Krieg

ai generated, apocalypse, kids-8693787.jpg Lesedauer 7 Minuten
Jeder Krieg ist eine Niederlage des menschlichen Geistes
Henry Miller, Schriftsteller, 1891-1980

Ich hab lange gezögert, diesen Beitrag zu schreiben. Selbst derzeit in Südostasien kommt man weder an den Nachrichten über das Weltgeschehen, noch an Gesprächen, Fragen und Erörterungen vorbei. Gaza, Ukraine, Iran, Eskalation ja/nein … das globale System gerät wieder einmal aus den Fugen. Mir geht es nicht darum, Stellung zu beziehen. Ganz und gar nicht, denn ich wüsste nicht, für wen der kriegsführenden Frauen und Männer, die die Macht innehaben über Krieg und Frieden zu entscheiden, ich mich entscheiden sollte oder könnte.

Konstruktionen, wie die attische Demokratie, in der einst die Athener Bürger, zumindest die freien Männer und Stimmberechtigten über Krieg und Frieden entschieden, sind Geschichte. Im absoluten Idealfall, entscheiden heutzutage vom Volk, vernünftig, verständig, gewählte Stellvertreter des Volks, über das Verhalten in einem Konfliktfall. Idealfall! Ideale sind unerreichbare Ziele, nach denen man Leben und seine Handlungen ausrichtet, um wenigstens in die Nähe des Ideals zu kommen.

Das Geschehen ist das Ergebnis eines komplexen Gespinstes. Einzelne Konzerne, Investoren*innen, religiöse Führer*innen, politische Ideologen, Geschäftemacher*innen, Verbrecher*innen, gewählte und gewaltsam an die Macht gekommene, entscheiden über Krieg oder Frieden und niemand weiß, selbst nicht diejenigen, welche entscheiden können, wissen genau, worum es tatsächlich geht. Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht behaupten, dass es immer nur ums Geld und der damit einhergehenden Macht geht, aber immer auch. Dies hat mich das Reisen durch buddhistische Staaten gelehrt. Wenn es eine Philosophie gibt, die sich explizit gegen Macht, Eigentum, Geld, ausspricht, dann ist es der Buddhismus und selbst in diesen Ländern sieht es nicht anders aus, als in allen anderen Ländern. Ich sprach im Verlauf der letzten Jahre mit Hindus, Christen aller Konfessionen, Buddhisten, Taoisten.

Im Grunde genommen haben alle Religionen Klauseln eingebaut, die die Gier einhegen soll. Und in allen hält sich lediglich eine verschwindende Minderheit daran. Selbst buddhistische Mönche sind oftmals eine Mogelpackung. Zwar besitzen sie selbst nichts, leben aber häufig eingebettet in Luxus. Mir ist noch kein Abt begegnet, der zu Fuß zu einer Veranstaltung kam oder nicht im klimatisierten Wagen zum Flughafen gefahren wurde.  

In der Regel betrachten wir Kriege von einer Metaebene aus. Die Ukraine verfügt über ein Existenzrecht, Russland verfolgt strategische Ziele und will sich die Ressourcen sichern, Israel hat ebenso ein Existenzrecht, die Palästinenser wollen einen eigenen Staat, die Iraner wollen die Juden vernichten, die Europäer wollen ihre Sicherheit und Wirtschaft gewährleistet sehen, die USA, die Chinesen … und, und, und. Dazwischen tummeln sich in meinen Augen Volldeppen, die tatsächlich glauben, es hätte etwas mit ihrer Religion zu tun. Mal ganz am Rande: Religionen sind im Wesentlichen ein Mittel gegen die Angst, dass nach dem Tod nichts mehr kommt. Die Antwort, ob man sich dem richtigen Glauben angeschlossen hat, gibt es spätestens nach dem Ableben. Wer die Antwort nicht abwarten kann, soll gefälligst Selbstmord begehen und alle anderen geduldig warten lassen – fertig. Und Institutionen, Gemeinschaften, sind nicht die Religion, sondern eine unbestimmte Anzahl von Menschen, die sich Regeln, eine Hierarchie und ein Repressionssystem ausgedacht haben. Wer da mitmachen will, kann es tun, aber alle anderen sind damit nicht zu belästigen.

In allen diesen Gemeinschaften, gibt und gab es schon immer arrogante, gestörte Charaktere, die anderen ihren Willen aufzwingen wollen. Ein systemimmanentes Problem: Hierarchien bringen zwingend ein Machtproblem mit sich und bedürfen einer funktionierenden Kontrolle der Macht. Ich kenne keine religiöse Hierarchie, in der das halbwegs der Fall ist. Selbst, wenn eine Gemeinschaft nach außen hin friedlich wirkt, bleibt noch zu betrachten, wie intern miteinander umgegangen wird.

Das Individuum, welches gen Himmel schaut, ob gerade mal wieder ein paar Raketen angeflogen kommen, der Soldat, welcher mit kaltem Schweiß auf der Stirn die Gegend sondiert, sich fragt, ob es für ihn ein Leben nach dem Krieg geben wird und warum er das alles veranstaltet, oder beim Anblick geschlachteter Säuglinge, den Verstand verliert und zum Berserker wird, die Kinder in den Trümmern, die aus den Pfützen trinken, Frauen, Männer, deren Geist durch das Gesehene, Gerochene, verspürte, für immer ein anderer sein wird, fragen wir nicht. Wenn überhaupt schauen wir uns wie Affen in Versuchslaboren die Bilder auf der Mattscheibe an, lassen uns in die eine oder andere Richtung lenken, stimmen zu oder empören uns, wenn Leute im Fernsehen befragt werden oder sich in der Presse äußern. 

Die Weltgemeinschaft, bestehend aus allen Individuen, ist es bisher und wird es vermutlich bis zum Ende aller Tage nicht gelingen, das Übel an der Wurzel zu packen. Alle Gerätschaften, die nur zum Zweck des gegenseitigen Abschlachtens und Bauen eben solcher Geräte, abzuschaffen. Gleichfalls müssen wir anerkennen, was indigene Völker nie aufgaben: Grund und Boden, Wasser, Luft, die zum Leben notwendigen Ressourcen, dürfen und können niemanden gehören. Was wir als selbstgerecht als entwickelt bezeichnen, ist in Wahrheit eine Perversion des spärlich behaarten Affen.

Die Mehrheit der Menschen ist im Stadium der frühen Pubertät hängen geblieben und hat nichts aus der über mehrere hunderttausend Jahre andauernden Entwicklung gelernt. Fehler zu begehen, ist normal und logisch. Trial-and-Error, sich zur Wahrheit nach oben irren, ist ein bewährtes Konzept. Immer wieder auf ein Neues, das sich als falsch erwiesene, zu tun, Systeme und Konzeptionen am Leben zu erhalten, die konsequent ins Desaster führen, am Leben zu erhalten, ist entweder verblödet oder für einige Kandidaten extrem nützlich. 

Doch dann sollte sich die Mehrheit mal die Frage stellen, ob es eine gute Idee ist, aus ihrer Mitte immer wieder Leute aufsteigen zu lassen, die für ihre eigenen Zwecke alle ins Verderben reißen.

