Trip 2024 Lucky Punch

Lesedauer 4 Minuten

Gestern saß ich bei einem Kaffee mit einem Malaien und einem Inder in meinem Alter zusammen. Den Malaien kenne ich schon ein paar Jahre. Ich denke, man kann ihn getrost Lebenskünstler nennen. Wie genau er seinen Lebensunterhalt zusammenbringt, weiß ich nicht. Die Hälfte des Jahres reist er in einem alten Bus in der Gegend herum und in der anderen Zeit unterhält er in einer kleinen Kemenate an der Straße, eine Art Schmuckladen. Aus Leder fabriziert er Gürtel, Armbänder und eine kleine Auswahl an Halsketten mit unterschiedlichsten Anhängern. Viel Geld kann das nicht einbringen. Er ist ein Urgestein von “Cenang Beach”, jeder kennt ihn und er ebenso alle. Nicht nur “Beachboys”, sondern vornehmlich die Älteren und immer wieder kehrende Besucher, zumeist Segler, aus Australien, Kanada, USA.

Der Inder ist mir bereits einige Male über den Weg gelaufen, aber bisher sprachen wir nicht miteinander. Vom Eindruck her hat er einen gut bezahlten Job bei einer Automobilhersteller-Vertretung. Meistens fahren sie hier, Toyota, Proton oder Honda. Die Anzahl der monströs großen SUV und Pickups ist hier deutlich größer, als in Deutschland. Und das nicht zwingend, weil die Dinger hier zweckmäßig sind. Zumeist geht es um Prestige. Die beiden stellten mir Fragen zum deutschen Renten- und Sozialsystem. Zum Beispiel: “Bekommt ein 18-jähriger ohne Arbeit Geld vom Staat?” So gut es mir möglich war, erläuterte ich die deutsche Idee von der Würde des Menschen und das es grundsätzlich die Aufgabe des Staats ist, auch Leuten ohne Verdienst ein würdevolles Leben zu ermöglichen. Die beiden waren da ganz bei mir. Danach wollte der mir “fremde” Inder wissen, ob es in Deutschland besser ist, sich zu privatisieren, bei einer Firma zu arbeiten oder für den Staat zu arbeiten. Tja … ich geb hier mal sinngemäß meine Antwort wieder. “Wer sich privatisiert, kann unter Umständen erfolgreich sein, jedoch auch scheitern. Im ersten Fall, kann so ein Vermögen aufgebaut werden, im anderen wird es zum Lebensende hin, eng. “No Risk, no fun!” Wer für andere arbeitet, kann theoretisch Rechte auf eine Altersversorgung erwerben. Allerdings gibt es in Deutschland immer mehr Jobs, bei denen der Lohn derart niedrig ist, dass die Leute im Alter, obwohl sie vierzig Jahre arbeiteten, kaum Geld bekommen. Wer für den Staat arbeitet und “geradeaus läuft” bekommt über die Jahre hinweg, mehr oder weniger das gleiche Geld. Nicht wenig, aber auch nicht zu viel. Mit einer Idee, besonders viel Fleiß, hervorragenden Qualitäten, besteht nicht die Möglichkeit, mehr Geld zu verdienen. Es sei denn, man kämpft sich in der Hierarchie weiter nach oben. Doch um dort “oben” zu landen, benötigt es andere Fähigkeiten. Als da wären: Die richtigen Leute kennen, zu wissen, wann man seinen Mund aufmacht oder nicht, trotz inneren Widerspruchs, opportunistisch zu handeln usw. Auf jeden Fall zahlt sich der Staatsdienst nach hinten heraus aus. Die Versorgung ist im Vergleich zu einem “Arbeiter” oder “Angestellten” ungleich besser. Die Bildung und Qualifikation ist zwar beim Einstieg (gehobener Dienst) relativ hoch angesiedelt, wird aber in der Regel während der Dienstzeit nicht benötigt. Wie gesagt … wer aus seiner Bildung und Qualitäten Geld schlagen will, darf sich nicht in einer Behörde anstellen lassen.”

Die beiden nickten heftig. Der “öffentliche Dienst” funktioniert in Malaysia ähnlich. Allerdings kommen während der Verwendung diverse Vergünstigungen und Annehmlichkeiten (Wohnungen in besonderen Siedlungen, bezahlte Unterkünfte mit allem, was man sich vorstellen kann, Dienstfahrzeuge, pp.) hinzu. Danach fragten sie mich, ob ich von einem Bestand unseres Systems für die nächsten 30 Jahre ausgehe. Klares: “Nein!” Keine/r, die/der heute 2024 verbeamtet wird, kann sich sicher sein, dass das Pensionssystem noch existiert, wenn sie/er um die 60 ist. Ich würde nicht einmal meine Hand dafür ins Feuer legen, dass das Staatssystem der aktuellen BR Deutschland so lange überlebt. Niemand kann einschätzen, wie sehr sich bei schwindendem Widerstand der politisch Verantwortlichen gegenüber der Hochfinanz, Konzernen, Wirtschaft, deren Begehrlichkeiten auswirken. Gleichzeitig ist die weltpolitische Lage derart instabil, dass es schwierig ist, den weiteren Prozess einzuschätzen.

