Proteste, Blockaden, Streiks

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Irgendwo las ich in den letzten Stunden einen Kommentar in dem der Autor feststellte: Den Bauern stände das Mittel der Straßenblockade mindestens genauso zu, wie den “Klimaktivisten”. Ja, aber … bei der Formulierung stolpere ich über mehrere Aspekte. Die Bauern treten für ihre ureigene Sache ein. Meiner Auffassung nach teilweise mit einem falschen Adressaten. Denn vornehmlich sind sie weniger Leidtragende einer politischen Entscheidung, denn eines Prozesses, an dem vieles krankt. Die kleinen Betriebe werden von großen industriell organisierten geschluckt und geschäftstüchtige Agrarwirtschaftler, agieren von Deutschland aus in Osteuropa. Bei den anderen angesprochenen ist meiner Meinung nach bereits die Bezeichnung irre führend. Präzise handelt es sich um Personen, die für alle Lebewesen eintreten und im Zuge dessen fordern, dass das zerstörerische Einwirken auf das globale Ökosystem eingestellt wird. Denn es geht nicht, wie gern rhetorisch behauptet um ein Handeln, sondern um ein Unterlassen. Kein Schläger geht an einer Bushaltestelle zu einem wartenden Mann und drückt ihm eine Sparring-Ausrüstung in die Hand, damit er vor Schlägen geschützt ist, wenn er ihn im nächsten Moment traktiert. Nichts anderes bedeutet “Umweltschutz”. Die Welt um den Menschen herum, soll vor seiner anstehenden Prügel geschützt werden. Zumal es kein um den Menschen herum geben kann, da er selbst Bestandteil der Welt ist.

Unabhängig davon steht es den Bauern zu, gegen die Entscheidungen zu protestieren. Nur sollten sich einige Leute vor Heuchelei hüten. Ich erwarte von allen, die die zumeist jungen Leute, welche für uns alle eintreten, diffamieren, sie als Kriminelle bezeichnen und wütend Selbstjustiz betreiben, bezüglich der Bauern adäquate Reaktionen. Ich ahne, dass das nicht passieren wird. Es wundert mich auch nicht, von welchen anderen Zeitgenossen*innen sie Sympathie und Unterstützung bekommen. Ein Teil der Deutschen sind solange “gute” Demokraten, wie man ihnen nichts wegnimmt, es ihnen gut geht und ihnen wirtschaftlicher Zuwachs versprochen bzw. zugestanden wird. Passiert das Gegenteil, schwenken sie schnell um. Menetekel steht längst an der Wand und wie bei der biblischen Vorlage will niemand das angekündigte Unheil wahr haben. Der Kampf um die Ressourcen hat längst begonnen. Teile der Menschheit setzen zu einer modernen Völkerwanderung an, weil ihre alten Lebensräume aus vielerlei Gründen entweder unattraktiv geworden sind oder in absehbarer Zeit unbewohnbar werden. Dystopien zu den Themen Industrialisierung, Digitalisierung und Kapitalismus werden nach und nach zur Realität. Das ist ein Komposthaufen auf dem alte Denkmuster prächtig gedeihen. Ein Freund sagte letztens: “Wo die Reise mittlerweile hin geht ist klar. Und das ist auch ganz gut so. Wenn man es weiß, kann man sich darauf einstellen.”

All das ganze Geschwätz über einen “Linksruck” oder eine “Grüne Diktatur” ist lächerlich. Es ist eine ziemlich simple Rhetorik bzw. eristische Dialektik, wenn man vom anderen etwas behauptet (falsche Prämisse) , was man tatsächlich selbst an den Tag legt. Es ist politisch zulässig, aber führt lediglich zur Erlangung der Macht, ohne dass die Allgemeinheit etwas davon hat. Die würde nur Vorteile aus verständigen und vernünftigen Handeln ziehen können. Die Deutschen wollen wieder geführt werden, sehen sich von außen her bedroht, befürchten den Verlust der deutschen Kultur und fordern wieder den sich für die Nation aufopfernden Leistungsträger. Kaum wurde eine europäische Leitkultur gefordert, formulierten sie deutsche Konservative zu einer deutschen Leitkultur um. Die offene, diverse, Gesellschaft wird negiert, diffamiert und zur Gefahr deklariert, während das brüderlich, im Einklang harmonierende und leistungsfähige Volk favorisiert wird. Die eigentliche Bedrohung für die innere Sicherheit sind mal wieder Menschen anderer Herkunft und die Angehörigen einer Weltanschauung jenseits des Christentums. Die politischen Einordnungen links, mittig, rechts, sind längst völlig ungeeignet. Es geht nur noch um die pure Macht und die Kontrolle der Massengesellschaften zur Maximierung der Profite. Bisweilen beschleicht mich persönlich der Eindruck, dass mittlerweile multinationale Konzerne Staaten als Filialen und Regierungen als Aufsichtsräte betrachten.
In den 90ern saß mal ein ehemaliger KGB Mitarbeiter vor mir. Er beschrieb mir die politische Situation in Russland als einen Kampf zwischen staatlicher Kriminalität und freischaffenden kriminellen Banden. Die einen nutzten ihre politische Machtposition zum Transfer von Geldern ins Ausland und die anderen forderten dann mit Gewalt, Erpressungen, eine prozentuale Beteiligung an den auswärts geparkten Vermögen. Irgendwann verwischen die Grenzen zwischen kriminellen und vermeintlich legalen Handeln. Sind die Einsätze hoch genug, wird selbst an sich illegales Handeln zum staatstragenden Aspekt und erfährt mindestens ein Duldung.

Wie auch immer, die Proteste kommen einigen Kräften zu Gute und sie werden versuchen ihre Vorteile daraus zu ziehen. Desweiteren steht der Arbeitskampf der Lokführer*innen an. Fuhr ich in letzter Zeit mit der Bahn, hörte ich überwiegend missbilligende Aussagen. Logisch! Jeder Streik, der die breite Masse trifft, also immer wenn er von gesellschaftlich relevanten Berufen ausgeht, ruft bei Deutschen Unmut hervor. Das die mangelnde Wertschätzung dieser Berufe das Problem sein könnte, kommt ihnen dabei nicht in den Sinn. Während teilweise sogar mit Bewunderung hingenommen wird, dass die einen mit möglichst wenig Aufwand und Nutzen für die Gesellschaft, die Lücken im Regelwerk ausspähend, ihre Vermögen mehren, sollen die mit der gesellschaftlich nützlichen Arbeit für wenig Geld und miesen Arbeitszeiten buckeln. Wer das wohl so gedreht hat? Nicht einmal das arrogante Auftreten von Politikern*innen, die ihre Existenz bestens abgesichert haben, ändert daran etwas. Ich bin gut versorgt. Aber wäre ich arbeitslos oder würde für wenig Geld einer harten Arbeit nachgehen müssen, könnte ich das Gerede nicht ertragen. Was maßen sich diese Leute an, wenn sie von quasi erzieherischen Maßnahmen sprechen, mit denen vermeintlich arbeitsunwillige Mitmenschen in entfremdete Niedriglohnjobs gebracht werden sollen, während sie selbst auf Lebenszeit eine staatliche Versorgung bekommen? Das ist eine unerträgliche Selbstherrlichkeit. “Teile und Herrsche!”, funktioniert bei uns derzeit hervorragend.
Ich unterhielt mich auf einem Bahnsteig mit einem jungen Lokführer. Der Mann hat jedes Recht zu streiken und ich stimme ihm zu, dass das “Einknicken” nach einem faulen Deal riechende Verhalten der anderen Gewerkschaftsführer nicht das Argument sein kann. Ich möchte in der Lok halbwegs zufriedene, ausgeschlafene, ordentlich bezahlte Leute wissen und nicht jemand, der innerhalb von 6-8 Stunden, jenseits der europäischen Arbeitszeitregelungen, ad hoc zwischen Schichten hin und her springt, in billigen Hotelzimmern übernachtet und deshalb die Familie auseinander bricht. Mich erinnert das verdächtig an Michael Moore, der in seinem Dokumentarfilme fragte, ob Eltern ihre Kinder wirklich für 8 Stunden am Tag, unterbezahlten, frustrierten, demoralisierten, Typen anvertrauen wollen?

So oder so … es steht den Mächtigen nicht zu, den Protest oder die Formen zu bewerten. Vielleicht sollten wir wieder römische Traditionen einführen und hinter jedem mit politischer Macht eine Frau oder Mann stellen, der in regelmäßigen Abständen die Worte sagt: “Bedenke, auch Du bist nur ein Mensch.” Wir sehen auf jeden Fall interessanten Zeiten entgegen und jede/r wird sich fragen müssen, wie er/sie die eigene Rolle und Zukunft anlegen will.

Vor 40 Jahren

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In wenigen Tagen liegen zwischen Georg Orwells dystopischen Jahr “1984” und der Zeit in der wir leben 40 Jahre und wiederum 75 Jahre sind seit der Veröffentlichung 1949 vergangen. Orwell konnte nichts über die heutigen technischen Möglichkeiten wissen. Er orientierte sich daran, wie er eine bestimmte Sorte Mensch einschätzte und was passieren würde, wenn man diesen Leuten die Möglichkeit der Überwachung und Manipulation in die Hände geben würde. Den Drang zur Kontrolle, Manipulation, vordergründig zur Minimierung aller Risiken, tatsächlich zur Herrschaftsausübung, gab es bereits ’49, aber im Verhältnis zur Jetztzeit waren sie äußerst beschränkt.

Bei Heise Online las ich über die Pläne der sich konstituierenden großen Koalition in Hessen. Unter anderen ist dort nachzulesen:

Die geplante schwarz-rote Koalition in Hessen hat sich auf ein umfassendes Überwachungspaket verständigt. Sie will damit unter anderem Sicherheitsbehörden wie Polizei und Geheimdiensten “in engen Grenzen und mit richterlicher Anordnung” den “Zugang zu bestehenden privaten audiovisuellen Systemen” gestatten. Fahnder und Agenten sollen so im Rahmen der bestehenden rechtlichen Befugnisse “beispielsweise die Wohnraumüberwachung durchführen” können, heißt es im Koalitionsvertrag, den CDU und SPD am Montag unterzeichneten. Das Vorhaben erinnert an die umstrittene Initiative der Innenministerkonferenz 2019, intelligente Sprachassistenten wie Amazon Alexa, Google Home oder Apple Siri genauso anzuzapfen wie “intelligente” Fernseher, Kühlschränke oder Türklingeln.

https://www.heise.de/news/Polizeibefugnis-CDU-und-SPD-in-Hessen-wollen-digitale-Wanzen-im-Wohnzimmer-9577621.html

Die Taktik wird seit Jahrzehnten verfolgt. “Wir wollen doch nur Sicherheitsrisiken minimieren. Alles im rechtlichen Rahmen und unter Vorbehalt eines Richters!” Meiner Erfahrung nach sind Richter*innen keine Überwesen und unter ihnen befinden sich genügend Charaktere, die mit Vorsicht zu genießen sind. Allerspätestens mit der Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens gegen “Klima-Aktivisten*innen” wegen der Bildung einer “Kriminellen Vereinigung” hat die seit 1989 bestehende Bundesrepublik Deutschland ihre Unschuld verloren und signalisiert, wo es hingehen soll. Wie ich es bereits einige Male im BLOG darlegte, hängt an diesem Paragrafen einiges dran. Mit dem Verfahren ist klar erkennbar, wie niedrig die Schwelle geworden ist, bis Mitbürger*innen für entscheidende Stellen des Systems zu bedrohlichen Extremisten und Kriminellen werden. Außerdem werden umfassende polizeiliche Maßnahmen zur Überwachung der unmittelbaren Protagonisten, aber auch ihres weiteren Umfelds ermöglicht. Und mir scheint, dass die Schwelle kontinuierlich gesenkt wird.

