1 März 2023

Die Suche nach Frieden

Lesedauer 13 Minuten

Im Menschen stecken zwei Wesen. Der Primat, ein Affe mit trockener Nase und spärlicher Behaarung, welcher sich mit seinen Fähigkeiten an die Spitze der Nahrungskette setzte. Ein Raubtier! Eins, welches sich zu Horden zusammenschließen kann und nicht nur gemeinsam auf die Jagd geht, sondern auch gegen andere konkurrierende Horden unerbittlich bis zum Tod kämpft. Doch dieser Primat entwickelte ein Bewusstsein. Er kann sich über die Regeln der Natur hinwegsetzen, ihr trotzen, die Folgen seiner Handlungen erkennen, Trieben gewahr werden und sie kontrollieren. Erst, wenn dieses Bewusstsein, in Verbindung mit Verstand, Vernunft, Reflexion, zum Tragen kommt, überschreitet der Primat die Schwelle zum Menschsein.

Die innewohnende Aggressivität, die Kampfbereitschaft, die Intelligenzleistung, sich zusammenzuschließen und in einem Kampfverband zu organisieren brachte das Tier nach oben. Doch gleichzeitig bringt dies die Gefahr der totalen Vernichtung der eigenen und anderer Spezies mit sich. Kurzum, das Großhirn ist dazu fähig darüber zu entscheiden, ob es sich selbst und die Evolution beendet oder leben will.

Seit Menschengedenken wird experimentiert, wie man am besten das Leben gestalten kann. Krieg, Frieden, Diktaturen, Königreiche, Kaiserreiche, Klerikale Staaten, Anarchie, Kommunismus, Sozialismus, Kapitalismus, aus all diesen Experimenten kann man Lehren ziehen. Parallel entwickelten die Menschen immer ausgefeiltere Methoden, sich gegenseitig abzuschlachten. Wenn nicht bereits die Atombombe den absoluten Overkill ermöglicht, wird die absolute Waffe noch entwickelt werden. Da bin ich mir absolut sicher. Ginge man mit Vernunft und Verstand heran, wüssten wir, dass wir das Ende der Fahnenstange erreicht haben. Die Waffensysteme haben einen technischen Stand erreicht, der völlig neue Betrachtungen notwendig macht. Ich denke, dass 1945 der historisch verpasste Zeitpunkt war, an dem die Chance bestand, inne zuhalten, alles neu zu bewerten und völlig andere Wege zu gehen. Doch jeder weiß, dass unsere Mütter, Väter, Großmütter, Großväter, deren Anführer, diese Chance verstreichen ließen.

Mit Nuancen besteht das alte System, welches zwei Weltkriege hervorbrachte, in den Grundzügen immer noch. Konkurrierende Nationalstaaten und Großmächte, ein globales Wirtschaftssystem, welches auf Wachstum, Profite, Gier, gründet und vor allem in einem Dilemma festhängt. Jede Großmacht inklusive ihrer Vasallen beäugen misstrauisch die Konkurrenz und ihre Strategien, sich Macht, Rohstoffe, geostrategische Vorteile, zu sichern. Und fortwährend flammt immer mal wieder ein Krieg auf.

Innerhalb dieses Systems ist es unmöglich sich herauszuhalten oder eine sichere Neutralität zu bewahren. Stets muss man auf der Hut sein, Allianzen schmieden, Drohkulissen aufbauen und dafür Sorge tragen, dass der andere nicht zu stark wird. Macht ein Beteiligter einen Schrittfehler, grätscht der Gegner hinein. Wird das System nicht radikal umgebaut, muss ich mich den aus ihm entstehenden Regeln beugen. Isoliere ich aus einem Computernetzwerk einen Client, der auf die Programme im Netz zugreift, kann ich mit dem nicht allzu viel anfangen.

Neue Friedensbewegung in einem alten System?

Dieser Tage gehen wieder einmal Leute auf die Straße und fordern Frieden. Einige sprechen von einer neuen Friedensbewegung. Ich kann dem nicht ganz folgen. Die alte, in den 80ern, richtete sich nicht gegen einen konkreten Krieg, sondern gegen das Wettrüsten zwischen USA und UdSSR. Nach allem, was man nunmehr im Nachgang weiß, waren die Sorgen der Bürger durchaus berechtigt.
Eher passend finde ich eine Analogie zu den Protesten in den 60ern gegen den Vietnamkrieg. Damals hieß der Aggressor USA und die verantwortlichen Präsidenten hießen Lyndon B. Johnson und Richard Nixon. Folgerichtig wandte sich die Protestbewegung gegen die USA und nicht gegen die kommunistischen Kämpfer auf der Seite der Vietnamesen. Und soweit ich weiß, kam niemand auf die Idee, einen Stopp der Waffenlieferungen für den Vietcong zu fordern. Dies wäre auch ziemlich zwecklos gewesen, da die Waffen damals aus dem Ostblock stammten. Ziehe ich einen Vergleich zu heute, hätten damals Frau Wagenknecht und Frau Schwarzer den Vietcong zum Einstellen der Kampfhandlungen und eine Verhandlungsbereitschaft mit den USA einfordern müssen. Was garantiert nicht funktioniert hätte, da die USA mit aller Macht die Ausbreitung des Kommunismus in Südostasien verhindern wollten. Heute wissen wir, dass trotz des verlorenen Krieges nur Vietnam und Laos kommunistische Systeme aufbauten.

Nein, die seitens Wagenknecht, Schwarzer u.a. eingeforderte Demutsgeste der Ukraine hat nichts mit den Gedanken und Intentionen der 80er – Bewegung in der Bundesrepublik Deutschland gemein. Ich betone Bundesrepublik Deutschland! In der DDR wurde damals die Ausrüstung mit SS20 Raketen und der Wehrunterricht in den Schulen favorisiert. Auch der Afghanistan-Krieg, ausgehend von der UdSSR, wurde billigend hingenommen. Während dieser Zeit schenkten sich die Geheimdienste aus Ost und West nichts. Damals ahnte man es, heute weiß man, dass der MfS im Westen fleißig unterwegs war.

Geheimdienste, Propaganda gehen nicht mit dem Krieg einher, sondern sind schlicht Unterabschnitte. Und zur Propaganda gehört das Grauen. Viele Waffengattungen sind darauf ausgerichtet, Soldaten und Zivilisten zu verstümmeln. Sie sollen nicht sterben, sondern davon berichten. Folter, Vergewaltigungen, Hinrichtungen verfolgen den gleichen Zweck. Gleichfalls gehört es dazu, die Bevölkerung der anderen Seite gegen ihre Regierung aufzubringen. Der Hinweis, dass in der Ukraine tausende Menschen sterben, ist nahezu obsolet. Denn hierfür steht das Wort Krieg. Menschen schlachten Menschen ab, oder sie setzen Waffen ein, die Gliedmaße abreißen, Gesichter entstellen. Es wird gefoltert, geplündert, gebrandschatzt, vergewaltigt. Das Tier wütet. Wenn also Wagenknecht und Schwarzer auf die Sterbenden, Vergewaltigten, Gefolterten hinweisen, sagen nicht mehr oder weniger, als dass ein Krieg tobt. Die Bilder, das Grauen, gehört zu Putins Kalkül und ist Teil der Kriegspropaganda. Nun aber stellt sich die Frage, wie man darauf reagiert. Kann es richtig sein, die Opfer aufzufordern, endlich Ruhe zu geben, weil es dann vorbei ist? Putin ist in diesen Krieg nicht hineingeraten. Er hat ihn gezielt, kalkuliert, vorsätzlich, begonnen. Alles andere endete damit. Zuvor hätte es noch die Option von Verhandlungen gegeben. NATO, neutrale Zonen, die Einrichtung seitens UN-Truppen überwachter Regionen usw. Auch wäre die Einnahme unterschiedlicher Positionen gerechtfertigt gewesen. Doch all dies hat er mit dem Angriff beendet. Anders: Eine neue faktische Lage geschaffen, die Krieg heißt. Und da er sich nicht auf einige Gebiete beschränkte, lautet das Ziel: Vernichtung der Ukraine als Staatsgebilde. Ginge es nicht um Russland, einem Atom-Staat, gäbe es hierauf nur eine Reaktion: Eine seitens der UN genehmigte konsequente Intervention.
Aber da es sich nicht um einen der kleineren Staaten handelt, der überdies nicht Teil eines militärischen Paktes ist, kommt dies nicht infrage. Dies ist eine Botschaft an alle anderen Staaten auf der Erde, die u.a. Norwegen, Finnland und Schweden verstanden. Wer keine Atomwaffen besitzt und auch nicht Mitglied eines Militärpaktes ist, wird zur Beute, der niemand beispringen kann. Was bleibt, ist die logistische Unterstützung. Hier kann es meiner Meinung nach keine Abstufungen geben. Wenn ich mich dazu entschließe, muss ich es richtig und nicht halbherzig tun. Ob dies seitens Putins als Kriegsteilnahme oder nicht bewertet wird, ist ihm ohnehin selbst überlassen. Da können sich Völkerrechtler den Mund fusselig reden. Der Mann spricht öffentlich davon, dass der Westen vorhabe, die russische Ethnie auszulöschen. Reden wir doch nicht um den heißen Brei herum. Solche Töne kennen wir in Deutschland sehr gut. Diesmal kommen sie aus der anderen Richtung. Wer sich die öffentlichen Inszenierungen Putins zu Pferd in der Steppe, posierend mit Bären und Waffen anschaut, kann als Deutscher einfach nicht anders, als an den germanischen Zirkus der Nationalsozialisten zu denken. Letztens sprach ich mit einer Russin. Die sprach von “Brudervölkern”, die sich vereinen müssen. Ach Leute, haben wir Euch nicht gezeigt, dass dieser Schwachsinn keine gute Idee ist? OK, ich räume ein, dass wir sogar im Bundestag noch einige herumzurennen haben, die es immer noch nicht kapiert haben. Und wenn sie es nicht offen tun, quatschen sie von leistungsfähigen, ordentlichen, pünktlichen, fleißigen, Deutschen. Das ist der gleiche Dreck, nur eloquenter, mit einem neoliberalen Upgrade.

Meine Generation wurde in einem dualen, globalen System groß. Im Prinzip durften die beiden Großmächte innerhalb ihrer Bereiche schalten und walten, wie sie wollten. Die Gegenseite regte sich künstlich auf, aber es passierte nichts wirklich Gravierendes. Ich denke, eine Menge Leute rechnen die Ukraine immer noch dem alten Einflussbereich Russlands, der ehemaligen Führungsmacht der UdSSR, zu. Ein Aufbegehren der Ukraine, vornehmlich einer neuen Post-Sowjet-Generation, passt nicht in deren Weltbild. Und so wie ich dies aus Gesprächen mit Ukrainern/innen im Alter von um die 30-40 Jahre mitgenommen habe, sind sie im eigenen Land zerstritten. Die Alten sind entweder Freunde der alten Sowjetzeiten oder sie hassen sie. Einige der Älteren sprechen ausschließlich Russisch und werden über die russische Propaganda gesteuert. Mir scheint, dass durch einige Familien ein Spalt verläuft. Ich weiß auch nicht, inwieweit man dem ukrainischen Regierungsapparat über den Weg trauen kann. Beide, Russland und Ukraine, sind meiner Kenntnis nach tief mit kriminellen Strukturen verstrickt. In den 90ern erklärte mir in einer Vernehmung ein ehemaliger KGB Offizier das Prinzip der russischen Korruption. Seiner Beschreibung nach gab es damals ein unmittelbar kriminelles Handeln von Regierungsmitgliedern, welche er als die “Rote Mafia” bezeichnete und Banden, die unabhängig von diesen Personen agierten. Jene titulierte er als “Weiße Mafia”. Die Roten schafften damals, keine Ahnung wie es heute läuft, auf staatlich kontrollierten Wegen Geld außer Landes und parkten es in Firmen. Die Weißen entwickelten das Geschäftsmodell eben genau diese Firmen anzugehen und Zwangsbeteiligungen, zum Teil mit Gewalt, einzufordern. Ein wenig erinnerte mich dieses Vorgehen an einige ehem. Regierungsmitglieder bzw. Verwaltungsmitglieder der DDR in den Wendejahren. Und einigen Artikeln nach, ist davon auszugehen, dass z.B. auch Putin mit kriminellen Strukturen verstrickt ist. Er ist halt vermutlich ein Kleptokrat unter Kleptokraten, in einem Staat, in dem es sich die Oberen schon immer gut gehen ließen. Und ich denke, es wäre naiv, davon auszugehen, dass dies in Teilen der Ukraine anders ist. Was mich wiederum vermuten lässt, dass im Falle eines Weiterbestehens der Ukraine, die unteren Schichten nicht sonderlich viel davon haben werden. Was da im Einzelnen tatsächlich vor sich geht, werden nur absolute Insider verstehen.

Doch dies gehört für mich alles zum System. Ebenso, wie rund um den Krieg herum garantiert jede Menge krumme Geschäfte und Absprachen stattfinden. Allein schon der Umstand, dass die US-amerikanische Rüstungsindustrie quasi die Sektkorken knallen lässt, wenn Panzer aus deutscher Produktion in die Ukraine gehen und sie den Nachschub für die NATO stellen können, ließ aufhorchen. Bei den Ferengis aus dem Star-Trek-Universum gilt: Regel 034, Krieg ist gut für das Geschäft [1](DS9: Trekors Prophe­zeiung, Die Belagerung von AR-558) Regel 035, Frieden ist gut für das Geschäft [2]DS9: Trekors Prophe­zeiung. In einer Folge wird ein Ferengi in Kampfhandlungen verwickelt. Nachdem er sich mehrfach in seiner Deckung darüber beschwert, wird er auf diese Regeln hingewiesen. Er antwortet: “Die gilt nur, wenn man nicht zu nah dran ist.” Man muss kein großer Analytiker sein, um schnell zu kapieren, dass mit den Ferengis Neoliberale US-Amerikaner gemeint sind, deren Ableger sich in Deutschland in der FDP sammeln. Die Rüstungsindustrie ist keine Ansammlung von Patrioten, sondern ein Zusammentreffen knallharter Geschäftemacher, die nach den Regeln des Markts alles und jeden beliefern, bis ihnen mal wieder jemand auf die Schliche kommt. Machen wir uns nichts vor. Alles, was im Lager liegt oder auf dem Hof herumsteht, bringt keine Profite. Aber spätestens Munition ist Verbrauchsmaterial.

Systemimmanent ist aber leider ebenfalls der Umstand, dass die Rüstungskonzerne Teil der Gleichgewichtsstrategie sind. Baut der eine, zieht der andere nach. Wird irgendwo etwas entwickelt, was für ein innovatives Waffensystem nützlich ist, wird es aufgekauft und gleichzeitig die Forschung auf der anderen Seite gepusht. Da kann man nicht mal eben aussteigen, ohne sich Beulen einzufangen. Die Jungs aus der Nerd-WG in der Serie Big Bang Theory stehen vor diesem Dilemma, als sie für die NASA ein GPS-System entwickeln und erkennen, dass dieses ebenfalls in Waffensysteme eingebaut werden kann. Ihre Lösung: Wenn bisher kein Terminator aufgekreuzt ist, weil wir den Untergang der Welt eingeleitet haben, ist alles in Ordnung. Nun ja, eben eine Nerd-Rechtfertigung.

