Gehorchen, Optimieren, Leisten

Lesedauer 6 Minuten

In der ARTE Mediathek kann derzeit John Carpenter’s Sie leben angeschaut werden. Im Film haben sich Aliens unbemerkt auf der Erde angesiedelt und beuten die Menschen aus. Entdeckt werden sie nicht, weil sie Techniken einsetzen, die ihr Aussehen verschleiern und ihnen ermöglichen mit ins Unterbewusstsein hineinwirkende Botschaften die Menschen zu steuern. Sie sollen kaufen, gehorchen, arbeiten und sich für die Wirtschaft nützlich erweisen. Die Botschaft des in der Reagan Ära entstandenen Film ist klar. Die Aliens stehen für die Nutznießer des neoliberalen Systems, die die breite Masse als biologische Werkzeuge zur Generierung von Geld betrachten. Werkzeuge, die optimiert werden können, bis sie eines Tages von etwas Erschaffenen, den mittels KI (Künstliche Intelligenz) agierenden Maschinen, ersetzt werden können. So weit jedenfalls deren Vorstellungen. Der Film kommt mit dieser Botschaft brachial und eher “trashig” daher. Von subtil kann nicht die Rede sein. Bei mir entstand der Eindruck, dass Carpenter nahezu verzweifelt war und sich beim Betrachten der Welt im Jahr 1988 nur eine Erklärung geben konnte: Diesen Irrsinn können sich nur Aliens ausgedacht haben und keiner merkt es, weil sie uns manipulieren.

Wir wissen: Es sind keine Außerirdischen, sondern Menschen. Und es sind auch keine geheimen Techniken, sondern angewandte Psychologie, mit der Massen manipuliert werden. Aber ich kann ihn verstehen. Ich sah diesen Film nicht erstmalig, aber nun war er mir wieder gegenwärtig. Danach schaute ich die Übertragung des Spiels Portugal – Deutschland. Normalerweise gucke ich kein Fußball mehr. Mit Sport hat das für mich nichts zu tun. Eher mit “Brot und Spielen”, organisiert von einer mafiösen Clique. Vielleicht ist es aber auch im Hinblick auf die WM in Qatar eine gigantische angelegte Maßnahme zur Massenverblödung. Da waren sie wieder die Aliens. Könnten Erdbewohner tatsächlich eigenständig auf die Idee kommen eine Fußball – WM in einem Wüstenstaat zu organisieren, wo doch ohnehin schon alle Zeichen auf dunkel – rot stehen? Im Film gibt es eine bemerkenswerte Szene. Auf einem Piratensender erklärt ein Wissenschaftler, dass die Aliens mit der Umweltverschmutzung und dem Klimawandel die Erdatmosphäre der ihres eigenen Planeten anpassen wollen. Nochmals: Der Film stammt aus dem Jahr 1988.

Banden – und Trikotwerbung ist im Fußball erst seit den 70ern ein Thema. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der erste werbende deutsche Sponsor im Fußball, JÄGERMEISTER, sich der Auswirkungen bewusst war. Da waren die Radrennfahrer ausnahmsweise mal schneller. Gleichzeitig war es einer der ersten Schlüssel zum Einfallstor für die Kriminalisierung von allem, was sich um den Fußball herum abspielt. Aber vielleicht ist das alles harmlos im Verhältnis zur amerikanischen Football – Liga.

Im Film entwickeln Widerständler Brillen, mit denen sie die Botschaften in den Zeitungen, auf den Plakaten, in den Zeitungen und Werbesendungen unverschlüsselt erkennen können. Konsumiere, funktioniere, gehorche, baue ein Haus, arbeite, steht da plötzlich. Wie beschrieben, kommt der Film daher, wie ein schlecht gemachter Low – Budget Alien – Sci Fy – B – Movie. Ich persönlich glaube, dass das Absicht ist und er zu Recht mittlerweile Kult – Status hat. Bei mir wirkte er in der Werbepause wie eine der im Film entwickelten Brillen. Leider werde ich niemals so frei sein, wie die attraktive junge schlanke Frau in ihrem PS – starken E – Auto. Ich werde auch niemals Teil der aufgeschlossenen, toleranten, die ganze Welt liebenden Fußballfamilie sein. Hierfür müsste ich mir die passenden Trikots kaufen, Gebühren zum Anschauen der Spiele zahlen, mich besoffen von den Bildern der Herrlichkeit dieser Scheinwelt hingeben. Es ist nicht so, dass ich Fußball als Spiel nicht mag. Ganz im Gegenteil, ich habe eine ganze Menge für Mannschaftssport und ritualisiertes Kräftemessen übrig. Aber wenn ich so etwas sehen will, muss ich mir ein Spiel in der Oberliga ansehen.