Bemerkenswert finde ich dabei den Umstand, dass die Verfassungsschützer die Einstufung als gefährliche Extremisten verneinte und im gleichen Zuge die Überwachung mit nachrichtendienstlichen Mitteln ablehnte. Später folgte die Innenministerkonferenz und mit einem Mal gelangte die Kriminelle Vereinigung in den Diskurs. Wobei ich mir die Frage stelle, warum nicht gleich als „lex specialis“ die Terroristische Vereinigung angewendet wird. Immerhin treten Vertreter von allen im Bundestag vertretenen Parteien ans Pult und sprechen von Terroristen*innen. Wenn schon, dann richtig.

Ein weiterer Aspekt bleibt häufig unbeachtet. Überwachung erforderte in analogen Zeiten einen erheblichen finanziellen, personellen und logistischen Aufwand. Bereits dies setzte die Messlatte recht hoch. Ob und in welchem Umfang Personen überwacht wurden, erforderte eine Kosten/Nutzen – Analyse. Im Zeitalter der Digitalisierung ist vieles deutlich günstiger geworden. Rhetorisch ergeben sich zwei Richtungen. Entweder, kann Dank der Digitalisierung im erforderlichen Maß überwacht werden, wohingegen noch in den 90ern ein gefährliches Defizit bestand oder es besteht die Gefahr des Übermaßes.

Wenn es um Überwachung geht, sind Menschen nicht objektiv und rational, sondern im höchsten Maße irrational und paranoid unterwegs. Ein wenig spukt bei vielen im Kopf herum: “Ich hab zwar nichts gemacht, aber wer weiß …” Allein schon, weil Deutsche bezüglich der Überwachung auf ganz eigene Erfahrungen zurückblicken können. Machen wir uns nichts vor, die Möglichkeiten der Staatssicherheit sind im Vergleich zu denen im Jahr 2023 ein Kindergeburtstag gewesen. Ausschlaggebend ist nicht, was tatsächlich passiert, sondern was als möglich angenommen wird. Solche Sachen verändern eine Gesellschaft oder anders gesagt, sie sind ein schleichendes Gift.

Hinsichtlich der Faktenlage gebe ich auch zu bedenken, welchen erheblichen Aufwand mittlerweile investigative Journalisten*innen betreiben müssen, um ihnen zugespieltes Material an einflussreichen Politikern*innen, Personen aus der freien Marktwirtschaft, die mit ihnen vernetzt sind und Institutionen, wie BfV, BND, BKA, vorbeizuschmuggeln, damit sie veröffentlicht werden können (z.B. Panama Papers, BND U-Boot Affäre, Cum Ex-Files).

Ohne jegliche Überwachung oder Infiltration krimineller, terroristischer Kreise geht es innerhalb der von uns gewählten Ordnung nicht. Aber zwei Fragen müssen zwingend auf dem Tisch liegen und überdacht werden: Wann wird ein Kipppunkt erreicht, an dem die Nachteile der Überwachung die Vorteile überschatten? Was passiert, wenn die vorhandenen Mittel, Freigaben und Gesetze, denen in die Finger gelangen, die man abwehren wollte? Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eben genau dies eins der Ziele von Terror ist: die Provokation von Reaktionen, die nach und nach die freie Gesellschaft abschaffen und aus Sicht der Terroristen zur Demaskierung zwingen.

Sicherheit und Freiheit liegen auf einer Strecke. Je mehr ich mich gegen alles Erdenkliche absichere und die Risiken minimiere, umso mehr gebe ich von der Freiheit auf. Ein hermetisch abgeriegelter Bunker ist ein sicherer Platz, gleichzeitig ist er aber auch Gefängnis. Wie viele Risiken muss eine freie Gesellschaft aushalten? Wie groß ist das Interesse an ihr oder ist sie einer gesellschaftlichen Mehrheit unheimlich bzw. zu anfällig für Gefahren?

Wobei an der Stelle auch zu betrachten ist, welche Gefahren, welcher Qualität, von wem und für was gesehen werden. Ob zum Beispiel eine Straßenblockade ein zu- oder unzulässiges Mittel des Protestes ist und welche Gefahrenlage durch sie entsteht, ist nicht davon abhängig, wer sie durchführt. Die Gefahr an sich wird nicht durch die Häufigkeit der Blockaden qualifiziert. Jede ist für sich zu betrachten. Jedenfalls, solange sie nicht Teil einer konzertierten Aktion ist und mehrere gleichzeitig stattfinden. Ein Bauernprotest, in dessen Zuge eine Blockade mit landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen herbeigeführt wird, erzeugt die gleiche Gefahrenlage, wie ein Protest gegen die unzulänglichen Maßnahmen der Regierung bezüglich der Klimakatastrophe. Eine unterschiedliche Bewertung ist unlogisch und dennoch findet sie medial, gesellschaftlich und politisch statt. Es erschließt sich mir nicht, warum die einen Protagonisten „Kriminelle“ sind die anderen nicht.

Bezüglich der Klimaaktivisten wurde angeführt, dass Rettungskräfte nicht mehr ihren Aufgaben nachkommen könnten. Sollte es an dem tatsächlich sein, haben wir in Deutschland ein eklatantes Sicherheitsproblem. Dies bedeutete, dass jede Baustelle, jeder Stau und auch jedes terroristische Szenario die Rettungs- und Sicherheitskräfte vor unlösbare Aufgaben stellen würde. Gut, dass das nicht der Fall ist. Versierte gut ausgebildete Kraftfahrer finden ihren Weg und relevante Gebäude haben aus solchen Gründen mehrere Zu – und Ausfahrten. Wenn es eine handfeste Gefahr gibt, dann ist es die Reduzierung der Anzahl von Rettungsfahrzeugen und Personal. Insofern ist die Argumentation vorgeschoben und verschleiert, worum es tatsächlich geht. Der Protest ist lästig und ihm soll deshalb der Garaus gemacht werden. Kurzum: Der Protest wird in interessanter Art und Weise kriminalisiert, damit wiederum die Überwachung des Protestes legitim erscheint.

Nochmals: Überwachung an sich ist bis zu einem gewissen Maße, an den richtigen Stellen eins von vielen notwendigen Mitteln der Abwehr von Gefahren, bei denen das Eintreten eines erheblichen Schadens im hohen Maß wahrscheinlich ist oder wenn es um die Aufklärung schwerwiegender oder gemeingefährlicher Taten geht.

Edward Snowden deckte auf, welche Ausmaße die Überwachung in den USA hat. Es wäre wahrlich naiv, US-amerikanische Verhältnisse für Deutschland als unmöglich einzustufen. Ganz im Gegenteil, wenn man berücksichtigt, dass offen gefordert wird, in den USA angewendete Software, Stichwort: Palantir Gotham u.a., in Deutschland zu legitimieren. Die von Palantir gelieferte Software ist keine, die der Überwachung und Erlangung von Daten dient, sondern sie ermöglicht die Analyse und Verknüpfung großer Datenmengen.

Zuerst müssen die Daten vorhanden sein, ansonsten ist die Software nutzlos. Wer sie also fordert, sitzt bereits auf einer ganzen Menge Datensätze und benötigt ein Werkzeug, mit dem sie effizient ausgewertet werden können. Mich macht das nachdenklich. Einige Systemkritiker sehen als eine der größten Gefahren für die freien demokratischen Gesellschaften die fortschreitende Verzahnung der Wirtschaft, hier besonders multinationale Konzerne, mit der Politik. Sie begründen dies mit dem Aufbau der Konzerne, die mit Demokratie gar nichts am Hut haben, sondern rein über Profite, Wachstum, strukturiert sind und eine Hierarchie aufweisen, die nach den vorstehenden Kriterien von oben nach unten wirkt. Deshalb fordern sie von den Regierungen einen Schutz der Bevölkerungen vor den Begehrlichkeiten der Konzerne.

Wenn nun privatwirtschaftlich gesammelte Daten mit aus staatlichen Verwaltungsdaten und mittels polizeilicher bzw. nachrichtendienstlicher Vorgänge generierten, zusammenfinden, übergreifend mit Programmen ausgewertet werden, ist die alte Dystopie endgültig Realität geworden und neue Befürchtungen entstehen.

Ich kann mir gut vorstellen, das ein bestimmtes Konsumverhalten, Seh- und Leseverhalten, bevorzugte Aktivitäten, einige dazu verleiten könnten, eine „Gefährderanalyse“ durchzuführen, die dann wiederum bisher unauffällige Personen in den Fokus rückt. Schulden, mangelnde Kreditwürdigkeit, bei Amazon subversive Literatur bestellt, in der Playlist diverse Protestsongs gelistet, Internet-Recherchen zu Themen wie Ökologie, Klima, Umtriebe von multinationalen Konzernen, Wirtschaftskriminalität, fertig ist der potenzielle politische Gefährder, dem man etwas genauer unter die Lupe nehmen sollte.

Immerhin existieren bereits Programme, die Bewegungen und Verhalten von Passanten oder Besuchern öffentlicher Plätze, Flug – und Bahnhöfen analysieren und bei bestimmten Parametern Alarm schlagen. Ich finde den Gedanken naheliegend, dies auf das oben dargestellte auszuweiten – wenn es denn der allgemeinen Sicherheit dient, warum nicht? Und wer die richtigen Bücher liest, nicht zu sehr alles hinterfragt und hinnimmt, was offiziell proklamiert wird, sich auf kommerziellen Mainstream beschränkt, hat nichts zu befürchten. So what?

