Causa Rammstein

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Wer sich in diesen Tagen zur Band Rammstein äußert, begibt sich auf ganz dünnes Eis. Die Vorwürfe sind bekannt. Bandmitglieder sollen nach Konzerten Sex mit jungen Frauen gehabt haben. Die Frauen sollen dies teilweise nicht freiwillig, sondern unter dem Einfluss von Drogen, die ihnen ohne ihr Wissen verabreicht wurden. Die Gelegenheit, ihnen diese in Getränke zu mixen, ergab sich, weil die Frauen an Aftershow-Partys teilnahmen. De facto gibt es aktuell keine, zumindest öffentlich bekannte, valide Beweislage. Alle an der Debatte teilnehmenden Leute beziehen sich auf Aussagen, die ihnen nicht einmal persönlich zugänglich sind, sondern seitens Medien kolportiert wurden. Hörensagen! Nicht mehr und auch nicht weniger. Natürlich steht es jedem frei, basierend auf der eigenen Lebenserfahrung und analytischen Fähigkeiten, Rückschlüsse zu ziehen. Aber auch die meistens empört vorgetragene, angeblich auf der Hand liegende offensichtliche Verdichtung der Aussagen, qualifiziert keinesfalls die Beweislage.

Ein Teil der Empörung ziehen Leute auf sich, die sich wagen, die Aussagen infrage zu stellen. Tenor: “Wie kann man es wagen, die Schilderungen eines oder mehrerer Opfer einer Sexualstraftat anzuzweifeln, man wisse doch schließlich, wie so etwas läuft.” Nun ja … in meiner Zeit als Ermittler ist mir einiges in dieser Richtung begegnet. Beides kann nicht geleugnet werden. Die Täter, als auch vermeintliche Opfer, vornehmlich aus der Natur der Sache heraus, Frauen, die Falschaussagen tätigen, und so selbst zu Täterinnen werden. Das Gute daran ist, dass der Tatvorwurf in unserer Gesellschaft geeignet ist, den Ruf eines Menschen nachhaltig zu schädigen. Dies ist nicht überall der Fall.

Für mich persönlich beginnt die Betrachtung des Geschehens viel früher bzw. sehe ich Aspekte, die erst einmal nichts mit der konkreten Tat zu tun hat. Da wäre zunächst einmal eine Gesellschaft, in der Teile das Bedürfnis verspüren, mit tausenden anderen ein Konzert zu besuchen. Nur, weil es heutzutage überall stattfindet, ist dies keine Selbstverständlichkeit oder gehört zur DNA des Homo sapiens. Es ist eine kulturelle Entwicklung und ein Effekt der Massengesellschaften. Ebenso gehört zu Massengesellschaften, dass die einzelnen Mitglieder ein Bedürfnis nach Individualität innehaben. Beim Konzert ergibt sich ein Paradoxon. Einerseits die freiwillige Einreihung in eine Massenveranstaltung, andererseits das Streben nach einer Besonderheit, im konkreten Fall, das Treffen mit den Musikern. Ganz nüchtern gesehen, mit Männern, die Musikinstrumente beherrschen und erkannten, welche Tonabfolgen und Präsentation den Nerv einer großen Fan-Gemeinde treffen. Wir wissen, es bleibt nicht bei dieser nüchternen Betrachtung.

Massengesellschaften sind von Personenkulten, Symbolen, die de facto in Verlust geratene echte Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung kompensieren, geprägt. Außerdem stehen hinter jeder Massengesellschaft Frauen und Männer, die sie manipulieren, lenken, “den Ton angeben”. Zumeist geht es dabei ganz profan um Geld. Und auch die “Skandalisierung” der Fehltritte anderer Personen, vornehmlich die von Leuten, die zu Prominenten gemacht wurden, erfüllen wichtige Funktionen. Allein, dass es überhaupt so etwas wie Prominente gibt und was ihnen angedichtet wird, ist ein Teil dieser modernen Gesellschaftsformen.

Objektiv gibt es keinerlei Gründe, warum z.B. Schauspieler, Rockmusiker, nach ihrer Meinung zu politischen Themen befragt oder gar in die Versammlung zur Wahl des Bundespräsidenten geladen werden. Anders verhält es sich, wenn es Künstler sind, die mittels dessen, was sie tun, eine Message transportieren wollen. Daniel Pongratz, alias Danger Dan, wäre für mich so ein Kandidat. Aber, Rammstein?
OK, “Deutschland” hatte eine. Meiner Auffassung nach an keiner Stelle eine, wie seitens einiger engstirniger Zeitgenossen*innen behauptet wird, eine rechtsradikale, nationalistische oder rassistische. Eher gingen diese Kritiker*innen in eine Falle, weil sie ziemlich simpel auf die verwendeten Symbole und dem Spiel damit, hineinfielen.

Der Fußballtrainer Jürgen Klopp sagte zum Thema “Fragen an Prominente”, als Reporter ihn zu seiner Meinung zum Thema Impfungen fragten, etwas sehr Treffendes: “Stellen Sie mir bitte Fragen zum Fußball, die anderen Fragen richten Sie bitte an Ärzte und Wissenschaftler.” Solche Worte wünsche ich mir von vielen anderen. Käme ich jemals in die Gelegenheit, mit einem Flammenwerfer hantieren zu müssen, wäre Till Lindemann mein Ansprechpartner … aber sonst?

Einige, die sich an der Debatte beteiligen, stellen die Naivität, die Unerfahrenheit und die Jugend der mutmaßlichen Opfer heraus, welche seitens der unter Verdacht stehenden Bandmitglieder ausgenutzt wurde. Wenn, dann sehe ich hier eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Wir haben es uns allgemein auf die Kappe zu nehmen, wenn Frauen und Männer auf einer Bühne, die eine bis ins letzte Detail durchdachte Show liefern, glorifiziert werden und eine angemessene Vorsicht, nicht mehr funktioniert.
Ebenso hat die Gesellschaft zu bedenken, warum sich ihre Jugend und auch ältere, so sehr danach sehnen, mittels Treffen mit einem “Prominenten” in eine besondere, erstrebenswerte, Position, zu gelangen, die zum Prahlen geeignet ist. Und nach meiner Erfahrung sind eine Menge Leute zu weitreichenden Handlungen bereit oder dulden, welche an ihnen, um zu diesem zweifelhaften Ruhm zu kommen.

Täter/Opfer – Umkehr

Der Klassiker ist die Aussage: “Der Täter fühlte sich durch das seitens des Opfers gewählte Aussehen zum Übergriff animiert, konnte sogar annehmen, dass eine gewisse Bereitschaft für einen sexuellen Kontakt vorlag.”

Nein, dies ist eine unzulässige Verweigerung der eigenen Verantwortungsübernahme bzw. ein entsprechender Zuspruch. Aber nun kommt eine ergänzende Betrachtung. Es gibt in der Kriminologie die Erforschung der Opferphänomenologie. Bedeutet: Wer ist aufgrund welcher Eigenschaften, Aufenthaltsorte, Lebensweise, Alter, Geschlecht, durch welche Straftaten gefährdet? Anhand dessen versucht die Polizei u.a. zuständige Stellen präventiv tätig zu werden. Dem vorangestellt ist die Akzeptanz der Realität. In einer leider nicht existenten idealen Welt, gäbe es keine wie auch immer motivierten Täter*innen.
Wenn ich nicht leichtfertig zum Opfer werden will und wer will das schon, muss ich einiges berücksichtigen, wie ich auch alle anderen Gefahren, die das Leben mit sich bringt, nicht ignorieren sollte. Selbstverständlich ist es in einem freien Land jedem gestattet, das Ausmaß selbst zu bestimmen, doch niemand wird mir die Folgen abnehmen können. In Gänze wird es niemals funktionieren. Um es mal von den emotional besetzten Sexualstraftaten wegzubringen: Wenn ich in Brasilia mit offenen Fenster fahre und auch noch meinen Arm mit einer Breitling am Handgelenk heraushängen lasse, steigt das Risiko eines Überfalls immens.
Da kann ich mich empören, Forderungen aufstellen, schimpfen, es wird nichts an der Realität ändern. Viele Deutsche streben eine Assekuranz-Gesellschaft an, in der sie von dazu berufenen Institutionen vor jeglichen Gefahren geschützt werden. Eine Utopie, und jeder Schritt in die Richtung dahin, verringert ein wenig die Freiheit.

Nein, eine junge Frau an einer einsamen nächtlichen Bushaltestelle, die einen kurzen Rock trägt, ist weder eine lebende Aufforderung, noch kann der Rock einem Sexualstraftäter als strafrechtliche Entschuldigung dienen. Ebenfalls kann ihr keine “Schuld” zugewiesen werden. Aber ganz allein muss sie sich fragen, ob sie sich selbst gut geschützt hat. So wie ich mich in einem anderen Rahmen fragen müsste, ob es meine beste Idee ist, wenn ich morgens um 3:00 Uhr betrunken in der Berliner U-Bahn einschlafe. Die Fragestellung hat für mich die gleiche Qualität, wie die nach dem Tragen von Sicherheitsschuhen, Handschuhen und Helm, auf einer Baustelle. Ich denke, es gibt genügend andere Gefahrenlagen, die ich selbst bei aller Umsicht nicht vermeiden kann.

Qualifiziere ich damit eine Aftershow-Party zu einer Gefahrensituation? Ja, dies tue ich, zumindest für junge Frauen. Euphorie, Typen, von denen ich nicht mehr weiß, als was sie auf der Bühne abziehen und mir Medien suggerieren, Alkohol, Drogen, unbekanntes Umfeld, Mythos Rock ’n’ Roll, Selbstverständnis der Musiker, der zumindest im Ansatz berechtigte Verdacht, dass der Hype nicht spurlos an ihnen vorbeigegangen ist, ergibt eine brisante Mischung, die ich meiden sollte, wenn ich die Risiken minimieren will.

