Rückblick 2016

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Am Ende des Jahres ziehe ich mein ganz persönliches Resümee des Jahres 2016. Und dieses mit einer Geschichte, die ich tatsächlich im August erlebt habe. An einem Nachmittag saß ich mit ein paar Leuten zusammen. Wir diskutierten und politisierten, was das Zeug hielt. Die Gesellschaft, das Verbrechen, die Politiker, die Entwicklungen, waren unsere Themen.

Einer der Gruppe verhielt sich sehr schweigsam. Eigentlich sagte er gar nichts. Ein Typ mit Glatze, Tattoos, kantigen Gesicht, der Stereotyp eines Mannes, der sich jenseits des modischen Hypes bewegt, aber dennoch auf sich achtet. Ich wusste nicht sonderlich viel von ihm. Seinen wenigen Erzählungen nach, hatte er für große Energiekonzerne nahezu überall auf dem Globus gearbeitet. Hauptsächlich war es dabei um Atomenergie gegangen. Einiges war da nicht mit rechten Dingen zugegangen, veraltete Anlagen, nicht eingehaltene Sicherheitsstandards, also alles, was man vermutet, aber stets bestritten wird.

Dabei hatte er sich eine paranoide Störung eingefangen. Aber in seinem Fall war ich mir mit der Störung nicht so sicher. Er passte eher zum Zitat von William S. Burroughs: „Nur weil jemand paranoid ist, bedeutet dies nicht, dass er nicht tatsächlich verfolgt wird.“
Er hatte stets ein Notizbuch dabei, in dem sich alles in seiner Umgebung notierte. Kennzeichen der Fahrzeuge vom nahegelegenen Parkplatz, Personenbeschreibungen und Veränderungen in seiner Umgebung, all dieses schrieb er auf.

Immer wenn es in seiner Nähe zu Diskussionen über politische Themen kam, entzog er sich der Situation. Auch an diesem Nachmittag verzog er sich wieder. Ich beschloss, nach ihm zu schauen. Er hatte sich auf eine Begrenzungsmauer gesetzt. Als ich mich näherte, konnte ich sehen, dass er dort seine Aufmerksamkeit einem Pfauenauge schenkte. Der Schmetterling tankte dort Sonnenenergie für seinen nächsten Flug.
Ich setzte mich zu ihm und schaute zu. Nach einiger Zeit sagte er zu mir Worte, die mir immer noch im Kopf herumgehen. „Alter, wir beide haben so viel Dreck in unserem Leben gesehen. Es ist an der Zeit, die schönen Dinge des Lebens zu betrachten!“

Hat er Recht? Ist dieses Verhalten nicht auch ein Wegsehen? Sind nicht gerade die Menschen, welche Aspekte des menschlichen Daseins gesehen haben, die andere nicht erlebt haben, dazu aufgefordert zu sprechen? Soziale Verwahrlosung, Kindesmisshandlung, sexueller Missbrauch, Menschenhandel, Zwangsprostitution, religiöser Fanatismus, Brutalität, politischer Extremismus, all diese Erscheinungsformen des Lebens, die viele nicht sehen wollen. Ist der Erfahrene nicht gezwungen, den Ignoranten den Schmutz unter die Nase zu halten?

Ich habe diese Frage in meinen Kopf hin- und her gewälzt. Ich entstamme noch aus einer Generation, der man eingetrichtert hat, die Nazis konnten nur gewinnen, weil viele Menschen weggesehen haben. Ist das so? Hätten sich viel mehr Menschen von der Propaganda nicht verängstigen lassen, wären sie dann einem Goebbels und einem Hitler auf den Leim gegangen? Hätte es mehr Menschen gegeben, die die schönen Dinge des Lebens gesehen haben, wären sie dann diesen Monstern gefolgt? Was war mit den Soldaten, die den Stellungskrieg des I. Weltkriegs überlebt hatten? Da gab es den Typus „Hitler“, der sich verraten und verkauft gefühlt hat. Aber gab es nicht auch den Soldaten, der den Schmetterling in der durch die Schwaden des abziehenden Senfgases sah? Der nach dem durchlebten Horror den Frieden zu schätzen wusste? Was wäre passiert, wenn dieser Typ Soldat die Überhand gewonnen hätte? Es ist ein Unterschied, ob man sagt: Nie wieder Krieg! – oder die Vorzüge des Friedens predigt und unterstützt. Genauso als ob man gegen das Böse kämpft oder sich dafür entscheidet, für das Gute einzutreten.

Leben wissen oftmals nur die Menschen zu schätzen, denen die Endlichkeit bewusst ist. Gesundheit nehmen die Menschen viel intensiver wahr, die schon einmal sterbenskrank waren. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines ewigen Lebens, beantwortet sich doch genau hieraus. Wäre das Leben unendlich, würde es seine Qualität verlieren. Doch nur wenige Menschen verstehen dieses, lieber Erschaffen sie sich die Idee eines Jenseits.

Dieses war eine meiner Fragestellungen für das 2016. Einer meiner Lieblingsschriftsteller, Henry Miller, hat einmal sinngemäß formuliert: Wenn alle Menschen erst einmal auf sich achten würden und ein glückliches intensives Leben führen, dann könnten sie andere Menschen mitreißen und die Welt wäre eine bessere. Meine persönliche Antwort liegt genau in diesem Prinzip.

IS,  Ideologen, Nationalisten, Fanatikern, Terroristen,  Intoleranz, Leistungsgesellschaft, Kapitalismus … ich halte Euch eines entgegen:

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