Was offiziell an Lieferungen erlaubt ist, richtet sich stets nach der Nützlichkeit eines Staats. Keinesfalls nach ethischen Aspekten. Ressourcen aller Art und Bereitwilligkeit der jeweils vorhandenen Regierung, diese möglichst günstig zu verkaufen, sind die Voraussetzungen für die Bewilligung. Bisweilen geht das schief. Es war keine gute Idee, die Taliban zu fördern und auszubilden, damit sie die russischen Truppen dezimieren. Jedenfalls nicht, wenn man ein paar Jahre später selbst einmarschieren will. Wenn Frau Wagenknecht eine Forderung aufstellt, sollte sie sich gegen alle Waffenlieferungen, jetzt, morgen, für immer aussprechen. Alles andere riecht verdächtig nach Heuchelei.

Für das Individuum bedeutet Krieg immer eine existenzielle Entscheidung. Sartre, als einer der Hauptvertreter des Existenzialismus, schrieb hierzu, dass sich jeder Soldat für oder gegen den Krieg entscheiden könne. Am Ende bliebe ihm immer einen Suizid zu begehen oder zu desertieren. Würden sich alle gegen den Krieg entscheiden, gäbe es keine. Aber so läuft es nun einmal nicht. Jedes Mal auf ein Neues, finden sich genügend, die kämpfen. Und ob es nun nach Russophobie klingt oder nicht, ist mir egal: Ich glaube nicht, dass jemand in die Hände von Truppen der Roten Armee fallen will. Den armen geknechteten Typen, die damals um Berlin herum abgezogen wurden, möchte ich nicht ausgeliefert sein. Wer Full Metal Jacket gesehen hat, weiß, was ich meine. Die Hierarchischen Systeme fordern den Kampf auf Befehl ein. “Stell Dir vor, es ist Krieg, aber keiner geht hin!”, stand in den 80ern auf Hauswänden. Netter Spruch – aber irreal.

Verständnis für Putin

Wer diesem Gemenge an prominenten Protestlern zuhört, stößt häufig auf ein gewisses Verständnis von Putins Handeln. Innerhalb des Systems sah er angeblich sein von ihm angeführtes Russland seitens der NATO bedroht. Na ja, wie wahrscheinlich wäre ein konventionelles Einmarschieren von NATO-Truppen in Russland? Es ist nahezu auszuschließen. Der Neoliberalismus zeigte in der Vergangenheit, wie es läuft. Mittels Wettrüsten, was durch das Dilemma funktioniert, wurde die UdSSR wirtschaftlich an die Wand gedrückt. Spätestens als im Zentrum des Inbegriffs von Kommunismus eine McDonald Filiale eröffnete, war klar, wie es weiter geht. Mit westlicher Dekadenz, Geld und Konsumgier die Roten an die Wand spielen. Solange dies mit einem Staatskapitalismus einherging und alle Oberen genug Geld scheffelten, ging dies auch durch. Wenn alles nach den Regeln der Spitze läuft, gibt es keine Probleme. Auch wenn es nicht hierher gehört, beobachtete ich in diesem Zusammenhang amüsiert den Aufstieg von Gerhard Schröder. Jeder, der auch mal eine Welt außerhalb des gehobenen Bürgertums kennenlernte, hat Biografien erlebt, in denen sich Leute von unten nach oben bugsierten. Ich habe keine Ahnung, wo die irrige Auffassung herrührt, dass sich solche Charaktere daran erinnern, wo sie mal herkamen. Sie tun es durchaus, aber anders, als sich dies einige wünschen. Zwei Typen aus ehemals ärmlichen Verhältnissen kommen nach harten Bandagen-Kämpfen in Luxussuiten an und schlürfen teuren Whisky. Mich wundert nicht, dass Putin und Schröder sich gut verstehen.

Meiner Meinung nach, war die Maidan-Revolution für Leute wie Putin und Konsorten ein nicht hinnehmbares Zeichen, gleichzeitig eine Gefahr für ihren Staatskapitalismus, der nur noch in einem Negligé mit der Aufschrift Kommunismus steckt. Wo landet man, wenn eingesetzte Marionetten einfach abgesetzt werden? Eventuell sogar noch die eine oder andere Sauerei aufgedeckt wird? Was passiert, wenn man an der Stelle Schwäche zeigt? Putins Problem war kein anderes, als die USA jedes Mal in Südamerika bekommen, wenn die Leute mal wieder einen Sozialisten wählen, der nicht geneigt ist, die Marionette zu spielen.
Die Verhältnisse auf der Erde verändern sich. Das 20. Jahrhundert sagt leise adieu. Das Thema USA vs. Sowjetunion, also das bisherige duale System, funktioniert zurzeit nicht mehr. Längst ist China als Dritter im Spiel. Und wenn sich Putin verkalkuliert, macht er Russland zum Vasallen von China. In diversen Ländern zeichnen sich Generationskonflikte ab. Einige Jüngere beginnen am Vorgefundenen zu zweifeln, während die Älteren noch in den alten Mustern hängen. Unübersehbar versammelten sich in Berlin mehrheitlich junge Nostalgiker und Frauen/Männer, die auf die 60 zugehen. Was auch immer Wagenknecht und Lafontaine verbindet, auch er gehört nicht gerade zu den innovativen Ideengebern. Alice Schwarzer ist 80! Ich weiß nicht, wie es um ihre Kenntnisse moderner digitaler Propaganda bestellt ist. Mich stört an den Protagonisten gewaltig, dass es durch die Bank Machtmenschen sind, die Hierarchien toll finden und sich an die Spitze setzen wollen. Wagenknecht ist von je her bekennender DDR-Fan. Eine Kommunistin ganz alter Schule. Hierarchie ist wichtig, jeder hat seinen Platz und seine Aufgabe. Ich kann nachvollziehen, dass ihr das Geschehen in der Ukraine suspekter ist, als das Verhalten Putins. Alice Schwarzer kämpfte zeitlebens für eine Umkehr. Gleichberechtigung wäre gut gewesen, aber sie wollte einen Machtaustausch zugunsten der Frauen. Das ist nochmals was anderes. Ich habe Frauen mit Macht kennengelernt. Meiner Erfahrung nach ist es die gleiche Chose, nur mit Brüsten. Sie kämpft nicht für die Auflösung von Hierarchien, sondern für einen Austausch der Machtpositionen. Grundsätzlich könnte man darüber sprechen. Frei nach dem Motto: Jetzt hatten die Männer lange Zeit Gelegenheit, die Leute herumzukommandieren, jetzt sind mal die Frauen dran. Aber ein Lösungsansatz für unsere Probleme ist das nicht.

Und auch wenn es die Teilnehmer bestreiten: Natürlich waren da teilweise die üblichen Verdächtigen mit auf der Straße. Was ich auch nicht weiter verwunderlich finde. Es gibt nämlich eine ganze Menge Überschneidungen. Die Veränderungen, nicht nur die bereits genannten, erfordern eine bei allen nicht vorhandene Anpassungsfähigkeit. Klima, Ressourcen, veränderte geostrategische Verhältnisse (z.B. ganzjährige Beschiffbarkeit der Nordroute), alternde Industrienationen, Flüchtlingsströme, kulturelle Veränderungen, junge Leute mit anderen Denkstrukturen, maßgeblich auch von der Digitalisierung und dem Internet geprägt, mischen die bisherige Welt auf. Keiner kann wirklich sagen, wo die Reise hingeht, schlicht, weil wir eine solche Lage noch nie hatten.

Tja, und dann spielen ein paar Alte die Spiele, welche sie schon immer spielten und ihre festen Rollen innehaben. Putins Nummer ist typisch 20. Jahrhundert, so wie auch die bisherigen Reaktionen aus dieser Zeit stammen. Kommunisten, Sozialisten, Faschisten, Neoliberale, Nationalisten, selbst die Anhänger des Systems der repräsentativen Demokratien, sind gedanklich alle in lokal eingegrenzten hierarchischen Systemen unterwegs. Internet, Digitalisierung, globale Probleme, sprengen diese Modelle. Weiterhin eint alle, dass sie es sich auf dem erreichten Niveau weiter gut gehen lassen wollen. Statt Arm und Reich zu mitteln und sich auf einen globalen Standard einzupendeln, der in der Mitte liegt, wollen einige die Armen auf das Level der Reichen ziehen. Ob das funktionieren kann? Ich bezweifle es.

Frieden?

Er wird eines Tages, so oder so, wieder eintreten. Und wenn keiner das globale System radikal verändert oder Umstände dazu führen, lässt der nächste Krieg nicht lange auf sich warten. Einen Typen aus dem 20. Jahrhundert, einen Veteranen des Kalten Krieges, mit Mitteln aus dem zurückliegenden Jahrhundert durchkommen zu lassen, halte ich für das falsche Zeichen. Die Diskussion über die Waffenlieferungen sind etwas aberwitzig oder mindestens zu spät. Wozu und wofür wurden denn die Dinger entwickelt, gebaut, getestet? Für eine reine Landesverteidigung des eigenen Landes benötige ich nur ein paar Atombomben. Greifst Du mich an, schicke ich die Dinger ab. Fertig! Nein, das Ziel lautet verkaufen, töten, kaputt machen, noch mehr verkaufen. Vielleicht noch, um in das eine oder andere Land einzumarschieren. Alle Atomstaaten können sich zurücklehnen und sagen: “Was ich auf meinem Territorium veranstalte, geht Euch nichts an. Mischt ihr Euch ein, knallt es.” Wenn, dann hätten sich all die Pazifisten bereits vor Jahrzehnten melden müssen und auf ein Verzicht der Produktion pochen sollen. Sich jetzt hinzustellen und zu sagen: “Upsi, damit kann man ja Menschen töten und verstümmeln!”, ist ein wenig albern. Und ob die nun in der Ukraine zum Einsatz kommen oder woanders, ist doch auch egal. Irgendeiner hat immer Pech. Lustigerweise haben wir die Leopard II Panzer sogar Chile angedreht, die damit nur in wenigen Regionen herumkurven können, weil der Rest aus Gebirge besteht. Rheinmetall schreibt zum Aufrüstungsset Revolution-Pack:

Das veränderte Missionsspektrum der heutigen Streitkräfte hat die Anforderungen an moderne Hauptkampfpanzer drastisch verändert. Es ist klar, dass sie weiterhin eine wichtige Rolle in aktuellen und zukünftigen Konflikten spielen werden. Aber in den allermeisten Fällen wird diese Rolle viel weniger mit der Gewinnung von Panzerschlachten zu tun haben, als mit der Sicherung positiver Ergebnisse in asymmetrischen Szenarien. Indem sie eine massive Kraftprobe produzieren, liefern Panzer eine kompromisslose Botschaft an Freunde und Feinde gleichermaßen und wirken in Konfliktsituationen weltweit als Wendepunkt. Neue Missionen und neue Bedrohungen, gepaart mit der Verfügbarkeit neuer Technologien, treiben den Modernisierungsbedarf. Was Armeen jetzt brauchen, sind effiziente und kostengünstige Lösungen.

https://rheinmetall-defence.com/en/rheinmetall_defence/public_relations/news/detail_1408.php

Asymmetrisch! So, so … mit anderen Worten, eine gut ausgerüstete Armee trifft auf eine militärisch schlecht ausgerüstete Partisanenarmee oder Aufständische. Was haben die bloß alle gegen Putin, wenn er von einer militärischen Operation spricht? In der euphemistischen Sprache der Militärs und Mächtigen gibt es schon länger keine Kriege mehr. Offiziell sind es bewaffnete Konflikte, mit internationaler Beteiligung oder eben jene ohne, früher simpel Bürgerkrieg genannt. Also, alle haben bisher brav dem einträglichen Geschäft zugestimmt und gut davon gelebt. Dass die Dinger nun ihrem Zweck zugeführt werden, ist konsequent. Bestellt und bekommen! Fertig. Im Übrigen wurden die Dinger auch an Staaten wie Qatar, Türkei, ausgeliefert. Die Saudis bekamen keine, weil sie sich nicht mit Israel verstehen. Deshalb mussten die USA in das Geschäft einsteigen und lieferten Abrams.

Doch um all solche Dinge geht es dieser sogenannten neuen Friedensbewegung nicht. Denen passen die Einschränkungen nicht, die sich aus der Solidarität mit der Ukraine ergaben. Putin wird sich denken: “Das war einfach!” Der kennt sich selbst ohne die modernen Möglichkeiten einer Stimmungserhebung, wie sie Geheimdienste regelmäßig durchführen, mit der deutschen Volksseele aus. Kalt? Teurer? Flüchtlinge? Geht gar nicht! Ergebt Euch gefälligst, damit mal wieder Ruhe eintritt. Etwas lächerlich ist die Angst vor einem Angriff auf Deutschland. Sollte es dazu kommen, hat sich alles erledigt. Darüber ist sich selbst Putin im Klaren. Ich hab leicht reden. Denn während ich schreibe, herrschen an meinem Aufenthaltsort über 30 Grad und meine Lebenskosten sind überschaubar.

In der Ferne stelle ich mir die Frage, ob es richtig ist, sich in Putins altes Spiel hineinziehen zu lassen. Und was ist gewonnen, wenn er abgelöst wird und andere weiter machen? Die USA und China suchen sich gerade mal wieder eine Spielwiese. China reibt sich mit Indien. Südostasien muss knirschend hinnehmen, dass die Chinesen in den Hoheitsgebieten der Küstenstaaten herum schippern. Erdogan und Assad machen ohnehin, was sie wollen. Hach, da gibt es soviel und alles ist ziemlich unübersichtlich. Nicht einmal das Wetter spielt noch mit.

Wie kann man alledem entkommen? Vielleicht läuft es bei der Menschheit, wie bei einem harten Alkoholiker. Bevor der nicht seine persönliche Bankrotterklärung erfahren hat, kommt er nicht vom Sprit weg. Allerdings besteht auch die Gefahr, dass er diese nicht überleben wird. Ja, ich glaube, so könnte es laufen. Wir werden so lange weitermachen, bis es auf der absoluten Kippe steht und ob wir es überleben oder nicht, wird von Faktoren entschieden, die sich jenseits unserer Kontrolle befinden.

13 Januar 2023

Lützerath – Update

Lesedauer 6 Minuten

WELT: Was machen wir mit schwer integrierbaren Jugendlichen aus biodeutschen Akademiker-Haushalten, die in Lützerath gerade zeigen, wie sehr sie den Rechtsstaat verachten?

Frédéric Schwilden, die Welt, interviewt Thomas Heilmann, Chef der Klima-Union

Ja, die Frage ist provokativ gemeint. Dennoch zeigt sie, wie die WELT, für mich das Propaganda-Blatt der CDU, ans Thema herangeht. Ich sehe mich nicht als schwer integrierbaren Jugendlichen und ich verachte auch nicht den Rechtsstaat. Letzterer Begriff kennzeichnet das Konzept, in dem jedes staatliche Handeln auf einem regulär zustande gekommenen Gesetz basieren muss. Alles andere wäre Willkür und unzulässig. Soviel erst einmal zu Legaldefinitionen.