Wie eingangs gesagt: Orwell entwickelte seine Dystopie auf Basis der vorhandenen Bedürfnisse der Mächtigen und einiger Gesellschaftsanteile, ohne dass alle notwendigen Techniken existierten. Darüber sind wir hinaus. Was technisch möglich ist und sein wird, zeichnet sich konkret ab. Stellt sich nur eine Frage: Haben sich die damaligen Bedürfnisse und Begehrlichkeiten verändert? Die Antwort lasse ich offen.

Das ASOG – eine unendliche gruselige Geschichte

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Als ich 1987 zur Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege ging, geriet mein Jahrgang zwischen die Mühlsteine von Politik und fachlich, juristischer Betrachtung des Berliner ASOG, welches zu dieser Zeit seitens des Bundesverfassungsgerichts in der Kritik stand. Wobei das untertrieben ist: Es forderte Änderungen! Und der Senat, insbesondere der damalige Innensenator Kewenig stellte sich quer, was wiederum zu einem heftigen Konflikt mit einem mich unterrichtenden Verfassungsrechtler Prof. Dr. Schwan führte.

Worum geht es im ASOG? Es steht für Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz und bestimmt das Handeln der Ordnungsbehörden. Somit auch das der Polizei, die Ordnungs- und Sicherheitsbehörde zugleich ist. Grundsätzlich gibt es zwei Handlungsstränge: Entweder eine Straftat ist bereits begangen worden oder jemand betreibt bereits im StGB unter Strafe gestellte Vorbereitungshandlungen, in diesem Falle richtet sich das Handeln der Polizei nach der Strafprozessordnung, oder es besteht die Gefahr, dass etwas passieren wird – dann greift das ASOG. Dies in juristischen Klausuren auseinander zu halten, ist oftmals ein wenig “tricky”. Vornehmlich, weil es eben nicht nur die Polizei, sondern alle Ordnungsbehörden angeht. Zum ASOG gehören die Durchführungsverordnungen, in denen gelistet ist, wer wofür zuständig ist.

Deutsche Polizisten im Allgemeinen und Zeitgenossen*innen in der Innensicherheitspolitik neigen traditionell dazu, die Polizei als Multitool zu sehen, mit dem man auf der Straße so ziemlich alles regeln kann. Zu meiner Studienzeit bekamen Studenten den sogenannten Currywurst-Fall präsentiert.

Schutzmann Wachsam wird von Passanten, denen nach dem Verzehr einer Currywurst schlecht wurde angesprochen. Mit der Wurst und dem Imbis sei etwas nicht in Ordnung. Also schaut der Schutzmann nach dem Rechten, findet übel riechende Würste und macht den Laden dicht. Darf er das?”

Vorweg: Nein! Er darf bis zum Eintreffen des sachlich zuständigen Gesundheitsamts einen weiteren Verkauf der Wurst verhindern. Den Rest übernehmen die. Die Polizei behalf und behilft sich in solchen Fällen mit der Gefahr im Verzuge und der Amtshilfe, weil die Bürostuhlbewacher im Amt nicht rechtzeitig am Ort erscheinen können. Eine große Rolle spielt dies bei Lokalkontrollen. Wer hat den Hut auf und wer leistet Amtshilfe? Die Antwort ergibt sich aus der Frage: Warum soll denn in dem Lokal nachgeschaut werden? Verstöße gegen die Auflagen? Verdacht der Steuerstraftaten? Suche nach polizeilich gesuchten Personen? Durchsuchung nach Beweismitteln? Es mutet ein wenig seltsam an, wenn ein Großaufgebot der Polizei einen Laden entert, ein mit Gold dekorierter Polizist das Sagen hat, aber eigentlich nach nicht versteuerten Tabak (Zoll) oder Verstoß gegen Bau- bzw. Hygieneauflagen (Bauamt, Gesundheitsamt) geschaut werden soll. Nun gut … dies nur am Rande.

Vor 1987 und danach, wurde immer wieder an diesem Gesetz herumgebastelt. Begründung: Die Zeiten ändern sich und auf Neues muss adäquat reagiert werden. Ist das so? Gesetze werden selten minutiös zugeschnitten. Ausnahmen bestätigen die Regel. Ich denke da beispielsweise an den EC-Kartenbetrug, weil de facto ein Computer nicht im Sinne des Paragrafen “Betrug” betrogen werden kann. Na klar, technische Veränderungen können Nachbesserungen notwendig werden lassen.

Anders sieht es zum Beispiel beim “Finalen Rettungsschuss” aus. Da gibt es viele Fragen, unter anderen, ob der überhaupt ins ASOG hineingehört. Doch das Thema ist uralt und alte Entscheidungen werden infrage gestellt. Hier gilt: Von einer einmal getroffenen Entscheidung sollte man nur abweichen, wen sich maßgebliche Veränderungen eingestellt haben, von denen man vorher nichts wissen konnte. Die ethische Ausgangssituation und Debatte, in der ein Schütze einen anderen tötet, um weitere Menschenleben zu retten, hat sich nicht verändert. Kann man es dem Schützen befehlen? Muss der die Entscheidung alleine treffen? Handelt er zur Abwehr einer Gefahr oder leistet er nach dem StGB Nothilfe?

Ein weites Feld sind die Innovationen in der Polizeiarbeit. 1987 wussten wir noch nichts von GPS, Digitalisierung, Videoaufzeichnungen, mit heutigen Möglichkeiten. Die Prävention und Gefahrenabwehr war größtenteils harte analoge Arbeit, die mit “Manpower” geleistet wurde, hatte einen Vorteil. Zeitgenossen mit Persönlichkeitsstörungen, die gern alles und jeden, auch bei geringeren Gefahrenlagen beobachten lassen wollten, kontrolliert und weggesperrt hätten, stießen auf Ressourcen bedingte Grenzen und mussten sich auf ernsthafte Lagen konzentrieren.

2023 sieht alles ein wenig anders aus. Überwachung ist ungleich einfacher geworden und erfordert längst nicht mehr die Manpower von damals. Es werden immer mehr Beamte/innen dafür gefordert, weil es immer mehr Personen gibt, die ins Visier geraten, aber das ist eine andere Rechnung und hat mit anderen Entwicklungen zu tun.

Ich bezeichnete die Protestler in Sachen “Klima” bereits mehrfach als Textmarker und Signalgeber dafür, wohin wir uns bewegen, bereits gelandet sind und was manch einer plant. Sitzblockaden, Straßenschlachten, lahmgelegte Verkehrsadern, sind nichts Neues. Ergo braucht es auch keine neuen Regeln, Gesetzesnovellen, Erweiterungen der Repressionsmaßnahmen. An der Stelle kommen gern diejenigen um die Ecke spaziert, die den Begriff “Terrorismus” in die Debatte einwerfen. Ich bin nicht “weichgespült”. Aber, ob ich einen echten Terroristen, 48 Stunden aus dem Verkehr ziehe oder 100 Tage, ist völlig egal. Und wenn sich eine/r davon beeindrucken lässt, ist er oder sie definitiv kein/e Terrorist/in. Das haben die Schweizer gut erkannt. Wer andere, aus schwer nachvollziehbaren Gründen töten oder verstümmeln will, hat psychische Probleme und dafür sind Kliniken und Psychiater/innen zuständig.

Wenn Leute aus Sicherheitskreisen oder Politik eher harmlose Zeitgenossen/innen, wie die z.B. die “Klimakleber” zu Terroristen und Mitgliedern einer Kriminellen Vereinigung (StGB) deklarieren, gehen bei mir alle Alarmglocken an. Da steckt entweder mehr dahinter oder diejenigen, welche so etwas fordern, gehören dem Kreis mit den erwähnten Störungen an. Es gibt ganz gute historische Gründe, warum wir früher langes Polizeigewahrsam nicht so prickelnd fanden. Der Richtervorbehalt macht es nicht besser. Im Dritten Reich und in der DDR beteiligten sich auch Richter/innen am Unrecht zur Kontrolle politischer Gegner. Auch diese honorigen Damen und Herren sind nicht gegen den Zeitgeist immun.

Was sehe ich denn? Da gibt es die Leute, welche sich selbst verletzen und aus Überzeugung auf die Straße kleben, aber im Angesicht der zahlreichen körperlichen Übergriffe, friedlich wie Lämmer bleiben. Dann sehe ich aufgebrachte Bürger, mit verzerrten Gesichtern, die zutreten, schlagen, übergießen. Die sind alles andere als friedlich. Augenscheinlich sind da eine Menge Leute mit einer kurzen Zündschnur unterwegs. Dann wären da die Polizisten/innen, denen nichts Besseres einfällt, als mit völlig unnötigen schmerzhaften Hebelgriffen Protestler abzuführen. Besonders irritiert bin ich, wenn dabei auf den Frust hingewiesen wird, weil die sich ja prompt wieder hinsetzen. Ja, und? Ob die nun an der Synagoge Posten stehen, Streife fahren oder Klimakleber hin und her tragen, kann ihnen völlig egal sein, das Gehalt am Anfang des Monats ist das gleiche. Ich hab in meiner eigenen Polizeikarriere schon deutlich sinnlosere Dinge getan.

Nein, Freunde der Nacht, da zieht etwas anderes am Horizont auf. Augenscheinlich schwindet die Überzeugungskraft der politischen Ebene. Warum auch immer dies so ist, da spielen viele Faktoren zusammen. Teilweise können die aktuellen Politiker/innen gar nichts dafür. Frühere Generationen haben durch ihre Entscheidungen, oftmals nicht böswillig, bisweilen aber schon, die heutige Situation bedingt. Und scheinbar ist die Lage derart verfahren, dass weder richtige Lösungen gefunden werden können, noch der Bevölkerung zu vermitteln ist, wo wir stehen und wo die Reise hingeht. Das schreit förmlich nach Repression.

Die Sicherheitsbehörden benötigten beispielsweise bundesweit nur einziges Verfahren mit dem Titel “Kriminelle Vereinigung”. Dieses Konstrukt kann als Basis für bundesweit angelegte Maßnahmen benutzt werden. Fortan ist vollkommen legal der Einsatz Verdeckter Ermittler/innen, die umfassende Überwachung der Kommunikation und Observation, möglich. Ohne jegliche Neuerung: Das ist der Stand jetzt!

Nur, lässt sich das nicht auf konkrete Personen, die sich tatsächlich am Boden festkleben, begrenzen. Betroffen sind ebenso Mitbewohner, Eltern, Freundschaften, die Gäste in einschlägigen Lokalen, zufällige Kontaktpersonen, zumeist aus einem gesellschaftlichen Segment kommend, die seitens der konservativen Populisten bis zu Hetzern, als “links”, “links versifft”, “links-faschistisch”, bezeichnet werden. Unter dem Gesichtspunkt bekommt die Sache einen ganz anderen Anstrich. Dies alles zu einer Zeit, in der sich die Möglichkeiten der technischen Überwachung etwa halbjährlich erweitern und laut darüber nachgedacht wird, Bundesbehörden, wie dem BND, BfV, die Benachrichtigung und Informationsweitergabe an private Konzerne zu ermöglichen. Geschehen soll dieses zur Abwehr von Spionage und feindlicher Angriffe.
Mit Verlaub, wer Klima-Kleber zu Terroristen und Kriminellen macht, findet auch Wege, politische Abweichler zur Gefahr für BASF, SIEMENS, RWE, Rhein-Metall u.a. werden zu lassen.