Ich kann durchaus verstehen, dass manche eine Zweistaatenlösung skeptisch sehen. Den Leuten ist nicht mit einem Religionsstaat, geführt von einem sich selbst bereichernden Klerus, geholfen. Und da die eine sehr spezielle, auf sie zugeschnittene Version verfolgen, wird mindestens die weibliche Bevölkerung Probleme bekommen. Andererseits rechtfertigt dies nicht ein völkerrechtswidriges Verhalten mancher Israelis. Und deren Verhalten rechtfertigt nicht den Wahnsinn einiger muslimischer Machtfantasten, die den Einsatz der pakistanischen Atomwaffen fordern. Wo ist die Enterprise, wenn man sie mal benötigt? Klare Ansage: Entweder alle kriegerischen Handlungen werden sofort eingestellt, die Erde wird zum Protektorat, ihr habt 30 Jahre Zeit ein neues globales System zu erstellen oder wir versetzen Euch zurück ins vorindustrielle Zeitalter – das wäre doch mal was.

Was aber gar nicht geht, ist das Diffamieren, Anprangern, der Menschen, die sich gegen all diesen Irrsinn aussprechen und auf Fehlersuche gehen. Sei es ein Yanis Varoufakis, dem nicht nur eine freie Rede untersagt wurde und den man mittels eines Einreise – und Betätigungsverbotes auf die Stufe eines Faschisten gestellt hat oder ein Didi Hallervorden, dem man wegen eines Gedichtes, untermalt mit Bildern, die keiner sehen will, Antisemitismus unterstellt. Ihm wird auch vorgeworfen, Ursache und Wirkung nicht zu benennen. Er dürfe nicht die Ursprungstat, die widerlichen Verbrechen der Hamas, außer Acht lassen. Hallervorden sagt unter anderen die wahren Worte: Niemand wird als Terrorist geboren. Der Ursprung von allem liegt viel weiter zurück und vermutlich sind nicht einmal die gegenseitigen Verbrechen in den 20er Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts weit genug zurückgedacht. Die haben sich im Nahen Osten alle nichts geschenkt und jeder hat Dreck am Stecken. Man sollte auch nicht vergessen, dass Terror nichts Irrationales ist, sondern eine funktionierende perfide Taktik, die ganz nebenbei auch von einigen Gründern Israels gegenüber den Engländern angewandt wurde. Ein Kalkül des Terrors besteht darin, eine Gegenreaktion zu provozieren, die in die eigene Propaganda eingebaut werden kann. Und wer sich provozieren lässt, ist bereits in die Falle getappt. Die sogenannte Zivilbevölkerung als Schutzschild zu benutzen, gehört ebenfalls zum Einmaleins des Terrors und die Hamas ist nicht von alleine auf die Idee gekommen. Entscheidend ist immer sauber zu trennen. Ein Verbrechen hier, ein anderes dort. Ein Verbrechen mit dem anderen zu rechtfertigen, ist unzulässig. Also kann man machen … aber dann ist man halt auf dem Niveau der Blutrache über Generationen hinweg angekommen und muss damit leben, dass in der Familie immer mal wieder jemand draufgeht.

So wie sich Europa ebenfalls jeden Tag neue Terroristen heranzüchtet. Das weltweite System begünstigt manche, und andere lässt es durchdrehen, zu Fanatikern werden oder macht sie schlicht irre. Wenn wir ganze Generationen in Lagern aufwachsen lassen, Menschen kriminalisieren, die anderen Menschen helfen wollen, ihnen ein menschliches Leben vorenthalten – kommen halt immer mal wieder Terroristen bei heraus. Zynisch gesehen eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Soundsoviele Terroropfer werden mit dem Wohlstand verrechnet. 

Es ist auch eine billige Rhetorik den Deutschen ins Spiel zu bringen, der mit dem Finger auf Israel zeigt und angeblich zwischen den Zeilen sagt: “Schaut mal, ihr aber auch …” Die 100 % Annahme, der nach alle Deutschen Nachfahren der Nazis sind und damit Schuldgefühle in sich tragen, die sie versuchen mit einem “Ihr doch aber auch …” zu kompensieren, zieht nicht. Ganz persönlich kann ich sagen, dass sich in meiner Familie jede Menge Kommunisten tummelten, aber keine Nazis. Meinen Vorfahren muss ich eher die Frage stellen, wie sie zu Stalin, Ulbricht und Honecker, stehen. International hab ich ohnehin den Eindruck, dass es mehr die anderen sind, die Israels Vorgehen, mit dem der Nazis vergleichen und ich stets versuche ihnen dies in Gesprächen auszureden.

Es ist ein respektabler Schachzug im Krieg zwischen Arm und Reich, jeglichen Verweis auf die weltweite Hochfinanz und die begünstigten Bevölkerungsanteile als antisemitisch zu bewerten. Ein absoluter Humbug. Die 10 reichsten Männer haben mit Religionen äußerst wenig am Hut. Und dass beispielsweise der Investmentriese BLACKROCK aus jedem Krieg Kapital für Anleger schlägt, ergibt sich aus der Natur der Sache. Gleiches gilt für die weltweiten Waffenschmieden. 
Es muss dem Einzelnen gestattet sein, dies anzuprangern. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass bisher jede historische Analyse aufzeigte, dass es bei jedem Krieg nicht ums begleitende Blabla ging, sondern Macht und Finanzen, von denen die Kämpfenden maximal ein paar Brotkrumen abbekamen. Nein, es gibt keine dunklen Mächte im Hintergrund, die sich heimlich absprechen und weltweite Strategien entwickeln – aber es gibt einen weltweiten Fetisch: Geld. Ein Fetisch, der im Menschen etwas befriedigt: die Gier. 

Und diejenigen, welche Künstler*innen, Schriftsteller*innen, Intellektuellen, mit Totschlagargumenten den Mund verbieten wollen, müssen sich überlegen, welchen Herren sie dienen. 

Letztens gab es einen “Austausch” zwischen der FDP Politikerin Strack-Zimmermann und dem Linken Gregor Gysi. Sie getraute sich, Gysi einen Traumtänzer zu nennen. Mal ganz davon abgesehen, dass der Mann bei seiner Biografie weit davon entfernt ist, musste ich spontan an ein Lied denken. 

You may say I'm a dreamer But I'm not the only one I hope someday you'll join us And the world will be as one
- John Lennon, Imagine

Während mir eine andere Protagonistin, Sahra Wagenknecht, eher suspekt ist. Egal, mit wem man es zu tun hat, in erster Linie sind die Belange der eigenen Nation in den Vordergrund zu stellen. Das hörte man auch schon von anderer Seite und ist mit Sicherheit nicht die Vision von Frieden à la Lennon, sondern knallharter Nationalismus … der von der neutralen Meta-Ebene aus gedacht, von allen an den Tag gelegt, ins nächste Dilemma führt. 

Keine Ahnung, wie es anderen geht, aber Teile der Presse, Künstler, Autoren, wirken auf mich wie Claqueure. Wer nicht im Reigen der Macht eingebunden ist, darf durchaus auch mal unrealistisch, träumerisch, überzogen, außerhalb des Mainstreams, mahnend, visionär, die Macht verachtend, agieren … oder muss es sogar. Wenn sie es nicht tun, prostituieren sie sich, mutieren zu Werkzeugen, leben als “Kinder” ihrer Zeit, austauschbar … banal. Da halt ich es lieber mit John Lennon oder dem einen oder anderen anarchistischen Vordenker, wie dem Schriftsteller Henry Miller, dem Intellektuellen Noam Chomsky, dem Professor für die Spieltheorie Yanis Varoufakis oder Alt-Anarchisten Erich Mühsam. 