Für den Helden des Films endet seine Rebellion tödlich, aber immerhin schafft er es noch den Sender der Aliens zu zerstören und alle können sehen, was tatsächlich passiert. In der Realität muss niemand einen Sender zerstören. Theoretisch muss man einfach nur genau hinsehen und ein wenig der Vernunft eine Chance geben. Sich alledem zu entziehen, wird schon deutlich problematischer. Letztlich liefe es auf einen Ausstieg hinaus. Wie ein Pilzgeflecht hat sich alles ausgebreitet. Wo sollte man anfangen? Morgens beim Duschen, bei der Zahnpasta, beim Kaffee, dem Frühstück? Beim Einschalten des Radio? Es ist nahezu unmöglich einen Schritt zu machen, ohne an einer Sauerei beteiligt zu sein.

Bei uns wurde in letzter Zeit viel über den Begriff Freiheit geredet. Beim Philosophen Sartre heißt es, dass der Mensch immer eine Wahl und damit Freiheit hat. Selbst der Soldat könne im Falle eines Krieges desertieren oder sich im schlimmsten aller Fälle das Leben nehmen. Eine Wahl zu haben, ist Teil der individuellen Freiheit. Habe ich die? Gut, ziehe ich den gesellschaftlichen Ausstieg in Erwägung, dann ist dies wohl der Fall. Mal ernsthaft, dass kann es doch nicht sein. Warum dürfen sich einige Frauen und Männer herausnehmen, dass die Menschen ihnen Geld geben müssen, damit sie die gemeinsame Mitwelt nicht weiter schädigen? Warum muss ich horrende Preise für Dinge zahlen, mit denen ich einen weiteren Schaden verhindere, während mir die zerstörerischen Produkte hinterhergeworfen werden? Warum muss ich mir Neid vorwerfen lassen, wenn mich Leute aller Couleur mit ihren dicken völlig unnötigen Fahrzeugen nerven, mehr noch, akzeptieren, dass sie mich und alle anderen schädigen? Wieso muss ich hinnehmen, dass dem Profit, dem Zuwachs, der Entmenschlichung, jeden Tag der Vorzug gegeben wird? Warum wird mir außer dem Ausstieg keine Wahl gelassen?

Der Mensch ist halt so! Seine Neugierde, das Streben nach mehr usw. formt ihn dazu. Ich kann diesen verblödeten bzw. vorgebeteten Quatsch nicht mehr hören oder lesen. Es beginnt damit, dass nicht jeder Mensch oder Zusammenschluss expandieren und Gewinne maximieren will. Indigene Völker zeigen uns, dass dies nicht der Fall ist. Ergo liegt es nicht am Menschen an sich, sondern an speziellen Entwicklungen, die Teile der Menschheit genommen haben. Ja, der Mensch ist ein Raubtier, doch selbst die kennen ihre Grenzen. Außerdem wäre die Bestätigung der fatalistischen Aussage eine Demontage des Großhirns. Ich finde, es ist an der Zeit den Begriff “Fortschritt” zu hinterfragen. Rückschritt wäre nicht passend. In der Geschichte  gibt es nichts Vergleichbares. Genauso wenig, wie es die eine Menschheit gibt. Die da von Fortschritt im Sinne einer Industrienation in Mitteleuropa, China, USA, Australien, Russland, sprechen, lassen sich lokalisieren und konkret benennen. Halb – nomadisch lebende Samen, Inuit, Indigene in Südamerika und Asien, haben davon völlig andere Vorstellungen. Teile der Erdbevölkerung befinden sich in einem Entwicklungsprozess der zulasten aller anderen Lebewesen, inklusive der Menschen, die nicht Teil des Prozesses sind, geht.

Carl Schmitt prägte das Bonmot: “Wer Menschheit sagt, will betrügen!”