Wie auch immer, es geht alles seinen Weg. Doch Leute, vornehmlich Insider, die in Anbetracht dessen “Hurra” schreien, sind mir suspekt. Entweder drücken sie ganz fest beide Augen zu, merken es nicht mehr, weil sie zu tief drinnen sind oder fühlen sich in derartigen Systemen pudelwohl. Mal sehen, wann die erste Reform der Reformen, ein bis zwei Leute nervös werden lässt. Ich empfehle einen Vergleich, zwischen den Debatten zu den alten Änderungen nach Ablösung des PVG, an welchen Stellen Bedenken bestanden und wo wir mittlerweile stehen. Es kam immer ein wenig mehr dazu und man hat es kaum bemerkt. Und wer darauf vertraut, dass die Anwender Augenmaß bewahren, ist hoffnungslos naiv und deppert. Spätestens, wenn es um die wie auch immer zu definierende linke Szene geht … gehen die in die vollen. Den Beweis muss ich schuldig bleiben bzw. kann nichts dazu schreiben.

Persönliche Analyse des Rechtsrucks

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„Wir werden noch deutlicher Alternativen herausarbeiten, die es zur Politik der Regierung gibt. Deswegen werden die #Grünen unser Hauptgegner sein in dieser Bundesregierung. Die Grünen sind dafür verantwortlich, dass diese Polarisierung in der Energiepolitik entstanden ist.“ ™

Friedrich Merz, bei Twitter am 27. Juni 2023, als Reaktion auf die Wahl des AfD Kandidaten in Sonneberg


Irgendjemand sagte einmal: “Die Deutschen sind so lange Demokraten, wie es Ihnen gut geht!” Nun mag man meinen, dass es Deutschland im Verhältnis zu diversen anderen Regionen auf der Erde immer noch sehr gut geht, insofern alles gut ist. Aber sie sehen es nicht! Ich selbst wuchs mit einer weiteren Weisheit auf. “Nimmt man den Deutschen etwas weg, werden sie ungemütlich.” Es ist egal, auf wie viel sie sitzen und welche Privilegien ihnen zuteilwurden.

Derzeit wird die Partei der GRÜNEN seitens einiger Zeitgenossen und Zeitgenossinnen als Verbotspartei bezeichnet. Wieder einmal einer dieser propagandistischen Kampfbegriffe aus der Feder von PR-Agenturen, die sich in den Dienst der Konservativen stellen. Verbot! In Deutschland ein sehr wirkungsvoller Trigger. Es berührt die infantilen Persönlichkeitsanteile und aktiviert bei vielen zuverlässig das in ihnen verborgene trotzige Kind. Für mich ist das Richtungsweisend, womit einige politische Strömungen gedenken zu arbeiten.

Der Aufschwung der AfD wird seitens des Vorsitzenden der CDU, Friedrich Merz, den GRÜNEN angelastet. Daraus leitet er ab, dass die CDU künftig noch mehr, als bereits geschehen, gegen sie vorgehen muss. Seine Überlegung kann nur bedeuten, dass er von Wählern ausgeht, die mit ihrer Wahl gegen die aktuelle Politik der GRÜNEN protestieren wollten. Demnach ansonsten nicht auf die Idee kämen, den Kandidaten einer faschistischen Partei zu wählen. Liegt er damit richtig?

Ich behaupte seit einigen Jahren, dass Deutschland einen “Rechtsruck” erfährt. Als ich dies für mich erstmalig feststellte, befand ich mich noch im Dienst. In dieser Zeit sagte ein Dienststellenleiter, der lange Zeit mit Ermittlungen zu politisch motivierten Straftaten aus dem rechten Spektrum betraut war, zu mir Worte, die ich seither nicht mehr vergaß: “Wir sind uns doch wohl beide einig, dass die Rechten lange nicht das Potenzial mit sich bringen, wie die Linksextremisten.” Dies sagte er etwa ein Jahr, bevor die damals noch falsch zugeordneten Straftaten der NSU bekannt wurden.

Neonazis, rechte Skinheads, neu-nationalsozialistische Kampfgruppen, Vereinigungen, 1 % Rocker aus dem rechten Spektrum nebst Hooligans, sind seit Jahrzehnten Eskalationen von in Deutschland kursierenden Lebenshaltungen, Anschauungen, Zielen. Sie sind das Extrem, wenn man erstmal “harmlos” erscheinende Aussagen bzw. weniger “harmlose” Sprüche ausgehend von ungefährlichen Personen konsequent bis zu Ende denkt. “Denen müsste man mal den Arsch versohlen und sie längere Zeit einsperren!”, ist zum Beispiel schnell daher gesagt. Es gibt Zeitgenossen/innen, die dies tatsächlich umsetzen.

In Deutschland existiert meiner Auffassung nach innerhalb des Diskurses bezüglich rechter Strömungen ein eklatantes und gleichsam gefährliches Problem. Die meisten verwenden ausschließlich die Ansprache “Nazi”. Dieser Bezeichnung kann sich jede/r Erz-Konservative oder jemand, der sich der Neuen Rechten zugewandt fühlt, leicht entziehen. Diese Leute sind keine Nationalsozialisten. Doch dies macht sie nicht weniger gefährlich für eine offene, progressive, moderne Gesellschaft, in der sich Individuen jenseits einer gelenkten Massengesellschaft entwickeln können. Hinzu kommt, dass diese Leute nicht sehen, nicht wahrhaben wollen, wem sie am Ende den Weg bereiten und sie dies nicht unter Kontrolle bekommen. Schlicht, weil sie bei sich selbst nicht erkennen, welche Niederungen im menschlichen Habitus sie aktivieren bzw. unterstützen. Historisch betrachtet, passierte dies in der Vergangenheit diversen Politikern/innen und Philosophen, welche am Ende nicht fassen konnten, welche Dynamik entstand. Hierfür ist für mich das beste Beispiel Martin Heidegger, der bereits 1933 der NSDAP beitrat.

Im weiteren Text bezeichne ich die AfD bewusst, als eine faschistische Partei. Sie noch der Neuen Rechten, auf die ich später eingehe, zuzuordnen, halte ich persönlich für falsch. Ebenso sind sie keine Nationalsozialisten. Vielleicht sind sie sogar etwas Neues, eine Mixtur, mit ähnlichen Eigenarten, aber dennoch neuen Aspekten. Für Faschismus entschied ich mich wegen des Werdegangs und Ansätzen des Begründers Mussolini. Seine Biografie war für die damalige Zeit neu.

Robert A. Paxton, schreibt hierzu in seinem Buch “Anatomie des Faschismus, Die politische Gefahr des Faschismus ist keineswegs überwunden. Auf einer ersten Stufe existiert er auch heute in allen größeren Demokratien.

… Der Faschismus dagegen (Anmerkung: auf andere *ismen bezogen) war eine neue Erfindung, die frisch für das Zeitalter der Massenpolitik geschaffen worden war. Er suchte speziell die Gefühle anzusprechen, und zwar durch den Einsatz ritueller, sorgfältig inszenierter Zeremonien und intensiv aufgeladener Rhetorik. Die Rolle, welche die Programme und Lehrmeinungen dabei spielten, ist bei näheren Hinsehen grundsätzlich verschieden von der bei Konservativismus, Liberalismus oder Sozialismus. Der Faschismus beruht eben nicht explizit auf einem elaborierten philosophischen System, sondern eher auf populären Gefühlen, Ansichten über “Herrenrassen”, deren ungerechtes Schicksal und ihre gerechtfertigte Prädominanz über minderwertige Völker. Er hat keinen intellektuellen Unterbau durch irgendeinen Systembegründer wie Marx oder irgendeine bedeutendere kritische Intelligenz wie Mill, Burke oder de Tocqueville.

Robert A. Paxton, “Anatomie des Faschismus, S.30, Einleitung, DVA München, 1.Auflage

Weiterhin weist Paxton in seinem Buch mehrfach darauf hin, dass der Faschismus nicht ausschließlich nach den Worten und Reden der Protagonisten zu beurteilen ist, sondern immer die tatsächlichen Handlungen, auch die im Verborgenen, zu berücksichtigen sind. Letztere aufzudecken ist die Aufgabe des polizeilichen Staatsschutzes der Länder, des Bundeskriminalamts, der Verfassungsschutzämter und des Bundesverfassungsschutzes. Um so gefährlicher ist es, wenn sich diese teilweise in den Händen der Neuen Rechten, der intellektuellen Vorstufe des Faschismus, befinden. Die Aussage des aktuellen Leiters des Verfassungsschutzes Thüringen Stephan Kramer, der über diesen Verdacht erhaben ist, sollte einige Leute nervös machen:

„Die AfD ist der parlamentarische Arm einer viel größeren Verschwörung, einer revolutionären Verschwörung, sie wollen die Regierung bezwingen, den Staat, und das ganze System, das in der Bundesrepublik Deutschland eingerichtet wurde“

Stephan Kramer, Interview, NDR INFO, 28.06.2023

Solche Worte vernahm und vernimmt man nie von einem Vertreter der Neuen Rechten, dem ehemaligen Leiter des Bundesverfassungsschutzes und Hans-Georg Maaßen und gegenwärtigen Vorstand der CDU internen Werteunion. Er trat zeitweilig, vermeintlich aus Protest gegen die Wahl des AfD – nahen, Autors, Max Otte aus der Werteunion aus. Aus meiner Sicht eine unpräzise Aussage. Trat er wegen der Nähe zur AfD aus oder ging es vielmehr um die Person an sich und Aussagen, die die Werteunion in den Fokus des Verfassungsschutzes gebracht hätte? Immerhin steht Maaßen im Verdacht, die AfD diesbezüglich beraten zu haben.

Sonneberg

In Sonneberg standen für die rund 50.000 Wahlberechtigten anfangs der 57-jährige ehemalige Landmaschinen u. Traktorenschlosser, Fahrlehrer u. Ex-Bürgermeister, Jürgen Köpper (CDU), eine 53-jährige ehemalige Bundespolizeibeamtin und Volljuristin, Frau Nancy Schwalbach (GRÜNE), die 41-jährige parteilose (aber von der SPD unterstützt) Anja Schönheit, ebenfalls durchaus qualifiziert und der 50-jährige Volljurist u. Mitglied in der als rechtsextrem eingestuften Thüringer AfD, Herr Robert Sesselmann. Also vier für ein höheres Verwaltungsamt qualifizierte Kandidaten. Wenn schon Protest, wäre die parteilose Kandidatin eine nachvollziehbare Option gewesen.