Soziale Pedaleure

interior of modern fitness club with various machines and equipment

Lesedauer 3 Minuten

Im Zusammenhang mit der Ausarbeitung eines Buchprojekts, entwickelte ich ein Bild, mit dem ich verdeutlichen wollte, wie in unserer Gesellschaft soziales Engagement und systemrelevante Berufe funktionieren. Ich hab es immer noch im “Hinterkopf”, doch bisher ist es noch nicht eingeflossen.

Zunächst eine Stellenausschreibung:

Wir, ein Betrieb mit öffentlichem Tätigkeitsfeld, suchen junge, kräftige, gesunde, engagierte, Mitarbeiter*innen für eine verantwortungsvolle Aufgabe. Du solltest bereit sein, Mehrarbeit zu leisten, Teamfähigkeit mitbringen und Spaß an Herausforderungen finden.

Gut, worum geht es bei der Aufgabe? In einem Raum stehen zehn Ergometer, die mit Kabeln an einen Kasten angeschlossen sind, in dem ein Patient liegt, dessen Vitalfunktionen von verschiedenen Installationen (Sauerstoff, Herz-Rhythmus-Maschine, pp.) abhängig sind. Fällt die Stromversorgung unter ein bestimmtes Level ab, stirbt der Patient. An der Wand des Raumes ist ein Smart-Board installiert, welches von jedem Ergometer aus gesehen werden kann. Dort wird die Stromleistung der einzelnen Geräte und die Gesamtleistung angezeigt.

Die Mitarbeiter*innen, anfangs 30 Leute, bekommen nun die Aufgabe mittels “Treten” die lebenserhaltende Box zu versorgen und damit das Überleben des Patienten zu sichern. Am Beginn, geht es tatsächlich ausschließlich um die Versorgung. Im Schichtbetrieb ist das durchaus machbar. Die Mitarbeiter*innen sprechen sich miteinander ab und treten im 3-Schicht-Betrieb in die Pedale. Wenn es hart auf hart kommt, reichen 12 Mitarbeiter, von denen 10 treten und 2 immer mal wieder eine Pause einlegen können. Das geht so lange, bis eine Delegation der Firma auftaucht. Die stellen fest, dass es durchaus möglich ist, etwas mehr Energie zu produzieren, die profitabel verkauft werden kann. Damit wäre man auch weniger von staatlichen Leistungen abhängig.

Die Belegschaft kann sich damit noch abfinden und macht weiter. Aber es spricht sich langsam herum, dass die Arbeit körperlich recht anspruchsvoll ist, die Bezahlung eher mäßig, die Geräte schlecht gewartet werden (Sattel durch, Schrauben lösen sich, Wackelkontakte) und immer mal wieder ausfallen, bis hin die Klimaanlage des Raumes ausfällt und die Belüftung schlecht ist. In den ersten Tagen gab es im Raum noch einen Wasserspender, aber den kennen nur noch die ersten Pedaleure. Auch zusätzliche Leistungen, wie Massagen, Bereitstellung von Sportkleidung, fallen im Laufe der Zeit weg. Das Management muss sparen und steht mittlerweile Aktionären Rede und Antwort.

Die Pedaleure teilen sich in verschiedene Gruppen auf. Einige verließen die Firma bereits nach zwei Jahren. Sie wussten, dass es keinen ausreichenden Nachwuchs geben würde. Aber zu ihrer Beruhigung wussten sie, dass noch genügend andere verblieben und der Patient nicht sterben würde. Nach einem weiteren Jahr sieht das schon anders aus. Der Patient wird nicht sterben, doch die weiter in die Pedale tretenden, geraten an ihre körperlichen Grenzen. Hierdurch kommt es zu Spannungen und heftige Auseinandersetzungen über Urlaub, Pausenzeiten, Ruhezeiten. Das Klima im Raum ist nach und nach vergiftet. Jeder kann sehen, wie bedrohlich das Level sinkt. Irgendwann weiß jede/r, dass eine eigene Minderleistung, ein gesundheitlich bedingter Ausfall, eine Unpässlichkeit, zum Tod des Patienten führen kann. Eingaben ans Management führen nicht zum Erfolg. Man würde wissen, wie schwierig die Situation wäre, aber bekäme Druck von anderer Seite her. Sie seien stolz auf die Leistung der noch anwesenden, verantwortlich agierenden Mitarbeiter*innen. Jeder wisse, wie schlimm alles ist, aber man könne den Patienten nicht einfach sterben lassen. Ehemalige Pedaleure, Angehörige des Patienten, sich mit ihnen solidarisierende Bürger*innen, würden bereits vor dem Gebäude protestieren. Ab und zu verirren sich auch Journalisten*innen in den Raum und interviewen die schnaufenden und keuchenden Pedaleure. Doch ändern tut dies alles nichts.

Zum Ende sind es noch 5 Pedaleure, die alles geben. Sie können mit dem sicheren Tod des Patienten nicht leben. Aber eines Tages brechen 2 weitere auf den Ergometern zusammen … doch nichts passiert. Ein Notstromaggregat springt an und so lange noch Benzin im Tank ist, lebt der Patient weiter. Aber was wird passieren, wenn der Tank leer ist? Darüber sprechen Politiker*innen, Angehörige, Aktivisten, Analysten in Talkshows. Die Uhr tickt. Einige wollen zurück zum Anfang, als noch alles funktionierte. Doch dies würde Geld kosten und man sei auf die Profite angewiesen. Was ein wenig unlogisch ist. Denn im Todesfall hat sich das Thema erledigt. Andere machen den Patienten verantwortlich. Immerhin hätte er frühzeitig an eine ausreichende Tankfüllung denken können. Manche beschimpfen die Pedaleure, welche bereits früh gingen, weil sie die Zeichen der Zeit erkannten. Sie seien ein Spiegel der Gesellschaft. Niemand wäre mehr bereit, Leistungen zu erbringen und auch unter widrigen Umständen zu arbeiten. Ganz Schlaue sehen gar kein Problem, weil bestimmt ein kluger Kopf vor der völligen Entleerung eine bahnbrechende Technologie erfinden wird, die alle Diskussionen und Debatten obsolet werden lässt. Es gibt auch die, welche auf eine Verpflichtung setzen. Man müsse nur ausreichend junge Leute per Gesetz verpflichten, dann gäbe es wieder genug Pedaleure, somit auch ausreichend Profit und bei gerade mal einem Jahr, könne man denen auch einen heruntergekommenen Raum zumuten.

Es gäbe noch einige andere Aussagen. Doch ich denke, die kann sich jede/r alleine ausmalen. Der Patient heißt Gesellschaft. Manche reden, einige profitieren, einige versuchen es wenigstens, aber begreifen, dass sie am Ende selbst draufgehen und wiederum andere strampeln so lange, bis sie kaputt sind. An sich war die ursprüngliche Idee gar nicht verkehrt. Aber das Profitstreben, die mangelnde Wertschätzung, die schwindende Attraktivität, das “verheizen” der Engagierten, wirkte sich desaströs aus. Und irgendwann wird der Tank leer sein … und dann?