Trotz alledem gilt die Unschuldsvermutung. Ein eventuell notwendiger Richtspruch obliegt Männern und Frauen, die über alle Informationen, Sachbeweise, Zeugenaussagen, Geständnisse, verfügen. Die anderen vollziehen die Rituale “kaputter” Mitglieder einer Massengesellschaft, in der fortwährend Schauspiele inszeniert werden, die von prominenten Tätern, geschändeten Opfern, Höhen und Tiefen, Auf- und Abstiegen, handeln.
Aber wer weiß, vielleicht taugt Till Lindemann, der zum Prominenten aufgestiegene Bautischler, am Ende noch zum Opfer im Dschungelcamp und lässt sich für ein wenig Geld vor geifernden Publikum erniedrigen.

Cheap-Cheap

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Vor drei Jahren traf ich einen jungen Kerl aus Barcelona. Er war ein einfacher Bauarbeiter, der in Spanien keinen Job gefunden hatte und sich deshalb auf Reisen ging. Doch ich glaube, dies war nicht seine einzige Motivation. In Australien arbeitete er zeitweilig als Küchengehilfe. Bis zu dem Tag, an dem ihm der Restaurantbesitzer fragte: “Du bist doch Spanier? Dann kannst Du bestimmt gut mit Rindfleisch umgehen.” Schnell wurde er auf die Art zum gutbezahlten Restaurantleiter. Trotzdem zog es ihn eines Tages weiter. Also scheint ihn auch ein wenig die Abenteuerlust angetrieben zu haben.
Wir beide lernten uns in der Warteschlange der Grenzkontrolle nach Malaysia kennen. Ein Wort gab das andere und wir beschlossen uns gemeinsam ins gleiche Guesthouse zu begeben. Die Nummer mit dem “Cheap” ging schon am Fährterminal los. Auf der Insel Langkawi angekommen benötigten wir ein Transportmittel zu unserem Ziel Cenang Beach. Er wuselte herum und suchte etwas Passendes. Die regulären Taxen waren ihm zu teuer. Dazu muss ich erwähnen, dass eine Fahrt umgerechnet 5 EUR kostete und die Fahrt locker 15 Minuten dauerte. Zu meinem Entsetzen schickte er sich an, einen Busfahrer zu fragen, ob der uns mitnehmen würde. Problem: Der Bus war vollständig mit uniformierten jungen Polizistinnen in der Ausbildung besetzt. Bei der ganzen Aktion sagte er immer wieder: “I’m looking for a cheap solution.”

Das setzte sich im Guesthouse fort und wir beide landeten in einem Dorm mit 10 Leuten. Grundsätzlich habe ich nichts dagegen, aber dort lag man auf in Plastik eingepackten Matratzen und die Betten wackelten bedrohlich. Nach einer Nacht wählte ich die teurere Lösung und mietete einen Bungalow. Cheap-Cheap, so nannte ich ihn bereits nach dieser einen Nacht, bot ich an, gegen den Preis eines Betts im Dorm, bei mir zu schlafen.

Cheap!“, das setzte sich bei mir fest. Hört man den Gesprächen der Backpacker und anderen Reisenden aus den “Wohlfahrtsstaaten” zu, gibt es zwei Optionen. Entweder, ein Platz ist “Cheap” oder zu teuer, also “expensiv”. Inwiefern dies mit dem Lebensstandard, der wirtschaftlichen Lage des jeweiligen Landes zu tun hat und was das für die Leute bedeutet, kümmert sie dabei wenig. Ich erinnere mich dabei an die Zeit, in der wir als junge Erlebnisorientierte nach Prag fuhren und dort für umgerechnet 30 Pfennig ein Bier bekamen. Oder als wir West-Berliner nach dem Fall der Mauer auf dem Schwarzmarkt Deutsche Mark in Ostmark zu einem Kurs von 1:50 tauschten, um dann mit dem Geld in den ehemaligen DDR-Bonzen-Läden die Sau herauszulassen. Ich habe auch nicht vergessen, wie einige der Meinung waren, in normalen Clubs den dicken Maxen spielen zu können, um dann von den Jungs aus Prenzelberg ordentlich auf den Zahn zu bekommen. Ähnliches erlebte ich auch in einer polnischen Grenzstadt.

Ich bin nicht mehr der junge Kerl von damals. Meine Gedanken gehen heute deutlich weiter. Sich als “reicher” privilegierter Typ in einem armen Land zu bewegen, ist nicht ganz unproblematisch. Wenigstens sollte man sich dessen bewusst sein. Für mich gibt es da eine fließende Grenze zwischen Reisen und einer Situation, die ich als beinahe pornografisch bezeichnen würde. Heute hörte ich, wie sich eine Deutsche mit einem Italiener über die Länder unterhielt, in denen sie bereits waren und wie ihre weiteren Reisepläne aussehen. Bei der Deutschen ist Sri Lanka auf der Agenda, Sri Lanka. Ein Land, welches sich in einer bösen Krise befindet, in deren Folge Teile der Bevölkerung an Hunger und Not leiden. Reisende werden allerdings bevorzugt behandelt und bekommen zum Beispiel ansonsten rationierten Kraftstoff zu kaufen. Doch darum ging es in dem Gespräch nicht. Günstiges Essen, billige (cheap) Unterkünfte, aber zu wenige Kohlenhydrate bei der Ernährung, lauteten die Themen. Ich unterscheide konsequent zwischen einer anderen einfachen Lebensart und Armut. Unterernährung, der Mangel an sauberen Trinkwasser, fehlende medizinische Versorgung und seien es nur die althergebrachten Heilmethoden, die dort seit Urzeiten praktiziert werden, ist für mich definitiv Armut. Ob die Leute nun in offenen Hütten oder Zelten leben, halbnackt sind, alles mit Booten oder Handkarren transportieren, ist eine vollkommen andere Angelegenheit bzw. schlicht deren Lebensweise.

Nochmals anders ist die Ausgangslage der deutschen Rentner in Thailand. Sie gehen dorthin, weil sie sich dort ein Leben leisten können, welches sie zu Hause in Deutschland nicht finanzieren könnten. Die Thais wiederum setzen auf sie, weil sie zahlende Kundschaft sind. Klingt erst einmal nach einer Win-win-Situation. Ein wenig befremdlich ist es dennoch. Da arbeiten Leute ein ganzes Leben lang und am Ende genügt ihr Geld nicht für einen angenehmen Lebensabend. Jedenfalls für keinen, der den allgemeinen deutschen Vorstellungen entspricht. Doch bei den Thais sieht es nicht anders aus. Dort und in anderen südostasiatischen Ländern läuft die Versorgung über die Kinder. Ohne Kinder landen sie in bitterer Armut und werden auch nicht sonderlich alt. Für Thais sind mehrere Kinder existenziell. Bei nur einem besteht das Risiko, dass etwas schiefgeht, zwei, drei, vier, geben eine gewisse Sicherheit. Töchter, die sich von einem alten “reichen” Westerner aushalten lassen, sind quasi ein Lotto-Gewinn. Zumindest gilt dies für die Eltern. Fest steht auch, dass das, was Nordthailänder unter einem versorgten Lebensabend verstehen, nichts mit den deutschen Vorstellungen zu tun hat. Eine ganz andere Kategorie sind die Männer, welche ihre aktuell zulässigen 45 Tage Aufenthalt zur billigen Befriedigung ihrer sexuellen Triebe nutzen. Dagegen sind die Thais teilweise vorgegangen, woraufhin die Typen nach Kambodscha ausgewichen sind.

Aber egal, wie man es betrachtet oder welchen ethischen Kompass man benutzt, eins ist nüchtern festzustellen. Es funktioniert nur wegen des finanziellen Gefälles. Das Argument, welches einige vorbringen, demnach sie immerhin Geld ins ärmere Land bringen, kann ich nicht folgen. Dies würde auch mit einer Spende funktionieren. Genügend Hilfsorganisationen gibt es. Das ist ein ziemlich plumper Versuch, sich zum Philanthropen zu stilisieren. Tatsächlich geht es in erster Linie um den eigenen Vorteil. Ich dachte selbst kurzfristig über einen Abstecher nach Sri Lanka nach. Doch ich habe es verworfen. Ich bekomme dies nicht mit meinen Prinzipien in Einklang. Als ich Laos besuchte, war ich noch suchend und unerfahrener.

Meine Lebensart hier auf der Insel Langkawi oder in Thailand unterscheidet sich nicht sonderlich von der, die ich mir in Deutschland leisten kann. Ich miete mich nicht in Hotels ein, die ich mir sonst nicht leisten könnte. Gleiches gilt für Restaurants, in denen mich Meeresfrüchte einen Bruchteil dessen kosten, was ich in Berlin hinlegen müsste. Ebenfalls kaufe ich mir keine Cocktails, die in Berlin mein Budget sprengen würden. Meinem Gefühl nach, leiste ich mir, was sich hier die durchschnittlich verdienenden Leute auch kaufen können. Leute, denen es schlecht geht, gibt es immer und ich kann es nicht ändern. Was ich aber versuche, ist eine gewisse Fairness an den Tag zu legen. Ich zahle durchaus mal ein paar Ringit mehr für ein reguläres Taxi oder schau, dass ich eher die kleineren Business-Läden nutze und esse dort auch mal die Speisen, mit denen sie versuchen ein wenig mehr Geld zu verdienen, selbst wenn’s nicht unbedingt mein favorisiertes Gericht ist.