Vor einigen Stunden ließ die NRW-Landtagsabgeordnete Antje Grothus die Bombe platzen. RWE besitzt gar nicht alle Grundstücke jenseits von Lützerath. Wenn es für den Konzern schlecht läuft, ist es nach einigen Metern vorbei mit dem Baggern. Und noch ein weiterer Skandal kündigt sich an. Auf dem umkämpften Gelände tauchten geländefähige Transporter des Konzerns auf, mit denen Festgenommene abtransportiert wurden. Bei Twitter antwortete hierzu der Account RWE Media Relations Team:

Verwaltungshilfe! Dieser Begriff ist Behörden vorbehalten und hat nichts mit einem Konzern zu tun. Ich finde dies sehr wohl spannend. Zeigt es doch, wie das Selbstbild der RWE Mitarbeiter aussieht. Fakt ist: Die Polizei nimmt die Logistik eines Interessenträgers in Anspruch. Sie kann im Notfall bei der Gefahrenabwehr einen Unbeteiligten in Anspruch nehmen. Doch im konkreten Fall handelt es sich um einen geplanten Einsatz, bei dem entweder die eigenen Ressourcen bereitgestellt werden oder benachbarte Behörden (z.B. Bundeswehr) um Amtshilfe zu bitten sind. Hierzu mal ein Beispiel. Mir wurde bei einem Falschgeldverfahren seitens des Secret Service ein unterstützender Geldbetrag zum Ankauf von “Blüten” angeboten, da sie auch an den Dollar-Noten interessiert waren. Die Berliner Polizeibehörde lehnte ab, weil sich hier die Möglichkeit einer unerlaubten Vorteilsannahme zeigte. Wenn gar nichts geht, kann passendes Material gekauft oder gemietet werden. Doch dann grundsätzlich über eine Ausschreibung, es sei denn, die zeitliche Dringlichkeit gebietet eine sofortige Entscheidung. Die ist keinesfalls gegeben.

Zu diesem Thema antwortete RWE:

Konjunktiv!? Nein, keinesfalls! Die Kosten müssen in Rechnung gestellt werden, sonst handelt es sich um einen eindeutigen Verstoß. Aber günstigerweise war an dem Thread auch ein investigativer Journalist beteiligt.

Thorbi M. scheint da andere profunde Rechtskenntnisse zu besitzen. Nun gut, der junge Mann, Thorben Meier, ist ein kleines Licht aus Steinheim und hat nicht sonderlich viel zu melden. Aber es ist immer wieder beeindruckend, mit welcher Chuzpe die Leute von der JU unterwegs sind. Früh übt sich. Eric Beres ist da schon eine andere Hausnummer. Mal schauen, was daraus wird.

Für mich stinkt das alles mächtig gen Himmel. Mir fehlt die Sach- und Fachkenntnis, inwiefern die vorhandene Braunkohle wirklich unabdingbar notwendig ist. Hierzu gibt es unterschiedliche Quellen. Richtig daran glauben kann ich nicht. Vor allem erscheint mir der Preis in jeder Hinsicht zu hoch. Robert Habeck kann bekanntlich reden wie ein Buch. Aber irgendwann gehen ihm auch die Optionen der Verwässerung dessen aus, was jeder sehen kann. Der ehemalige Ministerpräsident Laschet twitterte:

Das politische Parkett ist glatt und eloquent. Der Tweet ist ein ausgestreckter Mittelfinger in Richtung Habeck. Einer der auszog und es dem politischen Establishment zeigen wollte, um dann festzustellen, dass die Regeln andere festlegen. Oder wie ich es selbst in einem Tweet drastisch beschrieb: Die GRÜNEN in NRW benehmen sich teilweise gerade wie Nonnen, die nach dem Kontakt mit dem Teufel und seinen Versprechungen vom Glauben abfielen, und sich deshalb auf Rastplätzen in Wohnmobilen prostituieren.

Ich weiß immer nicht, was die alle immer mit dem Begriff “Ideologie” negatives verbinden. Wenn meine politische Haltung nicht beliebig sein soll, muss es für mich einige feste Grundsätze geben, bei denen ich keine Kompromisse eingehe. Politik ist kein Business. Jedenfalls nicht nach meinem Verständnis. Komme ich an einen Punkt, an dem ich merke, dass mir die Felle wegschwimmen und ich mich selbst verraten muss, ist es an der Zeit, die Reißleine zu ziehen. Ansonsten werde ich zum Werkzeug. Im konkreten Fall das der Konzerne. Aber ich bin Realist. Parteien sind zu Firmen verkommen, die Geschäfte in die Wege leiten und eine erhebliche Personaldecke, Zulieferer, finanzieren.

Schwer integrierbar? Beziehe ich die Frage auf mich, fordere ich eine Konkretisierung ein. Wo genau hinein soll ich mich integrieren? Ich wurde sozialisiert. Bei mir bedeutet dies, dass ich mit anderen Menschen gut und erfolgreich auskomme. Nicht mit allen, aber das ist auch nicht notwendig. Integriert wurde ich in ein nicht mehr existierendes gesellschaftliches Konzept. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob es nicht schon damals eine Illusion war. Einige dienstliche Erfahrungen und Einblicke, geben dazu Anlass. Deshalb stutzte ich auch ein wenig bei den Aussagen der bereits erwähnten Antje Grothus. Zwischen den Zeilen sagte sie mehr. Seitens des Konzerns und der dazugehörenden Lobbyisten muss erheblicher Druck aufgebaut worden sein. Ich hab da so meine eigenen Vorstellungen. Aber eine alte Regel bei Ermittlungen im OK – Bereich besagt: Der kennt den, ist nicht strafbar. Vor Gericht zählen nur Fakten.

Bin ich integrationsfähig in das sich immer mehr abzeichnende Geschehen? Eher, nicht. Ich befürchte, dass eine neue Generation junger Polizisten und Polizistinnen verheizt wird. Die Auseinandersetzungen werden noch eine Weile andauern. Alles, was die da jetzt mitnehmen, speichert sich ab. Im Verlauf der Jahre wird es immer mehr. Es macht einen erheblichen Unterschied, ob man einem echten Straftäter gegenüber steht oder harmlose Mitbürger, die teilweise Mutter oder Vater sein könnten, aus einer Blockade entfernen soll. Es hallt über Jahre nach, wenn die einen als Büttel bezeichnen. Jetzt, Morgen, Übermorgen, merken die das noch nicht. Aber der Tag wird kommen. Ich sehe es auch kommen, dass die Lützerath räumen, mit erheblichem Aufwand verteidigen, nur damit RWE nach absehbarer Zeit feststellt: April, April, wir baggern doch nicht alles weg, war doch nicht so wichtig. Wichtig war uns die Durchsetzung, damit dies für die Zukunft geklärt ist. Und dann? Dafür all die Einsatzstunden, weg von der Freundin, Freund, Familie? Hierfür all die Diskussionen im Freundeskreis? All die Leute, die sich nach und nach von einem abwendeten? Wie lächerlich fühlt man sich nachträglich?

Nancy Faeser, die amtierende Innenministerin, verurteilte die von den Aktivisten ausgehende Gewalt gegen die eingesetzte Polizei. Oh, da hatte ich einen kräftigen Fluch auf den Lippen. Wer hat denn die Frauen und Männer ins Rennen geschickt? Allein die Art der Räumung ist bezeichnend. Wer erzeugt denn den zeitlichen Druck? Die Polizei könnte genauso gut ganz gemächlich räumen. All die Blockaden könnte man umstellen und warten, bis die aufgeben. Hunger, Durst, kalt, Pippi machen! Das kann dauern. Na, und? Beamte bekommen ihr Geld nicht nach Stunden, sondern monatlich im Voraus bezahlt. Das funktioniert natürlich nicht, wenn ich die Interessen meiner Kumpels vom Konzern, den Aktionären, vor Augen habe. In Lützerath finden alt bekannte Rituale statt. Da steht eine Menschenmenge und mehr oder weniger unmotiviert rennt eine Gruppe darauf zu und greift sich eine oder einen. Solange, bis die richtig sauer werden. Dann kommt die Stunde derjenigen, welche in ihrer inneren Entwicklung schon einen Schritt weiter sind. Bisher zeigten die sich kaum. Was in den Videos zu sehen war, ist für erfahrene Polizisten ein Kindergeburtstag. Was nicht bedeutet, dass die nicht noch kommen. Ich lieferte mir im Laufe meines Lebens einige Diskussionen. Da kommt immer ein Argument. Wer hat denn angefangen? Bei Autonomen ist die Frage leicht zu beantworten. In der Regel gehen die in die Vorlage. Das gehört zu ihrem Konzept. Die gehen so lange vorwärts, bis sie gestoppt werden. Aber bei Ereignissen, wie in Lützerath, kann dies nicht einfach beantwortet werden.

Die Gesellschaft formt die Menschen. Und man darf sich fragen, wohin sie derzeit die jungen engagierten Leute, größtenteils unsere Kinder, formt. Dort der Staat, gelenkt von der Wirtschaft und hier Du! Freunde Dich damit an. Ist dies die Sozialisierung, die der Gesellschaft vorschwebt? Bei einigen wird dies nicht funktionieren und ich schätze, es werden immer mehr – besonders aus den in der Ausgangsfrage geschmähten biodeutschen Akademiker-Haushalten. Jenseits der Volksschullehrervorstellungen aus den 50ern, die der Vorsitzende der CDU Friedrich Merz in Talk-Shows propagiert, lernten die zu Hause etwas anderes.
Es ist bedauerlich, dass sich die kritischen Teile meiner Generation zu wenig um Partei-Karrieren kümmerten. Womöglich auch, weil wir nicht die notwendigen Eigenschaften mitbrachten, um dort erfolgreich zu sein. Die hatte zur Folge, dass wir nun mit denen leben müssen, die die passenden Talente aufweisen. Doch möglicherweise sind unsere Kinder, die verzögerte Reaktion. Es tut mir nicht wirklich leid, dass sie die Ordnung der alten weißen Männer, Charaktere wie Merz, Dobrindt, Söder, Lindner, ablehnen und sich auch nicht von denen veralbern lassen, die sich beim Weg nach oben selbst verrieten. Hans-Georg Maaßen jammert bei Twitter herum, dass in Lützerath die gleichen Leute in Erscheinung treten, die dem Land mit Zuwanderung, anderen Umgang mit neuen Mitbürgern, Empathie für Flüchtlinge, Ablehnung der bisherigen Gesellschaft, ein neues Gesicht geben wollen. Gut, so! Schlimm genug, dass dieser die Konzepte der Neuen Rechten, à la Armin Mohler, vertretende Mann, den BfV leitete. Alles, was ihm zuwider ist, klingt für mich erstrebenswert. Er sollte sich auf sein Altenteil zurückziehen und sich Büchern von Ernst Jünger widmen oder mit seinen rechtspopulistischen Kumpels ein Bier trinken gehen. Seine Funktion in der Gemeinschaft der Neuen Rechten, Werteunion, beschränkte sich ohnehin auf Wasserträger-Aufgaben.

15 November 2022

Brief an die derzeit inhaftierten Aktivisten

climate sign outside blur Lesedauer 4 Minuten

Diejenigen der Letzten Generation, welche sich “noch?” in Freiheit befinden, baten auf Twitter um ermutigende bzw. aufmunternde Briefe für die 13 inhaftierten Aktivisten/innen. (Joel, Charlotte, Jakob, Wolfgang, Winfried, Jens, Nelson, Moritz, Miriam, Malte, Lars, Judith und Elena)

Ich nahm dies zum Anlass einen Brief an alle zu schreiben. Es wäre im hierfür entwickelten Formular auch möglich gewesen, einen/eine Einzelne/n anzuschreiben. Aber sie haben gemeinsam gehandelt und gekämpft, womit sie auch alle einen verdienen. Hier der von mir übersandte Brief:

An Alle


Hallo!

Zunächst meinen Respekt für das, was ihr macht. Es war voraussehbar, dass der Staat und Teile des Bürgertums reagieren, wie sie es aktuell tun. Eure Aussage und Forderungen stehen im Gegensatz zu dem, was sich viele zu Recht gelegt haben. Ich nenne es die kollektive kognitive Dissonanz. Auf staatlicher Seite stehen die faulen Kompromisse, die mit einigen Leuten aus der Wirtschaft eingegangen werden. Aber das wisst ihr ja. De facto geht es auch nicht „nur“ um das Klimageschehen, sondern um eine komplexe Haltung zum Thema Umgang mit dem Lebenssystem Erde. Mich stoßen Begriffe wie Umwelt, Umweltschutz, Klimaschutz, ab. Wir leben zusammen mit anderen Spezies in einer Welt. Da kann es keine Um/welt geben. Ebenso können wir sie nicht schützen, sondern lediglich schädigende Eingriffe einstellen. Dies gilt so auch für das Klima. Schutz spiegelt die Arroganz wieder, mit der sich der Mensch ins Zentrum setzt und alles darf von ihm in Mitleidenschaft gezogen werden bzw. hat ihm zu dienen.
Ich bin Mitte der 60er geboren und erlebte deshalb die komplette Entwicklung seit der ersten Veröffentlichungen des Club of Rome. In den 80ern waren es die großen Umweltskandale, die Anti – AKW Bewegung und die Friedensbewegung. Damals wie heute hieß die Antwort vielfach: Haftstrafe, Geldbuße, Repressalien. Industrie und Politik gingen und gehen immer nach dem gleichen Schema vor. Es werden erst einmal irgendwelche Sauereien veranstaltet, bis ihnen jemand auf die Schliche kommt und sich Protest meldet. Irgendwann wird der Druck zu groß. Dann stellen sie ihr Handeln ein, um es dann im Nachgang als heroische Leistung zu verkaufen, dass sie die Produktion eingestellt oder modifiziert haben. (z.B. BASF, Schering, Monsanto u.a.). Oder sie positionieren sich mit der Aussage: „Wenn wir die Schädigung einstellen sollen, müsst ihr uns dafür Geld geben.“ Im Allgemeinen nennt sich das Schutzgelderpressung.
Ich gebe zu, dass ich ich nicht ansatzweise Euren Mut hatte und viel zu spät verstand, dass ich „eingeatmet“ wurde und ein deutlich lauterer Protest notwendig gewesen wäre. Vermutlich hab ich auch längst aufgegeben und sehe keine Optionen. Um so wichtiger finde ich es, wenn sich doch noch einige erheben, statt dem Desaster nur noch zuzusehen. Traurig macht mich der geringe Support, den ihr von den „Jungen“ bekommt. Bei jeder Eurer Aktionen würde ich hinter Euch mindestens 100 andere erwarten, die einen Block bilden. Zumindest wäre das früher so gelaufen. Aber wer weiß, vielleicht hat die vollkommen überzogene Inhaftierung zur Folge, dass andere wach werden. Wenigstens hoffe ich das. Eins ist auf jeden Fall wichtig! Die Haft solltet ihr als eine Bestätigung dafür sehen, dass ihr an der richtigen Stelle auf die Füße getreten seid.
Ich will auch nicht unterschlagen, dass ich auf 32 Dienstjahre Kriminalpolizei zurückblicke.
(Keine Sorge, ich bin frühzeitig raus.) Terrorismus, Schwerverbrecher und auch der eine oder andere politische Wirrkopf, gehörten zu meinem täglichen Geschäft. Ergo, weiß ich, wovon ich schreibe.

