldbuße, Repressalien. Industrie und Politik gingen und gehen immer nach dem gleichen Schema vor. Es werden erst einmal irgendwelche Sauereien veranstaltet, bis ihnen jemand auf die Schliche kommt und sich Protest meldet. Irgendwann wird der Druck zu groß. Dann stellen sie ihr Handeln ein, um es dann im Nachgang als heroische Leistung zu verkaufen, dass sie die Produktion eingestellt oder modifiziert haben. (z.B. BASF, Schering, Monsanto u.a.). Oder sie positionieren sich mit der Aussage: „Wenn wir die Schädigung einstellen sollen, müsst ihr uns dafür Geld geben.“ Im Allgemeinen nennt sich das Schutzgelderpressung.
Ich gebe zu, dass ich ich nicht ansatzweise Euren Mut hatte und viel zu spät verstand, dass ich „eingeatmet“ wurde und ein deutlich lauterer Protest notwendig gewesen wäre. Vermutlich hab ich auch längst aufgegeben und sehe keine Optionen. Um so wichtiger finde ich es, wenn sich doch noch einige erheben, statt dem Desaster nur noch zuzusehen. Traurig macht mich der geringe Support, den ihr von den „Jungen“ bekommt. Bei jeder Eurer Aktionen würde ich hinter Euch mindestens 100 andere erwarten, die einen Block bilden. Zumindest wäre das früher so gelaufen. Aber wer weiß, vielleicht hat die vollkommen überzogene Inhaftierung zur Folge, dass andere wach werden. Wenigstens hoffe ich das. Eins ist auf jeden Fall wichtig! Die Haft solltet ihr als eine Bestätigung dafür sehen, dass ihr an der richtigen Stelle auf die Füße getreten seid.
Ich will auch nicht unterschlagen, dass ich auf 32 Dienstjahre Kriminalpolizei zurückblicke.
(Keine Sorge, ich bin frühzeitig raus.) Terrorismus, Schwerverbrecher und auch der eine oder andere politische Wirrkopf, gehörten zu meinem täglichen Geschäft. Ergo, weiß ich, wovon ich schreibe.

Insofern empört es mich, wenn sich Leute anmaßen, in Eurem Fall von Terrorismus, Radikalisierung, Straftaten zu sprechen.
Nein, davon seid ihr weit entfernt. Eindeutiger als bei Euch, kann einem Ziviler Widerstand kaum begegnen. Da mir zwei Töchter, 26, 30, geschenkt wurden, bin ich dafür sehr dankbar. Ich bin nicht mit all Euren Strategien und Einschätzungen im Konsens. Unter Umständen denke ich an manchen Stellen noch radikaler. Wenn es wirklich noch eine Chance gibt, dann liegt sie darin, dass sich zügig eine umfassende Änderung in der Lebenshaltung aller durchsetzt. Ich sehe bisher nicht, dass sich z.B. die Millennials damit anfreunden können, Abstriche vom deutschen Way of Life zu machen. Immerhin habt ihr zwei hohe Aspekte vorgelegt: Ihr habt die körperliche Unversehrtheit und Eure Freiheit geopfert. Damit unterscheidet ihr Euch von vielen.
However, ihr seid für Eure Überzeugung hinter Gitter gelandet. Damit befindet ihr Euch in der Geschichte in bester Gesellschaft. Und wer auf der richtigen oder falschen Seite steht, entscheidet nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft. Mit diesem Risiko leben alle, die überzeugt sind und auf dieser Basis handeln. Ihr habt Euch von zahlreichen renommierten Wissenschaftlern überzeugen lassen. Dies minimiert immens Euer Risiko auf der falschen Seite zu stehen.

Eine Frage bleibt offen: Sind Eure gewählten Mittel geeignet und förderlich? Ich nehme an, ihr kennt den Godfather des Zivilen Widerstands Saul D. Alinsky und die von ihm formulierten 10 Regeln für konstruktive Radikale. (Wenn nicht, empfehle ich sie Euch wärmstens.) Ein Aktivist muss Masse hinter sich bringen. Dabei ist es nicht entscheidend, ob die Euch entgegen schlagende Wut der „Bürger“ legitim und korrekt ist, sondern dass sie da ist. Wenigstens müsst ihr es schaffen, die 20 – 30-jährigen hinter Euch zu bringen. Wie, weiß ich auch nicht. Allerdings bin ich bei solchen Dingen auch nicht sonderlich kreativ. Wahrscheinlich auch schon zu alt.

Ich habe ein paar Worte mehr verloren, weil ich dachte, ihr könnt in der Haft ein wenig Ablenkung gebrauchen. Hoffentlich schreiben Euch viele. Immer mal wieder versuche ich mit Beiträgen in meinem BLOG und bescheidener Reichweite, wenigstens manchen meiner Altersklasse eine andere Sicht auf Euch zu vermitteln. Es wird ein harter Kampf, bei dem ich Eure Überzeugung teile, dass ihr tatsächlich die letzte Generation seid, die noch einmal eine vage Chance hat. Bleibt stark!

Trölle
Andreas Trölsch, Berlin
http://www.trollhaus.de