Cheap-Cheap, ist im Prinzip das deutsche “Geiz ist geil!” Ein Motto, auf das man nicht stolz sein sollte. Klar, wenn man nichts hat, ist man dankbar für die Dumping-Angebote. Obwohl auch hier ein Trick dahinter steht. So ist zum Beispiel das verlockende Angebot, dass ein Anbieter im Falle des Nachweises, den niederen Preis des Mitbewerbers anzunehmen, eine versteckte Kartellbildung. Anfangs sinkt der Preis. Doch das ändert sich. In einem Artikel des Magazins handelsblatt.com, wurde das Prinzip, welches auf der Spieltheorie beruht, ganz gut erläutert:

… Niedrigstpreisgarantien gehen darüber hinaus, indem sie versprechen, mit einem niedrigeren Preis eines Konkurrenten nicht nur gleichzuziehen, sondern diesen sogar zu unterbieten. Führt ein Unternehmen eine Niedrigstpreisgarantie ein und erhöht den Preis, so büßen die Konkurrenten Marktanteile ein, da sie aufgrund dieser Preisgarantie immer unterboten werden. Sie können ihre Marktanteile nur zurückgewinnen, wenn sie ebenfalls einen höheren Preis fordern. Niedrigstpreisgarantien sind also eine deutliche Aufforderung an die Konkurrenz, ebenfalls die Preise zu erhöhen. Ist ein Teil der Konsumenten nicht über die Preise der Unternehmen informiert, können Preisgarantien nach Erkenntnissen der amerikanischen Ökonomen David Hirshleifer zur Preisdiskriminierung genutzt werden und insgesamt wiederum zu höheren Preisen führen.

https://www.handelsblatt.com/finanzen/steuern-recht/recht/streitfall-des-tages-der-trick-mit-der-preisgarantie/6867000.html


Wenn es nach meinen “Freunden” den Turbo-Kapitalisten geht, sind alle Menschen “Homo oeconomicus“. Auch ein Begriff, der aus der Spieltheorie stammt. Und tatsächlich ist der Mensch dankenswerterweise anders oder kann anders sein, wenn er nicht dahingehend manipuliert wird. Der beste Nachweis dafür ist eins meiner Lieblingsexperimente aus der Spieltheorie. Von zwei Versuchspersonen wird einer, mit der Aufforderung das Geld zwischen beiden aufzuteilen, ein Betrag in Höhe von 50 EUR übergeben. Stimmt die andere Person der Aufteilung zu, können sie das Geld behalten. Im Falle eines Homo oeconomicus wäre zu erwarten, dass die andere Person sogar bei einer Teilung in 49,99/0,1 zustimmt, weil selbst der 1 Cent mehr ist, als zuvor. Frei nach: Besser als Nichts! In der Realität sieht es aber anders aus. Um so mehr die Aufteilung von 50:50 abweicht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die andere Person blockiert und beide leer ausgehen,

Für mich ist das ein Signal dafür, dass bei den Leuten, die mit dem Motto Cheap-Cheap unterwegs sind, etwas in die Schieflage geraten ist. Vielleicht liegt es daran, dass sie es aus den Heimatländern gewohnt sind, grundsätzlich übers Ohr gehauen zu werden. Klar gibt es auch hier deutliche Unterschiede. Ein aus Europa importiertes Bier kostet im Duty-Free Shop 3,50 RGT (79 Cent) und in einem kleinen Minimarkt 5 RGT (1 EUR). Dafür hat der aber auch 24/7 geöffnet, muss einen anderen Mietpreis zahlen, gibt einigen einfachen Menschen einen Arbeitsplatz und befindet sich in der Nähe der Guesthouses. Unter dem Strich wurden in Deutschland auf die Art nach und nach alle kleinen Dorfläden kaputt gemacht, infolgedessen die Leute gezwungen sind, mit Autos zum Einkaufen zu fahren und die Luft verpesten.

Ich halte es nicht für falsch, mit Tourismus ärmere Länder zu unterstützen. Doch da gibt es einige Klippen. Die Einheimischen haben überhaupt nichts davon, wenn die Touristen in den großen Hotelbunkern oder ummauerten “Reservaten” unterkommen. Das Geld fließt direkt in die Taschen der großen Globalplayer. Allzu selten verlassen die verwöhnten Touris die ihnen zugewiesenen Habitate und essen in einem der kleinen Restaurants im Hinterland. Ebenso wenig nehmen sie die Dienstleistungen der kleineren Anbieter in Anspruch. Für die “normale” Bevölkerung bleiben die Schäden und bei der allgemeinen ökologischen Lage, am Ende für uns alle.
Die großen Hotels benötigen eine deutlich ausgedehntere Infrastruktur, als die vielen kleinen Anbieter. Da ist die Entwässerung, der Mehrverbrauch an Wasser durch Pools, schicke Springbrunnen, Rasenflächen, Gartenanlagen und interne Angebote. Ich sehe das hier auf der Insel Langkawi. Bereits im Bau sind die Beton-Bauten ein ökologischer Horror. Das Geld landet überall, nur nicht zum Beispiel in der Entwässerung und Wiederaufbereitung. Vielfach sind Sammelcontainer aufgestellt, in denen die Feststoffe gesammelt werden, während alles Flüssige in der Landschaft oder über stinkende Kanäle im Meer landet. Dies bei stetig steigender Zahl an Betten. Da wirken nahegelegene “Schutzgebiete” für Mangroven-Wälder wie zu klein geratene Feigenblätter.

Nahezu alle Strände sind Mogelpackungen. Der Indische Ozean ist voll mit Müll. Steht der Wind ungünstig, landet der Müll aus der Straße von Malakka am Strand. Emsig sammeln diesen von der Kommune bezahlte Hungerlöhner oder im Bereich der Hotels, bei denen angestellte Bedienstete, ein. Auch eine Art der Beschaffungsmaßnahme. Auf einigen Inseln sah ich zu Ressorts gehörende Verbrennungsanlagen, die den Müll ohne Filter gnadenlos über hohe Schornsteine in die Luft jagen. Doch nicht jeder Müll kommt übers Meer. Überall werden Plastikpackungen, Strohhalme, Plastikflaschen, Schraubverschlüsse, Zigarettenfilter, unbekümmert in die Landschaft geworfen. Zu diesem teilweise unmittelbar auf den Tourismus zurückzuführenden Müll kommt der indirekte hinzu. Baumaterialien, Reifen, ausrangierte Jetskis, Scooter, Schmierstoffe, Dämmmaterialien, usw., verteilen sich überall.

Auch hier hinterlassen einem die “Cheaps-Cheaps” aus Europa mit Fragen. In Deutschland toben wilde Debatten über SUV, Verbrenner, Klimaneutralität. Hier wird als Erstes nach dem billigsten Scooter-Verleih gesucht. Es gibt auch keine Gewissensprobleme beim Leihen eines Jetskis, einem Tandem-Flug oder wenn man sich mit einem Fallschirm über das Meer ziehen lässt. Selbst ein Bekannter aus Berlin, hatte nichts Besseres zu tun, als sich einen derartigen Flug zu gönnen. Nun ja, fairerweise muss ich anmerken, dass viele ihre Sünden mit einer vegetarischen Ernährung ausgleichen (Zynismus: off). Gleichfalls ist es für sie unproblematisch, jeden Tag die Klima-Anlage auf 25 Grad zu stellen und klimatisierte Lokale zu bevorzugen.

Ich unterstütze den Protest in Deutschland. Selbst wenn die Protestierenden bigott sind und mit ihrer Lebensart selbst jede Menge Schäden anrichten, sind ihre Forderungen an sich völlig korrekt. Mir geht es nicht anders. Auch ich tue vieles, was nicht mit meiner Kritik deckungsgleich ist. “Die sollen erst einmal bei sich selbst anfangen!”, ist eine perfide Rhetorik, mit der nur vom eigenen Fehlverhalten abgelenkt werden soll. Anders: Das ist unterstes Buddelkastenniveau aus Kindheitstagen. Mama, die anderen Kinder haben aber auch! Solche Leute kann ich nicht für voll nehmen. Mich macht dabei etwas anderes nervös.
Auch die nachfolgende Generation ist im System und der von unterschiedlichsten Menschen geschaffenen Weltlage gefangen.
Ich halte Reisen für wichtig. Das Kennenlernen anderer Kulturen, Lebensweisen, Ansichten, gehört für mich zur Vervollständigung eines Lebens dazu. Jeder, der es tun kann, sollte es auch machen. Da schließe ich mich großen Denkern der Vergangenheit an und folge ihren Gedankengängen dazu. Ich hätte gern erneut ein anderes Reisemittel nach Südostasien gewählt, als ausgerechnet einen Flug. Doch die Weltlage lässt dies nicht zu. Zwischen Deutschland und Südostasien liegen einfach zu viele Staaten, die ich ungern, gar nicht oder nur unter Lebensgefahr passieren kann. Dafür können die Cheaps-Cheaps schon mal nichts.
Die Welt, in die sie hineingeboren wurden, das Denken, die Strukturen, die Lebensmodelle und die Wertvorstellungen, haben wir, die ältere Generation erschaffen und wir erhalten sie am Leben. Es ist unmöglich, auf alles im Einzelnen einzugehen. Fakt ist: Wir haben global die Kontrolle über das von uns erschaffene System verloren. Es hat sich verselbstständigt. Ob nun unter absolut in jeder Hinsicht unvertretbaren Umständen Produkte in Asien entstehen, die als Billigware in Europa landen oder Geräte produziert werden, die zur Profitmaximierung nicht nach ökologischen Gesichtspunkten konzipiert sind, Steuern hinterzogen werden, jeden Tag irgendwo eine ökologische Katastrophe stattfindet, weil gespart wurde, wo man nur konnte, es ist unter den gegebenen Umständen kein Einhalt mehr zu gebieten.

Zwar hat Christian Lindner mal wieder den Vorgel abgeschossen, doch letztendlich zeigt er mit seiner puren Existenz, seiner Funktion und Verlautbarungen, wo wir stehen. Nach ihm ist nicht Verkehrsminister Wissing verantwortlich, sondern die Bürger, welche einen Verkehrsausbau einfordern.
Ergo: Weder der Hersteller von Kriegswaffen, noch der Händler ist für den Bedarf verantwortlich, sondern diejenigen, welche damit Kriege führen. Nicht die Billigproduzenten tragen Verantwortung, sondern die Käufer, welche sie kaufen. Auch die Hersteller von Geräten, deren Komponenten und Rohstoffe von quasi Sklaven aus aller Welt zusammengebaut oder geschürft werden, sind verantwortlich, sondern die Käufer. Das lässt sich unendlich fortsetzen. Da sind meine Cheaps-Cheaps noch das geringste Problem und ein ganz kleines Symptom für eine wütende Krankheit.