Insofern empört es mich, wenn sich Leute anmaßen, in Eurem Fall von Terrorismus, Radikalisierung, Straftaten zu sprechen.
Nein, davon seid ihr weit entfernt. Eindeutiger als bei Euch, kann einem Ziviler Widerstand kaum begegnen. Da mir zwei Töchter, 26, 30, geschenkt wurden, bin ich dafür sehr dankbar. Ich bin nicht mit all Euren Strategien und Einschätzungen im Konsens. Unter Umständen denke ich an manchen Stellen noch radikaler. Wenn es wirklich noch eine Chance gibt, dann liegt sie darin, dass sich zügig eine umfassende Änderung in der Lebenshaltung aller durchsetzt. Ich sehe bisher nicht, dass sich z.B. die Millennials damit anfreunden können, Abstriche vom deutschen Way of Life zu machen. Immerhin habt ihr zwei hohe Aspekte vorgelegt: Ihr habt die körperliche Unversehrtheit und Eure Freiheit geopfert. Damit unterscheidet ihr Euch von vielen.
However, ihr seid für Eure Überzeugung hinter Gitter gelandet. Damit befindet ihr Euch in der Geschichte in bester Gesellschaft. Und wer auf der richtigen oder falschen Seite steht, entscheidet nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft. Mit diesem Risiko leben alle, die überzeugt sind und auf dieser Basis handeln. Ihr habt Euch von zahlreichen renommierten Wissenschaftlern überzeugen lassen. Dies minimiert immens Euer Risiko auf der falschen Seite zu stehen.

Eine Frage bleibt offen: Sind Eure gewählten Mittel geeignet und förderlich? Ich nehme an, ihr kennt den Godfather des Zivilen Widerstands Saul D. Alinsky und die von ihm formulierten 10 Regeln für konstruktive Radikale. (Wenn nicht, empfehle ich sie Euch wärmstens.) Ein Aktivist muss Masse hinter sich bringen. Dabei ist es nicht entscheidend, ob die Euch entgegen schlagende Wut der „Bürger“ legitim und korrekt ist, sondern dass sie da ist. Wenigstens müsst ihr es schaffen, die 20 – 30-jährigen hinter Euch zu bringen. Wie, weiß ich auch nicht. Allerdings bin ich bei solchen Dingen auch nicht sonderlich kreativ. Wahrscheinlich auch schon zu alt.

Ich habe ein paar Worte mehr verloren, weil ich dachte, ihr könnt in der Haft ein wenig Ablenkung gebrauchen. Hoffentlich schreiben Euch viele. Immer mal wieder versuche ich mit Beiträgen in meinem BLOG und bescheidener Reichweite, wenigstens manchen meiner Altersklasse eine andere Sicht auf Euch zu vermitteln. Es wird ein harter Kampf, bei dem ich Eure Überzeugung teile, dass ihr tatsächlich die letzte Generation seid, die noch einmal eine vage Chance hat. Bleibt stark!

Trölle
Andreas Trölsch, Berlin
http://www.trollhaus.de

6 November 2022

Die Grenzen des Sagbaren

diverse people listening to speaker in modern studio Lesedauer 7 Minuten

“An der Stelle sind die Grenzen des Sagbaren erreicht!”, heißt es immer häufiger. Interessant ist dabei, dass die Statistik des DUDEN – Verlags das Adjektiv als selten verwendet verzeichnet. Gemeint ist dabei nicht die Schwierigkeit beim Aussprechen von Zungenbrechern, sondern der Inhalt oder die Bedeutung. Seitens Teilen der Gesellschaft werden ganze Wörter auf die schwarze Liste gesetzt. Bisweilen wird aus verbannten Begriffen ein Synonym. Aus Nigger wird bekanntlich das N-Wort. Das Problem ist allerdings, dass der/die Sprecher/in N-Wort sagt, doch es im Kopf der Hörer/innen mit großer Wahrscheinlichkeit zu Nigger übersetzt wird.
Begriffe und Bezeichnungen sind kurze Ausdrücke für umfassende Gedanken, Empfindungen, Haltungen usw. Im Beispielsfall geht es darum, dass sich die Verwender bei Menschen dazu berechtigt fühlen, eine Kategorisierung vorzunehmen. Ihrer Auffassung nach gibt es Mitglieder der Spezies Homo sapiens, denen das, was allgemein unter menschlich verstanden wird, nicht zuzutrauen ist. Deshalb ersehen sie es als legitim, diese zu biologischen Maschinen zu degradieren, mit denen sie nach Belieben verfahren dürfen. Das ist zu lang, also benutzen sie die Bezeichnung “Nigger”. Als sicheres Unterscheidungsmerkmal genügt ihnen die Pigmentierung der Haut. John Lennon erweiterte dies um Geschlechtsmerkmale und sang: “Women is the nigger of the world.” Kurz und prägnant brachte er damit zum Ausdruck, dass es ausreicht, eine Frau zu sein, um in eine niedere Kategorie einsortiert zu werden. Wer das Wort im Sinne einer Degradierung benutzt, gibt eine umfangreiche Auskunft über die eigene Gedankenstruktur. Genauso gut könnte er oder sie sich ein Schild mit der Aufschrift “Rassist” umhängen. Wir kommen nicht umhin, dass diese Haltung in der Welt ist und es im 21. Jahrhundert immer noch Anhänger/innen gibt. Die Formel lautet: Wer äußerlich anders aussieht als ich, muss sich innerlich von mir ebenfalls unterscheiden. Ganz bewusst habe ich den Begriff “entmenschlicht” umschifft. Ich kann mich nicht damit anfreunden, dem Menschen eine besondere Stellung unter den existierenden Lebewesen zuzugestehen. Kein zu Empfindungen fähiges Lebewesen sollte von einem anderen so behandelt werden, wie es Sklavenhalter, Rassisten, Mysogine u.a. Widerlinge tun und taten.

Menschen hängen sich selten freiwillig Schilder um, auf denen Auskünfte über ihre Gedankenstrukturen stehen. Obwohl sich eine erkleckliche Zahl mit ihrer Kleidung, Symbolen, Tätowierungen, quasi eins umhängen. Doch die Demonstrationen von PEGIDA, Querdenkern, Wutbürgern, zeigten uns, dass sich eine Menge Leute auf diese Art nicht zu erkennen geben. Um sie zu erkennen, sind wir darauf angewiesen, sie sprechen zu lassen. Gleichermaßen sieht es mit Leuten aus, die sich dazu berufen fühlen, das politische Geschehen zu gestalten. Erst wenn Worte wie Asyltourismus, Flüchtlingsindustrie, Sozialtourismus, Harzer, Linskversiffte, Messermänner, Merkels Goldstückchen, fallen, geben sie sich, ihre Haltung zu anderen Menschen und ihre Gedankenstrukturen zu erkennen.

Ich finde es albern, wenn sich Politiker*innen nachträglich von sogenannten Entgleisungen distanzieren oder gar entschuldigen. Soweit kommts noch, dass die sich von Schuld selbst freisprechen können. Entweder war es eine rhetorische Zielansprache an bestimmte Gruppierungen oder es kam etwas zum Vorschein, was sie vielleicht nicht zeigen wollten, aber die Wähler/innen durchaus ein Recht haben, es zu erfahren. Ich bleibe dabei: Das gesprochene Wort ist unter Umständen die einzige Chance, das authentische Ich zu erkennen. Wobei es dabei zwei Seiten gibt. Den oder die Sprecher/in und die Seite der Zuhörer. Genügend Leute neigen zur selektiven Wahrnehmung und entfernen den Kontext. Bisweilen gilt es auch zu erkennen, dass es sich nicht um eine herabwürdigende oder rassistische Aussage handelt, sondern sich die pure Hilflosigkeit einen Weg bahnt. Es existieren eine Menge Abhandlungen um die Rolle und Funktion von Witzen. Geschlechterkampf, Andersartigkeit, Machtverhältnisse, Sexualität, sind schwierige Themen, welche sich dort wiederfinden und eher was mit Verklemmungen, Hemmungen und Unsicherheit zu tun haben.

Leute, die sich aufgrund einer Masken – oder Impfpflicht in einer vergleichbaren Lage wähnen, wie die im Dritten Reich verfolgten Mitbürger mosaischen Glaubens, sollen und müssen sprechen dürfen. Der restliche Teil der Bevölkerung muss erfahren, dass es unter ihnen welche gibt, die solche wirren Schlüsse ziehen und keinerlei Verständnis dafür entwickeln, was sich damals abspielte. Es ist nicht nur eine Erkenntnis, sondern gleichfalls eine Aufforderung, an der Stelle mehr Aufklärung zu leisten, statt von einem Ablassen zu sprechen, weil doch alles so lange her ist. Dabei gilt es zu beachten, dass die Demonstranten*innen die Spitze des Eisbergs sind. Genügend Gleichgesinnte oder besser Ignoranten, Reaktionäre, gehen nicht auf die Straße. Von denen hört man eher etwas am Tresen der Stammkneipe oder am Arbeitsplatz. Sie nicht sprechen zu lassen, bedeutet gesellschaftliche Vorgänge zu deckeln.

Artikulierte Worte sind Gedanken, die nach außen dringen. Und es stimmt andersherum auch, dass Worte Gedanken beeinflussen. Das Zweite übernehmen Profis, die Worte neu erschaffen oder sie gezielt mit Konnotationen verbinden. Dem Treiben ist schwer entgegenzutreten. Maximal kann man die Leute sprechen lassen und versuchen, die manipulativ eingesetzten Verknüpfungen zu sprengen. Dafür muss man sich allerdings erst einmal selbst dessen bewusst sein. Neue Wortschöpfungen oder Begriffe aus dunklen Zeiten aus der Welt zu schaffen, ist heutzutage nahezu unmöglich. Eines schönen Tages entstand in einem Großhirn das Wort Flüchtlingsflut und es war mit dem Aussprechen in der Welt. Ich nehme es als Beispiel, weil es lange Zeit völlig unkritisch von renommierten Medienvertretern übernommen wurde. Die Bedrohlichkeit, welche sich aus der Urangst vor Fluten generiert, ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Der Punkt geht eindeutig an die Nationalisten.

Ebenso lassen sich besorgniserregende oder unliebsame Vorgänge mit harmlos klingenden Worten abschwächen. Die Nationalsozialisten führten Säuberungen durch und Putin war der nicht der Erste, der einen Krieg zu einer militärischen Spezialoperation werden ließ. Bei uns spricht man gern von einem bewaffneten Konflikt, der innerhalb eines Landes untereinander oder mit internationaler Beteiligung ausgetragen wird. In der Wirtschaft wird von Betriebsoptimierung statt Entlassungen gesprochen. Politiker reden von bürgernah und meinen tatsächlich populistisch oder gar demagogisch. Aus Korruption ist Lobbyismus geworden. In Hierarchien gibt es keine Untergebenen, sondern nur Mitarbeiter. Währenddessen aber immer noch von Vorgesetzten gesprochen wird. Ich warte noch auf den Mitarbeiter mit strukturierenden Aufgabenstellungen. Im gewissen Sinne sind diese Euphemismen die Kehrseite der Medaille. Wenn ich es nicht mit dem einem Wort sagen kann oder will, weiche ich halt aus, meine aber das Gleiche. Wenn es Grenzen des Sagbaren gibt, überwinde ich sie halt geschickt.

Für mich ist auch das Argument der Volksverhetzung eher schwach. Wer aufhetzt, benötigt ein empfängliches Publikum. Wenn in unserer Gesellschaft eine relevante Menge existiert, die sich von Demagogen, Rassisten, Faschisten, Neuen Rechten, mit Parolen und “Unsagbaren” aufhetzen lassen, sollten wir uns den ursächlichen Problemen stellen. Indem ich die Wortwahl vorgebe, schaffe ich die nicht aus der Welt. Anscheinend ist dann etwas mit den Strukturen nicht in Ordnung. Geschäftsmodelle wie der Axel-Springer-Verlag funktionieren nur, weil es genug Abnehmer für Diffamierung, Blut, Voyeurismus, Rassismus, Häme, Xenophobie, Verklemmtheit und reaktionäre Umtriebe gibt. Die politische Krise, welche von Vertrauensverlust und Trennung zwischen Bürger und einer politischen Elite geprägt ist, entstand nicht aus höherer Gewalt heraus, sondern ist dem Gebaren diverser Politiker seit den 70ern geschuldet. Gleichfalls darf sich niemand wundern, wenn sich einfache Gemüter in ihren Haltungen bestätigt fühlen, wenn sie prominente Vertreter der konservativen Parteien umgarnen. Ober schlägt Unter, Ausgrenzen, Diffamierungen, politische Gegnerschaft, statt gemeinsames Gestalten zum Wohle der Gemeinschaft, Narzissmus, Machtmissbrauch, Buckeln nach oben und Treten nach unten, Opportunismus zum Zwecke der Bereicherung und Machterhalt, erzeugen von Buhmann-Rollen und Außenfeinden, sind im politischen Deutschland Alltagsgeschehen. All dies setzt sich in der Gesellschaft fort. Wer wundert sich denn bitte, dass im Bildungssystem einiges schiefgeht, wenn alles geisteswissenschaftliche, solidarische, kritische, progressive, als böses linkes Gedankengut diffamiert wird? Oder alles auf Leistung gedrillt werden soll? Naturwissenschaften werden wieder einmal zum Treibstoff wirtschaftlichen Wachstums degradiert. Liefern sie missliebige Erkenntnisse, wie es zum Beispiel Klimaforscher, Ökologen, Biologen, tun, werden sie ignoriert. Soziologen, Politologen, Psychologen, Psychiater, (*ich gendere keine Fremdwörter) sind so lange gelitten, wie sie entweder zu Munde reden oder wirtschaftlich von Nutzen sind. Manchmal kommt mir das aktuelle Deutschland vor wie ein Komposthaufen, auf dem die alten Wurzeln neue Triebe ausschlagen. Doch all diesem mit Grenzsetzungen in der Sprache zu begegnen, halte ich für ein aussichtsloses Unterfangen. Zumal man dabei bedenken sollte, dass das keine Einbahnstraße ist. Denen, welchen ich damit die Basis nehmen will, können das auch ganz gut. Richtig ins Knie schießen sich dabei die Konservativen, wenn es um Gendern geht. Man kann trefflich über die Zweckmäßigkeit streiten, aber nun ausgerechnet aus der CDU/CSU Position heraus ein Verbot anzustreben ist lächerlich. Soll es doch jeder halten, wie sie oder er es will. Ebenso ist es albern, den Gesprächspartnern/innen ins Wort zu fallen und das Gendern einzufordern. Im Gespräch unterlasse ich es zumeist. Wer sich dann nicht mehr mit mir auseinandersetzen will, lässt es eben. Ich erinnere dabei an eine Begebenheit im Dienst. Der stellvertretende Leiter kam frisch von einem Kommunikationsseminar zurück. Dort hatte er gelernt, ICH – Botschaften, statt das allgemeine “man”, zu verwenden. Der Chef wollte nun eine Teambesprechung durchführen. Fortwährend fiel ihm der “Halbleiter” ins Wort und forderte ihn auf, statt “man” zu sagen, ins ICH zu wechseln. Die Show dauerte nicht lange und die beiden fanden sich vor der Tür wieder. Wer es annimmt, ich rate dazu, soll es tun, aber Missionare/innen und Klugscheißer/innen sind schwierige Zeitgenossen/innen. Ich kann die Argumentation der Befürworter/innen des Genderns durchaus nachvollziehen. Aber für mich selbst werden die Gespräche dann allzu sehr verkopft. Wenn dann noch der Soziologen – Campus – Slang hinzukommt, bin ich raus. Doch wer weiß, vielleicht ist am Ende wie mit dem majestätischen Plural, der auch verschwand. Sprache ist immer einem Wandel unterzogen.