Er fand diese Worte in einem anderen Zusammenhang, trotzdem finde ich sie äußerst treffend, wenn es darum geht, dass sich Leute hinter der Verallgemeinerung verschanzen. Nein, die Menschheit an sich, ist eben nicht das Opfer von irgendwelchen Aliens, sondern von Individuen, denen Teile der Erdbevölkerung die Macht übergeben haben, zu tun, was sie halt tun. In der Folge gibt es Leute, die das völlig in Ordnung finden und eben die, welche sich damit nicht abfinden können. Unter dem Strich ist es eine Frage der Macht und Stärke. Die Karten sind ungleich verteilt. Ich kann auf einen Heroin – Abhängigen einreden wie ich will. Ohne den persönlichen Bankrott, hervorgerufen durch die Droge, wird es nicht zu einem erfolgreichen Entzug kommen. Teile der den Planeten besiedelnden Menschen sind auf Droge unterwegs. Sie glauben an einen glücklichen Verlauf des Anthropozäns, dem ersten von Menschen gestalteten Erdzeitalter. Das funktioniert nur über die Annahme einer Unfehlbarkeit, anders ausgedrückt, mit der Ignoranz dessen, was der Primat mit der selbst zugewiesenen Bezeichnung Homo sapiens ist. Weiterhin mit der  Fehlinterpretation der Evolution, als etwas Zielgerichtetes, bei dem der Mensch von allen Lebewesen dem Ziel am nächsten ist. Evolution ist ein chaotischer Prozess ohne Ziele, der schlicht passiert. Einer, der vom Prozess des Großhirns teilweise überwunden wurde. Große Teile der den Planeten bewohnenden Menschen wählen sich ihre Fortpflanzungspartner nicht mehr nach Gesichtspunkten wie Gesundheit, Überlebensfähigkeit in der Natur oder ähnlichen archaischen Kriterien. Kreditkarten, Kontostände, Anpassungsfähigkeit innerhalb des vom Großhirn erdachten Systems, bestimmen häufig das Paarungsverhalten. Durchgeknallte Vertreter träumen von der Optimierung des Menschen auf eine nächste Ebene durch die Verschmelzung mit Maschinen oder den Transfer der Gehirnleistung auf Computer. Wenigstens an der Stelle werden sie keine Erfolge erzielen, weil ihnen das Zusammenspiel zwischen Amygdala, vegetativen Nervensystem, die unerforschten Tiefen der Genetik und Großhirn einen Strich durch die Rechnung machen wird. Was ihnen aber leider bleibt, ist der Eingriff in das Objekt Mensch selbst.

Tja, wären es doch nur Aliens, denen man einfach den Sender zerstören könnte und sie mit einem Tritt in die eigene Galaxis verfrachten könnte. Die sich gegenüber stehenden Parteien sehen anders aus. Vernunft, Freiheit und Einsicht vs. Wohlstandmilieu, Dekadenz, Entmenschlicht, Manipuliert und dem was Leben bedeutet, entfremdet. Meine persönliche letzte Hoffnung ist ein altes Plattencover aus meiner Jugend. Jethro Tull – Too Old to Rock ‘n’ Roll: Too Young to Die! (Meiner Meinung nach eins der ganz großen Alben der Rockgeschichte) Ich weiß nicht mehr, wann es mir in die Hände fiel. Aber ich weiß noch warum! Ich hatte in einem Zug nach Paris einen abgerissenen Typen getroffen, einen von der Sorte, die mich ganzes späteres Leben faszinieren sollten, der mir sagte: “Du musst nicht viel Musik kennen. Jethro Tull – Locomotiv Breath, Deep Purple – Child in Time und Freebird von Lynyrd Skynnyrd.”  Ich war irgendwas um die 14 Jahre und kannte gar nichts davon. Also besserte ich nach. Das Inlett bei To old for Rock’n Roll … ist als Comic – Strip gestaltet. In Kurzform: Alter Rocker mit schwarzen langen Haaren kommt mit den Veränderungen nicht mehr klar, wird von einer Frau versetzt, setzt sich auf seine Karre, hat einen Unfall, liegt im Krankenhaus, kommt wieder heraus und die Welt hat sich gedreht. Alle sehen wieder aus, wie er und sein Stil ist wieder angesagt.

Die Hoffnung stirbt niemals. Vielleicht bekommen diejenigen, welche diesem fehlgeleiteten Entwicklungsprozess bei Teilen der Weltbevölkerung folgen und deren Gurus anbeten, noch irgendwann die Kurve. Allerdings befürchte ich, dass meine Restzeit dafür zu kurz wird und selbst andere Nischen finden muss. Was mich jeden Tag aufheitert, ist der Umstand nicht alleine zu sein. Alleine die Möglichkeit fehlt, etwas zu ändern. Doch ich gebe zu, ein bis zwei dämliche Gesichter von Frauen und Männern, deren Rechnung nicht aufgeht, würde ich schon noch gern sehen. So wie der Held im Film sterbend den Aliens den Mittelfinger zeigt.


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Verfasst 20. Juni 2021 von Troelle in category "Gesellschaft

2 COMMENTS :

  1. By PS 60+ alias Bipo on

    Ich gehe davon aus, dass die Menschheit sich irgendwann selbst zerstören und wahrscheinlich einen langsamen, schmerzlichen Tod erleiden wird, falls sie nicht das Glück hat, dass unser Planet vorher von einem riesigen Meteoriten getroffen und sie mit einem Schlag ausgelöscht wird.

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    1. By das Trollhaus (Autor) on

      Mir ist wichtig – warum auch immer, vielleicht ein Selbstanspruch – herauszustellen, dass es eben nicht die MENSCHHEIT, sondern eine Teilgruppe, die zumindest theoretisch gebremst u. entmachtet werden könnte. Die Existenz von Mitgliedern der Spezies, welche anders leben, beweist, dass es kein Ur – Instinkt ist, sondern durchaus ein Ergebnis des Großhirns.

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