Böse Gewerkschaft

a black and red train Lesedauer 3 Minuten

Ich lese grundsätzlich keine Produkte aus dem Hause SPRINGER oder artverwandte propagandistische Manipulationsmittel für die Massengesellschaft. Wenn, dann werde ich beim Kauf meiner Zigaretten in einem Kiosk über die Aufreißer auf den präsentierten Titelseiten belästigt. Ausnahmsweise trieften die Schlagzeilen und Aufmacher mal nicht vor Hetze gegen warum auch immer in Deutschland anwesende Ausländer*innen. Nein, heute ging es um “Streik-Opfer” und eine massive Stimmungsmache gegen die GDL und damit gegen die Lokführer*innen. Ich schreibe hier bewusst “GDL” und nicht Claus Weselsky. So ein Streik wird nämlich nicht von einer Person beschlossen, sondern mittels Urabstimmung. Und dabei müssen 75 % für einen Streik votieren. Bei der GDL waren es satte 97 %! Also nichts mit einem narzisstischen Machtkampf ausgehend von Herrn Weselsky. Aber die Personifizierung und darauf folgende Dämonisierung gehört noch zu den simpelsten Propaganda-Strategien. Nicht nur bei Tarifverhandlungen, sondern allgemein, wenn es um Bewegungen geht. Interessant finde ich, wie sich die Medien ins Zeug legen. Um authentische Aussagen von Lokführern oder wenigstens mal eine Darstellung zu bekommen, wie deren Arbeitsbedingungen aussehen, muss man recht lange suchen. Fündig bin ich bei der Berliner TAZ geworden.

Aber die Arbeitsbedingungen wurden in den vergangenen Jahren immer schlechter, und ich habe festgestellt, dass ich immer unzufriedener werde. Ich habe gemerkt, ich muss was tun, nicht mehr nur meckern mit den Kollegen im Pausenraum. Deshalb habe ich mich vor zwei Jahren ehrenamtlich bei der GDL als Vorsitzender der Ortsgruppe Köln starkgemacht. Da kann ich meinen Kollegen helfen, ihre Probleme weitertragen und bekomme dafür Wertschätzung zurück. Das Gefühl kannte ich als Lokführer gar nicht, beim Unternehmen DB ist die Wertschätzung gleich null.

Quelle: TAZ, 24.1.2024, 08:00  Uhr, Aussage eines Bahnmitarbeiters.

Im Artikel werden Arbeitsbedingungen beschrieben, die mir nur allzu gut bekannt vorkommen. Bei der Polizei nannte sich das “Bedarfsorientierter Dienst”. Keinerlei Regelmäßigkeiten bei den Arbeitszeiten, Sonn- und Feiertage inklusive, Übernachtungen in Hotels, auch ohne Vorausplanung, Dienstantritte auch mitten in der Nacht, kaum Ruhezeiten … eine Autobahn in die Scheidung (insofern für ein Kennenlernen und Beziehungsaufbau Zeit blieb) und ins Burnout. Nur sind die bei der Bahn keine Beamten*innen, sind nicht Pensionsberechtigt und sie können nicht mal eben innerhalb des Konzerns etwas anderes machen.

Aber so etwas interessiert den “Deutschen Michel” in der Regel nicht. Es sei denn, ihn oder sie betrifft es selbst. Machen wir uns nichts vor, die sogenannten “system-relevanten” Tätigkeiten werden einerseits oft mies bezahlt, die Arbeitszeiten sind der Natur der Sache geschuldet, im Regelfall äußerst belastend und andererseits ist eine Gegenwehr schwierig. “Die können doch nicht einfach das Land lahmlegen!” Tja, da kann man mal sehen, wie wichtig diese wenig wertgeschätzten Tätigkeiten sind. Wenn wir schon im Kapitalismus leben, sollte es auch konsequent geschehen. Es darf auch gefragt werden, wo das Management hin will. Die GDL, als Berufsvertretung der Leute, die wirklich tagtäglich unter harten Bedingungen “draußen” arbeiten, ist ein Stachel im Fleisch. Die Vertretungen der Drehstuhl-Jockeys sind da handzahmer. Sie finanziell in die Knie zu zwingen, wäre seitens des Managements bestimmt nicht unerwünscht.

Was allerdings schon wieder einen Jens Spahn umtreibt, erschließt sich mir nicht. Er bezeichnet die Mitglieder der GDL als Erpresser. Also vermutlich meint er Weselsky, aber Herr Spahn wird doch wohl nicht so populistisch sein, dass er den verfassungsgemäßen demokratischen Aufbau der Gewerkschaft übersieht. Doch er will noch mehr: Er fordert neue gesetzliche Regelungen für Streiks. Da entfleucht mir der Inflektiv: Uff! Das geht in Richtung Klassenkampf! In einer kapitalistischen, hierarchisch, organisierten Gesellschaft ist der Streik das Arbeitskampfmittel gegen die Macht der “Produktionsmittelinhaber*innen” schlechthin. Konservatismus in allen Ehren, aber DAS ist eine Kampfansage an alle Arbeitnehmer.

Immerhin, es wird nicht langweilig in der BR Deutschland und irgendwann wird sich noch zeigen, wohin die UNION will bzw. ihre Rechnung aufgeht oder sie aus Versehen, die Vögel im falschen Käfig fütterte.

Causa Rammstein

Lesedauer 5 Minuten

Wer sich in diesen Tagen zur Band Rammstein äußert, begibt sich auf ganz dünnes Eis. Die Vorwürfe sind bekannt. Bandmitglieder sollen nach Konzerten Sex mit jungen Frauen gehabt haben. Die Frauen sollen dies teilweise nicht freiwillig, sondern unter dem Einfluss von Drogen, die ihnen ohne ihr Wissen verabreicht wurden. Die Gelegenheit, ihnen diese in Getränke zu mixen, ergab sich, weil die Frauen an Aftershow-Partys teilnahmen. De facto gibt es aktuell keine, zumindest öffentlich bekannte, valide Beweislage. Alle an der Debatte teilnehmenden Leute beziehen sich auf Aussagen, die ihnen nicht einmal persönlich zugänglich sind, sondern seitens Medien kolportiert wurden. Hörensagen! Nicht mehr und auch nicht weniger. Natürlich steht es jedem frei, basierend auf der eigenen Lebenserfahrung und analytischen Fähigkeiten, Rückschlüsse zu ziehen. Aber auch die meistens empört vorgetragene, angeblich auf der Hand liegende offensichtliche Verdichtung der Aussagen, qualifiziert keinesfalls die Beweislage.

Ein Teil der Empörung ziehen Leute auf sich, die sich wagen, die Aussagen infrage zu stellen. Tenor: “Wie kann man es wagen, die Schilderungen eines oder mehrerer Opfer einer Sexualstraftat anzuzweifeln, man wisse doch schließlich, wie so etwas läuft.” Nun ja … in meiner Zeit als Ermittler ist mir einiges in dieser Richtung begegnet. Beides kann nicht geleugnet werden. Die Täter, als auch vermeintliche Opfer, vornehmlich aus der Natur der Sache heraus, Frauen, die Falschaussagen tätigen, und so selbst zu Täterinnen werden. Das Gute daran ist, dass der Tatvorwurf in unserer Gesellschaft geeignet ist, den Ruf eines Menschen nachhaltig zu schädigen. Dies ist nicht überall der Fall.