Ich gebe zu, in meinem tiefsten Innern geht mir immer häufiger dieses ganze Gerede über Demokratie, Toleranz und Akzeptanz immer mehr auf den Zünder. Mich stört diese Ohnmacht gewaltig und ich suche eigene Strategien, damit ein Handling zu finden. Es ist gut, dass ich hier und damit weit weg vom Schuss bin. Ich weiß nicht, was ich aktuell jemanden an den Kopf werfen würde, die/der mir die Ohren mit der DDR oder Sozialismus zu sabbeln würde. Diese Quatschköppe kommen mir vor wie Grundschüler, die sich über einen Lehrer beschweren, der ihnen eine Ansage macht, weil sie sich benehmen wie ein Haufen Hühner auf LSD. Die Deppen, welche ständig infantil von Mehrheiten sprechen, die sich hierfür oder dafür ausgesprochen haben, sind auch nicht besser. Mehrheiten entstehen zum Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr durch Überzeugung, mit rationalen Argumenten, sondern sind das Ergebnis von Kampagnen. Spätestens Trump und der Brexit haben dies beeindruckend bewiesen. Schlussendlich arbeite ich mich hier jeden Tag wider besseres Wissen an dem oberflächlichen Gerede der Cheaps-Cheaps ab. Wir sitzen in einem Boot und sie verantwortlich zu machen, ist mir zu billig.
Die Nummer überlasse ich selbstgefälligen alten Säcken und Trullas in Deutschland, die die Protestierenden anpöbeln. “Geht doch erst mal arbeiten und fasst Euch an die eigene Nase.” Wie ich es immer sage: “Wer den Mund aufmacht und spricht, gibt einiges an Informationen über sich selbst preis.” Früher waren diese Typen, diejenigen, welche zu jedem Kritiker sagten: “Dann geh doch rüber, Du Gammler.”


Die Suche nach Frieden

Lesedauer 13 Minuten

Im Menschen stecken zwei Wesen. Der Primat, ein Affe mit trockener Nase und spärlicher Behaarung, welcher sich mit seinen Fähigkeiten an die Spitze der Nahrungskette setzte. Ein Raubtier! Eins, welches sich zu Horden zusammenschließen kann und nicht nur gemeinsam auf die Jagd geht, sondern auch gegen andere konkurrierende Horden unerbittlich bis zum Tod kämpft. Doch dieser Primat entwickelte ein Bewusstsein. Er kann sich über die Regeln der Natur hinwegsetzen, ihr trotzen, die Folgen seiner Handlungen erkennen, Trieben gewahr werden und sie kontrollieren. Erst, wenn dieses Bewusstsein, in Verbindung mit Verstand, Vernunft, Reflexion, zum Tragen kommt, überschreitet der Primat die Schwelle zum Menschsein.

Die innewohnende Aggressivität, die Kampfbereitschaft, die Intelligenzleistung, sich zusammenzuschließen und in einem Kampfverband zu organisieren brachte das Tier nach oben. Doch gleichzeitig bringt dies die Gefahr der totalen Vernichtung der eigenen und anderer Spezies mit sich. Kurzum, das Großhirn ist dazu fähig darüber zu entscheiden, ob es sich selbst und die Evolution beendet oder leben will.

Seit Menschengedenken wird experimentiert, wie man am besten das Leben gestalten kann. Krieg, Frieden, Diktaturen, Königreiche, Kaiserreiche, Klerikale Staaten, Anarchie, Kommunismus, Sozialismus, Kapitalismus, aus all diesen Experimenten kann man Lehren ziehen. Parallel entwickelten die Menschen immer ausgefeiltere Methoden, sich gegenseitig abzuschlachten. Wenn nicht bereits die Atombombe den absoluten Overkill ermöglicht, wird die absolute Waffe noch entwickelt werden. Da bin ich mir absolut sicher. Ginge man mit Vernunft und Verstand heran, wüssten wir, dass wir das Ende der Fahnenstange erreicht haben. Die Waffensysteme haben einen technischen Stand erreicht, der völlig neue Betrachtungen notwendig macht. Ich denke, dass 1945 der historisch verpasste Zeitpunkt war, an dem die Chance bestand, inne zuhalten, alles neu zu bewerten und völlig andere Wege zu gehen. Doch jeder weiß, dass unsere Mütter, Väter, Großmütter, Großväter, deren Anführer, diese Chance verstreichen ließen.

Mit Nuancen besteht das alte System, welches zwei Weltkriege hervorbrachte, in den Grundzügen immer noch. Konkurrierende Nationalstaaten und Großmächte, ein globales Wirtschaftssystem, welches auf Wachstum, Profite, Gier, gründet und vor allem in einem Dilemma festhängt. Jede Großmacht inklusive ihrer Vasallen beäugen misstrauisch die Konkurrenz und ihre Strategien, sich Macht, Rohstoffe, geostrategische Vorteile, zu sichern. Und fortwährend flammt immer mal wieder ein Krieg auf.

Innerhalb dieses Systems ist es unmöglich sich herauszuhalten oder eine sichere Neutralität zu bewahren. Stets muss man auf der Hut sein, Allianzen schmieden, Drohkulissen aufbauen und dafür Sorge tragen, dass der andere nicht zu stark wird. Macht ein Beteiligter einen Schrittfehler, grätscht der Gegner hinein. Wird das System nicht radikal umgebaut, muss ich mich den aus ihm entstehenden Regeln beugen. Isoliere ich aus einem Computernetzwerk einen Client, der auf die Programme im Netz zugreift, kann ich mit dem nicht allzu viel anfangen.

Neue Friedensbewegung in einem alten System?

Dieser Tage gehen wieder einmal Leute auf die Straße und fordern Frieden. Einige sprechen von einer neuen Friedensbewegung. Ich kann dem nicht ganz folgen. Die alte, in den 80ern, richtete sich nicht gegen einen konkreten Krieg, sondern gegen das Wettrüsten zwischen USA und UdSSR. Nach allem, was man nunmehr im Nachgang weiß, waren die Sorgen der Bürger durchaus berechtigt.
Eher passend finde ich eine Analogie zu den Protesten in den 60ern gegen den Vietnamkrieg. Damals hieß der Aggressor USA und die verantwortlichen Präsidenten hießen Lyndon B. Johnson und Richard Nixon. Folgerichtig wandte sich die Protestbewegung gegen die USA und nicht gegen die kommunistischen Kämpfer auf der Seite der Vietnamesen. Und soweit ich weiß, kam niemand auf die Idee, einen Stopp der Waffenlieferungen für den Vietcong zu fordern. Dies wäre auch ziemlich zwecklos gewesen, da die Waffen damals aus dem Ostblock stammten. Ziehe ich einen Vergleich zu heute, hätten damals Frau Wagenknecht und Frau Schwarzer den Vietcong zum Einstellen der Kampfhandlungen und eine Verhandlungsbereitschaft mit den USA einfordern müssen. Was garantiert nicht funktioniert hätte, da die USA mit aller Macht die Ausbreitung des Kommunismus in Südostasien verhindern wollten. Heute wissen wir, dass trotz des verlorenen Krieges nur Vietnam und Laos kommunistische Systeme aufbauten.

Nein, die seitens Wagenknecht, Schwarzer u.a. eingeforderte Demutsgeste der Ukraine hat nichts mit den Gedanken und Intentionen der 80er – Bewegung in der Bundesrepublik Deutschland gemein. Ich betone Bundesrepublik Deutschland! In der DDR wurde damals die Ausrüstung mit SS20 Raketen und der Wehrunterricht in den Schulen favorisiert. Auch der Afghanistan-Krieg, ausgehend von der UdSSR, wurde billigend hingenommen. Während dieser Zeit schenkten sich die Geheimdienste aus Ost und West nichts. Damals ahnte man es, heute weiß man, dass der MfS im Westen fleißig unterwegs war.

Geheimdienste, Propaganda gehen nicht mit dem Krieg einher, sondern sind schlicht Unterabschnitte. Und zur Propaganda gehört das Grauen. Viele Waffengattungen sind darauf ausgerichtet, Soldaten und Zivilisten zu verstümmeln. Sie sollen nicht sterben, sondern davon berichten. Folter, Vergewaltigungen, Hinrichtungen verfolgen den gleichen Zweck. Gleichfalls gehört es dazu, die Bevölkerung der anderen Seite gegen ihre Regierung aufzubringen. Der Hinweis, dass in der Ukraine tausende Menschen sterben, ist nahezu obsolet. Denn hierfür steht das Wort Krieg. Menschen schlachten Menschen ab, oder sie setzen Waffen ein, die Gliedmaße abreißen, Gesichter entstellen. Es wird gefoltert, geplündert, gebrandschatzt, vergewaltigt. Das Tier wütet. Wenn also Wagenknecht und Schwarzer auf die Sterbenden, Vergewaltigten, Gefolterten hinweisen, sagen nicht mehr oder weniger, als dass ein Krieg tobt. Die Bilder, das Grauen, gehört zu Putins Kalkül und ist Teil der Kriegspropaganda. Nun aber stellt sich die Frage, wie man darauf reagiert. Kann es richtig sein, die Opfer aufzufordern, endlich Ruhe zu geben, weil es dann vorbei ist? Putin ist in diesen Krieg nicht hineingeraten. Er hat ihn gezielt, kalkuliert, vorsätzlich, begonnen. Alles andere endete damit. Zuvor hätte es noch die Option von Verhandlungen gegeben. NATO, neutrale Zonen, die Einrichtung seitens UN-Truppen überwachter Regionen usw. Auch wäre die Einnahme unterschiedlicher Positionen gerechtfertigt gewesen. Doch all dies hat er mit dem Angriff beendet. Anders: Eine neue faktische Lage geschaffen, die Krieg heißt. Und da er sich nicht auf einige Gebiete beschränkte, lautet das Ziel: Vernichtung der Ukraine als Staatsgebilde. Ginge es nicht um Russland, einem Atom-Staat, gäbe es hierauf nur eine Reaktion: Eine seitens der UN genehmigte konsequente Intervention.
Aber da es sich nicht um einen der kleineren Staaten handelt, der überdies nicht Teil eines militärischen Paktes ist, kommt dies nicht infrage. Dies ist eine Botschaft an alle anderen Staaten auf der Erde, die u.a. Norwegen, Finnland und Schweden verstanden. Wer keine Atomwaffen besitzt und auch nicht Mitglied eines Militärpaktes ist, wird zur Beute, der niemand beispringen kann. Was bleibt, ist die logistische Unterstützung. Hier kann es meiner Meinung nach keine Abstufungen geben. Wenn ich mich dazu entschließe, muss ich es richtig und nicht halbherzig tun. Ob dies seitens Putins als Kriegsteilnahme oder nicht bewertet wird, ist ihm ohnehin selbst überlassen. Da können sich Völkerrechtler den Mund fusselig reden. Der Mann spricht öffentlich davon, dass der Westen vorhabe, die russische Ethnie auszulöschen. Reden wir doch nicht um den heißen Brei herum. Solche Töne kennen wir in Deutschland sehr gut. Diesmal kommen sie aus der anderen Richtung. Wer sich die öffentlichen Inszenierungen Putins zu Pferd in der Steppe, posierend mit Bären und Waffen anschaut, kann als Deutscher einfach nicht anders, als an den germanischen Zirkus der Nationalsozialisten zu denken. Letztens sprach ich mit einer Russin. Die sprach von “Brudervölkern”, die sich vereinen müssen. Ach Leute, haben wir Euch nicht gezeigt, dass dieser Schwachsinn keine gute Idee ist? OK, ich räume ein, dass wir sogar im Bundestag noch einige herumzurennen haben, die es immer noch nicht kapiert haben. Und wenn sie es nicht offen tun, quatschen sie von leistungsfähigen, ordentlichen, pünktlichen, fleißigen, Deutschen. Das ist der gleiche Dreck, nur eloquenter, mit einem neoliberalen Upgrade.

