Krieg
Ich hab lange gezögert, diesen Beitrag zu schreiben. Selbst derzeit in Südostasien kommt man weder an den Nachrichten über das Weltgeschehen, noch an Gesprächen, Fragen und Erörterungen vorbei. Gaza, Ukraine, Iran, Eskalation ja/nein … das globale System gerät wieder einmal aus den Fugen. Mir geht es nicht darum, Stellung zu beziehen. Ganz und gar nicht, denn ich wüsste nicht, für wen der kriegsführenden Frauen und Männer, die die Macht innehaben über Krieg und Frieden zu entscheiden, ich mich entscheiden sollte oder könnte.
Konstruktionen, wie die attische Demokratie, in der einst die Athener Bürger, zumindest die freien Männer und Stimmberechtigten über Krieg und Frieden entschieden, sind Geschichte. Im absoluten Idealfall, entscheiden heutzutage vom Volk, vernünftig, verständig, gewählte Stellvertreter des Volks, über das Verhalten in einem Konfliktfall. Idealfall! Ideale sind unerreichbare Ziele, nach denen man Leben und seine Handlungen ausrichtet, um wenigstens in die Nähe des Ideals zu kommen.
Das Geschehen ist das Ergebnis eines komplexen Gespinstes. Einzelne Konzerne, Investoren*innen, religiöse Führer*innen, politische Ideologen, Geschäftemacher*innen, Verbrecher*innen, gewählte und gewaltsam an die Macht gekommene, entscheiden über Krieg oder Frieden und niemand weiß, selbst nicht diejenigen, welche entscheiden können, wissen genau, worum es tatsächlich geht. Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht behaupten, dass es immer nur ums Geld und der damit einhergehenden Macht geht, aber immer auch. Dies hat mich das Reisen durch buddhistische Staaten gelehrt. Wenn es eine Philosophie gibt, die sich explizit gegen Macht, Eigentum, Geld, ausspricht, dann ist es der Buddhismus und selbst in diesen Ländern sieht es nicht anders aus, als in allen anderen Ländern. Ich sprach im Verlauf der letzten Jahre mit Hindus, Christen aller Konfessionen, Buddhisten, Taoisten.
Im Grunde genommen haben alle Religionen Klauseln eingebaut, die die Gier einhegen soll. Und in allen hält sich lediglich eine verschwindende Minderheit daran. Selbst buddhistische Mönche sind oftmals eine Mogelpackung. Zwar besitzen sie selbst nichts, leben aber häufig eingebettet in Luxus. Mir ist noch kein Abt begegnet, der zu Fuß zu einer Veranstaltung kam oder nicht im klimatisierten Wagen zum Flughafen gefahren wurde.
In der Regel betrachten wir Kriege von einer Metaebene aus. Die Ukraine verfügt über ein Existenzrecht, Russland verfolgt strategische Ziele und will sich die Ressourcen sichern, Israel hat ebenso ein Existenzrecht, die Palästinenser wollen einen eigenen Staat, die Iraner wollen die Juden vernichten, die Europäer wollen ihre Sicherheit und Wirtschaft gewährleistet sehen, die USA, die Chinesen … und, und, und. Dazwischen tummeln sich in meinen Augen Volldeppen, die tatsächlich glauben, es hätte etwas mit ihrer Religion zu tun. Mal ganz am Rande: Religionen sind im Wesentlichen ein Mittel gegen die Angst, dass nach dem Tod nichts mehr kommt. Die Antwort, ob man sich dem richtigen Glauben angeschlossen hat, gibt es spätestens nach dem Ableben. Wer die Antwort nicht abwarten kann, soll gefälligst Selbstmord begehen und alle anderen geduldig warten lassen – fertig. Und Institutionen, Gemeinschaften, sind nicht die Religion, sondern eine unbestimmte Anzahl von Menschen, die sich Regeln, eine Hierarchie und ein Repressionssystem ausgedacht haben. Wer da mitmachen will, kann es tun, aber alle anderen sind damit nicht zu belästigen.
In allen diesen Gemeinschaften, gibt und gab es schon immer arrogante, gestörte Charaktere, die anderen ihren Willen aufzwingen wollen. Ein systemimmanentes Problem: Hierarchien bringen zwingend ein Machtproblem mit sich und bedürfen einer funktionierenden Kontrolle der Macht. Ich kenne keine religiöse Hierarchie, in der das halbwegs der Fall ist. Selbst, wenn eine Gemeinschaft nach außen hin friedlich wirkt, bleibt noch zu betrachten, wie intern miteinander umgegangen wird.