Auch hier stimmten mir die beiden zu. Da sagte der Inder: “Wir sind die Generation mit dem Lucky Punch! Die Entwicklungsgeschichten Malaysias, Indien und Deutschlands sind schwierig, bis gar nicht vergleichbar. Aber beide Entwicklungen fanden im identischen übergeordneten Kontext statt. Es war die Zeit zweier Weltmächte, UdSSR und USA. Irgendwo dazwischen entwickelten sich die zugeordneten Staaten. Nun mehr oder künftig spielen mindestens China, Indien und eventuell die EU (falls einig) mit. Wir waren uns einig, dass Russland, USA, Indien, China, die EU, versuchen, die letzten Ressourcen für die kommenden Entwicklungen (Klima, Wasserknappheit, bewohnbare Gebiete, steigender Meeresspiegel, Landschaftsveränderungen (z.B. Versteppung, tauen des Perma-Forstes, Überfischung der Meere) im Zweifel mit Waffengewalt zu sichern. Im Vergleich zum kommenden Spannungspotenzial, war der “Kalte Krieg” ein Buddelkasten-Spiel.

Keiner von uns Dreien wird erleben, ob wir in Gänze richtig lagen. Wir können nur zurückschauen und die Vergangenheit bewerten. Und zumindest für uns drei ist es ganz gut gelaufen. Fraglich ist, warum aus dieser guten Phase, nicht noch “Besseres” hervorging – oder anders: “Wer hat es, wie und warum, verkackt?” Ohne, dass ich es hier näher ausführen will, waren wir uns dabei ebenfalls einig. Die beiden sind weit davon entfernt, Kommunisten zu sein. Aber der Kapitalismus, insbesondere der Neoliberalismus, zur Überwindung der UdSSR von der Kette gelassen, mit all seinen Auswirkungen, hat uns ins Verderben geführt. Jedenfalls, nach Ansicht des Malaien, des Inders und meiner nach. Was mich daran fasziniert, ist der Umstand der Unterschiedlichkeit. Südostasien, indischer Kontinent und Mitteleuropa, vollkommen unabhängig voneinander sozialisiert – lediglich in einem Alter. Wer weiß, vielleicht steckt darin ein Funken der Hoffnung. Oder sind wir einfach nur Kaffee trinkende Zuschauer eines sich immer weiter entwickelnden Desasters?

Während wir dort am Strand saßen, zogen an uns halb-nackte Touristen, junge Frauen mit pornorösen Bikinis, rote verbrannte Männer mit dicken Bäuchen, Beachboys auf aufgemotzten Scootern vorbei. Neben uns betranken sich in einer Bar lauter Frauen und Männer, die es sich leisten können. Im Wasser donnerten die Jetski herum und wagemutige Touristen ließen sich an einem Fallschirm in luftiger Höhe übers Meer ziehen. Fast jeder griff im Sekundentakt zum Smartphone (außer die in der Luft), während wir drei unsere Telefone nicht einmal dabei hatten. Aus der Zeit gefallene Höhlenmenschen? Querulanten? Schließen möchte ich heute mit einer Hörempfehlung. Der Stil ist nicht jedermanns Sache, aber Text und Video begleiten mich bereits seit einigen Tagen. Bemerkenswert ist dabei, dass ich mit den Mitgliedern der Band “Knorkator” exakt in einem Alter bin. “Stumpen” der Sänger und die anderen Bandmitglieder scheinen auch mit einigem zu hadern. Und nahezu jede dystopisch angehauchte Zeile des Albums “Sieg der Vernunft” ist vermutlich jenseits aller Satire auch ein wenig ernst gemeint. Außerdem ist Reggae am Strand ganz nett und passend, aber ab und wann braucht es einen Ausgleich.


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Verfasst 2. April 2024 von Troelle in category "Gesellschaft

1 COMMENTS :

  1. By PS 60+ alias Bipo on

    Ich hätte mich, so wie ich das einschätze, problemlos zu euch drei gesellen können, und dann hätten wir zusammen einfach anstatt einer Dreier- eine Vierer-Echo-Kammer gebildet 😉

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