Meine Generation wurde in einem dualen, globalen System groß. Im Prinzip durften die beiden Großmächte innerhalb ihrer Bereiche schalten und walten, wie sie wollten. Die Gegenseite regte sich künstlich auf, aber es passierte nichts wirklich Gravierendes. Ich denke, eine Menge Leute rechnen die Ukraine immer noch dem alten Einflussbereich Russlands, der ehemaligen Führungsmacht der UdSSR, zu. Ein Aufbegehren der Ukraine, vornehmlich einer neuen Post-Sowjet-Generation, passt nicht in deren Weltbild. Und so wie ich dies aus Gesprächen mit Ukrainern/innen im Alter von um die 30-40 Jahre mitgenommen habe, sind sie im eigenen Land zerstritten. Die Alten sind entweder Freunde der alten Sowjetzeiten oder sie hassen sie. Einige der Älteren sprechen ausschließlich Russisch und werden über die russische Propaganda gesteuert. Mir scheint, dass durch einige Familien ein Spalt verläuft. Ich weiß auch nicht, inwieweit man dem ukrainischen Regierungsapparat über den Weg trauen kann. Beide, Russland und Ukraine, sind meiner Kenntnis nach tief mit kriminellen Strukturen verstrickt. In den 90ern erklärte mir in einer Vernehmung ein ehemaliger KGB Offizier das Prinzip der russischen Korruption. Seiner Beschreibung nach gab es damals ein unmittelbar kriminelles Handeln von Regierungsmitgliedern, welche er als die “Rote Mafia” bezeichnete und Banden, die unabhängig von diesen Personen agierten. Jene titulierte er als “Weiße Mafia”. Die Roten schafften damals, keine Ahnung wie es heute läuft, auf staatlich kontrollierten Wegen Geld außer Landes und parkten es in Firmen. Die Weißen entwickelten das Geschäftsmodell eben genau diese Firmen anzugehen und Zwangsbeteiligungen, zum Teil mit Gewalt, einzufordern. Ein wenig erinnerte mich dieses Vorgehen an einige ehem. Regierungsmitglieder bzw. Verwaltungsmitglieder der DDR in den Wendejahren. Und einigen Artikeln nach, ist davon auszugehen, dass z.B. auch Putin mit kriminellen Strukturen verstrickt ist. Er ist halt vermutlich ein Kleptokrat unter Kleptokraten, in einem Staat, in dem es sich die Oberen schon immer gut gehen ließen. Und ich denke, es wäre naiv, davon auszugehen, dass dies in Teilen der Ukraine anders ist. Was mich wiederum vermuten lässt, dass im Falle eines Weiterbestehens der Ukraine, die unteren Schichten nicht sonderlich viel davon haben werden. Was da im Einzelnen tatsächlich vor sich geht, werden nur absolute Insider verstehen.

Doch dies gehört für mich alles zum System. Ebenso, wie rund um den Krieg herum garantiert jede Menge krumme Geschäfte und Absprachen stattfinden. Allein schon der Umstand, dass die US-amerikanische Rüstungsindustrie quasi die Sektkorken knallen lässt, wenn Panzer aus deutscher Produktion in die Ukraine gehen und sie den Nachschub für die NATO stellen können, ließ aufhorchen. Bei den Ferengis aus dem Star-Trek-Universum gilt: Regel 034, Krieg ist gut für das Geschäft [1](DS9: Trekors Prophe­zeiung, Die Belagerung von AR-558) Regel 035, Frieden ist gut für das Geschäft [2]DS9: Trekors Prophe­zeiung. In einer Folge wird ein Ferengi in Kampfhandlungen verwickelt. Nachdem er sich mehrfach in seiner Deckung darüber beschwert, wird er auf diese Regeln hingewiesen. Er antwortet: “Die gilt nur, wenn man nicht zu nah dran ist.” Man muss kein großer Analytiker sein, um schnell zu kapieren, dass mit den Ferengis Neoliberale US-Amerikaner gemeint sind, deren Ableger sich in Deutschland in der FDP sammeln. Die Rüstungsindustrie ist keine Ansammlung von Patrioten, sondern ein Zusammentreffen knallharter Geschäftemacher, die nach den Regeln des Markts alles und jeden beliefern, bis ihnen mal wieder jemand auf die Schliche kommt. Machen wir uns nichts vor. Alles, was im Lager liegt oder auf dem Hof herumsteht, bringt keine Profite. Aber spätestens Munition ist Verbrauchsmaterial.

Systemimmanent ist aber leider ebenfalls der Umstand, dass die Rüstungskonzerne Teil der Gleichgewichtsstrategie sind. Baut der eine, zieht der andere nach. Wird irgendwo etwas entwickelt, was für ein innovatives Waffensystem nützlich ist, wird es aufgekauft und gleichzeitig die Forschung auf der anderen Seite gepusht. Da kann man nicht mal eben aussteigen, ohne sich Beulen einzufangen. Die Jungs aus der Nerd-WG in der Serie Big Bang Theory stehen vor diesem Dilemma, als sie für die NASA ein GPS-System entwickeln und erkennen, dass dieses ebenfalls in Waffensysteme eingebaut werden kann. Ihre Lösung: Wenn bisher kein Terminator aufgekreuzt ist, weil wir den Untergang der Welt eingeleitet haben, ist alles in Ordnung. Nun ja, eben eine Nerd-Rechtfertigung.

Was offiziell an Lieferungen erlaubt ist, richtet sich stets nach der Nützlichkeit eines Staats. Keinesfalls nach ethischen Aspekten. Ressourcen aller Art und Bereitwilligkeit der jeweils vorhandenen Regierung, diese möglichst günstig zu verkaufen, sind die Voraussetzungen für die Bewilligung. Bisweilen geht das schief. Es war keine gute Idee, die Taliban zu fördern und auszubilden, damit sie die russischen Truppen dezimieren. Jedenfalls nicht, wenn man ein paar Jahre später selbst einmarschieren will. Wenn Frau Wagenknecht eine Forderung aufstellt, sollte sie sich gegen alle Waffenlieferungen, jetzt, morgen, für immer aussprechen. Alles andere riecht verdächtig nach Heuchelei.

Für das Individuum bedeutet Krieg immer eine existenzielle Entscheidung. Sartre, als einer der Hauptvertreter des Existenzialismus, schrieb hierzu, dass sich jeder Soldat für oder gegen den Krieg entscheiden könne. Am Ende bliebe ihm immer einen Suizid zu begehen oder zu desertieren. Würden sich alle gegen den Krieg entscheiden, gäbe es keine. Aber so läuft es nun einmal nicht. Jedes Mal auf ein Neues, finden sich genügend, die kämpfen. Und ob es nun nach Russophobie klingt oder nicht, ist mir egal: Ich glaube nicht, dass jemand in die Hände von Truppen der Roten Armee fallen will. Den armen geknechteten Typen, die damals um Berlin herum abgezogen wurden, möchte ich nicht ausgeliefert sein. Wer Full Metal Jacket gesehen hat, weiß, was ich meine. Die Hierarchischen Systeme fordern den Kampf auf Befehl ein. “Stell Dir vor, es ist Krieg, aber keiner geht hin!”, stand in den 80ern auf Hauswänden. Netter Spruch – aber irreal.

Verständnis für Putin

Wer diesem Gemenge an prominenten Protestlern zuhört, stößt häufig auf ein gewisses Verständnis von Putins Handeln. Innerhalb des Systems sah er angeblich sein von ihm angeführtes Russland seitens der NATO bedroht. Na ja, wie wahrscheinlich wäre ein konventionelles Einmarschieren von NATO-Truppen in Russland? Es ist nahezu auszuschließen. Der Neoliberalismus zeigte in der Vergangenheit, wie es läuft. Mittels Wettrüsten, was durch das Dilemma funktioniert, wurde die UdSSR wirtschaftlich an die Wand gedrückt. Spätestens als im Zentrum des Inbegriffs von Kommunismus eine McDonald Filiale eröffnete, war klar, wie es weiter geht. Mit westlicher Dekadenz, Geld und Konsumgier die Roten an die Wand spielen. Solange dies mit einem Staatskapitalismus einherging und alle Oberen genug Geld scheffelten, ging dies auch durch. Wenn alles nach den Regeln der Spitze läuft, gibt es keine Probleme. Auch wenn es nicht hierher gehört, beobachtete ich in diesem Zusammenhang amüsiert den Aufstieg von Gerhard Schröder. Jeder, der auch mal eine Welt außerhalb des gehobenen Bürgertums kennenlernte, hat Biografien erlebt, in denen sich Leute von unten nach oben bugsierten. Ich habe keine Ahnung, wo die irrige Auffassung herrührt, dass sich solche Charaktere daran erinnern, wo sie mal herkamen. Sie tun es durchaus, aber anders, als sich dies einige wünschen. Zwei Typen aus ehemals ärmlichen Verhältnissen kommen nach harten Bandagen-Kämpfen in Luxussuiten an und schlürfen teuren Whisky. Mich wundert nicht, dass Putin und Schröder sich gut verstehen.