Für mich persönlich beginnt die Betrachtung des Geschehens viel früher bzw. sehe ich Aspekte, die erst einmal nichts mit der konkreten Tat zu tun hat. Da wäre zunächst einmal eine Gesellschaft, in der Teile das Bedürfnis verspüren, mit tausenden anderen ein Konzert zu besuchen. Nur, weil es heutzutage überall stattfindet, ist dies keine Selbstverständlichkeit oder gehört zur DNA des Homo sapiens. Es ist eine kulturelle Entwicklung und ein Effekt der Massengesellschaften. Ebenso gehört zu Massengesellschaften, dass die einzelnen Mitglieder ein Bedürfnis nach Individualität innehaben. Beim Konzert ergibt sich ein Paradoxon. Einerseits die freiwillige Einreihung in eine Massenveranstaltung, andererseits das Streben nach einer Besonderheit, im konkreten Fall, das Treffen mit den Musikern. Ganz nüchtern gesehen, mit Männern, die Musikinstrumente beherrschen und erkannten, welche Tonabfolgen und Präsentation den Nerv einer großen Fan-Gemeinde treffen. Wir wissen, es bleibt nicht bei dieser nüchternen Betrachtung.

Massengesellschaften sind von Personenkulten, Symbolen, die de facto in Verlust geratene echte Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung kompensieren, geprägt. Außerdem stehen hinter jeder Massengesellschaft Frauen und Männer, die sie manipulieren, lenken, “den Ton angeben”. Zumeist geht es dabei ganz profan um Geld. Und auch die “Skandalisierung” der Fehltritte anderer Personen, vornehmlich die von Leuten, die zu Prominenten gemacht wurden, erfüllen wichtige Funktionen. Allein, dass es überhaupt so etwas wie Prominente gibt und was ihnen angedichtet wird, ist ein Teil dieser modernen Gesellschaftsformen.

Objektiv gibt es keinerlei Gründe, warum z.B. Schauspieler, Rockmusiker, nach ihrer Meinung zu politischen Themen befragt oder gar in die Versammlung zur Wahl des Bundespräsidenten geladen werden. Anders verhält es sich, wenn es Künstler sind, die mittels dessen, was sie tun, eine Message transportieren wollen. Daniel Pongratz, alias Danger Dan, wäre für mich so ein Kandidat. Aber, Rammstein?
OK, “Deutschland” hatte eine. Meiner Auffassung nach an keiner Stelle eine, wie seitens einiger engstirniger Zeitgenossen*innen behauptet wird, eine rechtsradikale, nationalistische oder rassistische. Eher gingen diese Kritiker*innen in eine Falle, weil sie ziemlich simpel auf die verwendeten Symbole und dem Spiel damit, hineinfielen.

Der Fußballtrainer Jürgen Klopp sagte zum Thema “Fragen an Prominente”, als Reporter ihn zu seiner Meinung zum Thema Impfungen fragten, etwas sehr Treffendes: “Stellen Sie mir bitte Fragen zum Fußball, die anderen Fragen richten Sie bitte an Ärzte und Wissenschaftler.” Solche Worte wünsche ich mir von vielen anderen. Käme ich jemals in die Gelegenheit, mit einem Flammenwerfer hantieren zu müssen, wäre Till Lindemann mein Ansprechpartner … aber sonst?

Einige, die sich an der Debatte beteiligen, stellen die Naivität, die Unerfahrenheit und die Jugend der mutmaßlichen Opfer heraus, welche seitens der unter Verdacht stehenden Bandmitglieder ausgenutzt wurde. Wenn, dann sehe ich hier eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Wir haben es uns allgemein auf die Kappe zu nehmen, wenn Frauen und Männer auf einer Bühne, die eine bis ins letzte Detail durchdachte Show liefern, glorifiziert werden und eine angemessene Vorsicht, nicht mehr funktioniert.
Ebenso hat die Gesellschaft zu bedenken, warum sich ihre Jugend und auch ältere, so sehr danach sehnen, mittels Treffen mit einem “Prominenten” in eine besondere, erstrebenswerte, Position, zu gelangen, die zum Prahlen geeignet ist. Und nach meiner Erfahrung sind eine Menge Leute zu weitreichenden Handlungen bereit oder dulden, welche an ihnen, um zu diesem zweifelhaften Ruhm zu kommen.

Täter/Opfer – Umkehr

Der Klassiker ist die Aussage: “Der Täter fühlte sich durch das seitens des Opfers gewählte Aussehen zum Übergriff animiert, konnte sogar annehmen, dass eine gewisse Bereitschaft für einen sexuellen Kontakt vorlag.”

Nein, dies ist eine unzulässige Verweigerung der eigenen Verantwortungsübernahme bzw. ein entsprechender Zuspruch. Aber nun kommt eine ergänzende Betrachtung. Es gibt in der Kriminologie die Erforschung der Opferphänomenologie. Bedeutet: Wer ist aufgrund welcher Eigenschaften, Aufenthaltsorte, Lebensweise, Alter, Geschlecht, durch welche Straftaten gefährdet? Anhand dessen versucht die Polizei u.a. zuständige Stellen präventiv tätig zu werden. Dem vorangestellt ist die Akzeptanz der Realität. In einer leider nicht existenten idealen Welt, gäbe es keine wie auch immer motivierten Täter*innen.
Wenn ich nicht leichtfertig zum Opfer werden will und wer will das schon, muss ich einiges berücksichtigen, wie ich auch alle anderen Gefahren, die das Leben mit sich bringt, nicht ignorieren sollte. Selbstverständlich ist es in einem freien Land jedem gestattet, das Ausmaß selbst zu bestimmen, doch niemand wird mir die Folgen abnehmen können. In Gänze wird es niemals funktionieren. Um es mal von den emotional besetzten Sexualstraftaten wegzubringen: Wenn ich in Brasilia mit offenen Fenster fahre und auch noch meinen Arm mit einer Breitling am Handgelenk heraushängen lasse, steigt das Risiko eines Überfalls immens.
Da kann ich mich empören, Forderungen aufstellen, schimpfen, es wird nichts an der Realität ändern. Viele Deutsche streben eine Assekuranz-Gesellschaft an, in der sie von dazu berufenen Institutionen vor jeglichen Gefahren geschützt werden. Eine Utopie, und jeder Schritt in die Richtung dahin, verringert ein wenig die Freiheit.

Nein, eine junge Frau an einer einsamen nächtlichen Bushaltestelle, die einen kurzen Rock trägt, ist weder eine lebende Aufforderung, noch kann der Rock einem Sexualstraftäter als strafrechtliche Entschuldigung dienen. Ebenfalls kann ihr keine “Schuld” zugewiesen werden. Aber ganz allein muss sie sich fragen, ob sie sich selbst gut geschützt hat. So wie ich mich in einem anderen Rahmen fragen müsste, ob es meine beste Idee ist, wenn ich morgens um 3:00 Uhr betrunken in der Berliner U-Bahn einschlafe. Die Fragestellung hat für mich die gleiche Qualität, wie die nach dem Tragen von Sicherheitsschuhen, Handschuhen und Helm, auf einer Baustelle. Ich denke, es gibt genügend andere Gefahrenlagen, die ich selbst bei aller Umsicht nicht vermeiden kann.

Qualifiziere ich damit eine Aftershow-Party zu einer Gefahrensituation? Ja, dies tue ich, zumindest für junge Frauen. Euphorie, Typen, von denen ich nicht mehr weiß, als was sie auf der Bühne abziehen und mir Medien suggerieren, Alkohol, Drogen, unbekanntes Umfeld, Mythos Rock ’n’ Roll, Selbstverständnis der Musiker, der zumindest im Ansatz berechtigte Verdacht, dass der Hype nicht spurlos an ihnen vorbeigegangen ist, ergibt eine brisante Mischung, die ich meiden sollte, wenn ich die Risiken minimieren will.