Kritisch wird die Sache, wenn einige sich ausschließlich in gehobener Bildungssprache suhlen und dabei den Kontakt zur allgemeinen Bevölkerung verlieren. Und teilweise ist dies bereits der Fall. Dabei entsteht eine dieser Kluften, die wir nicht gebrauchen können. Der Klerus hatte gute Gründe sich des Lateins zu bedienen und der Adel grenzte sich mit Französisch ab. Geisteswissenschaftler sollten meiner Meinung nach den eigenen Anspruch haben, ihr Wissen in den Niederungen zu verbreiten. Abgehobene Schnösel sind bereits genug unterwegs. Ich plädiere stets dafür, dass niemand auf die Idee kommen sollte, Wissen und Vokabeln mit Intelligenz zu verwechseln. Lesen und auswendig lernen kann jeder. Wenn überhaupt, ist das Anwenden ausschlaggebend.

Zum Schluss möchte ich noch diejenigen erwähnen, welche behaupten, sie dürften nichts mehr öffentlich sagen. Die Steigerungsform sind jene, welche noch hinter hersetzen: “Dann wird man gleich als Nazi bezeichnet.” Mal ganz entspannt bleiben! Meiner Erfahrung nach finden solche Leute jede Menge Gleichgesinnte, die sich gern miteinander unterhalten. Die “Nazi-Formel” ist einer Eintrittskarte oder Referenz gleichzusetzen. Ich persönlich mag diese Nazi-Keule auch nicht. Selbst bemühe ich mich stets um eine genaue Zielansprache. Faschisten, Neue Rechte, Neokonservative, Rechts-Liberale, Neonazis, bürgerliche Spießbürger, Reaktionäre, Erz-Konservative, Ignoranten, Holz-Köpfe, Vollpfosten, Technokraten, Law&Order – Freaks, Psychopathen, Narzissten, haben ein Recht darauf, individuell angesprochen zu werden. Bedauerlich ist dabei, dass ausgerechnet jene, die von den Grenzen des Sagbaren sprechen, bei den Unterscheidungsmerkmalen über geringe Kenntnisse verfügen. Deshalb packen sie gern das Multi-Tool aus, welches ihrer Meinung nach für alles passt, was nicht auf ihrer Linie unterwegs ist. Blöd ist dabei, dass sie dabei auf dem gleichen Niveau wie die von Ihnen gescholtenen landen.
Eins fällt mir doch noch ein. Letztens mokierte sich eine junge Frau mir gegenüber, dass sie ihr Chef am Telefon “Mäuschen” nannte. Sie empfand dies völlig zu Recht respektlos und herabwürdigend. Doch selbst eine Ansage wird daran nichts ändern. Für den Kerl ist sie genau das, was sie verstanden hat. Und da er selbstständig ist, ist da auch niemand, die/der ihm einen Einlauf verpassen kann. Vermutlich wird er ihre berufliche Kompetenz nicht in Abrede stellen, aber als erfahrener älterer Mann sieht er sich von der Lebenserfahrung weit über ihr. Wenn überhaupt, wird sich das erst in ferner Zukunft verändern. Im Übrigen ist das keine rein männliche Verhaltensweise. Ältere Frauen verhalten sich jüngeren Frauen oder auch Männern gegenüber nicht anders. Ich weiß nicht, wie oft ich Frauen sagen hörte: “Ich lasse mir doch von dieser Tussi nichts über das Leben erzählen.” Tja, wir leben nun einmal in einem hierarchischen kapitalistischen System.

2 September 2022

Die letzte Schlacht wird keiner gewinnen

unrecognizable ethnic hacker typing on laptop at table Lesedauer 8 Minuten

Krieg ist schon lange nicht mehr nur das gegenseitige Abschlachten. Längst hat sich alles auf den Cyberraum erweitert. Musste früher noch mühselig Propaganda in die Reihen des Feindes gebracht, für Desinformation, Demoralisierung, gesorgt werden, geht dies in der Digitalisierung erheblich einfacher. Gleichfalls bedurfte es einst gefährlicher Selbstmordkommandos, bestehend aus Abenteurern und Patrioten, die hinter den feindlichen Linien für Sabotage sorgten, während dies heute von einem Hacker von einem sicheren Ort erledigt werden kann. Ich denke, wir stehen da erst am Anfang. Doch die Entwicklung ist rasant. Bereits jetzt kann kaum noch ein Normalbürger sagen, was am Geschehen real bzw. ein chaotischer Ablauf ist oder mittels Instrumentarien gesteuert wird. All dies trifft auf eine Gesellschaft und politische Struktur, die nicht mal ansatzweise darauf vorbereitet ist.

Aktuell ist ein beinahe als Amoklauf zu bezeichnendes Verhalten der als konservativ betrachteten politischen Kräfte zu beobachten. Kein hingeworfener Brotkrumen ist ihnen zu vergammelt, um ihn nicht aufzugreifen und in eine desaströse Kampagne einzubauen. Es geht nicht um konstruktive Opposition, sondern ums primitive Zerstören des politischen Gegners, um die Macht zu übernehmen. Wenn dies erfolgreich passiert ist, kann man sich immer noch dem eigentlichen Gegner zuwenden, nämlich Angreifern, wie aktuell dem faschistischen Diktator Putin. Ein äußerst gewagtes Spiel, mit einem unkalkulierbaren Ausgang. Putin unternimmt alles, um ein geeintes russisches Volk in einem nationalen Kampf gegen einen Feind zu führen. Jeder Widerstand wird innerhalb des Landes brutal und kompromisslos bekämpft. In der Ukraine setzt er auf Schrecken und Vernichtung, wie es einst ein Franco bei seinem Marsch durch Spanien tat. Parallel zieht er seine Verbündeten zusammen und lässt sie der restlichen Welt ihre militärische Bereitschaft präsentieren. Diesem Gebaren hat die moderne, vermeintliche deutsche Linke nichts entgegenzusetzen. Mit Vernunft, Verstand, der Erkenntnis, dass Krieg immer in eine Katastrophe führt, ist der ausgeklügelten Vorgehensweise des Faschismus nicht beizukommen. Allein schon deshalb nicht, weil sie ehemals genau hierfür, zur Überwindung des als schwächlich empfundenen intellektuellen Weges entwickelt wurden. Mussolini, der Namensgeber des Faschismus, kam anfangs aus dem anarchistischen, sozialistischen Lager. Er hatte Ideen und Ziele, bei denen er dachte, sie mit diesen Ansätzen umsetzen zu können. Als er merkte, dass dies nicht funktionierte, entwickelte er neue. Nämlich welche, die beides überwinden sollten: Den Kapitalismus, wie er ihn kennenlernte und die Ansätze, welche seiner Auffassung nach, der Überwindung im Wege standen. Das Individuum mag zufrieden, frei und glücklich sein, aber nur eine geschlossene, wie eine Maschine funktionierende Gesellschaft ist in der Lage, andere Nationen niederzuringen. In einer Weltlage, die sich dahingehend entwickelt, dass bei unverändertem Vorgehen der Menschheit, die Ressourcen verknappen, große Regionen des Planeten unbewohnbar werden, nahezu alles, was das Leben überhaupt ermöglicht, zur Mangelware wird, um die man kämpfen muss, ist dies zumindest eine Option. Rette sich, wer kann, und zwar mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.
Der andere Ansatz wäre die theoretisch machbare Einigung aller Völker, welche dann an einem Strang ziehen. Dem stehen viele Hindernisse entgegen, an deren Beseitigung wenige glauben und vermutlich in großer Zahl nicht einmal interessiert sind. Am Ende sitzen doch alle auf ihrem Affenfelsen.

Das Bittere an allem ist der sich abzeichnende Ausgang einer langen Geschichte. Vom Verstand und der Vernunft her, mit all den technischen Möglichkeiten, dem kollektiven Wissen der Menschheit, wäre ein friedliches Zusammenleben und die Lösung der entstandenen Probleme durchaus machbar. Dass es nicht geschieht, liegt an den Kräften, Eigenarten, die dagegen wirken. Es ist die Geschichte, die Menschen schon seit langer Zeit in Erzählungen verpacken. Gott gegen den Teufel, Buddha gegen Mara, Himmel oder Hölle, Erleuchtung oder fortwährendes Leiden. Habgier, Hybris, Übermaß, gegen Einklang, Harmonie, Fortbestand, Frieden, Freiheit. Und daran hat jeder Einzelne einen Anteil. Hass, Gewalt, Gier, setzen sich über Wechselwirkungen genauso fort, wie Liebe, Genügsamkeit, Respekt gegenüber allen Lebewesen. Es ist eine Frage der Struktur. Wird sie so gestaltet, dass sie dem einen oder eben dem anderen Verhalten Vorschub leistet. Wir haben uns in großen Teilen der Welt für eine Struktur entschieden, die den zerstörerischen Faktoren entgegenkommt.

Ein erster kleiner Schritt wäre der Versuch einer Einigung, die auf Verstand, Vernunft, ethischen Betrachtungen und Übereinkünften basiert. Manche Denker der Vergangenheit stellten die These auf, dass eines Tages der Wohlstand dies möglich machen würde. Noch in den 70ern sahen sie eine Zukunft, in der selbst die damals die ärmsten Länder ein Level erreichen, auf dem alle genug zu essen bekommen, medizinisch versorgt sind und ein Auskommen ohne luxuriöse Spitzen haben. Als größte Gefahr sahen sie einen atomaren Krieg zwischen den Großmächten. 2022 wissen wir, dass sie sich irrten. Der materielle Wohlstand entwickelte sich partiell, um dann in einen Überfluss überzugehen, der auf Kosten der innerhalb der Kolonialzeit materiell und sozial ruinierten Länder ging. Jetzt, in einer Zeit, wo der Überfluss in Gefahr gerät, steigt exponentiell die Gefahr eines Atomkriegs.
Deutschland ist neben anderen Ländern, eins der Überflussländer, die auf Kosten der anderen leben. Den alten Theorien nach, hätte es die Chance gegeben, befreit von Not und Elend, eine innere Einigkeit, Gerechtigkeit und neue Modelle zu entwickeln.

Leider widerlegt die Realität diese Theorien. Ein Umstand, den sich die andere Seite zunutze macht. Innerhalb des Wohlstands besteht ein Ranking. Unbenommen lebt ein finanziell schlecht bedachtes Gesellschaftsmitglied in Deutschland immer noch auf einem deutlich höheren Niveau, als beispielsweise auf dem russischen Land. Wenige leben in absoluter Dekadenz und verfügen über finanzielle und materielle Werte, die alles übersteigen. Die Masse befindet sich innerhalb eines Intervalls irgendwo dazwischen. Innerhalb der Struktur ist alles auf das Finanzielle und das Materielle ausgerichtet. Es stellt sich damit nicht die Frage, ob die mit dem Übermaß glücklich und zufrieden sind oder wenigstens eine in sich ruhende gesunde Persönlichkeitsstruktur aufweisen. Auf der Ebene darunter wird argwöhnisch nach links und rechts geschaut. Wer hat mehr Krumen bekommen? Warum? Wie kann man selbst an mehr herankommen? Ganz unten herrscht das vor, was schon immer existierte. Alles ist auf den Kampf ums Überleben ausgerichtet. Da bleibt keine Zeit für philosophische Überlegungen, wie die Struktur aussieht. “Erst kommt das Fressen, dann die Moral.” Aus alledem ergeben sich Spannungen, negative Konflikte, Unzufriedenheiten, Frustrationen. Ein Eldorado für PR Spezialisten, Nachrichtendienstler, feindliche Agenten, Angreifer, usw.

Bedauerlicherweise ist in der Struktur auch festgelegt, welche Charaktere, Ideen, Anschauungen, sich bis nach oben durchsetzen und so die Macht innehaben. Das Eine bedingt das Andere. Als Helmut Kohl sich anschickte, die politische Macht zu übernehmen, schlicht, weil er nach ihr gierte und nicht, weil er andere politische Ideen zur progressiven politischen Entwicklung Deutschlands hatte, wurde Herbert Wehner zum Propheten. Er sah eine neue Zeit anbrechen, in der Politiker*innen um jeden Preis die Machtübernahme anstreben und die politischen Ziele sekundär werden. Primär wäre aktuell eine Einigung, das gemeinsame Entwickeln von Strategien und Taktiken notwendig. Hierfür müssten Machtinhaber*innen sich nicht als alleinige Ausführer sehen, sondern vielmehr zu Koordinatoren werden und diejenigen, welche bisher gierig nach der Macht griffen, müssten sich besinnen, um eine Mitarbeit an Lösungswegen zu ermöglichen.

Dass die deutsche Politik dies seit einigen Jahren nicht mehr vermag, ist einem Putin mit dem ihm zur Verfügung stehenden Geheimdienst besser bekannt, als irgendeinem Mitarbeiter des BND oder BfV. Ich will mir gar nicht vorstellen, wo die überall ihre Leute installiert haben. Immerhin ergaben sich allein aus dem Niedergang der DDR jede Menge freie Leute, die man übernehmen konnte. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich dies gegenüber den “Five Eyes” als echter Vorteil erwies. Das Mittel schlechthin, welches die Struktur anbietet, die wirtschaftlichen Sanktionen, wirkt unangenehm zweiseitig. Am Ende stellt sich die Frage, wer die entstehenden Schmerzen besser aushalten kann. Der Westen, hier Deutschland, oder auf der anderen Seite Russland und Verbündete. Die breite Masse der Deutschen kann schon lange nicht mehr so klaglos Mangel ertragen, wie es die auf der anderen Seite seit Jahrzehnten tun. Die Zeiten nach dem Krieg, die Berliner Blockade, sind lange vorbei. Mir drängt sich dabei das Bild eines Boxers auf, der seine Gagen verkokst, verfressen und versoffen hat und noch einmal in den Ring steigen will.

Ob es nun in den vergangenen Tagen diese “Winnetou” – Nummer, insbesondere die infantilen Reaktionen der Konservativen und des Bürgertums waren, oder es um die ursprünglich seitens Russlands gestartete Kampagne gegen Baerbock, die PR-Kampagne der Atom-Lobby oder der aktuell innerhalb der Struktur zu erwartende sprunghafte Anstieg der Benzin-Preise ist, den sich die russische Propaganda nicht entgehen lassen wird, alles gehört mit zum Krieg. Wobei sich vermutlich noch nicht alle Teilnehmer offen gezeigt haben. Ein wenig beschämend ist die grenzenlose Naivität, mit der wir noch durch die Gegend tappen und vor allem, wie sehr sich die deutsche politische Elite willfährig am Nasenring herumführen lässt. Es scheint beinahe, als wenn die UNION plant, aus dem Desaster als autoritäre Kraft hervorzugehen, um dann endlich unter ihrer Führung die lang geplante Konservative Revolution umzusetzen, nach deren Vollendung sich Deutschland in den national geeinten Kampf ums Überleben in der Klimakrise stürzen kann. Dumm gelaufen ist alles, wenn sich einige Hacker in die Infrastruktur einklinken, ein AKW an die Wand fahren, Blackouts inszenieren oder einige Chemie-Unfälle in die Wege leiten. Spielarten gibt es da viele. Und Dank der UNION und FDP wird sich daran auch wenig ändern.