Das Individuum, welches gen Himmel schaut, ob gerade mal wieder ein paar Raketen angeflogen kommen, der Soldat, welcher mit kaltem Schweiß auf der Stirn die Gegend sondiert, sich fragt, ob es für ihn ein Leben nach dem Krieg geben wird und warum er das alles veranstaltet, oder beim Anblick geschlachteter Säuglinge, den Verstand verliert und zum Berserker wird, die Kinder in den Trümmern, die aus den Pfützen trinken, Frauen, Männer, deren Geist durch das Gesehene, Gerochene, verspürte, für immer ein anderer sein wird, fragen wir nicht. Wenn überhaupt schauen wir uns wie Affen in Versuchslaboren die Bilder auf der Mattscheibe an, lassen uns in die eine oder andere Richtung lenken, stimmen zu oder empören uns, wenn Leute im Fernsehen befragt werden oder sich in der Presse äußern.
Die Weltgemeinschaft, bestehend aus allen Individuen, ist es bisher und wird es vermutlich bis zum Ende aller Tage nicht gelingen, das Übel an der Wurzel zu packen. Alle Gerätschaften, die nur zum Zweck des gegenseitigen Abschlachtens und Bauen eben solcher Geräte, abzuschaffen. Gleichfalls müssen wir anerkennen, was indigene Völker nie aufgaben: Grund und Boden, Wasser, Luft, die zum Leben notwendigen Ressourcen, dürfen und können niemanden gehören. Was wir als selbstgerecht als entwickelt bezeichnen, ist in Wahrheit eine Perversion des spärlich behaarten Affen.
Die Mehrheit der Menschen ist im Stadium der frühen Pubertät hängen geblieben und hat nichts aus der über mehrere hunderttausend Jahre andauernden Entwicklung gelernt. Fehler zu begehen, ist normal und logisch. Trial-and-Error, sich zur Wahrheit nach oben irren, ist ein bewährtes Konzept. Immer wieder auf ein Neues, das sich als falsch erwiesene, zu tun, Systeme und Konzeptionen am Leben zu erhalten, die konsequent ins Desaster führen, am Leben zu erhalten, ist entweder verblödet oder für einige Kandidaten extrem nützlich.
Doch dann sollte sich die Mehrheit mal die Frage stellen, ob es eine gute Idee ist, aus ihrer Mitte immer wieder Leute aufsteigen zu lassen, die für ihre eigenen Zwecke alle ins Verderben reißen.
Ich kann durchaus verstehen, dass manche eine Zweistaatenlösung skeptisch sehen. Den Leuten ist nicht mit einem Religionsstaat, geführt von einem sich selbst bereichernden Klerus, geholfen. Und da die eine sehr spezielle, auf sie zugeschnittene Version verfolgen, wird mindestens die weibliche Bevölkerung Probleme bekommen. Andererseits rechtfertigt dies nicht ein völkerrechtswidriges Verhalten mancher Israelis. Und deren Verhalten rechtfertigt nicht den Wahnsinn einiger muslimischer Machtfantasten, die den Einsatz der pakistanischen Atomwaffen fordern. Wo ist die Enterprise, wenn man sie mal benötigt? Klare Ansage: Entweder alle kriegerischen Handlungen werden sofort eingestellt, die Erde wird zum Protektorat, ihr habt 30 Jahre Zeit ein neues globales System zu erstellen oder wir versetzen Euch zurück ins vorindustrielle Zeitalter – das wäre doch mal was.
Was aber gar nicht geht, ist das Diffamieren, Anprangern, der Menschen, die sich gegen all diesen Irrsinn aussprechen und auf Fehlersuche gehen. Sei es ein Yanis Varoufakis, dem nicht nur eine freie Rede untersagt wurde und den man mittels eines Einreise – und Betätigungsverbotes auf die Stufe eines Faschisten gestellt hat oder ein Didi Hallervorden, dem man wegen eines Gedichtes, untermalt mit Bildern, die keiner sehen will, Antisemitismus unterstellt. Ihm wird auch vorgeworfen, Ursache und Wirkung nicht zu benennen. Er dürfe nicht die Ursprungstat, die widerlichen Verbrechen der Hamas, außer Acht lassen. Hallervorden sagt unter anderen die wahren Worte: Niemand wird als Terrorist geboren. Der Ursprung von allem liegt viel weiter zurück und vermutlich sind nicht einmal die gegenseitigen Verbrechen in den 20er Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts weit genug zurückgedacht. Die haben sich im Nahen Osten alle nichts geschenkt und jeder hat Dreck am Stecken. Man sollte auch nicht vergessen, dass Terror nichts Irrationales ist, sondern eine funktionierende perfide Taktik, die ganz nebenbei auch von einigen Gründern Israels gegenüber den Engländern angewandt wurde. Ein Kalkül des Terrors besteht darin, eine Gegenreaktion zu provozieren, die in die eigene Propaganda eingebaut werden kann. Und wer sich provozieren lässt, ist bereits in die Falle getappt. Die sogenannte Zivilbevölkerung als Schutzschild zu benutzen, gehört ebenfalls zum Einmaleins des Terrors und die Hamas ist nicht von alleine auf die Idee gekommen. Entscheidend ist immer sauber zu trennen. Ein Verbrechen hier, ein anderes dort. Ein Verbrechen mit dem anderen zu rechtfertigen, ist unzulässig. Also kann man machen … aber dann ist man halt auf dem Niveau der Blutrache über Generationen hinweg angekommen und muss damit leben, dass in der Familie immer mal wieder jemand draufgeht.