Trotz alledem gilt die Unschuldsvermutung. Ein eventuell notwendiger Richtspruch obliegt Männern und Frauen, die über alle Informationen, Sachbeweise, Zeugenaussagen, Geständnisse, verfügen. Die anderen vollziehen die Rituale “kaputter” Mitglieder einer Massengesellschaft, in der fortwährend Schauspiele inszeniert werden, die von prominenten Tätern, geschändeten Opfern, Höhen und Tiefen, Auf- und Abstiegen, handeln.
Aber wer weiß, vielleicht taugt Till Lindemann, der zum Prominenten aufgestiegene Bautischler, am Ende noch zum Opfer im Dschungelcamp und lässt sich für ein wenig Geld vor geifernden Publikum erniedrigen.

Cheap-Cheap

Lesedauer 9 Minuten

Vor drei Jahren traf ich einen jungen Kerl aus Barcelona. Er war ein einfacher Bauarbeiter, der in Spanien keinen Job gefunden hatte und sich deshalb auf Reisen ging. Doch ich glaube, dies war nicht seine einzige Motivation. In Australien arbeitete er zeitweilig als Küchengehilfe. Bis zu dem Tag, an dem ihm der Restaurantbesitzer fragte: “Du bist doch Spanier? Dann kannst Du bestimmt gut mit Rindfleisch umgehen.” Schnell wurde er auf die Art zum gutbezahlten Restaurantleiter. Trotzdem zog es ihn eines Tages weiter. Also scheint ihn auch ein wenig die Abenteuerlust angetrieben zu haben.
Wir beide lernten uns in der Warteschlange der Grenzkontrolle nach Malaysia kennen. Ein Wort gab das andere und wir beschlossen uns gemeinsam ins gleiche Guesthouse zu begeben. Die Nummer mit dem “Cheap” ging schon am Fährterminal los. Auf der Insel Langkawi angekommen benötigten wir ein Transportmittel zu unserem Ziel Cenang Beach. Er wuselte herum und suchte etwas Passendes. Die regulären Taxen waren ihm zu teuer. Dazu muss ich erwähnen, dass eine Fahrt umgerechnet 5 EUR kostete und die Fahrt locker 15 Minuten dauerte. Zu meinem Entsetzen schickte er sich an, einen Busfahrer zu fragen, ob der uns mitnehmen würde. Problem: Der Bus war vollständig mit uniformierten jungen Polizistinnen in der Ausbildung besetzt. Bei der ganzen Aktion sagte er immer wieder: “I’m looking for a cheap solution.”

Das setzte sich im Guesthouse fort und wir beide landeten in einem Dorm mit 10 Leuten. Grundsätzlich habe ich nichts dagegen, aber dort lag man auf in Plastik eingepackten Matratzen und die Betten wackelten bedrohlich. Nach einer Nacht wählte ich die teurere Lösung und mietete einen Bungalow. Cheap-Cheap, so nannte ich ihn bereits nach dieser einen Nacht, bot ich an, gegen den Preis eines Betts im Dorm, bei mir zu schlafen.

Cheap!“, das setzte sich bei mir fest. Hört man den Gesprächen der Backpacker und anderen Reisenden aus den “Wohlfahrtsstaaten” zu, gibt es zwei Optionen. Entweder, ein Platz ist “Cheap” oder zu teuer, also “expensiv”. Inwiefern dies mit dem Lebensstandard, der wirtschaftlichen Lage des jeweiligen Landes zu tun hat und was das für die Leute bedeutet, kümmert sie dabei wenig. Ich erinnere mich dabei an die Zeit, in der wir als junge Erlebnisorientierte nach Prag fuhren und dort für umgerechnet 30 Pfennig ein Bier bekamen. Oder als wir West-Berliner nach dem Fall der Mauer auf dem Schwarzmarkt Deutsche Mark in Ostmark zu einem Kurs von 1:50 tauschten, um dann mit dem Geld in den ehemaligen DDR-Bonzen-Läden die Sau herauszulassen. Ich habe auch nicht vergessen, wie einige der Meinung waren, in normalen Clubs den dicken Maxen spielen zu können, um dann von den Jungs aus Prenzelberg ordentlich auf den Zahn zu bekommen. Ähnliches erlebte ich auch in einer polnischen Grenzstadt.

Ich bin nicht mehr der junge Kerl von damals. Meine Gedanken gehen heute deutlich weiter. Sich als “reicher” privilegierter Typ in einem armen Land zu bewegen, ist nicht ganz unproblematisch. Wenigstens sollte man sich dessen bewusst sein. Für mich gibt es da eine fließende Grenze zwischen Reisen und einer Situation, die ich als beinahe pornografisch bezeichnen würde. Heute hörte ich, wie sich eine Deutsche mit einem Italiener über die Länder unterhielt, in denen sie bereits waren und wie ihre weiteren Reisepläne aussehen. Bei der Deutschen ist Sri Lanka auf der Agenda, Sri Lanka. Ein Land, welches sich in einer bösen Krise befindet, in deren Folge Teile der Bevölkerung an Hunger und Not leiden. Reisende werden allerdings bevorzugt behandelt und bekommen zum Beispiel ansonsten rationierten Kraftstoff zu kaufen. Doch darum ging es in dem Gespräch nicht. Günstiges Essen, billige (cheap) Unterkünfte, aber zu wenige Kohlenhydrate bei der Ernährung, lauteten die Themen. Ich unterscheide konsequent zwischen einer anderen einfachen Lebensart und Armut. Unterernährung, der Mangel an sauberen Trinkwasser, fehlende medizinische Versorgung und seien es nur die althergebrachten Heilmethoden, die dort seit Urzeiten praktiziert werden, ist für mich definitiv Armut. Ob die Leute nun in offenen Hütten oder Zelten leben, halbnackt sind, alles mit Booten oder Handkarren transportieren, ist eine vollkommen andere Angelegenheit bzw. schlicht deren Lebensweise.

Nochmals anders ist die Ausgangslage der deutschen Rentner in Thailand. Sie gehen dorthin, weil sie sich dort ein Leben leisten können, welches sie zu Hause in Deutschland nicht finanzieren könnten. Die Thais wiederum setzen auf sie, weil sie zahlende Kundschaft sind. Klingt erst einmal nach einer Win-win-Situation. Ein wenig befremdlich ist es dennoch. Da arbeiten Leute ein ganzes Leben lang und am Ende genügt ihr Geld nicht für einen angenehmen Lebensabend. Jedenfalls für keinen, der den allgemeinen deutschen Vorstellungen entspricht. Doch bei den Thais sieht es nicht anders aus. Dort und in anderen südostasiatischen Ländern läuft die Versorgung über die Kinder. Ohne Kinder landen sie in bitterer Armut und werden auch nicht sonderlich alt. Für Thais sind mehrere Kinder existenziell. Bei nur einem besteht das Risiko, dass etwas schiefgeht, zwei, drei, vier, geben eine gewisse Sicherheit. Töchter, die sich von einem alten “reichen” Westerner aushalten lassen, sind quasi ein Lotto-Gewinn. Zumindest gilt dies für die Eltern. Fest steht auch, dass das, was Nordthailänder unter einem versorgten Lebensabend verstehen, nichts mit den deutschen Vorstellungen zu tun hat. Eine ganz andere Kategorie sind die Männer, welche ihre aktuell zulässigen 45 Tage Aufenthalt zur billigen Befriedigung ihrer sexuellen Triebe nutzen. Dagegen sind die Thais teilweise vorgegangen, woraufhin die Typen nach Kambodscha ausgewichen sind.