Dem Beobachter ohne Einfluss bleibt nur das Zusehen oder sich rechtzeitig auf eine Flucht vorzubereiten. Ich entsinne mich, dass ich dieses Szenario bereits einmal mit Freunden zum Ende der 80er hin durchspielte. Wohin? Es ergab sich schnell, dass es weniger die Suche nach einem angenehmen politischen System, sondern eine rein geostrategische Überlegung ist. Wo sind welche Militärbasen? Welche Länder können nur mit einer technisierten Infrastruktur existieren? Welche sind aufgrund ihrer Einfachheit uninteressant? Wie sind die zu erwartenden Klimaverhältnisse unter Einbeziehung der anstehenden Veränderungen? Da bleiben nicht allzu viele übrig. Bei den meisten handelt es sich um Inseln in geschützter Lage und ausreichend hohen Flächen, die nicht überflutet werden. Wie auch immer, irgendwie muss man sich derzeit entscheiden. Entweder platzt einem beim Zusehen der Kragen oder man nimmt es gelassen. Jeder wurde in die Struktur hineingeboren. Man kann in ihr leben und für sich das Beste herausholen oder man beschließt, sich außerhalb zu bewegen. Sich dagegenzustellen, ist eine blöde Idee. Darauf ist sie vorbereitet. Die Lektion bekam ich im Kleinen. Behörden sind ein perfektes Abbild der Struktur oder vielleicht besser ausgedrückt, ein wesentliches Instrument. In ihr den einen oder anderen Sabotageakt zu vollziehen, ist durchaus machbar. Man kann sich dann kurzfristig daran erfreuen. Ändern wird man damit nichts. Wer sich gegen die Behörde stellt, wird verlieren.

Wie beschrieben muss sich ein Angreifer von außen her nur ansehen, wie sie funktioniert und die Schwachpunkte ermitteln. Nichts anderes tun Hacker. Haben sie den Schwachpunkt gefunden, brechen sie ein und hinterlassen ihre Schadprogramme. Die müssen nicht sofort wirken. Die können auf Eis liegen, bis ein bestimmtes Programm aufgerufen wird oder ein bestimmter Zeitpunkt gekommen ist. Zum Beispiel sind sogenannte Schläfer nichts anderes. Im Hintergrund wissen Taktiker genau, wie sie deren Identitäten anzulegen haben, damit sie an der angestrebten Stelle in der Struktur landen. Auf einem anderen Gebiet arbeitet die Kriminalpolizei nach dem gleichen Prinzip. Kriminelle Strukturen analysieren, Schwachpunkte ermitteln, Leute in Stellung bringen, infiltrieren, zuschlagen. Rennen in der Struktur lauter Typen herum, die sich eifersüchtig nicht den Schmutz unter den Fingernägeln gönnen, Narzissten, schwache Persönlichkeiten, die nach jeder Anerkennung heischen, Frustrierte, Gierige, ist es ein einfaches Spiel. Und sei eine Struktur noch so abgeschottet und dicht, irgendwann braucht sie etwas von außerhalb. Dienstleistungen, Material, Personal, Nachwuchs, Fachleute, all dies sind Einfallstore.
Tja, diese Erfahrungen lege ich auf das Bild, welches gerade Deutschland abgibt. Wirklich kompliziert erscheint mir der Job der feindlichen Dienste derzeit nicht. Zumindest in der Politik, war das bis in die 70er hinein, noch eine große Kunst. Doch selbst unter den erschwerten Bedingungen leistete das MfS ganze Arbeit. Wie Markus “Mischa” Wolf später einräumte, ein wenig zu gut. Die Installation des Kanzlerspions war ein zu großes Risiko, weil die Gefahr bestand, genau die Falschen zu destabilisieren. Am Ende ging der Schuss nach hinten los. Der FSB, nunmehr unter national-faschistischer Führung, muss sich diese Frage nicht mehr stellen. Die progressiven Kräfte haben europaweit ohnehin schon verloren und diejenigen, welche auf Konfrontation gehen wollen, sind angreifbar bzw. brauchen nur ein wenig Unterstützung, damit sie alles zerlegen können. Gewinnen wird keiner. Letztlich gehen alle gemeinsam in den Abgrund. Ich persönlich gehe davon aus, dass wir im Spätsommer 2023 deutlich klarer erkennen können, wo die Reise hingeht. Wer davon ausgeht, dass ein von Russland verlorener Ukraine-Krieg unter Umständen alles zum Guten wenden wird, verrechnet sich meiner Auffassung nach gründlich. Dann geht es erst richtig los. Vernunft, Verstand, die Entwicklung der Menschen zu etwas, was mit dem natürlichen System kompatibel ist, hat bereits jetzt verloren. Dies zeigte uns der Kalte Krieg. Ab jetzt wird alles dem Konflikt untergeordnet, da ist kein Platz mehr für Ökologie, Transformation, Umdenken. Putin und andere kamen zur Auffassung, dass sich dieses Thema ohnehin erledigt hatte und beschlossen zu handeln. Einer von ihnen musste den Anfang machen.

21 August 2022

Jugend als Staatsfeind

Lesedauer 8 Minuten

In der Regel sagte ich bei mir dann doch sehr merkwürdig vorkommenden Schilderungen über Polizeieinsätze: „Na ja, jeder hat seine eigene Geschichte. Vielleicht war es dann doch ein wenig anders.“ Immer häufiger nagt ein banger Zweifel an mir. Schloss ich allzu oft von mir selbst auf andere? Verlor ich aufgrund der speziellen Bereiche, in denen ich unterwegs war, ein wenig den Blick für eine Entwicklung?

Gemäß diverser zuverlässiger Quellen[1]u.a. hier https://www.br.de/nachrichten/bayern/wenn-der-augsburger-staatsschutz-im-kinderzimmer-steht,T6NGbJ1 ist es zu folgenden, im Wesentlichen nicht einmal seitens der involvierten Dienststellen bestrittenen Sachverhalt gekommen:
Am 29. November 2019, also in der Nacht vor dem Shopping-Event „Black Friday“ sprühten Greenpeace die Slogans „Brauchst Du das?” und “Buy not!” mit Kreidespray an die Hauswände/Schaufenster von Augsburger Geschäften, die sie sich an dieser Aktion beteiligen. Greenpeace macht daraus auch kein Geheimnis und bekennt sich dazu.
Am folgenden Tag wird im Zusammenhang mit einer Klima-Demo eine 15-jährige Demonstrantin von Beamten in Zivil angesprochen und danach gefragt, ob sie etwas mit den Ereignissen zu tun hätte. In mehreren Publikationen steht dies so beschrieben. Sie verneint die Frage. Trotzdem werden umgangssprachlich ihre Personalien aufgenommen und ein Foto von ihr gemacht. Also wird von zwei Beamten ihre Identität festgestellt und sie wird mit ihrer Kleidung fotografiert. In der Regel wird dieses unternommen um bei gewalttätigen Auseinandersetzungen den Nachweis bringen zu können, dass dieser oder jene Demonstrationsteilnehmer*in eine Straftat, meistens Landfriedensbruch verwickelt war. Die 15-Jährige misst dem Vorfall keine besondere Bedeutung bei. Bis fünf Monate später mehrere Beamte des Polizeilichen Staatsschutzes (nach Aussagen der Mutter 7, was unerheblich ist, weil alles über 2 eine Unverschämtheit ist) mit einem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Augsburg vor der Tür stehen und ihr Zimmer nach Beweismitteln für die Sachbeschädigung, für die sich Greenpeace bekannte, suchen. Gesucht wird nach Spraydosen und einer Jacke, die schemenhaft auf einem Überwachungsvideo erkennbar ist.
Gut, ein/e Sachbearbeiterin bekommt einen Vorgang zugewiesen. Es besteht der Tatverdacht einer Sachbeschädigung, wobei fraglich ist, ob der Tatbestand bei einem leicht entfernbaren Kreidespray erfüllt ist. Denn sie ist nicht gegeben, wenn die Veränderung der fremden Sache nur vorübergehend ist und mit leichtem Aufwand wieder rückgängig gemacht werden kann. Anders: Die Leute bei Greenpeace sind auch nicht auf den Kopf gefallen! Es erfolgt die Auswertung der Aufzeichnungen einer Überwachungskamera. Ab hier wird es ein wenig nebulös. Wie hat das Bild von der Zivilstreife, welches im Zusammenhang mit einer Demo, die am Ende friedlich verlief, unter bedenkenswerten Umständen entstand, zur Sachbearbeitung gefunden? Dies dürfte nur mit einer Kartei funktionieren. Und dort liegen 15-jährige Aktivisten*innen ein?
Ich erinnere mich dunkel daran, dass wir separate Bildkarteien nur mit besonderen Genehmigungen pflegen durften. Und ich befand mich zu dieser Zeit im Bereich Schwerstkriminalität, ausgehend von Täter*innen mit Bezug zur Organisierten Kriminalität vom Balkan. Ähnliches gab es im Bereich Jugendgruppen Kriminalität. Doch auch die waren mit Messern, Schusswaffen und ähnlichen schweren Gerät unterwegs. Bilderkarteien mit Bildern, die mal eben am Rande von Klima-Demos entstehen, an denen sich Aktivisten*innen von Fridays for Future beteiligen? Zumindest liegt der Verdacht nahe.

Weiter! Von der Sachbearbeitung aus wird der Vorgang an die Staatsanwaltschaft ab verfügt (ganz bewusst Amtsdeutsch). Entweder mit der Bitte um die Beantragung eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses oder eine Stufe darunter mit dem Standardsatz: „Wird der StA m.d.B. um weitere Entscheidung und Veranlassung übersandt.“ Es folgen also zwei weitere Instanzen. Eine Staatsanwaltschaft, die das Verfahren nicht aus mangelnden öffentlichen Interesse einstellt und ein/e Richter*in, der/die es für geeignet hält, das Recht auf Unversehrtheit der Wohnung zum Zweck der Beweismittelauffindung bei einer 15-Jährigen aufzuheben. Hierzu ein kleiner Exkurs für Leute, die sich mit solchen Dingen nicht auskennen. In der Praxis kann es passieren, dass ein leitender Beamter die Anordnung einer Durchsuchung selbst treffen muss, weil eine Gefahr im Verzuge vorliegt. Dabei gibt es durchaus Abwägungen und bei unterschwelligen Delikten, kann darauf verzichtet werden, vor allem wenn die Auffindung von Beweismitteln sehr unwahrscheinlich ist. Was will ich denn finden? Spraydosen mit Kreidespray? Die sind handelsüblich und für forensische Untersuchungen ungeeignet. Die Jacke, die nicht einmal gut zu erkennen ist? Bei einem Verbrechen könnte man ein paar Spezialisten in die Spur schicken, die ein Gutachten bezüglich der Physiognomie der aufgenommenen Person erstellen – Verbrechen! Bleibt: Man kann ja mal nachschauen, was man sonst noch so findet. Bin ich dabei! Wenn ich gegen Mitglieder einer Kriminellen Vereinigung ermittle, greife ich nach jedem Strohhalm und nach jeder Eintrittskarte. Aber zur Erinnerung: 15-jährige Aktivistin bei FFF.

Kriminelle leben in dem Lebensgefühl, dass jederzeit mal die Polizei vorbeikommen kann. Denen ist es überwiegend egal, wenn ihre Behausungen durchsucht werden. Teenager bekommen bereits eine Krise, wenn Mutter oder Vater das Zimmer betreten um „biologische Experimente“ zu entfernen. Das Recht auf Unversehrtheit der Wohnung existiert nicht ohne Grund. Es ist ein folgenreicher, tiefgreifender Eingriff in die Privatsphäre, wenn wildfremde Menschen meine Sachen durchstöbern und unter Umständen Sachen aufdecken, die ich nicht preisgeben will. Ein Einbruch oder eine Durchsuchung können das gesamte weitere Leben verändern. Es geht nämlich etwas verloren. Das Vertrauen, die Sicherheit, dass es einen Platz gibt, an dem ich den Blicken vom Rest der Welt entzogen bin.

Nach der Durchsuchung, vor allem wenn sie aus einem nichtigen Anlass heraus passiert, die Gründe eher wacklig sind oder ich schlicht unschuldig bin, habe ich eine Lektion gelernt. Zu jeder Zeit kann die Staatsmacht bei mir eindringen. Auch wegen einer popeligen -eventuell- Sachbeschädigung. Wenn ich eine echte Privatsphäre möchte, bedarf es eines erheblichen Aufwands. Mobiltelefon verschlüsseln, Rechner mit Kryptografie absichern, wirklich private Sachen nicht zu Hause aufbewahren – die komplette Paranoia. Was hat die 15-Jährige noch vor ihrer Volljährigkeit gelernt? Lass Dich nicht einfach von Zivis ansprechen, erst recht nicht fotografieren, ziehe Dir uniformierte Kleidung an, sei vorsichtig, wenn Du auf eine Demo gehst, Basecap, Sonnenbrille. Oder lasse es lieber gleich sein, weil sie Dich schnell einsortieren. Und: Es gibt keinen sicheren Platz!

Ich mache aus meiner Biografie kein Geheimnis. Über zwei Jahrzehnte hinweg observierte ich Straftäter*innen in unterschiedlichen Deliktbereichen. Unter anderen auch politische und religiöse Extremisten. Wer in diesem Bereich arbeitet, muss besonders abwägen, wo die Grenzen sind und ob das Verhalten der Personen die Maßnahmen rechtfertigen. Dabei gab es immer mal wieder Konflikte mit Sachbearbeitern*innen, die gerne alles und jeden beobachten lassen wollten. Ermittlern*innen müssen immer mal wieder Grenzen gesetzt werden, weil sie irgendwann den Bodenkontakt verlieren und nur noch in ihrer Aktenwelt leben. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man sich irgendwann nicht mehr der Außenwirkung bewusst ist, weil man nur noch seine Verfahren wahrnimmt. Nicht umsonst ist die Bezeichnung Sachbearbeiter*in! Es wird ein Sachverhalt aufgeklärt. Das klingt abstrakt und neutral. Ohne Ansehen der Person soll nüchtern und objektiv festgestellt werden, was passiert ist und welche Handlungen von wem ursächlich waren. Klingt gut, funktioniert aber nicht. Wenn ich als Ermittler den Menschen und die Gesellschaft aus den Augen verliere, mutiere ich zum Technokraten.

Ich komme nicht umhin, immer mal wieder zu schauen, was ich da als Mensch und Mitglied einer Gesellschaft veranstalte. Mein Handeln ist in ein größeres Konzept eingebunden. Viele einzelne Handlungen ergeben einen Prozess mit einem Ergebnis. Meiner Auffassung kann sich kein Deutscher Beamter aus der Verantwortung stehlen, weil wir die historische Lektion erhielten, dass viele einzelne Unterschriften eine Katastrophe ergeben können. „Ich bin heraus, weil ich nur in einem Sachverhalt ermittelte, der Staatsanwalt hat den Hut auf und immerhin hat ein Richter entschieden!“, ist das Ergebnis einer Hierarchie und gleichsam die Feigheit, eigene Verantwortung zu übernehmen. Mein Job war es häufig, für den/die Sachbearbeiter*in das Auge auf der Straße zu sein. Deshalb weiß ich: Was auf dem Papier geschrieben steht, erweckt oftmals ein falsches Bild vom tatsächlichen Geschehen. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Manche sind nicht wirklich talentiert beim Schreiben, andere übertreiben, weil sie sich selbst in ein gutes Licht rücken wollen oder sie „trimmen“ den Bericht darauf, dass alles seine Richtigkeit hatte. Bei einer 15-Jährigen sollten die Alarmglocken läuten und mit ganz besonderer Sorgfalt vorgegangen werden. Insbesondere dann, wenn es nicht um eine schwerwiegende Straftat geht.

Ist das der Haken?