Meiner Meinung nach, war die Maidan-Revolution für Leute wie Putin und Konsorten ein nicht hinnehmbares Zeichen, gleichzeitig eine Gefahr für ihren Staatskapitalismus, der nur noch in einem Negligé mit der Aufschrift Kommunismus steckt. Wo landet man, wenn eingesetzte Marionetten einfach abgesetzt werden? Eventuell sogar noch die eine oder andere Sauerei aufgedeckt wird? Was passiert, wenn man an der Stelle Schwäche zeigt? Putins Problem war kein anderes, als die USA jedes Mal in Südamerika bekommen, wenn die Leute mal wieder einen Sozialisten wählen, der nicht geneigt ist, die Marionette zu spielen.
Die Verhältnisse auf der Erde verändern sich. Das 20. Jahrhundert sagt leise adieu. Das Thema USA vs. Sowjetunion, also das bisherige duale System, funktioniert zurzeit nicht mehr. Längst ist China als Dritter im Spiel. Und wenn sich Putin verkalkuliert, macht er Russland zum Vasallen von China. In diversen Ländern zeichnen sich Generationskonflikte ab. Einige Jüngere beginnen am Vorgefundenen zu zweifeln, während die Älteren noch in den alten Mustern hängen. Unübersehbar versammelten sich in Berlin mehrheitlich junge Nostalgiker und Frauen/Männer, die auf die 60 zugehen. Was auch immer Wagenknecht und Lafontaine verbindet, auch er gehört nicht gerade zu den innovativen Ideengebern. Alice Schwarzer ist 80! Ich weiß nicht, wie es um ihre Kenntnisse moderner digitaler Propaganda bestellt ist. Mich stört an den Protagonisten gewaltig, dass es durch die Bank Machtmenschen sind, die Hierarchien toll finden und sich an die Spitze setzen wollen. Wagenknecht ist von je her bekennender DDR-Fan. Eine Kommunistin ganz alter Schule. Hierarchie ist wichtig, jeder hat seinen Platz und seine Aufgabe. Ich kann nachvollziehen, dass ihr das Geschehen in der Ukraine suspekter ist, als das Verhalten Putins. Alice Schwarzer kämpfte zeitlebens für eine Umkehr. Gleichberechtigung wäre gut gewesen, aber sie wollte einen Machtaustausch zugunsten der Frauen. Das ist nochmals was anderes. Ich habe Frauen mit Macht kennengelernt. Meiner Erfahrung nach ist es die gleiche Chose, nur mit Brüsten. Sie kämpft nicht für die Auflösung von Hierarchien, sondern für einen Austausch der Machtpositionen. Grundsätzlich könnte man darüber sprechen. Frei nach dem Motto: Jetzt hatten die Männer lange Zeit Gelegenheit, die Leute herumzukommandieren, jetzt sind mal die Frauen dran. Aber ein Lösungsansatz für unsere Probleme ist das nicht.

Und auch wenn es die Teilnehmer bestreiten: Natürlich waren da teilweise die üblichen Verdächtigen mit auf der Straße. Was ich auch nicht weiter verwunderlich finde. Es gibt nämlich eine ganze Menge Überschneidungen. Die Veränderungen, nicht nur die bereits genannten, erfordern eine bei allen nicht vorhandene Anpassungsfähigkeit. Klima, Ressourcen, veränderte geostrategische Verhältnisse (z.B. ganzjährige Beschiffbarkeit der Nordroute), alternde Industrienationen, Flüchtlingsströme, kulturelle Veränderungen, junge Leute mit anderen Denkstrukturen, maßgeblich auch von der Digitalisierung und dem Internet geprägt, mischen die bisherige Welt auf. Keiner kann wirklich sagen, wo die Reise hingeht, schlicht, weil wir eine solche Lage noch nie hatten.

Tja, und dann spielen ein paar Alte die Spiele, welche sie schon immer spielten und ihre festen Rollen innehaben. Putins Nummer ist typisch 20. Jahrhundert, so wie auch die bisherigen Reaktionen aus dieser Zeit stammen. Kommunisten, Sozialisten, Faschisten, Neoliberale, Nationalisten, selbst die Anhänger des Systems der repräsentativen Demokratien, sind gedanklich alle in lokal eingegrenzten hierarchischen Systemen unterwegs. Internet, Digitalisierung, globale Probleme, sprengen diese Modelle. Weiterhin eint alle, dass sie es sich auf dem erreichten Niveau weiter gut gehen lassen wollen. Statt Arm und Reich zu mitteln und sich auf einen globalen Standard einzupendeln, der in der Mitte liegt, wollen einige die Armen auf das Level der Reichen ziehen. Ob das funktionieren kann? Ich bezweifle es.

Frieden?

Er wird eines Tages, so oder so, wieder eintreten. Und wenn keiner das globale System radikal verändert oder Umstände dazu führen, lässt der nächste Krieg nicht lange auf sich warten. Einen Typen aus dem 20. Jahrhundert, einen Veteranen des Kalten Krieges, mit Mitteln aus dem zurückliegenden Jahrhundert durchkommen zu lassen, halte ich für das falsche Zeichen. Die Diskussion über die Waffenlieferungen sind etwas aberwitzig oder mindestens zu spät. Wozu und wofür wurden denn die Dinger entwickelt, gebaut, getestet? Für eine reine Landesverteidigung des eigenen Landes benötige ich nur ein paar Atombomben. Greifst Du mich an, schicke ich die Dinger ab. Fertig! Nein, das Ziel lautet verkaufen, töten, kaputt machen, noch mehr verkaufen. Vielleicht noch, um in das eine oder andere Land einzumarschieren. Alle Atomstaaten können sich zurücklehnen und sagen: “Was ich auf meinem Territorium veranstalte, geht Euch nichts an. Mischt ihr Euch ein, knallt es.” Wenn, dann hätten sich all die Pazifisten bereits vor Jahrzehnten melden müssen und auf ein Verzicht der Produktion pochen sollen. Sich jetzt hinzustellen und zu sagen: “Upsi, damit kann man ja Menschen töten und verstümmeln!”, ist ein wenig albern. Und ob die nun in der Ukraine zum Einsatz kommen oder woanders, ist doch auch egal. Irgendeiner hat immer Pech. Lustigerweise haben wir die Leopard II Panzer sogar Chile angedreht, die damit nur in wenigen Regionen herumkurven können, weil der Rest aus Gebirge besteht. Rheinmetall schreibt zum Aufrüstungsset Revolution-Pack:

Das veränderte Missionsspektrum der heutigen Streitkräfte hat die Anforderungen an moderne Hauptkampfpanzer drastisch verändert. Es ist klar, dass sie weiterhin eine wichtige Rolle in aktuellen und zukünftigen Konflikten spielen werden. Aber in den allermeisten Fällen wird diese Rolle viel weniger mit der Gewinnung von Panzerschlachten zu tun haben, als mit der Sicherung positiver Ergebnisse in asymmetrischen Szenarien. Indem sie eine massive Kraftprobe produzieren, liefern Panzer eine kompromisslose Botschaft an Freunde und Feinde gleichermaßen und wirken in Konfliktsituationen weltweit als Wendepunkt. Neue Missionen und neue Bedrohungen, gepaart mit der Verfügbarkeit neuer Technologien, treiben den Modernisierungsbedarf. Was Armeen jetzt brauchen, sind effiziente und kostengünstige Lösungen.

https://rheinmetall-defence.com/en/rheinmetall_defence/public_relations/news/detail_1408.php

Asymmetrisch! So, so … mit anderen Worten, eine gut ausgerüstete Armee trifft auf eine militärisch schlecht ausgerüstete Partisanenarmee oder Aufständische. Was haben die bloß alle gegen Putin, wenn er von einer militärischen Operation spricht? In der euphemistischen Sprache der Militärs und Mächtigen gibt es schon länger keine Kriege mehr. Offiziell sind es bewaffnete Konflikte, mit internationaler Beteiligung oder eben jene ohne, früher simpel Bürgerkrieg genannt. Also, alle haben bisher brav dem einträglichen Geschäft zugestimmt und gut davon gelebt. Dass die Dinger nun ihrem Zweck zugeführt werden, ist konsequent. Bestellt und bekommen! Fertig. Im Übrigen wurden die Dinger auch an Staaten wie Qatar, Türkei, ausgeliefert. Die Saudis bekamen keine, weil sie sich nicht mit Israel verstehen. Deshalb mussten die USA in das Geschäft einsteigen und lieferten Abrams.

Doch um all solche Dinge geht es dieser sogenannten neuen Friedensbewegung nicht. Denen passen die Einschränkungen nicht, die sich aus der Solidarität mit der Ukraine ergaben. Putin wird sich denken: “Das war einfach!” Der kennt sich selbst ohne die modernen Möglichkeiten einer Stimmungserhebung, wie sie Geheimdienste regelmäßig durchführen, mit der deutschen Volksseele aus. Kalt? Teurer? Flüchtlinge? Geht gar nicht! Ergebt Euch gefälligst, damit mal wieder Ruhe eintritt. Etwas lächerlich ist die Angst vor einem Angriff auf Deutschland. Sollte es dazu kommen, hat sich alles erledigt. Darüber ist sich selbst Putin im Klaren. Ich hab leicht reden. Denn während ich schreibe, herrschen an meinem Aufenthaltsort über 30 Grad und meine Lebenskosten sind überschaubar.

