Zeitenwandel, die Prohibition als Reagenz

top view photo of people near wooden table Lesedauer 19 Minuten

Das Aufheben des Verbots Hanf anzubauen oder als Genussmittel zu konsumieren (Prohibition) ist mit Sicherheit nicht das drückendste Thema der Zeit. Aber wie bei der Pandemie erweist sich das Thema als Reagenz für den Status Quo der politisch Aktiven und der Gesellschaft. Welcher dann meiner Auffassung nach bei dringlichen Themen herangezogen werden kann.

»Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und
Einstellungen der Massen sind ein wesentlicher Bestandteil demokratischer
Gesellschaften. Organisationen, die im Verborgenen arbeiten, lenken die
gesellschaftlichen Abläufe. Sie sind die eigentlichen Regierungen in
unserem Land. Wir werden von Personen regiert, deren Namen wir noch nie
gehört haben.«

Edward Bernays, Propaganda

Kaum zeichnete sich am fernen Horizont die Umsetzung des Wahlversprechens an, stellten die PR-Berater die Lehnen ihrer Drehstühle auf, trafen sich bei Mineralwasser und Keksen mit Auftraggebern und machten sich an die Arbeit. Zu einer modernen PR Kampagne gehört eine orchestrierte Pressearbeit, bei der die Journalisten entweder unbewusst benutzt werden oder unmittelbar im Auftrag handeln. Plötzlich tauchte eine umfassende UN – Studie auf, die an sich schon tendenziös ist, aber nochmals mittels verfremdenden Herauslösen aus dem Kontext, frech falsch aus dem Englischen übersetzt oder mit rhetorischen Mitteln garniert wurde. Erschreckend war dabei, wer sich da alles beteiligte. Denn eins ist klar, wenn die bei dem Thema eingegliedert werden, sind sie bei allen anderen auch dabei und werden zum verlängerten Arm der Kampagnenbetreiber. Besonders fielen mir dabei die ZEIT, die Süddeutsche Zeitung, die Neue Zürcher Zeitung, WELT und der Rest des SPRINGER Universums auf. Wobei die Süddeutsche sich auf einige merkwürdige Artikel beschränkte und sich daneben bemühte unaufgeregt objektiv zu berichten.
Doch spätestens, wenn bei Straftaten mit reißerischen Überschriften der Nebenaspekt Cannabis in den Vordergrund gestellt wird, geht es in die andere Richtung. Die Nummer ist alt und stammt aus den Kampagnen von Harry J. Anslinger in den 30ern.[1]Victor Licata (ca. 1912 – 4. Dezember 1950) war ein amerikanischer Massenmörder, der am 16. Oktober 1933 seine Familie in Ybor City, Tampa, Florida, mit einer Axt tötete. Die Morde, … Continue reading

Ein Psychotiker tötet irgendjemanden und der Tenor lautet: Das Cannabis machte aus ihm einen Psychotiker, der tötete. Ergo, ist das Cannabis ursächlich.
Was wäre, wenn es ein Psychotiker gewesen wäre, der Cannabis, Alkohol, Psychopharmaka einnahm? Durchaus ein lebensnaher Sachverhalt, aber propagandistisch völlig unbrauchbar. Wie gesagt, Anslinger brachte dies schon in den 30ern in die Presse und seither hält sich das Muster, wie der auf dem See eingefrorene Schwan.

Kiffer als Bürgerschreck

Wie man selbst zu PR-Kampagnen, Propaganda steht, ist sehr vom eigenen Standort abhängig. Wird sie für etwas eingesetzt, was man selbst favorisiert oder sogar Nutznießer ist, erfreut sie. Setzt sie etwas in Gang, was man nicht für gut befindet, wird man eher abgestoßen. Fraglich ist auch, ob man es immer merkt, dass da im Hintergrund an den Schrauben gedreht wird. Natürlich kann man sich auch vollkommen gegen diese Werkzeuge der Steuerung von Massengesellschaften wenden. Es wird aber nichts nützen. Am Ende ist es eine individuelle Entscheidung, ob man sich von ihr lenken lässt oder nicht. Doch wer sich dazu entscheidet, muss sich klar sein, dass dies ein einsamer Weg wird. Propaganda bedient sich der psychologischen Effekte des Gruppendenkens (engl. Group-Thinking). Hierzu gehört die Aufgabe der eigenen moralischen Erwägungen zugunsten einer Gruppenmoral. Weitere Aspekte sind die Entstehung einer inneren Einigkeit durch einen gemeinsamen Außenfeind, die Tendenz Fehler nicht mehr zu benennen und die Entwicklung eines seitens aller Gruppenmitglieder akzeptierten Verhaltens. Mit alledem kann gearbeitet und für eigene Zwecke bzw. die des Auftraggebers verwendet werden. Immer geht es darum, das individuelle Nachdenken auszuschalten, was am ehesten mit all den menschlichen Voraussetzungen funktioniert, die sich jenseits der Ratio befinden. Hierfür bedarf es Untersuchungen, wie die Leute ticken, womit ich sie kriege. Mit der Digitalisierung sind hierfür Möglichkeiten entstanden, die sich der Godfather der Public Relation, Edward Bernays nicht ansatzweise hätte vorstellen können. Oftmals ist es aber gar nicht notwendig, mit ausgefeilten Programmen die Social Media und Datensammlungen zu durchforsten. Die kommen dann während der Kampagne zur Geltung, weil mit ihnen zuverlässig die Wirkung überprüft werden kann und im Bedarfsfall Nachjustierungen möglich sind. OK, alles ziemlich banal. Ist wie mit den Binomischen Formeln. Man lernt sie auswendig und dann steht einer da und meint: “Sehen Sie den Binomi nicht?” “Öh, Nein! Wo?”