Aber egal, wie man es betrachtet oder welchen ethischen Kompass man benutzt, eins ist nüchtern festzustellen. Es funktioniert nur wegen des finanziellen Gefälles. Das Argument, welches einige vorbringen, demnach sie immerhin Geld ins ärmere Land bringen, kann ich nicht folgen. Dies würde auch mit einer Spende funktionieren. Genügend Hilfsorganisationen gibt es. Das ist ein ziemlich plumper Versuch, sich zum Philanthropen zu stilisieren. Tatsächlich geht es in erster Linie um den eigenen Vorteil. Ich dachte selbst kurzfristig über einen Abstecher nach Sri Lanka nach. Doch ich habe es verworfen. Ich bekomme dies nicht mit meinen Prinzipien in Einklang. Als ich Laos besuchte, war ich noch suchend und unerfahrener.

Meine Lebensart hier auf der Insel Langkawi oder in Thailand unterscheidet sich nicht sonderlich von der, die ich mir in Deutschland leisten kann. Ich miete mich nicht in Hotels ein, die ich mir sonst nicht leisten könnte. Gleiches gilt für Restaurants, in denen mich Meeresfrüchte einen Bruchteil dessen kosten, was ich in Berlin hinlegen müsste. Ebenfalls kaufe ich mir keine Cocktails, die in Berlin mein Budget sprengen würden. Meinem Gefühl nach, leiste ich mir, was sich hier die durchschnittlich verdienenden Leute auch kaufen können. Leute, denen es schlecht geht, gibt es immer und ich kann es nicht ändern. Was ich aber versuche, ist eine gewisse Fairness an den Tag zu legen. Ich zahle durchaus mal ein paar Ringit mehr für ein reguläres Taxi oder schau, dass ich eher die kleineren Business-Läden nutze und esse dort auch mal die Speisen, mit denen sie versuchen ein wenig mehr Geld zu verdienen, selbst wenn’s nicht unbedingt mein favorisiertes Gericht ist.

Cheap-Cheap, ist im Prinzip das deutsche “Geiz ist geil!” Ein Motto, auf das man nicht stolz sein sollte. Klar, wenn man nichts hat, ist man dankbar für die Dumping-Angebote. Obwohl auch hier ein Trick dahinter steht. So ist zum Beispiel das verlockende Angebot, dass ein Anbieter im Falle des Nachweises, den niederen Preis des Mitbewerbers anzunehmen, eine versteckte Kartellbildung. Anfangs sinkt der Preis. Doch das ändert sich. In einem Artikel des Magazins handelsblatt.com, wurde das Prinzip, welches auf der Spieltheorie beruht, ganz gut erläutert:

… Niedrigstpreisgarantien gehen darüber hinaus, indem sie versprechen, mit einem niedrigeren Preis eines Konkurrenten nicht nur gleichzuziehen, sondern diesen sogar zu unterbieten. Führt ein Unternehmen eine Niedrigstpreisgarantie ein und erhöht den Preis, so büßen die Konkurrenten Marktanteile ein, da sie aufgrund dieser Preisgarantie immer unterboten werden. Sie können ihre Marktanteile nur zurückgewinnen, wenn sie ebenfalls einen höheren Preis fordern. Niedrigstpreisgarantien sind also eine deutliche Aufforderung an die Konkurrenz, ebenfalls die Preise zu erhöhen. Ist ein Teil der Konsumenten nicht über die Preise der Unternehmen informiert, können Preisgarantien nach Erkenntnissen der amerikanischen Ökonomen David Hirshleifer zur Preisdiskriminierung genutzt werden und insgesamt wiederum zu höheren Preisen führen.

https://www.handelsblatt.com/finanzen/steuern-recht/recht/streitfall-des-tages-der-trick-mit-der-preisgarantie/6867000.html


Wenn es nach meinen “Freunden” den Turbo-Kapitalisten geht, sind alle Menschen “Homo oeconomicus“. Auch ein Begriff, der aus der Spieltheorie stammt. Und tatsächlich ist der Mensch dankenswerterweise anders oder kann anders sein, wenn er nicht dahingehend manipuliert wird. Der beste Nachweis dafür ist eins meiner Lieblingsexperimente aus der Spieltheorie. Von zwei Versuchspersonen wird einer, mit der Aufforderung das Geld zwischen beiden aufzuteilen, ein Betrag in Höhe von 50 EUR übergeben. Stimmt die andere Person der Aufteilung zu, können sie das Geld behalten. Im Falle eines Homo oeconomicus wäre zu erwarten, dass die andere Person sogar bei einer Teilung in 49,99/0,1 zustimmt, weil selbst der 1 Cent mehr ist, als zuvor. Frei nach: Besser als Nichts! In der Realität sieht es aber anders aus. Um so mehr die Aufteilung von 50:50 abweicht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die andere Person blockiert und beide leer ausgehen,

Für mich ist das ein Signal dafür, dass bei den Leuten, die mit dem Motto Cheap-Cheap unterwegs sind, etwas in die Schieflage geraten ist. Vielleicht liegt es daran, dass sie es aus den Heimatländern gewohnt sind, grundsätzlich übers Ohr gehauen zu werden. Klar gibt es auch hier deutliche Unterschiede. Ein aus Europa importiertes Bier kostet im Duty-Free Shop 3,50 RGT (79 Cent) und in einem kleinen Minimarkt 5 RGT (1 EUR). Dafür hat der aber auch 24/7 geöffnet, muss einen anderen Mietpreis zahlen, gibt einigen einfachen Menschen einen Arbeitsplatz und befindet sich in der Nähe der Guesthouses. Unter dem Strich wurden in Deutschland auf die Art nach und nach alle kleinen Dorfläden kaputt gemacht, infolgedessen die Leute gezwungen sind, mit Autos zum Einkaufen zu fahren und die Luft verpesten.

Ich halte es nicht für falsch, mit Tourismus ärmere Länder zu unterstützen. Doch da gibt es einige Klippen. Die Einheimischen haben überhaupt nichts davon, wenn die Touristen in den großen Hotelbunkern oder ummauerten “Reservaten” unterkommen. Das Geld fließt direkt in die Taschen der großen Globalplayer. Allzu selten verlassen die verwöhnten Touris die ihnen zugewiesenen Habitate und essen in einem der kleinen Restaurants im Hinterland. Ebenso wenig nehmen sie die Dienstleistungen der kleineren Anbieter in Anspruch. Für die “normale” Bevölkerung bleiben die Schäden und bei der allgemeinen ökologischen Lage, am Ende für uns alle.
Die großen Hotels benötigen eine deutlich ausgedehntere Infrastruktur, als die vielen kleinen Anbieter. Da ist die Entwässerung, der Mehrverbrauch an Wasser durch Pools, schicke Springbrunnen, Rasenflächen, Gartenanlagen und interne Angebote. Ich sehe das hier auf der Insel Langkawi. Bereits im Bau sind die Beton-Bauten ein ökologischer Horror. Das Geld landet überall, nur nicht zum Beispiel in der Entwässerung und Wiederaufbereitung. Vielfach sind Sammelcontainer aufgestellt, in denen die Feststoffe gesammelt werden, während alles Flüssige in der Landschaft oder über stinkende Kanäle im Meer landet. Dies bei stetig steigender Zahl an Betten. Da wirken nahegelegene “Schutzgebiete” für Mangroven-Wälder wie zu klein geratene Feigenblätter.