In der Ferne stelle ich mir die Frage, ob es richtig ist, sich in Putins altes Spiel hineinziehen zu lassen. Und was ist gewonnen, wenn er abgelöst wird und andere weiter machen? Die USA und China suchen sich gerade mal wieder eine Spielwiese. China reibt sich mit Indien. Südostasien muss knirschend hinnehmen, dass die Chinesen in den Hoheitsgebieten der Küstenstaaten herum schippern. Erdogan und Assad machen ohnehin, was sie wollen. Hach, da gibt es soviel und alles ist ziemlich unübersichtlich. Nicht einmal das Wetter spielt noch mit.

Wie kann man alledem entkommen? Vielleicht läuft es bei der Menschheit, wie bei einem harten Alkoholiker. Bevor der nicht seine persönliche Bankrotterklärung erfahren hat, kommt er nicht vom Sprit weg. Allerdings besteht auch die Gefahr, dass er diese nicht überleben wird. Ja, ich glaube, so könnte es laufen. Wir werden so lange weitermachen, bis es auf der absoluten Kippe steht und ob wir es überleben oder nicht, wird von Faktoren entschieden, die sich jenseits unserer Kontrolle befinden.

Lützerath – Update

Lesedauer 6 Minuten

WELT: Was machen wir mit schwer integrierbaren Jugendlichen aus biodeutschen Akademiker-Haushalten, die in Lützerath gerade zeigen, wie sehr sie den Rechtsstaat verachten?

Frédéric Schwilden, die Welt, interviewt Thomas Heilmann, Chef der Klima-Union

Ja, die Frage ist provokativ gemeint. Dennoch zeigt sie, wie die WELT, für mich das Propaganda-Blatt der CDU, ans Thema herangeht. Ich sehe mich nicht als schwer integrierbaren Jugendlichen und ich verachte auch nicht den Rechtsstaat. Letzterer Begriff kennzeichnet das Konzept, in dem jedes staatliche Handeln auf einem regulär zustande gekommenen Gesetz basieren muss. Alles andere wäre Willkür und unzulässig. Soviel erst einmal zu Legaldefinitionen.

Vor einigen Stunden ließ die NRW-Landtagsabgeordnete Antje Grothus die Bombe platzen. RWE besitzt gar nicht alle Grundstücke jenseits von Lützerath. Wenn es für den Konzern schlecht läuft, ist es nach einigen Metern vorbei mit dem Baggern. Und noch ein weiterer Skandal kündigt sich an. Auf dem umkämpften Gelände tauchten geländefähige Transporter des Konzerns auf, mit denen Festgenommene abtransportiert wurden. Bei Twitter antwortete hierzu der Account RWE Media Relations Team:

Verwaltungshilfe! Dieser Begriff ist Behörden vorbehalten und hat nichts mit einem Konzern zu tun. Ich finde dies sehr wohl spannend. Zeigt es doch, wie das Selbstbild der RWE Mitarbeiter aussieht. Fakt ist: Die Polizei nimmt die Logistik eines Interessenträgers in Anspruch. Sie kann im Notfall bei der Gefahrenabwehr einen Unbeteiligten in Anspruch nehmen. Doch im konkreten Fall handelt es sich um einen geplanten Einsatz, bei dem entweder die eigenen Ressourcen bereitgestellt werden oder benachbarte Behörden (z.B. Bundeswehr) um Amtshilfe zu bitten sind. Hierzu mal ein Beispiel. Mir wurde bei einem Falschgeldverfahren seitens des Secret Service ein unterstützender Geldbetrag zum Ankauf von “Blüten” angeboten, da sie auch an den Dollar-Noten interessiert waren. Die Berliner Polizeibehörde lehnte ab, weil sich hier die Möglichkeit einer unerlaubten Vorteilsannahme zeigte. Wenn gar nichts geht, kann passendes Material gekauft oder gemietet werden. Doch dann grundsätzlich über eine Ausschreibung, es sei denn, die zeitliche Dringlichkeit gebietet eine sofortige Entscheidung. Die ist keinesfalls gegeben.

Zu diesem Thema antwortete RWE:

Konjunktiv!? Nein, keinesfalls! Die Kosten müssen in Rechnung gestellt werden, sonst handelt es sich um einen eindeutigen Verstoß. Aber günstigerweise war an dem Thread auch ein investigativer Journalist beteiligt.

Thorbi M. scheint da andere profunde Rechtskenntnisse zu besitzen. Nun gut, der junge Mann, Thorben Meier, ist ein kleines Licht aus Steinheim und hat nicht sonderlich viel zu melden. Aber es ist immer wieder beeindruckend, mit welcher Chuzpe die Leute von der JU unterwegs sind. Früh übt sich. Eric Beres ist da schon eine andere Hausnummer. Mal schauen, was daraus wird.

Für mich stinkt das alles mächtig gen Himmel. Mir fehlt die Sach- und Fachkenntnis, inwiefern die vorhandene Braunkohle wirklich unabdingbar notwendig ist. Hierzu gibt es unterschiedliche Quellen. Richtig daran glauben kann ich nicht. Vor allem erscheint mir der Preis in jeder Hinsicht zu hoch. Robert Habeck kann bekanntlich reden wie ein Buch. Aber irgendwann gehen ihm auch die Optionen der Verwässerung dessen aus, was jeder sehen kann. Der ehemalige Ministerpräsident Laschet twitterte:

Das politische Parkett ist glatt und eloquent. Der Tweet ist ein ausgestreckter Mittelfinger in Richtung Habeck. Einer der auszog und es dem politischen Establishment zeigen wollte, um dann festzustellen, dass die Regeln andere festlegen. Oder wie ich es selbst in einem Tweet drastisch beschrieb: Die GRÜNEN in NRW benehmen sich teilweise gerade wie Nonnen, die nach dem Kontakt mit dem Teufel und seinen Versprechungen vom Glauben abfielen, und sich deshalb auf Rastplätzen in Wohnmobilen prostituieren.

Ich weiß immer nicht, was die alle immer mit dem Begriff “Ideologie” negatives verbinden. Wenn meine politische Haltung nicht beliebig sein soll, muss es für mich einige feste Grundsätze geben, bei denen ich keine Kompromisse eingehe. Politik ist kein Business. Jedenfalls nicht nach meinem Verständnis. Komme ich an einen Punkt, an dem ich merke, dass mir die Felle wegschwimmen und ich mich selbst verraten muss, ist es an der Zeit, die Reißleine zu ziehen. Ansonsten werde ich zum Werkzeug. Im konkreten Fall das der Konzerne. Aber ich bin Realist. Parteien sind zu Firmen verkommen, die Geschäfte in die Wege leiten und eine erhebliche Personaldecke, Zulieferer, finanzieren.

Schwer integrierbar? Beziehe ich die Frage auf mich, fordere ich eine Konkretisierung ein. Wo genau hinein soll ich mich integrieren? Ich wurde sozialisiert. Bei mir bedeutet dies, dass ich mit anderen Menschen gut und erfolgreich auskomme. Nicht mit allen, aber das ist auch nicht notwendig. Integriert wurde ich in ein nicht mehr existierendes gesellschaftliches Konzept. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob es nicht schon damals eine Illusion war. Einige dienstliche Erfahrungen und Einblicke, geben dazu Anlass. Deshalb stutzte ich auch ein wenig bei den Aussagen der bereits erwähnten Antje Grothus. Zwischen den Zeilen sagte sie mehr. Seitens des Konzerns und der dazugehörenden Lobbyisten muss erheblicher Druck aufgebaut worden sein. Ich hab da so meine eigenen Vorstellungen. Aber eine alte Regel bei Ermittlungen im OK – Bereich besagt: Der kennt den, ist nicht strafbar. Vor Gericht zählen nur Fakten.

Bin ich integrationsfähig in das sich immer mehr abzeichnende Geschehen? Eher, nicht. Ich befürchte, dass eine neue Generation junger Polizisten und Polizistinnen verheizt wird. Die Auseinandersetzungen werden noch eine Weile andauern. Alles, was die da jetzt mitnehmen, speichert sich ab. Im Verlauf der Jahre wird es immer mehr. Es macht einen erheblichen Unterschied, ob man einem echten Straftäter gegenüber steht oder harmlose Mitbürger, die teilweise Mutter oder Vater sein könnten, aus einer Blockade entfernen soll. Es hallt über Jahre nach, wenn die einen als Büttel bezeichnen. Jetzt, Morgen, Übermorgen, merken die das noch nicht. Aber der Tag wird kommen. Ich sehe es auch kommen, dass die Lützerath räumen, mit erheblichem Aufwand verteidigen, nur damit RWE nach absehbarer Zeit feststellt: April, April, wir baggern doch nicht alles weg, war doch nicht so wichtig. Wichtig war uns die Durchsetzung, damit dies für die Zukunft geklärt ist. Und dann? Dafür all die Einsatzstunden, weg von der Freundin, Freund, Familie? Hierfür all die Diskussionen im Freundeskreis? All die Leute, die sich nach und nach von einem abwendeten? Wie lächerlich fühlt man sich nachträglich?

Nancy Faeser, die amtierende Innenministerin, verurteilte die von den Aktivisten ausgehende Gewalt gegen die eingesetzte Polizei. Oh, da hatte ich einen kräftigen Fluch auf den Lippen. Wer hat denn die Frauen und Männer ins Rennen geschickt? Allein die Art der Räumung ist bezeichnend. Wer erzeugt denn den zeitlichen Druck? Die Polizei könnte genauso gut ganz gemächlich räumen. All die Blockaden könnte man umstellen und warten, bis die aufgeben. Hunger, Durst, kalt, Pippi machen! Das kann dauern. Na, und? Beamte bekommen ihr Geld nicht nach Stunden, sondern monatlich im Voraus bezahlt. Das funktioniert natürlich nicht, wenn ich die Interessen meiner Kumpels vom Konzern, den Aktionären, vor Augen habe. In Lützerath finden alt bekannte Rituale statt. Da steht eine Menschenmenge und mehr oder weniger unmotiviert rennt eine Gruppe darauf zu und greift sich eine oder einen. Solange, bis die richtig sauer werden. Dann kommt die Stunde derjenigen, welche in ihrer inneren Entwicklung schon einen Schritt weiter sind. Bisher zeigten die sich kaum. Was in den Videos zu sehen war, ist für erfahrene Polizisten ein Kindergeburtstag. Was nicht bedeutet, dass die nicht noch kommen. Ich lieferte mir im Laufe meines Lebens einige Diskussionen. Da kommt immer ein Argument. Wer hat denn angefangen? Bei Autonomen ist die Frage leicht zu beantworten. In der Regel gehen die in die Vorlage. Das gehört zu ihrem Konzept. Die gehen so lange vorwärts, bis sie gestoppt werden. Aber bei Ereignissen, wie in Lützerath, kann dies nicht einfach beantwortet werden.