Verfassungsschützer, Angehörige des polizeilichen Staatsschutzes, Vertreter von Polizeigewerkschaften, eine ganze Horde Journalisten und Kolumnisten ergehen sich in Statements, bei denen sie von Extremisten und Radikalen sprechen. Wenn ich zurückschaue, assoziiere ich mit diesen Begriffen, islamistische Terroristen, rechte Terrorvereinigungen und Netzwerke, Mitglieder der AiZ, Klasse gegen Klasse, Bewegung 2. Juni, RAF, Baader-Meinhof, alle Vertreter der anarchistischen Vertreter der Propaganda der Tat, Attentäter. Ich denke auch an die Straßenschlachten der autonomen Bewegung in den 80ern, Startbahn-West, Wackersdorf, Brockdorf (wobei hier zum Teil ganz biedere Leute zum Opfer wurden), Verteidigung der Bannmeile um das Rathaus Schöneberg. Mit Sicherheit denke ich nicht an FFF, Ende Gelände, Extinction Rebellion oder Letzte Generation.
Worin besteht denn ihre Radikalität?
Sie behaupten, dass die Zeit dessen, was offensichtlich als gemäßigt gilt, vorbei ist. Faule Kompromisse mit Wirtschaftszweigen, Klientel-Politik, Befriedigung von Lobbyisten, die die Auszahlungen von Renditen sichern sollen, Wirtschaftswachstum vor echter Lebensqualität, ein bemerkenswert in die Schieflage geratenes Verhältnis zu den Lebensressourcen, und eine Gesellschaft, die mittlerweile zu 100 % auf Haben ausgerichtet ist, während das Lebendige in den Hintergrund tritt. Ja, sie rütteln an den Grundfesten der Ergebnisse dessen, was aus dem 20. Jahrhundert hervorgegangen ist und der Welt des 21. Jahrhunderts massive Probleme beschert. Dies taten auch schon Leute im 20. Jahrhundert. Nur entführten die Politiker, zündeten Bomben und erschossen Frauen und Männer. Davon sind die Genannten weit entfernt. Es lohnt sich aber, mal auf die ausgehenden 60er und die 70er zu schauen. Alles begann mal mit Kritik, Forderungen, einem Krieg in Vietnam und einer Staatsgewalt, getragen von einem konservativen Bürgertum, welches nur die Repression, Statik und Verweigerung der Kommunikation kannte. Es mündete in dem Irrweg, dass mit Gewalt gegen Personen eine Änderung herbeigeführt werden könne. Solche Entwicklungen dauern!
Nein, wir leben nicht mehr im 20. Jahrhundert und ich kann nicht 1:1 die Prozesse übertragen. Die damaligen Ereignisse und Terror ausgehend von verschiedenen Gruppierungen, zogen eine veränderte Sicherheitsstruktur nach sich. Heute sind wir an dem Punkt angekommen, wo wir sehr kritisch die Frage stellen und beantworten müssen, wie das Verhältnis zwischen Sicherheit, Kontrolle und Freiheit ausgestaltet werden soll. Veränderungen bedeuten Weiterentwicklung und beides ist ohne Freiheit nicht möglich. Sicherheit, die durch exzessive Kontrolle und Verfolgung erreicht wird, steht der Freiheit entgegen. Außerdem verändern sich die Menschen unmerklich, aber es passiert.

Ich spiele das mal hypothetisch durch. Indem die erwähnten Propagandisten vom Foodsharer, Klimaaktivisten, Demonstranten, die Veränderungen fordern, Blockierern bis zum provokant auftretenden Accountinhaber (wahlweise das passende Geschlecht einsetzen), jeden zum linken Extremisten deklarieren, bereiten sie die Basis für staatliche Repression, unmittelbar oder durch die Kontrolle vor. Das Ergebnis ist dann die Hausdurchsuchung bei einer harmlosen 15-Jährigen, deren Fehler darin bestand, sich öffentlich-wirksam zu engagiern, Gesicht und Haltung zu zeigen. Was danach folgte, ist eine Botschaft an alle anderen. Die „Szene“ beobachtet sehr genau, was in diesem Bereich passiert. Gesetzt den Fall, die liegen mit all ihren Befürchtungen richtig. Ein Umstand, der zumindest mit den weltweiten wissenschaftlichen Erkenntnissen und globalen Geschehnissen, nicht unwahrscheinlich ist. Dann werden die Ereignisse inklusive der negativen gesellschaftlichen Entwicklungen Fahrt aufnehmen. Es scheint, dass die Aktivisten*innen mundtot gemacht werden sollen. Dies hätte eine minimale Chance, wenn es um schnöden Besitz, eine Karriere, Erfolg, ginge. Tatsächlich geht es allerdings um begründete Existenzängste, die unter Umständen von realen Geschehnissen begleitet werden. Dann haben wir es in 10 Jahren mit 25-30-Jährigen zu tun, die gelernt haben, dass das Establishment, welches sich passende Schutzmaßnahmen leisten kann, von einem repressiven Staatsapparat getragen wird. Dann sehe ich mich einer Generation gegenüber, die mit Rechnern tolle Sachen anstellen können. Nach und nach wird sich wahrscheinlich alles in den Cyberspace verschieben und da sie wissen, dass sie es mit Leuten zu tun haben, die nicht gerade die Top-Spezialisten auf diesem Gebiet sind, werden sie für ihre Anonymität zu sorgen wissen.

Fazit: Wer heute von Extremisten oder Ökoterroristen spricht, dem fehlt es an Fantasie, was da noch alles passieren kann. Und wer halben Kindern wegen einer Spray-Aktion die Buchte einrennt, ist ein Depp der Geschichte. Nicht die Heranwachsenden gefährden unseren Staat und die Freiheit, sondern das Gebaren des politischen Establishments in Zusammenarbeit mit willfährigen Publikationen ohne Urteilsvermögen bezüglich der Folgen ihres Populismus und einhergehender Propaganda. Was nicht bedeutet, dass es nicht andere gibt. Doch die erreichen nicht die dominierenden Gesellschaftsschichten, welche derzeit die Entwicklungen bestimmen. Ein ehemaliger Lehrer sagte mal zu mir: “Ich wusste immer, dass es eine gute Idee ist, Euch fair zu behandeln. Denn eines Tages stehen Erwachsene der Gegenwart vor Dir, während Du die Vergangenheit bist.” Und ich weiß, wo ich herkomme. Wenn ich mit meiner Vergangenheit die Augenbrauen hebe, bedeutet dies: Ich hege den Verdacht, dass in der Polizei Haltungen, die es schon immer gab, langsam wieder die Oberhand gewinnen. Keine Sorge, ich meine damit nicht rechte Strömungen oder was im Allgemeinen darunter verstanden wird. Es ist die autoritäre Law & Order – Fraktion, die sich aus Technokraten und Freunden der Hierarchie zusammensetzt, weil sie in ihr andere für sich denken lassen können. Damit werden Wege geebnet. Wer links mit progressiv, notwendigen Veränderungen, Innovation, verwechselt, wird eines Tages feststellen müssen, dass dieses links allgemein akzeptiertes Gemeingut ist und man selbst ein unliebsames Relikt aus alten Zeiten geworden ist. Kurzum: 15-Jährige maß nehmen? Geht’s noch!? Der restliche Text ist lediglich eine Erklärung, warum ich dies empört ausrufe.

26 Februar 2021

Verzicht, Empört Euch!

Lesedauer 4 Minuten

Zitat: “Ausgerechnet in der Corona-Krise, in der viele Menschen auf vieles verzichten müssen, philosophiert SPD-Chefin Esken über mehr Lebensqualität durch Verzicht. Und das auch noch im Superwahljahr. In der SPD rumort es nun gehörig.”

https://www.welt.de/politik/deutschland/article227091343/Vorstoss-von-Saskia-Esken-Jetzt-predigt-die-SPD-Chefin-den-Verzicht.html Stand: 26.2.2021

Das harmlose Substantiv “Verzicht” wirkt auf Konservative und Jünger der Religion des Marktes, wie Weihwasser auf den Teufel oder Knoblauch auf Vampire. Doch was bedeutet es, wenn jemand verzichtet? In der Regel gibt es etwas, was ich bekommen könnte, aber es mir aus einem Grund heraus nicht nehme. Vielleicht bin ich gesättigt, und würde mich bei noch mehr Essen übergeben. Oder ich spüre, dass ich betrunken bin und will mir nicht noch mehr Alkohol zumuten. Es läuft immer darauf hinaus, dass ich etwas tun könnte, aber es bewusst unterlasse. Als Mensch habe ich ein breites Spektrum an Handlungsoptionen. Wenn ich es darauf reduziere, würde es bedeuten, dass ich jeden Tag auf einen Suizid verzichte oder darauf jemanden ums Leben zu bringen. Verzicht wird seitens der angesprochenen Personengruppe negativ konnotiert. Es geht um Konsum, Freizeitgestaltung, Besitz, Statussymbole und einiges andere in dieser Richtung. Das war nicht immer so. Im Christentum waren wenigstens den Texten nach, Maßhalten, Zurückhaltung, Genügsamkeit, eher Tugenden, während die Völlerei, die Gier, Maßlosigkeit, Übermaß, zu den Sünden gehörten. Bei den Benediktinern/innen, Jesuiten, Franziskaner/innen und zahlreichen anderen Ordensgemeinschaften kann hierzu jeder im Bedarfsfall nachfragen. Wer nicht Fragen will, kann alternativ in der Bibel unter den Stichworten, Sintflut, Babylon oder Sodom und Gomorrha, nachlesen. Verzichten die überzeugten Christen oder sind andere Worte passender? Und wenn Christen, die meisten Konservativen rechnen sich zu ihnen, haltlos konsumieren, sind sie dann gar keine oder wenigstens Sünder? Nebenbei habe ich dies bei der Katholischen Kirche noch nie verstanden.

Bei Texten und Kritik folgt auf Verzicht in der Regel ein Hinweis auf Verbote. Die Aufforderung zum Verzicht geht bei dieser Logik immer mit einem Verbot einher, ansonsten würde niemand freiwillig von der Möglichkeit zu Handeln Abstand nehmen. Wenn ein Mensch nicht handelt, wird dies auch unterlassen genannt. Vielleicht, weil die Gefahr besteht, sich selbst oder andere zu gefährden. Oder es gibt schlicht keinerlei Motiv für eine Handlung. Warum sollte ich beispielsweise etwas kaufen, was ich überhaupt nicht benötige? Die Antwort ist bekannt. Es geht nicht um die Notwendigkeit, sondern das Bedürfnis danach. Zum überwiegenden Teil um Bedürfnisse, die in einem geschickt erzeugt werden. Jeder/jedem steht es innerhalb von gewissen Grenzen frei, die Bedürfnisse, auch wenn sie durch Manipulationen entstanden, zu befriedigen. Wie sehen diese Grenzen aus? Immer, wenn ich andere mit meiner Bedürfnisbefriedigung schädige, wird es kritisch. Es gibt Ausnahmefälle. Ich denke dabei an im Mangel vorhandenes Existenzielles, um das ich mit anderen kämpfen muss. Wenn bei drei Personen das Wasser nur für zwei zum Überleben reicht, wird es unangenehm und ethisch sehr theoretisch, während es praktisch in der Regel handfest zur Sache geht. Doch wenn man nicht gerade das Pech hat, in einem Flüchtlingscamp festzusitzen, betrifft dies die wenigsten Mitteleuropäer und nahezu niemals Konservative. Dies liegt in der Natur der Sache. Müssten sie sich solche Sorgen machen, würden sie innovativ werden und schleunigst Änderungen anstreben.

Bleibt also die unmittelbare oder mittelbare Schädigung anderer Menschen, und ich denke die Erweiterung ist zulässig, anderer Lebewesen, da das komplexe Lebenssystem der Erde von allen abhängig ist. Man kann diese Einschränkung auch als logische Bedingung für die Freiheit sehen. Alles ist erlaubt, solange ich keinen objektiv vermeidbaren Schaden anrichte, sollte ich es dennoch tun, muss ich damit leben, dass mich die Geschädigten zur Verantwortung ziehen. Demnach ist das Unterlassen einer möglichen Handlung eine an den Lebensprinzipien orientierte Unterordnung. Ich bin kein buddhistischer Mönch oder Jesuit, insofern bin ich selbst häufig genug einer, der nicht ganz ohne Schädigungen auskommt, zumal dies in meiner Umgebung irre schwer ist. Vieles ist vollkommen unnütz. Ich rauche, trinke Kaffee, für den andere ausgebeutet werden, benutze ein Smartphone, an dem viel Unmenschliches hinten dran hängt, u.s.w. Aber wenn ich darauf hingewiesen werde, zucke ich unangenehm berührt zusammen und weiß, dass ich lieber die Klappe halten sollte, statt eine Gegenrede zu führen. Oftmals bin ich für Verbote dankbar und ersehe sie als Hilfestellung. Wenn zum Beispiel von Heute auf Morgen die Herstellung und der Verkauf von Plastiktüten verboten wäre, würde ich dies begrüßen.

Bei mir kommt Verzicht gedanklich mit Übermaß bzw. Luxus, Vergnügen, daher. Ich könnte, benötige es aber nicht, also lasse ich es, zumeist mit positiven Folgen. Dazu gehören ab – und zu der Verzicht auf Zucker, Salz, Tabak, Alkohol oder auf eine Busfahrt, zugunsten eines Spaziergangs. Wenn etwas offensichtlich und ohne jede Frage schädlich für andere ist, dann kann von einem Verzicht nicht mehr die Rede sein. Dann handle ich unvernünftig, wenn ich es gedanklich ableiten kann oder unverständig, wenn ich es sogar unmittelbar sehe. Wie gesagt, ich bin keinesfalls ständig mit Sinn und Verstand unterwegs.

Wenn Konservative oder ihre Untergruppe, die Neoliberalen, zähnefletschend das Wort Verzicht benutzen, wollen sie aufwiegeln. “Da will Euch jemand etwas wegnehmen oder untersagen!” Der springende Punkt ist dabei, dass mir niemand etwas wegnehmen oder untersagen kann, was mir ohnehin nicht zusteht. Mit ungebremsten Konsum, der Beteiligung an der unverantwortlichen Zerstörung der Lebensgrundlagen, füge ich mir selbst und anderen einen objektiv sichtbaren Schaden zu. Welche Instanz sollte mir dieses zugestehen? “Es ist Dein Recht, zum eigenen Nutzen andere zu schädigen!” Hierauf könnte ich dann verzichten. Wir machen es in allen nur erdenklichen Formen, soviel steht fest. Doch ich finde, es klänge merkwürdig, wenn ein Außenminister sagte, wir könnten zwar einfach mal militärisch intervenieren, aber verzichten darauf. Was wir tun, ist das Ableiten von Rechten aus vorhergehenden Handlungen. Doch was genau hat uns die Flora und Fauna der Arktis getan? Oder all die Lebewesen in den Meeren? Was ist mit den Insulanern, bei denen demnächst Land unter ist? Fällt jemanden etwas ein? Ich bin gespannt.

Aus mir unerklärlichen Gründen heraus sind Konservative und Neoliberale von der Existenz dieser Rechte überzeugt, sonst würden sie das Unterlassen des Schädigens nicht als einen Verzicht bezeichnen können. Wie würde es klingen, wenn ich sagte: “Ich habe das Recht und die Möglichkeit, den Garten meines Nachbarn mit “”Roundup” in einen kontaminierten Buddelkasten umzuwandeln, aber weil ich ein Netter bin, verzichte ich darauf.” Nein, ich habe dies gefälligst aus mannigfaltigen Gründen zu unterlassen. Bisher bin ich noch nicht auf die Idee gekommen, mich darüber zu beschweren. Es war auch noch nicht notwendig, dass jemand sagte: “Verzichten Sie bitte darauf!”