Gewählt wurde Robert Sesselmann. Auch wenn es weh tut, klickte ich mich durch einige Videos. Im Gegensatz zu einigen anderen Mitgliedern der AfD – Thüringen (siehe z.B. Höcke) ein leiser, ruhig, auftretender Mann, der im Landtag den einen oder anderen vernünftigen Beitrag zu Verwaltungsthemen beitrug. Im Wahlkampf äußerte er sich im Wesentlichen zu Themen, die mit seiner zukünftigen Funktion als Landrat nichts zu tun haben. Da verstieg er sich in die übliche AfD Hetze und irrationales Zeug. Mit anderen Worten, der Mann kann mit Sicherheit Verwaltung.
Was nichts an seiner Haltung zu anderen Themen ändert, weswegen er wohl auch in der AfD ist. 12 Jahre Nationalsozialismus zeigten, dass Faschisten und Verwaltungsleute, zumeist Technokraten, durchaus zusammen passen. Ich denke, in dem ich mir einige seiner Reden anschaute, habe ich der Mehrheit seiner Wähler einiges voraus. Die wählten ihn nicht, weil er sich dort profilierte, sondern wegen seiner sachfremden Wahlkampfreden. Und da ist kein Protest zu erkennen. Die stimmten ihm schlicht und ergreifend zu.

Wenn ich mehrere Optionen habe, muss es einen Grund geben, warum ich weder eine der beiden Frauen noch den männlichen Gegenkandidaten wähle oder mich ganz der Wahl enthalte. Nochmals: Für die Leitung einer Verwaltungsbehörde waren alle vier ausreichend qualifiziert. Parallel führte nachvollziehbar der Rest der AfD für ihn Wahlkampf. Seine Qualifikation wurde in Nebensätzen erwähnt, doch der Fokus lag darauf, wie wichtig das Signal ist. Auch das nährt den Verdacht, dass es nicht Protest ging, hingegen die Annahme einer Zustimmung deutlich näher liegt.

Mir stellt sich an der Stelle eine grundsätzliche Frage: Wird eine oder einer durch die Politik anderer Parteien zur Faschistin oder Faschisten? Oder sind diese Leute bereits zuvor mit faschistischen Charaktermerkmalen und Haltungen unterwegs? Womit sie keinesfalls mittels Kurskorrekturen überzeugt werden können, es sei denn, man bietet ihnen selbst eine faschistoide Politik an.

Psychologie des Faschismus

Ein zentrales Merkmal des faschistoiden Charakters ist die Lust am Treten nach unten und dem Buckeln nach oben, auch Radfahrerprinzip genannt.[1]Erich Fromm, Psychoanalyse des Faschismus Der Psychoanalytiker Erich Fromm geht noch einen Schritt weiter und stellt eine Analogie zum “Sadomasochismus” her. Der Masochist, welcher sich führen lässt und damit alle Verantwortung aufgibt, kombiniert mit dem Lustgewinn andere quälen zu können, wobei er wiederum den eigenen Status erhöht.

Nach allem, was ich von ehemaligen Kollegen mit einer DDR – Biografie erfuhr, war diese Eigenschaft nicht gerade hinderlich. Ich bin kein Freund der Erzählung, in der sich 1989 die gesamte Bevölkerung der DDR für eine friedliche “Revolution” entschied. Faktisch wirkten zu dieser Zeit viele Kräfte auf die DDR ein, ohne die Einsicht Gorbatschows hätte sich vieles anders entwickelt und diverse Hardliner, waren gar nicht glücklich darüber. Das Buckeln beherrschten viele sehr gut. Darüber hinaus lernte ich welche kennen, die dies taten und zusätzlich politische Gefangene misshandelten.
Und auch in der zuvor bestehenden BR Deutschland, hat sich diese Eigenart niemals wirklich verloren. Gerade in den Behörden war sie stets gegenwärtig. Mobber, von denen es in Behörden einige gibt, erfüllen alle Kriterien.

In beiden deutschen Teilstaaten bestand in der Gesellschaft eine feste Hierarchie. Jeweils eine, in der die individuelle Verantwortung nach oben abgegeben werden konnte, gleichzeitig mittels des Tretens nach unten, der eigene soziale Status eine Steigerung erfuhr.
Im Unterschied zur BR Deutschland wurden die meisten DDR-Bürger beinahe elterlich an die Hand genommen. Berufliches Fortkommen oder auch nicht, Wohnungszuteilung, Freizeitgestaltung, Studium, soziale Maßnahmen, der real existierende Sozialismus sprang zur Seite. Nach ’89 hatte dies für viele böse Folgen. Ich erinnere mich gut an Ermittlungsverfahren, in denen vornehmlich junge Leute, aus echter Not heraus Diebstähle begingen, weil sie keinerlei Vorstellungen hatten, wie, in welcher Form und wo, sie Hilfe bekamen.
Des Weiteren wurde nach ’89 versäumt, den “neuen” Bürgern der BR Deutschland die Verfassungsgrundlagen zu erläutern. Wenn schon die Lücken bei den alten Bundesbürgern beklagenswert waren, gab es bei ihnen keinerlei Wissen und bis heute setzt sich das im gesamten Deutschland fort. Ich mache den Leuten daraus keinerlei Vorwurf. Wer setzt sich schon nach der Arbeit hin und beschäftigt sich mit dem Grundgesetz, dem Aufbau des Staats oder mit den Gegebenheiten des Straf-, Bürgerlichen- oder Verwaltungsrechts? Verwerflich wird dies erst, wenn Frauen und Männer, die in der Politik aktiv sind, über wenig Kenntnisse verfügen.

Während die einen bereits vom Kapitalismus auf “Haben” und allem, was damit zusammenhängt, gepolt waren, kamen jetzt Ausgehungerte dazu. [2]Erich Fromm, Haben oder Sein: Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, Taschenbuch – 1. Juli 2005Doch dieses Haben bezieht sich nicht ausschließlich auf sichtbare Güter, sondern letztlich auf nahezu alles. Die Leute reden nicht davon, dass sie sich ängstigen, sich sorgen oder fürchten.
Sie sprechen davon, dass Sie Ängste, Furcht, Sorgen, Verlustangst, Existenzangst, haben. Erst einmal klingt dies banal, doch wenn man länger darüber nachdenkt, merkt man, wie prägend dies ist. An dem, was ich habe, halte ich fest.
Die andere Formulierung, das Beibehalten des Verbs, beschreibt einen Prozess, der mit einem konkreten Anlass verbunden ist und irgendwann, mit dem Wegfall des Auslösers, endet. Der Faschismus setzt auf das traditionell bestehende, also dem Haben. Alles neu Hinzukommende, Philosophien, Lebenshaltungen, kulturelle Veränderungen durch Einwanderer, Ausländer mit längerem Aufenthalt, Asylanten, wird abgelehnt.
Wenn einem schon ein kompletter Staat abhandenkommt, will man wenigstens an den regionalen und vermeintlich typisch deutschen Gepflogenheiten festhalten. Doch auch die alten Bundesbürger, obwohl sie reisen konnten und internationalen Austausch pflegten, zeigen sich verängstigt. Es ist ja auch spätestens seit ’89 viel passiert und manch eine Region entwickelte sich bereits vor ’89 konsequent nie weiter. All dies bezieht sich nicht auf die ältere Generation, sondern die Jüngeren wuchsen ebenfalls damit auf. Mehr noch, die Jungen HABEN noch deutlich mehr Ängste, denn die Alten.
Sie bekamen eine Erziehung, in der es um das Bestehen innerhalb eines Konkurrenzkampfes geht. In der DDR hieß es, dass die “Intellektuellen” auch die richtig harte Arbeit kennenlernen müssen und ein wenig suspekt waren diese kritischen Intellektuellen immer, zumal sie zur Gefahr werden konnten.
Die ehemaligen DDR-Bürger fühlen sich gedemütigt und dies gaben sie an die Kinder weiter. Indessen fühlen sich die anderen nach dem zigsten Skandal, all den falschen Versprechungen, verraten und verkauft. Viele sind in der Bonner – Dorfrepublik geblieben, in der die Welt noch überschaubar war. Multinationale Konzerne, Globalisierung, Digitalisierung, die damit einhergehenden Aufgabenstellungen, Gefahren, die andere Staaten bereits vor Jahrzehnten erlebten, überfordern sie. [3]Umberto Ecco, 14 Merkmale des Urfaschismus

Ohne vorhandene Eigenschaften, kein Faschismus

Ich könnte noch einiges mehr anführen. Aber ich will es hier dabei belassen. Für mich steht fest, dass für die Zuwendung zum Faschismus, ebenso für das Denken der Neuen Rechten, Grundvoraussetzungen vorhanden sein müssen. Wie angeführt sind Appelle an die Emotionen innerhalb der modernen Massengesellschaften ein Kernpunkt des Faschismus.

  • Schwierigkeiten bei der Ausbildung einer eigenen tragfähigen Identität,
  • Probleme bei der Reflexion der eigenen Schwächen und des Arbeitens daran, vor allem im Hinblick auf die eigene Rolle, statt andere verantwortlich zu machen (Opferrolle),
  • tatsächliche oder angenommene Ohnmacht,
  • Fixierung auf sozialen Status durch Besitz,
  • das Bedürfnis andere zu schwächen und zu kontrollieren,
  • die Bereitschaft sich dennoch unterzuordnen,
  • die Ablehnung des Intellekts, als vermeintliche Schwäche, statt dessen favorisieren der körperlichen Leistungsfähigkeit,
  • die Annahme, die einzig wahre Ansicht zu besitzen, sich in einer stetigen Konkurrenz zu anderen zu befinden, die einem etwas wegnehmen wollen,
  • die Sehnsucht Teil von etwas Großen zu sein, was die eigene Unbedeutsamkeit wett macht.

Ganz gut zu beobachten ist das u.a. an Universitäten. Geringe Bildung ist nicht ursächlich für den Faschismus. Allerdings wird alles abgelehnt, was entweder nicht einem unmittelbar erkennbaren Zweck dient oder schlimmer noch, den Faschismus ablehnt. Naturwissenschaften fallen erst in Ungnade, wenn die wissenschaftlich gewonnen Erkenntnisse nicht ins Bild passen (siehe Klimaleugner). Lediglich eine bestimmte Sorte junger Männer lässt sich von Burschenschaften rekrutieren. Inwieweit die immer rechts sind, ist offen. Zumindest geben sie alles her, was faschistoid veranlagte Typen mögen.