Nahezu alle Strände sind Mogelpackungen. Der Indische Ozean ist voll mit Müll. Steht der Wind ungünstig, landet der Müll aus der Straße von Malakka am Strand. Emsig sammeln diesen von der Kommune bezahlte Hungerlöhner oder im Bereich der Hotels, bei denen angestellte Bedienstete, ein. Auch eine Art der Beschaffungsmaßnahme. Auf einigen Inseln sah ich zu Ressorts gehörende Verbrennungsanlagen, die den Müll ohne Filter gnadenlos über hohe Schornsteine in die Luft jagen. Doch nicht jeder Müll kommt übers Meer. Überall werden Plastikpackungen, Strohhalme, Plastikflaschen, Schraubverschlüsse, Zigarettenfilter, unbekümmert in die Landschaft geworfen. Zu diesem teilweise unmittelbar auf den Tourismus zurückzuführenden Müll kommt der indirekte hinzu. Baumaterialien, Reifen, ausrangierte Jetskis, Scooter, Schmierstoffe, Dämmmaterialien, usw., verteilen sich überall.

Auch hier hinterlassen einem die “Cheaps-Cheaps” aus Europa mit Fragen. In Deutschland toben wilde Debatten über SUV, Verbrenner, Klimaneutralität. Hier wird als Erstes nach dem billigsten Scooter-Verleih gesucht. Es gibt auch keine Gewissensprobleme beim Leihen eines Jetskis, einem Tandem-Flug oder wenn man sich mit einem Fallschirm über das Meer ziehen lässt. Selbst ein Bekannter aus Berlin, hatte nichts Besseres zu tun, als sich einen derartigen Flug zu gönnen. Nun ja, fairerweise muss ich anmerken, dass viele ihre Sünden mit einer vegetarischen Ernährung ausgleichen (Zynismus: off). Gleichfalls ist es für sie unproblematisch, jeden Tag die Klima-Anlage auf 25 Grad zu stellen und klimatisierte Lokale zu bevorzugen.

Ich unterstütze den Protest in Deutschland. Selbst wenn die Protestierenden bigott sind und mit ihrer Lebensart selbst jede Menge Schäden anrichten, sind ihre Forderungen an sich völlig korrekt. Mir geht es nicht anders. Auch ich tue vieles, was nicht mit meiner Kritik deckungsgleich ist. “Die sollen erst einmal bei sich selbst anfangen!”, ist eine perfide Rhetorik, mit der nur vom eigenen Fehlverhalten abgelenkt werden soll. Anders: Das ist unterstes Buddelkastenniveau aus Kindheitstagen. Mama, die anderen Kinder haben aber auch! Solche Leute kann ich nicht für voll nehmen. Mich macht dabei etwas anderes nervös.
Auch die nachfolgende Generation ist im System und der von unterschiedlichsten Menschen geschaffenen Weltlage gefangen.
Ich halte Reisen für wichtig. Das Kennenlernen anderer Kulturen, Lebensweisen, Ansichten, gehört für mich zur Vervollständigung eines Lebens dazu. Jeder, der es tun kann, sollte es auch machen. Da schließe ich mich großen Denkern der Vergangenheit an und folge ihren Gedankengängen dazu. Ich hätte gern erneut ein anderes Reisemittel nach Südostasien gewählt, als ausgerechnet einen Flug. Doch die Weltlage lässt dies nicht zu. Zwischen Deutschland und Südostasien liegen einfach zu viele Staaten, die ich ungern, gar nicht oder nur unter Lebensgefahr passieren kann. Dafür können die Cheaps-Cheaps schon mal nichts.
Die Welt, in die sie hineingeboren wurden, das Denken, die Strukturen, die Lebensmodelle und die Wertvorstellungen, haben wir, die ältere Generation erschaffen und wir erhalten sie am Leben. Es ist unmöglich, auf alles im Einzelnen einzugehen. Fakt ist: Wir haben global die Kontrolle über das von uns erschaffene System verloren. Es hat sich verselbstständigt. Ob nun unter absolut in jeder Hinsicht unvertretbaren Umständen Produkte in Asien entstehen, die als Billigware in Europa landen oder Geräte produziert werden, die zur Profitmaximierung nicht nach ökologischen Gesichtspunkten konzipiert sind, Steuern hinterzogen werden, jeden Tag irgendwo eine ökologische Katastrophe stattfindet, weil gespart wurde, wo man nur konnte, es ist unter den gegebenen Umständen kein Einhalt mehr zu gebieten.

Zwar hat Christian Lindner mal wieder den Vorgel abgeschossen, doch letztendlich zeigt er mit seiner puren Existenz, seiner Funktion und Verlautbarungen, wo wir stehen. Nach ihm ist nicht Verkehrsminister Wissing verantwortlich, sondern die Bürger, welche einen Verkehrsausbau einfordern.
Ergo: Weder der Hersteller von Kriegswaffen, noch der Händler ist für den Bedarf verantwortlich, sondern diejenigen, welche damit Kriege führen. Nicht die Billigproduzenten tragen Verantwortung, sondern die Käufer, welche sie kaufen. Auch die Hersteller von Geräten, deren Komponenten und Rohstoffe von quasi Sklaven aus aller Welt zusammengebaut oder geschürft werden, sind verantwortlich, sondern die Käufer. Das lässt sich unendlich fortsetzen. Da sind meine Cheaps-Cheaps noch das geringste Problem und ein ganz kleines Symptom für eine wütende Krankheit.

Ich gebe zu, in meinem tiefsten Innern geht mir immer häufiger dieses ganze Gerede über Demokratie, Toleranz und Akzeptanz immer mehr auf den Zünder. Mich stört diese Ohnmacht gewaltig und ich suche eigene Strategien, damit ein Handling zu finden. Es ist gut, dass ich hier und damit weit weg vom Schuss bin. Ich weiß nicht, was ich aktuell jemanden an den Kopf werfen würde, die/der mir die Ohren mit der DDR oder Sozialismus zu sabbeln würde. Diese Quatschköppe kommen mir vor wie Grundschüler, die sich über einen Lehrer beschweren, der ihnen eine Ansage macht, weil sie sich benehmen wie ein Haufen Hühner auf LSD. Die Deppen, welche ständig infantil von Mehrheiten sprechen, die sich hierfür oder dafür ausgesprochen haben, sind auch nicht besser. Mehrheiten entstehen zum Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr durch Überzeugung, mit rationalen Argumenten, sondern sind das Ergebnis von Kampagnen. Spätestens Trump und der Brexit haben dies beeindruckend bewiesen. Schlussendlich arbeite ich mich hier jeden Tag wider besseres Wissen an dem oberflächlichen Gerede der Cheaps-Cheaps ab. Wir sitzen in einem Boot und sie verantwortlich zu machen, ist mir zu billig.
Die Nummer überlasse ich selbstgefälligen alten Säcken und Trullas in Deutschland, die die Protestierenden anpöbeln. “Geht doch erst mal arbeiten und fasst Euch an die eigene Nase.” Wie ich es immer sage: “Wer den Mund aufmacht und spricht, gibt einiges an Informationen über sich selbst preis.” Früher waren diese Typen, diejenigen, welche zu jedem Kritiker sagten: “Dann geh doch rüber, Du Gammler.”