Ebenfalls zu einer modernen PR Kampagne gehören Stereotype, welche sich entweder für ein Feindbild (Außenfeind) nutzen lässt oder wenigstens zum lächerlich machen, taugt. Im Falle von Cannabis ist das einfach. Seit Jahrzehnten wird das Bild des antriebslosen, desorientierten, langhaarigen Kiffers kolportiert, der unsinniges Zeug von sich gibt. Meistens ist er arbeitslos, hört Reggae und qualmt eine Bong nach der anderen. Solche Leute gibt es. Doch sie sind nur ein Typus unter sehr vielen. Aber der distinguierte Chirurg, der sein Gras aus dem privaten Anbau im Gartenhaus raucht, taugt nichts für die Propaganda. Im Gegenzuge käme auch keine Werbeagentur auf die Idee, eine Wodka-Marke mit einem vollgekotzten Typen auf einem Kneipenklo zu bewerben.
Unstrittig hat sich unter anderen durch die Prohibition, aber auch durch die Wirkung des Cannabis, eine Art Gegenkultur zum Klischee der bürgerlichen Kultur entwickelt. Der Jazz-Musiker Louis Armstrong, der leidenschaftlich Gras rauchte, beschrieb es für sich als eine wohltuende Verlangsamung, bei der jede Note einen Tick länger in der Wahrnehmung blieb.[2]https://greencamp.com/louis-armstrong-marijuana/
Dabei spielt auch der Umstand eine Rolle, dass die Aufmerksamkeit u.U. auf Dinge fokussiert wird, die einem sonst gar nicht auffallen und anderes, was eben noch wichtig wahr, in den Hintergrund tritt. In einer Gesellschaft, bei der die dominierende bürgerliche Ausrichtung Wert darauf legt, eindeutig vorzubestimmen, was wichtig und unwichtig im Leben ist, kann das problematisch werden. Der bisweilen eintretende berühmt-berüchtigte Lachflash, tritt oft deshalb ein, weil der unter dem Einfluss von THC stehende Konsument erkennt, wie lächerlich manches eigentlich ist, aber aus verschiedensten Gründen künstlich zu etwas wichtigen deklariert wird. Egal, das darf jeder für sich alleine herausfinden. Jedenfalls wird in den Kampagnen der Feind Nummer 1 des Bürgertums, nämlich der Hippie, skizziert.
Ich ersehe dies als einen wichtigen Punkt. Aktuell steht das etablierte Bürgertum mit dem Rücken an der Wand. Das Auto, seit den 50ern Kleinod jeder bürgerlichen Familie, gehegt, gepflegt, Design-Objekt, Statussymbol, Hobby, Entspannung und Fluchtmittel aus dem drögen Arbeitsalltag, ausgebaut mit allem Schnickschnack inklusive Dolby-Surround Anlage, wird von den Angreifern madig gemacht. Gleichsam sieht es mit dem alten schwäbischen Motto: „Schaffe, raffe, Häusle baue!“ aus. Richtig schlimm wird es, wenn die kognitive Dissonanz des Bürgertums demontiert wird. Ich habe da manchmal das Bild einer schluchzenden 60-Jährigen in einem Badenser Dorf vor Augen: „Aber, aber, wir sind doch die Guten! Jedes Jahr zu Weihnachten haben wir für die armen Neger-Kinder gespendet.“ Und jetzt soll auch noch diesen langhaarigen arbeitsscheuen Gammlern Vorschub geleistet werden? Was ist mit all den netten heterosexuellen potenziellen Schwiegertöchtern und Schwiegersöhnen geworden, die sich ordentlich anziehen, am Wochenende in der Großraumdiskothek einen drauf machen, aber am Montag ordentlich verkatert schaffen? Wo soll das alles enden?

Quellen/Fußnoten

Quellen/Fußnoten
1 Victor Licata (ca. 1912 – 4. Dezember 1950) war ein amerikanischer Massenmörder, der am 16. Oktober 1933 seine Familie in Ybor City, Tampa, Florida, mit einer Axt tötete. Die Morde, die von den Medien als das Werk eines “axtmordenden Marihuana-Süchtigen” bezeichnet wurden, wurden als Anscheinsbeweis dafür missbraucht, dass ein Zusammenhang zwischen Freizeitdrogen wie Cannabis und Kriminalität besteht. Dies führte dazu, dass die Morde in den 1930er Jahren in Anti-Drogen-Kampagnen gegen Marihuana missbraucht wurden.Quelle:Victor Licata, https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Victor_Licata&oldid=1088808190 (last visited Aug. 18, 2022)
2 https://greencamp.com/louis-armstrong-marijuana/


Copyright 2021. All rights reserved.

Verfasst 18. August 2022 von Troelle in category "Gesellschaft

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.