Ebenso schwierig ist, wie bereits angeführt, die Abgrenzung zu der Neuen Rechten (künftig NR). Sie ist eine politische Strömung, die in den 50ern maßgeblich auf Armin Mohler[4]Armin Mohler war ein deutscher Historiker, Publizist und politischer Theoretiker. Er wurde am 12. April 1920 in Basel, Schweiz, geboren und verstarb am 4. Juli 2003 in München, Deutschland. … Continue readingzurückzuführen und entstanden ist. Sie vereint verschiedene rechtsextreme, nationalistische und konservative Ideen und Positionen. Die NR zeichnet sich durch eine intellektuelle Herangehensweise und eine Strategie der kulturellen Beeinflussung aus, um ihre Ideen in der Gesellschaft zu verbreiten.

Sie distanziert sich oft von offenkundig neonazistischen Positionen und versucht stattdessen, eine akzeptablere und weniger extremistische Fassade zu wahren. Sie bedient sich eines akademischen Vokabulars und versucht, ihre Positionen als Teil eines intellektuellen Diskurses darzustellen. Ein zentrales Ziel der Neuen Rechten ist es, Einfluss auf gesellschaftliche Bereiche wie Medien, Bildungseinrichtungen, Kunst und Kultur zu nehmen, um ihre Weltanschauung zu verbreiten und den politischen Diskurs nach rechts zu verschieben.

Die Neue Rechte in Deutschland vertritt oft nationalistische Ideen und betont die Wahrung der nationalen Identität, Kultur und Traditionen. Sie ist häufig euroskeptisch und lehnt die Europäische Union ab. Zudem zeigt sie oft eine Ablehnung von Multikulturalismus, Einwanderung und liberalen Werten wie Gendergleichheit und LGBT-Rechten.

Anzumerken ist, dass sie trotz ihres intellektuellen Auftretens und ihrer strategischen Taktiken weiterhin rechtsextreme und antidemokratische Elemente enthält. Ich denke nicht, dass ihr Kalkül ansatzweise eine Chance hat aufzugehen. Dem eigenen Verständnis nach befinden sie sich in der Tradition der Konservativen (z.B. Zentrum Partei) der Weimarer Republik und verweisen darauf, dass deren Mitglieder ebenfalls von den Nationalsozialisten verfolgt wurden.
Ich sehe es mittlerweile in der Form, dass oben als Überschrift Neo-Faschismus steht, und sich darunter neben dem von Mussolini eingeführten Faschismus, die Ausgestaltung nach Franco, der Nationalsozialismus und diverse moderne Interpretationen befinden.

Teile der UNION gehören eindeutig zur Neuen Rechten, während einige Mitglieder der AfD eine krude Mixtur, noch weiter in Richtung Ur-Faschismus, wenn nicht gar Nationalsozialismus, zusammenbrauen.

Unter der Führung von Friedrich Merz hat die Neue Rechte innerhalb der CDU, hauptsächlich organisiert in der Werteunion, erheblichen Aufwind bekommen. Was er da ankündigt, dürfte nicht dem Machtgewinn der CDU dienen. In vielerlei Bereichen sind die Grenzen zwischen AfD und CDU aufgehoben, sodass ein Gemenge entstanden ist. Nur, dass die CDU den Ruf weg hat, die der Neuen Rechten zuzuordnenden Mitglieder, allzu Stiefmütterlich behandelt zu haben.

Der Merz – Plan wird nur teilweise aufgehen

Merz und seine Seilschaft innerhalb der CDU könnten zu Gärtnern der AfD und der dahinter stehenden Kräfte werden. Nämlich dadurch, dass sie das “Beet”, den Nährboden düngen, aber statt der gewünschten Pflanzen jede Menge Beikräuter sprießen lassen. Oder um das Bild noch etwas zu erweitern: Sie benutzen einen Kompost, der aus den Abfällen des alten Faschismus und deutschen Nationalsozialismus besteht.

Hierbei ist auch die ungesunde Verknüpfung zwischen Kapitalismus und autoritären Systemen zu berücksichtigen. Klassische Unternehmen, Konzerne, Global Player, sind im Gegensatz zu beispielsweise Kooperativen, knallhart autoritär und hierarchisch strukturiert. Manche, wie z.B. Noam Chomsky, fürchten weniger politische Bewegungen, denn die Übernahme der Gesellschaften durch eben jene Wirtschaftsakteure. Wer mittels Bezahlung Propaganda initiieren kann, die Massengesellschaften steuern, braucht Wahlen nicht zu fürchten.

Ich wage es, mich für einen längeren Zeitraum festzulegen. Die sich weiter zuspitzende Klimakatastrophe mit all ihren Folgen wird ausgerechnet den Rechten, Konservativen, autoritär organisierten Wirtschaftsgrößen nutzen. Auswirkungen, wie Flüchtlingsbewegungen, Migration, Kriege um Wasser oder um für menschliches Leben geeignete Regionen, Unruhen, Aufstände, können sie in der deutschen Gesellschaft am ehesten bedienen. Gleichfalls ist die deutsche Bevölkerung noch weit davon entfernt, die auf sie zukommenden katastrophalen Veränderungen derart zu verinnerlichen, dass sie bereit wäre, ernsthaft notwendige Maßnahmen, wie sie z.B. seitens der Protestbewegungen oder auch den GRÜNEN gefordert werden, hinzunehmen. Ähnlich sieht es mit den Kriegsfolgen in der Ukraine aus. Wobei hier die noch völlig offen ist, was uns diesbezüglich erwartet. Ein Faktor, der völlig unberechenbar ist.

Ich verfolge aufmerksam im engeren und weiteren Bekanntenkreis die Entwicklung.

Ein kleiner Kreis, von dem ich nichts anderes erwartete, sieht z.B. die Proteste ähnlich wie ich. Im weiteren Kreis setzt immer mehr die Erosion ein. Es ist erschreckend, wie wirksam Propaganda sein kann. Überall sickern die “Spins” in die Gespräche und Kommentare ein. Kürzlich verfolgte ich bei Facebook Kommentare, in denen zum Beispiel der “Spin”, Greta Thunberg, sei ein missbrauchtes Kind, aufgegriffen wurde. U.a. geht dies auf ihr Asperger Syndrom zurück. Es ist zwecklos diesen Leuten rational entgegenzuhalten, dass gerade “Asperger” oftmals analytisch überlegen sind.

Gleichermaßen sieht es mit der Verschwörungserzählung aus, in der die Protestbewegung “Letzte Generation” eine “Kolonne” einiger Millionäre/Milliardäre wäre. Niemand leugnet die Geldzuwendungen. Zur Betrachtung stehen zwei Positionen. Fraglich ist, warum diese Leute bereit sind, zu fördern. Schaue ich auf die Entwicklung, verfüge über die notwendigen Mittel, kann aber aus verschiedenen Gründen nicht selbst handeln, schaue ich, wo ich mein Geld strategisch am ehesten unterbringen kann und dabei auch noch Steuern spare. Eine Informationsquelle hierfür ist influencewatch.org. Hier kann auch nachgelesen werden, wie der “Sponsor” der Letzten Generation “Climate and Clean Energy Equity Fund”, Untergruppe des “new-venture-fund“, bei dem Zuwendungen steuerlich abgesetzt werden können, funktioniert.

Dann muss ich mir die Empfänger anschauen. Ist Geld, der eigene Vorteil, ihr Motiv? Keinesfalls! Und Überraschung, selbst Frauen und Männer, die in der SPD maßgeblich eine Rolle spielen oder Gewerkschaftler springen auf die vermeintliche Verschwörung auf. Ehre, wem Ehre gebührt. Diejenigen, welche da im Hintergrund in den PR-Agenturen arbeiten, leisten ganze Arbeit. Auch wenn es teilweise die primitivsten Ansätze sind. “Die oder der kommt aus einem begüterten Elternhaus! Also sind das Heuchler!” Es funktioniert.
Die GRÜNEN und die SPD setzen auf Vernunft, Verstand und Werte. Nichts davon hat in der deutschen Bevölkerung eine Bedeutung, wenn es um Kraftfahrzeuge, Häuser, Urlaub, Fremde und finanzierbaren Konsum geht. Mittelfristig werden die autoritären Kräfte über Anpassungsmaßnahmen und diesbezügliche Versprechungen regieren, bis dies auch nicht mehr funktioniert.

Wer die Entwicklung stoppen will, muss öffentlich und umfangreich, gegen den Populismus, die allgegenwärtige Propaganda antreten, aufklären und darf sie nicht selbst anwenden. Und jenseits des Populismus, müsste in allen Bereichen “reiner Wein” eingeschenkt werden. Problem: Dies wäre das Ende der CDU/CSU, FDP, in der heutigen Ausgestaltung. Ergo, wird es nicht dazu kommen. Für mich ist die AfD der konsequente Part der “Konservativen”. Für Männer wie Höcke, denken diverse Mitglieder der CDU, vor allem die am rechten Rand, in die richtige Richtung, aber sind in seinen Augen “zu weich” es durchzuziehen. Ich befürchte, er wird eine Menge Zeitgenossen/innen finden, die ähnlich denken und sich deshalb der AfD zuwenden.

Quellen/Fußnoten

Quellen/Fußnoten
1 Erich Fromm, Psychoanalyse des Faschismus
2 Erich Fromm, Haben oder Sein: Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, Taschenbuch – 1. Juli 2005
3 Umberto Ecco, 14 Merkmale des Urfaschismus
4 Armin Mohler war ein deutscher Historiker, Publizist und politischer Theoretiker. Er wurde am 12. April 1920 in Basel, Schweiz, geboren und verstarb am 4. Juli 2003 in München, Deutschland. Mohler war eine bedeutende Figur im intellektuellen Spektrum der sogenannten “Konservativen Revolution” und der NR in Deutschland. Er prägte maßgeblich die konservative Denkrichtung und war insbesondere in den 1950er und 1960er Jahren einflussreich. In seinen Werken beschäftigte sich Mohler mit verschiedenen politischen, kulturellen und ideologischen Strömungen.
Er analysierte vornehmlich die Ideen der Konservativen Revolution im Deutschland der Weimarer Republik, darunter Denker wie Ernst Jünger, Oswald Spengler (Anmerkung: Mit eben jenem anti-demokratischen Vordenker des Nationalsozialismus, aber Gegner der Rassenideologie, sympathisiert Max Otte) und Carl Schmitt.
Mohler betrachtete die Konservative Revolution als eine Antwort auf die kulturelle Krise und den Zusammenbruch der alten Ordnung nach dem Ersten Weltkrieg. Mohler wurde auch für seine Kontakte zur rechtsextremen Szene in Deutschland kritisiert. Er sympathisierte zeitweise mit nationalsozialistischem Gedankengut, distanzierte sich jedoch später von diesem und wandte sich einer nationalkonservativen Position zu. Er vertrat kontroverse Ansichten und war eine äußerst umstrittene Figur. Seine Werke und Ideen werden oft im Zusammenhang mit der Entwicklung der Neuen Rechten und des intellektuellen Rechtsextremismus in Deutschland diskutiert.