17 Februar 2021

Die Kinder vom Bahnhof Zoo

Lesedauer 2 Minuten

Sie legen die Geschichte nochmals neu auf. 2021, in einer Zeit der Influencer, Oberflächlichkeit, billigem Trash, der Empörung über alles, der Hochstilisierung, der Spaltung zwischen Hochhaussiedlungen am Rande der Stadt, den selbstgefälligen Kindern des Bürgertums und den Etablierten jenseits von Gut und Böse in ihren Elfenbeintürmen.

Photo by Matthew T Rader on Pexels.com

Ich habe Beton vor Augen. Stinkende Urinpfützen in der Ecke des Fahrstuhls, jeder Knopf bis zur 10en Etage ist angekokelt, im Treppenhaus hat einer seine Notdurft verrichtet. Junge Männer und Frauen liegen tot mit ausgewaschenen Jeans im Neonlicht auf den Fliesen von Bahnhofs – Toiletten in schwarzen Blutlachen. Die eigentümliche Akustik des “Sound” und des “Ballhaus Tiergarten” erklingen wieder in meinen Ohren. Leere Augen mit gesenkten Lidern schauen mich an und das letzte übriggebliebene Menschliche grüßt mich mit schleppender Sprache. Leere, eine abgrundtiefe Leere, so unendlich dunkel, wie man es sich nicht ausdenken kann. Nichts hat mehr Bestand. Keine Moral, Ethik, Freundschaft, Liebe, Nähe, Vertrauen, Rücksicht, Frauen, Kinder, Alte, die Hölle des Mittelalters hat Gestalt angenommen. Kein Glauben an irgendetwas kann das überleben.

Vierzehnjährige schminken sich und machen für fünfzigjährige Familienväter auf der Rückbank neben der neuesten Erfindung der Autoindustrie, dem Kindersitz, die Beine breit. Das, was man Gesellschaft nennt, zeigt mir die nackte ungeschminkte Fratze. Verlogenheit, Brutalität, pornografischer Egoismus, irgendwo dazwischen ein wenig Liebe und Eifersucht, dann wieder der nackte Mensch, so wie er ist.

Auf dem Zenit der Dekadenz, der absoluten Machtvollkommenheit des Kapitalismus, in der alles zum Produkt geworden ist und der Mensch von damals geblieben ist, was er ist, aber wenigstens noch die Verzweiflung nicht mehr ertrug, die Abgründe endgültig aus der Sicht an den Rand der Städte und der Republik verdrängt wurden, wie der unansehnliche Komposthaufen im Garten, drehen nette saubere Kinder des Bürgertums eine Geschichte in Form einer Serie ab. Zeitgerecht, farbig … der Horror als mediales Ereignis.

Nein, ich will mit dieser Dekadenz nichts zu tun haben …

31 Januar 2021

Einzelfall, Einzeltäter

Lesedauer 3 Minuten

Was wäre die deutsche Sprache ohne den Donaudampfschifffahrtskapitän? Ein Ungetüm, welches schon für viel Spaß sorgte. An einem weit zurückliegenden Morgen legte in einer deutschen Amtsstube eine Frau oder Mann die Morgenzeitung zusammen, trank einen Kaffee und waltete des Amtes. Die Tagesaufgabe bestand im Entwurf einer Verwaltungsvorschrift oder etwas ähnlichen. Sie oder er dachte kurz nach und tippte: “Hier gilt es den einzelnen Fall zu betrachten.” Vielleicht war die Zeile zu kurz. Möglicherweise sah der Absatz nicht gut aus. Keiner kann das im Nachhinein klären. Fest steht, dass aus dem einzelnen Fall, der Einzelfall wurde. Seither dümpelt er im Verwaltungsrecht herum. Dann wandelten sich die Zeiten. Eine weitere Frau oder Mann, vermutlich mit einer juristischen Ausbildung, beteiligte sich an einer Diskussion über eine in der Öffentlichkeit präsente Straftat und sprach davon, dass es sich wohl kaum um einen Einzelfall handle. Wahrscheinlicher war es  die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter einer PR Agentur. Dann wäre das Ziel eventuell die gezielte Manipulation gewesen, in dem aus dem Singular der Plural, die Einzelfälle, im Sinne eines Zweifels, wurde. Denn sonst wären es simpel ein Fall oder wenn mehrere Straftaten betrachtet werden, die Fälle. Gehören die erkennbar zusammen, machen Ermittler daraus einen Sammelfall mit einem Täter oder einer Tätergruppe.

Ebenso gibt es zu Straftaten, eine/n Täter/in oder mehrere gemeinschaftlich, bisweilen auch unabhängig voneinander, aber dennoch organisiert, handelnde Täter/innen. Die/der Einzeltäter/in ist eine vollkommen redundante Formulierung. Der Täter, die Täterin genügt vollauf. In einem Fall ermitteln die Kriminalbeamten alle Umstände der Tat, bis sich eine Sachlage abzeichnet, die einen dringenden Tatverdacht zulasten eines oder mehrerer Täter ergibt. Nach unserem Strafrecht können Täter in unterschiedlicher Art und Weise rechtswidrig, tatbestandsmäßig und schuldhaft in Verbindung stehen. Hierzu gehört die Anstiftung zu einer konkreten Handlung. Ob nun das Aufhetzen innerhalb einer Gruppe (z.B. Amri), oder ausgehend von einer politischen Partei bzw. Boulevardzeitung (siehe Anschlag auf Dutschke), dazu gehört, kann diskutiert werden.

Doch wie auch immer diese ausgeht, es handelte ein/e Täter/in oder mehrere Täter/innen in einem oder mehreren Fällen. Möglich wäre noch der Mehrfachtäter, der nach und nach z.B. zwei oder Menschen ermordete. Die da in der Diskussion den Begriff Einzeltäter schmähen, wollen aus unterschiedlichen Richtungen auf etwas sehr Ähnliches hinaus. Die Mitglieder der AfD wollen aus geflüchteten Frauen, Männern und Kindern allesamt dubiose Personen formen. Linksseitig sollen alle Polizisten/innen dämonisiert werden. Geht es um Straftäter, die ein erkennbar rechtes Weltbild haben, soll eine Untätigkeit aller staatlichen Institutionen angeprangert werden.

Der Mörder von Walter Lübcke handelte dem Ermittlungsergebnis nach nicht alleine. Zwei weiteren Männern wird Beihilfe zum Mord vorgehalten, damit werden sie zu Mittätern und er ist der Haupttäter in einem konkreten Mordfall.

Psychologen, Soziologen, Analytiker werden sich Gedanken machen müssen, wo Parallelen in der Entwicklung der Persönlichkeitsstrukturen zwischen unterschiedlichen Tätern bestehen, die in einer oder mehreren extremen Handlungen mündeten. Alles auf eine Hetze zu schieben, wäre mir persönlich zu begrenzt. Denn die Hetze wurde weit verbreitet, aber nicht jeder nahm diese Entwicklung und schritt zur Tat. Sie ist ein Faktor von mehreren.

Gesprochen wird von rechten Netzwerken. Bei der Organisierten Kriminalität gibt es hier eine Parallele. Die Kriminelle Vereinigung ist gegeben, wenn sich die Täter/innen einer Gemeinschaft, im Idealfall ausgedrückt durch eine gemeinsame Namensgebung (Camorra, Mafia, Pink Panther, Zemun Clan) zugehörig fühlen und die Straftaten ähnlich einem Firmenziel begangen werden. Nun organisieren sich aber einige Täter, schließen sich temporär zu Gruppen zusammen, begünstigen sich gegenseitig, sehen sich aber nicht als Mitglied einer Organisation. Deshalb fand man den Begriff “Kriminelle Netzwerkstruktur von Banden”. Allerdings ist der nur für kriminologische Betrachtungen brauchbar, vor Gericht wird das bandenmäßige, zumeist auch gewerbsmäßige, Begehen, angeklagt. Für Ermittlungen ist es sinnvoll, die Netzwerkstrukturen zu erkennen und sich an ihnen zu orientieren, rein strafprozessual bringen sie gar nichts. Bei OK – Ermittlungen gibt es ein geflügeltes Wort: “Der kennt den ist nicht strafbar!”

Die rechtsorientierten Straftäter haben hier seit den 90ern eifrig bei denen auf der anderen Seite und bei den klassischen Kriminellen gelernt. Die Taktik der klandestinen losen Strukturen wurde in der linksextremistischen Szene erfunden und in Texten immer wieder zum Thema gemacht. Sie erschwert die Ermittlungen und verhindert eine Anklage wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Einzelne Straftaten angeklagter Täter/innen oder Kleingruppen, lassen sich verschmerzen. Mit diesem Lernprozess auf der rechten Seite ist die Gefahr stetig qualifizierter geworden. Was da nach und nach entstand, zeichnete sich zeitlich in etwa bei den Ermittlungen gegen die Rechtsrockgruppe “Die Landser” wegen Bildung einer Kriminellen Vereinigung ab.

Spätestens nach dem Lesen des Buchs von Schmidbauer: “Psychologie des Terrors: Warum junge Männer zu Attentätern werden”, bin ich selbst zur Auffassung gekommen, dass in dem Milieu, wo diese Personen heranwachsen viel tiefer geforscht werden muss und einiges an Veränderungen, insbesondere im Sozialen, herbeizuführen ist.

Wie gesagt, die missbräuchliche Benutzung der Begriffe Einzelfall und Einzeltäter als Spin – Wörter, ist meiner Beobachtung nach erstmals nicht bei einer Diskussion zufällig aufgetaucht, sondern gezielt und bewusst seitens der AfD – vermutlich beraten von einer PR Agentur – verwendet worden. Ich denke nicht, dass es eine gute Idee ist, auf diesen Zug aufzuspringen. Es sei denn, das alte Spiel wird gespielt: Propaganda gegen Propaganda. Ob das funktioniert?

 

 

 

 

2 Dezember 2019

Empörung vs. Gesetz

Lesedauer 3 Minuten

Insbesondere rechtsradikale Gruppen loten den Rechtsstaat bis an die letzte Grenze aus. Hierbei werden sie von rechtsgerichteten Juristen beraten und die Szene trifft sich zu Seminaren. Dies sollte man wissen, wenn man sich mit dieser Szene auseinandersetzt.

Oftmals wissen die bei Demonstrationen sehr genau Bescheid, welche Optionen der Einsatzleiter hat. So kommen dann bisweilen nach Außen hin schwer verständliche Entscheidungen zustande. Beispielsweise skandierten sie früher “Ruhm und Ehre der Waffen SS”. Das ist verboten und führt zur Auflösung der Demonstration. Hingegen ist der Ruf: “Ruhm und Ehre der Wehrmacht” nicht verboten. Das mag einem nicht gefallen und es ist im höchsten Maße frustrierend, aber die Gesetzeslage ist nun einmal so.

Ständig lassen sie sich neue Sachen einfallen und der Gesetzgeber rennt alledem hinterher. Bei dem aktuell zur Diskussion stehenden Wandbild in Cottbus verhält es sich ähnlich. Weder ist der Krebs, entlehnt aus dem Wappen, ein katalogisiertes verfassungsfeindliches Symbol, noch ist der verwendete Schriftzug rechtlich relevant. Jeder weiß, was gemeint ist, doch darauf kommt es nicht an. Unter dem Strich ist die Wandbemalung eventuell eine Sachbeschädigung. Aber nur dann, wenn der Besitzer der Wand einen Strafantrag stellt.

Nunmehr scheint der Einsatzleiter die Beamten, welche vor dem Wandbild posierten, zur Übermalung des Bildes aufgefordert zu haben. Dies stellt zum einen eine dienstliche Weisung dar, zum anderen folgt daraus ein polizeiliches Handeln. Jenes stellt einen Verwaltungsakt dar. Es stellt sich allerdings die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage. Ich kann maximal eine mögliche Gefahrenabwehr erkennen. Dazu müsste eine von dem Wandbild gegenwärtige Gefährdung für ein Rechtsgut ausgehen. Wie erwähnt, handelt es sich nicht um verfassungsfeindliche Symbole.

Die Gefahr könnte darin bestehen, dass sich dort eine Menschenmenge sammelt, die sich über das Bild empört. Davon stand nirgendwo etwas geschrieben. Wie auch immer die Gefahreneinschätzung des Einsatzleiters aussah, es bestand auf jeden Fall genug Zeit, den Besitzer der Mauer zu benachrichtigen oder eine Fachfirma herbeizuholen, die sach – und fachgerecht den Schriftzug entfernt. Polizeivollzugsbeamte als Maler ist ein eher ungewöhnliches Bild und auch nicht vorgesehen. Rein theoretisch gäbe es technische Einsatzgruppen, die in Notfällen bei entsprechenden Aufgaben, vorausgesetzt es besteht eine gegenwärtige Gefahr, bei der nicht zeitgerecht der eigentliche Verantwortliche herbeigeholt werden kann, die herangezogen werden könnten.

Gemäß der Presseberichterstattung hinterließen die Polizeibeamten, die laienhaft an der Wand Herumpinselten, ausgerechnet die Buchstaben, welche als einen Hinweis auf eine rechtsausgerichtete Gruppierung, hindeuten könnten. Ob nun nächtens erneut rechte Aktivisten an der Wand herumfummelten, weiß keiner genau. Wie auch immer, dienstlich können hierbei Verfehlungen eine Rolle spielen. Verstoß gegen dienstliche Anweisungen, Schädigung des Ansehens der Behörde, gehören dazu. Rein disziplinarrechtlich läuft das u.U. auf einen mündlichen Verweis hinaus. Alles wesentliche darüber, erfordert ein förmliches Klageverfahren, welches vermutlich scheitern würde.

Was bleibt? Eine Gruppe Polizisten, die mit einem Foto viel Staub aufgwirbelt haben. Nicht zuletzt deshalb, weil es in rechten Kreisen gehypt wurde. Dies ist den fotografierten Polizisten nicht vorzuwerfen, da sie darauf keinen Einfluss hatten. Ein Polizeiführer, der meiner Auffassung nach, äußerst unklug gehandelt hat. Ich vermute, dies geschah unter massiven politischen Druck. Was die Polizisten geritten hat, sich weder der Anweisung zu widersetzen, noch den Auftrag eventuell merkwürdig umzusetzen, kann ich nicht ermessen. Wie hätte ich gehandelt? Auf jeden Fall hätte ich einen Widerspruch formuliert und mir diesen unterschreiben lassen. Wäre ich zur Tat geschritten, hätte ich das Ergebnis in einzelnen Arbeitsschritten detailliert dokumentiert. Wer weiß? Vielleicht haben sie all das getan.

Mehrere Sachen finde ich bei der Story faszinierend. Da wäre diese immer wieder aufkommende exhibitionistische Ader, solche Bilder zu erstellen und sie dann auch noch in die Welt hinaus zu blasen. Dann ist da noch der Druck der Presse, welcher sich stets in einen politischen Druck verwandelt, der dann zu äußerst unüblichen Reaktionen in der Polizeiführung führt.

Mir liegt es fern, irgendwelche Cottbusser Polizeieinheiten zu verteidigen. Keine Ahnung, wie es bei denen intern zugeht. Aber eins ist klar, fundiertes rechtliches Handeln und eine empörte Presse bzw. Bevölkerung, kann nicht das Maß der Dinge sein. Doch genau darauf läuft es immer häufiger hinaus. Damit kann der Radikale wunderbar agieren. Dies ist ein klares Zeichen für eine Polizeiführung, die politisch den gerade installierten Machtinhabern zu arbeitet, damit der Innenminister oder Senator gut da steht. Das könnte in Hinblick auf steigende Werte der AfD bitterböse enden.