So wie sich Europa ebenfalls jeden Tag neue Terroristen heranzüchtet. Das weltweite System begünstigt manche, und andere lässt es durchdrehen, zu Fanatikern werden oder macht sie schlicht irre. Wenn wir ganze Generationen in Lagern aufwachsen lassen, Menschen kriminalisieren, die anderen Menschen helfen wollen, ihnen ein menschliches Leben vorenthalten – kommen halt immer mal wieder Terroristen bei heraus. Zynisch gesehen eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Soundsoviele Terroropfer werden mit dem Wohlstand verrechnet.
Es ist auch eine billige Rhetorik den Deutschen ins Spiel zu bringen, der mit dem Finger auf Israel zeigt und angeblich zwischen den Zeilen sagt: “Schaut mal, ihr aber auch …” Die 100 % Annahme, der nach alle Deutschen Nachfahren der Nazis sind und damit Schuldgefühle in sich tragen, die sie versuchen mit einem “Ihr doch aber auch …” zu kompensieren, zieht nicht. Ganz persönlich kann ich sagen, dass sich in meiner Familie jede Menge Kommunisten tummelten, aber keine Nazis. Meinen Vorfahren muss ich eher die Frage stellen, wie sie zu Stalin, Ulbricht und Honecker, stehen. International hab ich ohnehin den Eindruck, dass es mehr die anderen sind, die Israels Vorgehen, mit dem der Nazis vergleichen und ich stets versuche ihnen dies in Gesprächen auszureden.
Es ist ein respektabler Schachzug im Krieg zwischen Arm und Reich, jeglichen Verweis auf die weltweite Hochfinanz und die begünstigten Bevölkerungsanteile als antisemitisch zu bewerten. Ein absoluter Humbug. Die 10 reichsten Männer haben mit Religionen äußerst wenig am Hut. Und dass beispielsweise der Investmentriese BLACKROCK aus jedem Krieg Kapital für Anleger schlägt, ergibt sich aus der Natur der Sache. Gleiches gilt für die weltweiten Waffenschmieden.
Es muss dem Einzelnen gestattet sein, dies anzuprangern. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass bisher jede historische Analyse aufzeigte, dass es bei jedem Krieg nicht ums begleitende Blabla ging, sondern Macht und Finanzen, von denen die Kämpfenden maximal ein paar Brotkrumen abbekamen. Nein, es gibt keine dunklen Mächte im Hintergrund, die sich heimlich absprechen und weltweite Strategien entwickeln – aber es gibt einen weltweiten Fetisch: Geld. Ein Fetisch, der im Menschen etwas befriedigt: die Gier.
Und diejenigen, welche Künstler*innen, Schriftsteller*innen, Intellektuellen, mit Totschlagargumenten den Mund verbieten wollen, müssen sich überlegen, welchen Herren sie dienen.
Letztens gab es einen “Austausch” zwischen der FDP Politikerin Strack-Zimmermann und dem Linken Gregor Gysi. Sie getraute sich, Gysi einen Traumtänzer zu nennen. Mal ganz davon abgesehen, dass der Mann bei seiner Biografie weit davon entfernt ist, musste ich spontan an ein Lied denken.
Während mir eine andere Protagonistin, Sahra Wagenknecht, eher suspekt ist. Egal, mit wem man es zu tun hat, in erster Linie sind die Belange der eigenen Nation in den Vordergrund zu stellen. Das hörte man auch schon von anderer Seite und ist mit Sicherheit nicht die Vision von Frieden à la Lennon, sondern knallharter Nationalismus … der von der neutralen Meta-Ebene aus gedacht, von allen an den Tag gelegt, ins nächste Dilemma führt.
Keine Ahnung, wie es anderen geht, aber Teile der Presse, Künstler, Autoren, wirken auf mich wie Claqueure. Wer nicht im Reigen der Macht eingebunden ist, darf durchaus auch mal unrealistisch, träumerisch, überzogen, außerhalb des Mainstreams, mahnend, visionär, die Macht verachtend, agieren … oder muss es sogar. Wenn sie es nicht tun, prostituieren sie sich, mutieren zu Werkzeugen, leben als “Kinder” ihrer Zeit, austauschbar … banal. Da halt ich es lieber mit John Lennon oder dem einen oder anderen anarchistischen Vordenker, wie dem Schriftsteller Henry Miller, dem Intellektuellen Noam Chomsky, dem Professor für die Spieltheorie Yanis Varoufakis oder Alt-Anarchisten Erich Mühsam.