Cheap-Cheap

Lesedauer 9 Minuten

Vor drei Jahren traf ich einen jungen Kerl aus Barcelona. Er war ein einfacher Bauarbeiter, der in Spanien keinen Job gefunden hatte und sich deshalb auf Reisen ging. Doch ich glaube, dies war nicht seine einzige Motivation. In Australien arbeitete er zeitweilig als Küchengehilfe. Bis zu dem Tag, an dem ihm der Restaurantbesitzer fragte: “Du bist doch Spanier? Dann kannst Du bestimmt gut mit Rindfleisch umgehen.” Schnell wurde er auf die Art zum gutbezahlten Restaurantleiter. Trotzdem zog es ihn eines Tages weiter. Also scheint ihn auch ein wenig die Abenteuerlust angetrieben zu haben.
Wir beide lernten uns in der Warteschlange der Grenzkontrolle nach Malaysia kennen. Ein Wort gab das andere und wir beschlossen uns gemeinsam ins gleiche Guesthouse zu begeben. Die Nummer mit dem “Cheap” ging schon am Fährterminal los. Auf der Insel Langkawi angekommen benötigten wir ein Transportmittel zu unserem Ziel Cenang Beach. Er wuselte herum und suchte etwas Passendes. Die regulären Taxen waren ihm zu teuer. Dazu muss ich erwähnen, dass eine Fahrt umgerechnet 5 EUR kostete und die Fahrt locker 15 Minuten dauerte. Zu meinem Entsetzen schickte er sich an, einen Busfahrer zu fragen, ob der uns mitnehmen würde. Problem: Der Bus war vollständig mit uniformierten jungen Polizistinnen in der Ausbildung besetzt. Bei der ganzen Aktion sagte er immer wieder: “I’m looking for a cheap solution.”

Das setzte sich im Guesthouse fort und wir beide landeten in einem Dorm mit 10 Leuten. Grundsätzlich habe ich nichts dagegen, aber dort lag man auf in Plastik eingepackten Matratzen und die Betten wackelten bedrohlich. Nach einer Nacht wählte ich die teurere Lösung und mietete einen Bungalow. Cheap-Cheap, so nannte ich ihn bereits nach dieser einen Nacht, bot ich an, gegen den Preis eines Betts im Dorm, bei mir zu schlafen.

Cheap!“, das setzte sich bei mir fest. Hört man den Gesprächen der Backpacker und anderen Reisenden aus den “Wohlfahrtsstaaten” zu, gibt es zwei Optionen. Entweder, ein Platz ist “Cheap” oder zu teuer, also “expensiv”. Inwiefern dies mit dem Lebensstandard, der wirtschaftlichen Lage des jeweiligen Landes zu tun hat und was das für die Leute bedeutet, kümmert sie dabei wenig. Ich erinnere mich dabei an die Zeit, in der wir als junge Erlebnisorientierte nach Prag fuhren und dort für umgerechnet 30 Pfennig ein Bier bekamen. Oder als wir West-Berliner nach dem Fall der Mauer auf dem Schwarzmarkt Deutsche Mark in Ostmark zu einem Kurs von 1:50 tauschten, um dann mit dem Geld in den ehemaligen DDR-Bonzen-Läden die Sau herauszulassen. Ich habe auch nicht vergessen, wie einige der Meinung waren, in normalen Clubs den dicken Maxen spielen zu können, um dann von den Jungs aus Prenzelberg ordentlich auf den Zahn zu bekommen. Ähnliches erlebte ich auch in einer polnischen Grenzstadt.

Ich bin nicht mehr der junge Kerl von damals. Meine Gedanken gehen heute deutlich weiter. Sich als “reicher” privilegierter Typ in einem armen Land zu bewegen, ist nicht ganz unproblematisch. Wenigstens sollte man sich dessen bewusst sein. Für mich gibt es da eine fließende Grenze zwischen Reisen und einer Situation, die ich als beinahe pornografisch bezeichnen würde. Heute hörte ich, wie sich eine Deutsche mit einem Italiener über die Länder unterhielt, in denen sie bereits waren und wie ihre weiteren Reisepläne aussehen. Bei der Deutschen ist Sri Lanka auf der Agenda, Sri Lanka. Ein Land, welches sich in einer bösen Krise befindet, in deren Folge Teile der Bevölkerung an Hunger und Not leiden. Reisende werden allerdings bevorzugt behandelt und bekommen zum Beispiel ansonsten rationierten Kraftstoff zu kaufen. Doch darum ging es in dem Gespräch nicht. Günstiges Essen, billige (cheap) Unterkünfte, aber zu wenige Kohlenhydrate bei der Ernährung, lauteten die Themen. Ich unterscheide konsequent zwischen einer anderen einfachen Lebensart und Armut. Unterernährung, der Mangel an sauberen Trinkwasser, fehlende medizinische Versorgung und seien es nur die althergebrachten Heilmethoden, die dort seit Urzeiten praktiziert werden, ist für mich definitiv Armut. Ob die Leute nun in offenen Hütten oder Zelten leben, halbnackt sind, alles mit Booten oder Handkarren transportieren, ist eine vollkommen andere Angelegenheit bzw. schlicht deren Lebensweise.

Nochmals anders ist die Ausgangslage der deutschen Rentner in Thailand. Sie gehen dorthin, weil sie sich dort ein Leben leisten können, welches sie zu Hause in Deutschland nicht finanzieren könnten. Die Thais wiederum setzen auf sie, weil sie zahlende Kundschaft sind. Klingt erst einmal nach einer Win-win-Situation. Ein wenig befremdlich ist es dennoch. Da arbeiten Leute ein ganzes Leben lang und am Ende genügt ihr Geld nicht für einen angenehmen Lebensabend. Jedenfalls für keinen, der den allgemeinen deutschen Vorstellungen entspricht. Doch bei den Thais sieht es nicht anders aus. Dort und in anderen südostasiatischen Ländern läuft die Versorgung über die Kinder. Ohne Kinder landen sie in bitterer Armut und werden auch nicht sonderlich alt. Für Thais sind mehrere Kinder existenziell. Bei nur einem besteht das Risiko, dass etwas schiefgeht, zwei, drei, vier, geben eine gewisse Sicherheit. Töchter, die sich von einem alten “reichen” Westerner aushalten lassen, sind quasi ein Lotto-Gewinn. Zumindest gilt dies für die Eltern. Fest steht auch, dass das, was Nordthailänder unter einem versorgten Lebensabend verstehen, nichts mit den deutschen Vorstellungen zu tun hat. Eine ganz andere Kategorie sind die Männer, welche ihre aktuell zulässigen 45 Tage Aufenthalt zur billigen Befriedigung ihrer sexuellen Triebe nutzen. Dagegen sind die Thais teilweise vorgegangen, woraufhin die Typen nach Kambodscha ausgewichen sind.

Aber egal, wie man es betrachtet oder welchen ethischen Kompass man benutzt, eins ist nüchtern festzustellen. Es funktioniert nur wegen des finanziellen Gefälles. Das Argument, welches einige vorbringen, demnach sie immerhin Geld ins ärmere Land bringen, kann ich nicht folgen. Dies würde auch mit einer Spende funktionieren. Genügend Hilfsorganisationen gibt es. Das ist ein ziemlich plumper Versuch, sich zum Philanthropen zu stilisieren. Tatsächlich geht es in erster Linie um den eigenen Vorteil. Ich dachte selbst kurzfristig über einen Abstecher nach Sri Lanka nach. Doch ich habe es verworfen. Ich bekomme dies nicht mit meinen Prinzipien in Einklang. Als ich Laos besuchte, war ich noch suchend und unerfahrener.

Meine Lebensart hier auf der Insel Langkawi oder in Thailand unterscheidet sich nicht sonderlich von der, die ich mir in Deutschland leisten kann. Ich miete mich nicht in Hotels ein, die ich mir sonst nicht leisten könnte. Gleiches gilt für Restaurants, in denen mich Meeresfrüchte einen Bruchteil dessen kosten, was ich in Berlin hinlegen müsste. Ebenfalls kaufe ich mir keine Cocktails, die in Berlin mein Budget sprengen würden. Meinem Gefühl nach, leiste ich mir, was sich hier die durchschnittlich verdienenden Leute auch kaufen können. Leute, denen es schlecht geht, gibt es immer und ich kann es nicht ändern. Was ich aber versuche, ist eine gewisse Fairness an den Tag zu legen. Ich zahle durchaus mal ein paar Ringit mehr für ein reguläres Taxi oder schau, dass ich eher die kleineren Business-Läden nutze und esse dort auch mal die Speisen, mit denen sie versuchen ein wenig mehr Geld zu verdienen, selbst wenn’s nicht unbedingt mein favorisiertes Gericht ist.

Cheap-Cheap, ist im Prinzip das deutsche “Geiz ist geil!” Ein Motto, auf das man nicht stolz sein sollte. Klar, wenn man nichts hat, ist man dankbar für die Dumping-Angebote. Obwohl auch hier ein Trick dahinter steht. So ist zum Beispiel das verlockende Angebot, dass ein Anbieter im Falle des Nachweises, den niederen Preis des Mitbewerbers anzunehmen, eine versteckte Kartellbildung. Anfangs sinkt der Preis. Doch das ändert sich. In einem Artikel des Magazins handelsblatt.com, wurde das Prinzip, welches auf der Spieltheorie beruht, ganz gut erläutert:

… Niedrigstpreisgarantien gehen darüber hinaus, indem sie versprechen, mit einem niedrigeren Preis eines Konkurrenten nicht nur gleichzuziehen, sondern diesen sogar zu unterbieten. Führt ein Unternehmen eine Niedrigstpreisgarantie ein und erhöht den Preis, so büßen die Konkurrenten Marktanteile ein, da sie aufgrund dieser Preisgarantie immer unterboten werden. Sie können ihre Marktanteile nur zurückgewinnen, wenn sie ebenfalls einen höheren Preis fordern. Niedrigstpreisgarantien sind also eine deutliche Aufforderung an die Konkurrenz, ebenfalls die Preise zu erhöhen. Ist ein Teil der Konsumenten nicht über die Preise der Unternehmen informiert, können Preisgarantien nach Erkenntnissen der amerikanischen Ökonomen David Hirshleifer zur Preisdiskriminierung genutzt werden und insgesamt wiederum zu höheren Preisen führen.

https://www.handelsblatt.com/finanzen/steuern-recht/recht/streitfall-des-tages-der-trick-mit-der-preisgarantie/6867000.html