Die Gesellschaft formt die Menschen. Und man darf sich fragen, wohin sie derzeit die jungen engagierten Leute, größtenteils unsere Kinder, formt. Dort der Staat, gelenkt von der Wirtschaft und hier Du! Freunde Dich damit an. Ist dies die Sozialisierung, die der Gesellschaft vorschwebt? Bei einigen wird dies nicht funktionieren und ich schätze, es werden immer mehr – besonders aus den in der Ausgangsfrage geschmähten biodeutschen Akademiker-Haushalten. Jenseits der Volksschullehrervorstellungen aus den 50ern, die der Vorsitzende der CDU Friedrich Merz in Talk-Shows propagiert, lernten die zu Hause etwas anderes.
Es ist bedauerlich, dass sich die kritischen Teile meiner Generation zu wenig um Partei-Karrieren kümmerten. Womöglich auch, weil wir nicht die notwendigen Eigenschaften mitbrachten, um dort erfolgreich zu sein. Die hatte zur Folge, dass wir nun mit denen leben müssen, die die passenden Talente aufweisen. Doch möglicherweise sind unsere Kinder, die verzögerte Reaktion. Es tut mir nicht wirklich leid, dass sie die Ordnung der alten weißen Männer, Charaktere wie Merz, Dobrindt, Söder, Lindner, ablehnen und sich auch nicht von denen veralbern lassen, die sich beim Weg nach oben selbst verrieten. Hans-Georg Maaßen jammert bei Twitter herum, dass in Lützerath die gleichen Leute in Erscheinung treten, die dem Land mit Zuwanderung, anderen Umgang mit neuen Mitbürgern, Empathie für Flüchtlinge, Ablehnung der bisherigen Gesellschaft, ein neues Gesicht geben wollen. Gut, so! Schlimm genug, dass dieser die Konzepte der Neuen Rechten, à la Armin Mohler, vertretende Mann, den BfV leitete. Alles, was ihm zuwider ist, klingt für mich erstrebenswert. Er sollte sich auf sein Altenteil zurückziehen und sich Büchern von Ernst Jünger widmen oder mit seinen rechtspopulistischen Kumpels ein Bier trinken gehen. Seine Funktion in der Gemeinschaft der Neuen Rechten, Werteunion, beschränkte sich ohnehin auf Wasserträger-Aufgaben.

Brief an die derzeit inhaftierten Aktivisten

climate sign outside blur Lesedauer 4 Minuten

Diejenigen der Letzten Generation, welche sich “noch?” in Freiheit befinden, baten auf Twitter um ermutigende bzw. aufmunternde Briefe für die 13 inhaftierten Aktivisten/innen. (Joel, Charlotte, Jakob, Wolfgang, Winfried, Jens, Nelson, Moritz, Miriam, Malte, Lars, Judith und Elena)

Ich nahm dies zum Anlass einen Brief an alle zu schreiben. Es wäre im hierfür entwickelten Formular auch möglich gewesen, einen/eine Einzelne/n anzuschreiben. Aber sie haben gemeinsam gehandelt und gekämpft, womit sie auch alle einen verdienen. Hier der von mir übersandte Brief:

An Alle


Hallo!

Zunächst meinen Respekt für das, was ihr macht. Es war voraussehbar, dass der Staat und Teile des Bürgertums reagieren, wie sie es aktuell tun. Eure Aussage und Forderungen stehen im Gegensatz zu dem, was sich viele zu Recht gelegt haben. Ich nenne es die kollektive kognitive Dissonanz. Auf staatlicher Seite stehen die faulen Kompromisse, die mit einigen Leuten aus der Wirtschaft eingegangen werden. Aber das wisst ihr ja. De facto geht es auch nicht „nur“ um das Klimageschehen, sondern um eine komplexe Haltung zum Thema Umgang mit dem Lebenssystem Erde. Mich stoßen Begriffe wie Umwelt, Umweltschutz, Klimaschutz, ab. Wir leben zusammen mit anderen Spezies in einer Welt. Da kann es keine Um/welt geben. Ebenso können wir sie nicht schützen, sondern lediglich schädigende Eingriffe einstellen. Dies gilt so auch für das Klima. Schutz spiegelt die Arroganz wieder, mit der sich der Mensch ins Zentrum setzt und alles darf von ihm in Mitleidenschaft gezogen werden bzw. hat ihm zu dienen.
Ich bin Mitte der 60er geboren und erlebte deshalb die komplette Entwicklung seit der ersten Veröffentlichungen des Club of Rome. In den 80ern waren es die großen Umweltskandale, die Anti – AKW Bewegung und die Friedensbewegung. Damals wie heute hieß die Antwort vielfach: Haftstrafe, Geldbuße, Repressalien. Industrie und Politik gingen und gehen immer nach dem gleichen Schema vor. Es werden erst einmal irgendwelche Sauereien veranstaltet, bis ihnen jemand auf die Schliche kommt und sich Protest meldet. Irgendwann wird der Druck zu groß. Dann stellen sie ihr Handeln ein, um es dann im Nachgang als heroische Leistung zu verkaufen, dass sie die Produktion eingestellt oder modifiziert haben. (z.B. BASF, Schering, Monsanto u.a.). Oder sie positionieren sich mit der Aussage: „Wenn wir die Schädigung einstellen sollen, müsst ihr uns dafür Geld geben.“ Im Allgemeinen nennt sich das Schutzgelderpressung.
Ich gebe zu, dass ich ich nicht ansatzweise Euren Mut hatte und viel zu spät verstand, dass ich „eingeatmet“ wurde und ein deutlich lauterer Protest notwendig gewesen wäre. Vermutlich hab ich auch längst aufgegeben und sehe keine Optionen. Um so wichtiger finde ich es, wenn sich doch noch einige erheben, statt dem Desaster nur noch zuzusehen. Traurig macht mich der geringe Support, den ihr von den „Jungen“ bekommt. Bei jeder Eurer Aktionen würde ich hinter Euch mindestens 100 andere erwarten, die einen Block bilden. Zumindest wäre das früher so gelaufen. Aber wer weiß, vielleicht hat die vollkommen überzogene Inhaftierung zur Folge, dass andere wach werden. Wenigstens hoffe ich das. Eins ist auf jeden Fall wichtig! Die Haft solltet ihr als eine Bestätigung dafür sehen, dass ihr an der richtigen Stelle auf die Füße getreten seid.
Ich will auch nicht unterschlagen, dass ich auf 32 Dienstjahre Kriminalpolizei zurückblicke.
(Keine Sorge, ich bin frühzeitig raus.) Terrorismus, Schwerverbrecher und auch der eine oder andere politische Wirrkopf, gehörten zu meinem täglichen Geschäft. Ergo, weiß ich, wovon ich schreibe.

Insofern empört es mich, wenn sich Leute anmaßen, in Eurem Fall von Terrorismus, Radikalisierung, Straftaten zu sprechen.
Nein, davon seid ihr weit entfernt. Eindeutiger als bei Euch, kann einem Ziviler Widerstand kaum begegnen. Da mir zwei Töchter, 26, 30, geschenkt wurden, bin ich dafür sehr dankbar. Ich bin nicht mit all Euren Strategien und Einschätzungen im Konsens. Unter Umständen denke ich an manchen Stellen noch radikaler. Wenn es wirklich noch eine Chance gibt, dann liegt sie darin, dass sich zügig eine umfassende Änderung in der Lebenshaltung aller durchsetzt. Ich sehe bisher nicht, dass sich z.B. die Millennials damit anfreunden können, Abstriche vom deutschen Way of Life zu machen. Immerhin habt ihr zwei hohe Aspekte vorgelegt: Ihr habt die körperliche Unversehrtheit und Eure Freiheit geopfert. Damit unterscheidet ihr Euch von vielen.
However, ihr seid für Eure Überzeugung hinter Gitter gelandet. Damit befindet ihr Euch in der Geschichte in bester Gesellschaft. Und wer auf der richtigen oder falschen Seite steht, entscheidet nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft. Mit diesem Risiko leben alle, die überzeugt sind und auf dieser Basis handeln. Ihr habt Euch von zahlreichen renommierten Wissenschaftlern überzeugen lassen. Dies minimiert immens Euer Risiko auf der falschen Seite zu stehen.

Eine Frage bleibt offen: Sind Eure gewählten Mittel geeignet und förderlich? Ich nehme an, ihr kennt den Godfather des Zivilen Widerstands Saul D. Alinsky und die von ihm formulierten 10 Regeln für konstruktive Radikale. (Wenn nicht, empfehle ich sie Euch wärmstens.) Ein Aktivist muss Masse hinter sich bringen. Dabei ist es nicht entscheidend, ob die Euch entgegen schlagende Wut der „Bürger“ legitim und korrekt ist, sondern dass sie da ist. Wenigstens müsst ihr es schaffen, die 20 – 30-jährigen hinter Euch zu bringen. Wie, weiß ich auch nicht. Allerdings bin ich bei solchen Dingen auch nicht sonderlich kreativ. Wahrscheinlich auch schon zu alt.

Ich habe ein paar Worte mehr verloren, weil ich dachte, ihr könnt in der Haft ein wenig Ablenkung gebrauchen. Hoffentlich schreiben Euch viele. Immer mal wieder versuche ich mit Beiträgen in meinem BLOG und bescheidener Reichweite, wenigstens manchen meiner Altersklasse eine andere Sicht auf Euch zu vermitteln. Es wird ein harter Kampf, bei dem ich Eure Überzeugung teile, dass ihr tatsächlich die letzte Generation seid, die noch einmal eine vage Chance hat. Bleibt stark!

Trölle
Andreas Trölsch, Berlin
http://www.trollhaus.de