Wenn es nach meinen “Freunden” den Turbo-Kapitalisten geht, sind alle Menschen “Homo oeconomicus“. Auch ein Begriff, der aus der Spieltheorie stammt. Und tatsächlich ist der Mensch dankenswerterweise anders oder kann anders sein, wenn er nicht dahingehend manipuliert wird. Der beste Nachweis dafür ist eins meiner Lieblingsexperimente aus der Spieltheorie. Von zwei Versuchspersonen wird einer, mit der Aufforderung das Geld zwischen beiden aufzuteilen, ein Betrag in Höhe von 50 EUR übergeben. Stimmt die andere Person der Aufteilung zu, können sie das Geld behalten. Im Falle eines Homo oeconomicus wäre zu erwarten, dass die andere Person sogar bei einer Teilung in 49,99/0,1 zustimmt, weil selbst der 1 Cent mehr ist, als zuvor. Frei nach: Besser als Nichts! In der Realität sieht es aber anders aus. Um so mehr die Aufteilung von 50:50 abweicht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die andere Person blockiert und beide leer ausgehen,

Für mich ist das ein Signal dafür, dass bei den Leuten, die mit dem Motto Cheap-Cheap unterwegs sind, etwas in die Schieflage geraten ist. Vielleicht liegt es daran, dass sie es aus den Heimatländern gewohnt sind, grundsätzlich übers Ohr gehauen zu werden. Klar gibt es auch hier deutliche Unterschiede. Ein aus Europa importiertes Bier kostet im Duty-Free Shop 3,50 RGT (79 Cent) und in einem kleinen Minimarkt 5 RGT (1 EUR). Dafür hat der aber auch 24/7 geöffnet, muss einen anderen Mietpreis zahlen, gibt einigen einfachen Menschen einen Arbeitsplatz und befindet sich in der Nähe der Guesthouses. Unter dem Strich wurden in Deutschland auf die Art nach und nach alle kleinen Dorfläden kaputt gemacht, infolgedessen die Leute gezwungen sind, mit Autos zum Einkaufen zu fahren und die Luft verpesten.

Ich halte es nicht für falsch, mit Tourismus ärmere Länder zu unterstützen. Doch da gibt es einige Klippen. Die Einheimischen haben überhaupt nichts davon, wenn die Touristen in den großen Hotelbunkern oder ummauerten “Reservaten” unterkommen. Das Geld fließt direkt in die Taschen der großen Globalplayer. Allzu selten verlassen die verwöhnten Touris die ihnen zugewiesenen Habitate und essen in einem der kleinen Restaurants im Hinterland. Ebenso wenig nehmen sie die Dienstleistungen der kleineren Anbieter in Anspruch. Für die “normale” Bevölkerung bleiben die Schäden und bei der allgemeinen ökologischen Lage, am Ende für uns alle.
Die großen Hotels benötigen eine deutlich ausgedehntere Infrastruktur, als die vielen kleinen Anbieter. Da ist die Entwässerung, der Mehrverbrauch an Wasser durch Pools, schicke Springbrunnen, Rasenflächen, Gartenanlagen und interne Angebote. Ich sehe das hier auf der Insel Langkawi. Bereits im Bau sind die Beton-Bauten ein ökologischer Horror. Das Geld landet überall, nur nicht zum Beispiel in der Entwässerung und Wiederaufbereitung. Vielfach sind Sammelcontainer aufgestellt, in denen die Feststoffe gesammelt werden, während alles Flüssige in der Landschaft oder über stinkende Kanäle im Meer landet. Dies bei stetig steigender Zahl an Betten. Da wirken nahegelegene “Schutzgebiete” für Mangroven-Wälder wie zu klein geratene Feigenblätter.

Nahezu alle Strände sind Mogelpackungen. Der Indische Ozean ist voll mit Müll. Steht der Wind ungünstig, landet der Müll aus der Straße von Malakka am Strand. Emsig sammeln diesen von der Kommune bezahlte Hungerlöhner oder im Bereich der Hotels, bei denen angestellte Bedienstete, ein. Auch eine Art der Beschaffungsmaßnahme. Auf einigen Inseln sah ich zu Ressorts gehörende Verbrennungsanlagen, die den Müll ohne Filter gnadenlos über hohe Schornsteine in die Luft jagen. Doch nicht jeder Müll kommt übers Meer. Überall werden Plastikpackungen, Strohhalme, Plastikflaschen, Schraubverschlüsse, Zigarettenfilter, unbekümmert in die Landschaft geworfen. Zu diesem teilweise unmittelbar auf den Tourismus zurückzuführenden Müll kommt der indirekte hinzu. Baumaterialien, Reifen, ausrangierte Jetskis, Scooter, Schmierstoffe, Dämmmaterialien, usw., verteilen sich überall.

Auch hier hinterlassen einem die “Cheaps-Cheaps” aus Europa mit Fragen. In Deutschland toben wilde Debatten über SUV, Verbrenner, Klimaneutralität. Hier wird als Erstes nach dem billigsten Scooter-Verleih gesucht. Es gibt auch keine Gewissensprobleme beim Leihen eines Jetskis, einem Tandem-Flug oder wenn man sich mit einem Fallschirm über das Meer ziehen lässt. Selbst ein Bekannter aus Berlin, hatte nichts Besseres zu tun, als sich einen derartigen Flug zu gönnen. Nun ja, fairerweise muss ich anmerken, dass viele ihre Sünden mit einer vegetarischen Ernährung ausgleichen (Zynismus: off). Gleichfalls ist es für sie unproblematisch, jeden Tag die Klima-Anlage auf 25 Grad zu stellen und klimatisierte Lokale zu bevorzugen.

Ich unterstütze den Protest in Deutschland. Selbst wenn die Protestierenden bigott sind und mit ihrer Lebensart selbst jede Menge Schäden anrichten, sind ihre Forderungen an sich völlig korrekt. Mir geht es nicht anders. Auch ich tue vieles, was nicht mit meiner Kritik deckungsgleich ist. “Die sollen erst einmal bei sich selbst anfangen!”, ist eine perfide Rhetorik, mit der nur vom eigenen Fehlverhalten abgelenkt werden soll. Anders: Das ist unterstes Buddelkastenniveau aus Kindheitstagen. Mama, die anderen Kinder haben aber auch! Solche Leute kann ich nicht für voll nehmen. Mich macht dabei etwas anderes nervös.
Auch die nachfolgende Generation ist im System und der von unterschiedlichsten Menschen geschaffenen Weltlage gefangen.
Ich halte Reisen für wichtig. Das Kennenlernen anderer Kulturen, Lebensweisen, Ansichten, gehört für mich zur Vervollständigung eines Lebens dazu. Jeder, der es tun kann, sollte es auch machen. Da schließe ich mich großen Denkern der Vergangenheit an und folge ihren Gedankengängen dazu. Ich hätte gern erneut ein anderes Reisemittel nach Südostasien gewählt, als ausgerechnet einen Flug. Doch die Weltlage lässt dies nicht zu. Zwischen Deutschland und Südostasien liegen einfach zu viele Staaten, die ich ungern, gar nicht oder nur unter Lebensgefahr passieren kann. Dafür können die Cheaps-Cheaps schon mal nichts.
Die Welt, in die sie hineingeboren wurden, das Denken, die Strukturen, die Lebensmodelle und die Wertvorstellungen, haben wir, die ältere Generation erschaffen und wir erhalten sie am Leben. Es ist unmöglich, auf alles im Einzelnen einzugehen. Fakt ist: Wir haben global die Kontrolle über das von uns erschaffene System verloren. Es hat sich verselbstständigt. Ob nun unter absolut in jeder Hinsicht unvertretbaren Umständen Produkte in Asien entstehen, die als Billigware in Europa landen oder Geräte produziert werden, die zur Profitmaximierung nicht nach ökologischen Gesichtspunkten konzipiert sind, Steuern hinterzogen werden, jeden Tag irgendwo eine ökologische Katastrophe stattfindet, weil gespart wurde, wo man nur konnte, es ist unter den gegebenen Umständen kein Einhalt mehr zu gebieten.

Zwar hat Christian Lindner mal wieder den Vorgel abgeschossen, doch letztendlich zeigt er mit seiner puren Existenz, seiner Funktion und Verlautbarungen, wo wir stehen. Nach ihm ist nicht Verkehrsminister Wissing verantwortlich, sondern die Bürger, welche einen Verkehrsausbau einfordern.
Ergo: Weder der Hersteller von Kriegswaffen, noch der Händler ist für den Bedarf verantwortlich, sondern diejenigen, welche damit Kriege führen. Nicht die Billigproduzenten tragen Verantwortung, sondern die Käufer, welche sie kaufen. Auch die Hersteller von Geräten, deren Komponenten und Rohstoffe von quasi Sklaven aus aller Welt zusammengebaut oder geschürft werden, sind verantwortlich, sondern die Käufer. Das lässt sich unendlich fortsetzen. Da sind meine Cheaps-Cheaps noch das geringste Problem und ein ganz kleines Symptom für eine wütende Krankheit.

Ich gebe zu, in meinem tiefsten Innern geht mir immer häufiger dieses ganze Gerede über Demokratie, Toleranz und Akzeptanz immer mehr auf den Zünder. Mich stört diese Ohnmacht gewaltig und ich suche eigene Strategien, damit ein Handling zu finden. Es ist gut, dass ich hier und damit weit weg vom Schuss bin. Ich weiß nicht, was ich aktuell jemanden an den Kopf werfen würde, die/der mir die Ohren mit der DDR oder Sozialismus zu sabbeln würde. Diese Quatschköppe kommen mir vor wie Grundschüler, die sich über einen Lehrer beschweren, der ihnen eine Ansage macht, weil sie sich benehmen wie ein Haufen Hühner auf LSD. Die Deppen, welche ständig infantil von Mehrheiten sprechen, die sich hierfür oder dafür ausgesprochen haben, sind auch nicht besser. Mehrheiten entstehen zum Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr durch Überzeugung, mit rationalen Argumenten, sondern sind das Ergebnis von Kampagnen. Spätestens Trump und der Brexit haben dies beeindruckend bewiesen. Schlussendlich arbeite ich mich hier jeden Tag wider besseres Wissen an dem oberflächlichen Gerede der Cheaps-Cheaps ab. Wir sitzen in einem Boot und sie verantwortlich zu machen, ist mir zu billig.
Die Nummer überlasse ich selbstgefälligen alten Säcken und Trullas in Deutschland, die die Protestierenden anpöbeln. “Geht doch erst mal arbeiten und fasst Euch an die eigene Nase.” Wie ich es immer sage: “Wer den Mund aufmacht und spricht, gibt einiges an Informationen über sich selbst preis.” Früher waren diese Typen, diejenigen, welche zu jedem Kritiker sagten: “Dann geh doch rüber, Du Gammler.”