Trip 2024 Kopfschütteln in der Ferne

kush in close up photography Lesedauer 3 Minuten

Bei gefühlten 44 Grad und 70 % Luftfeuchtigkeit verfolge ich die Nachrichten aus Deutschland. Beim SPIEGEL las ich heute:

Auch die niedersächsische Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) zeigte sich verärgert, weil die Justiz mit der geplanten Amnestie in rund 16.000 Fällen überfordert sei. »Es wird unweigerlich landauf, landab zu rechtswidrigen Zuständen und zu Entschädigungspflichten kommen«, sagte Wahlmann »Table.Media«. …
»Wenn der Bund die Justizbehörden der Länder sehenden Auges in eine solche Situation laufen lässt, zeugt das von einer gehörigen Ignoranz gegenüber den tatsächlichen Gegebenheiten«, sagte die Ministerin weiter. Das Mindeste, auf das sich die Bundesregierung nun einlassen müsse, sei eine Verschiebung des Inkrafttretens um sechs Monate.

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/cannabis-legalisierung-laender-wollen-inkrafttreten-von-neuem-gesetz-verzoegern-a-d6f9d79f-349c-40ba-abce-7a810c4950c7

Man mag zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung stehen, wie man will. Fest steht, dass wir Deutsche in dieser, besonders in letzter Zeit immer wieder hervorgehobenen, Demokratie leben. Wird die Legalisierung vom Bundesrat abgesegnet, ist es innerhalb des geforderten Prozesses entstanden. Und wenn die Umsetzung quasi eine Amnestie für zig tausende Bürger bedeutet, deren einziges Vergehen darin bestand, dass sie Cannabis konsumierten, dann ist das so! Da können nicht Politiker*innen daher kommen und die Bürokratie vorschieben. Eins liegt klar auf der Hand. Würde es sich um eine gesetzliche Regelung handeln, die einigen einen erheblichen finanziellen Vorteil verschafft, insbesondere großen Playern des Kapitals, erfolgte die Umsetzung um 00:01 Uhr des anbrechenden Nachfolgetages. Mit Demokratie haben all die Aussagen nichts zu tun. Bei mir lösen sie im Kopf die Frage aus: “Was zum Teufel bilden die sich ein?” Zumal seit Jahren absehbar ist, dass die Legalisierung in irgendeiner Form kommen wird und man sich darauf vorbereiten konnte. Nur Betonköpfe können glauben, dass der aktuelle Zustand auf Dauer anhalten wird.

Das komplette Thema ist eine Farce und zeigt, wo wir stehen. Mir persönlich steht dieses ganze “Geseier” bezüglich eines Jugendschutzes und Schwarzmarkt bis zur Oberkante.

Ja, Drogen, Gifte, alle möglichen Substanzen können schädigen. Jugendliche, vor allem die mit Problemen in der Entwicklung, schädigen sich massiv mit Alkohol. Und der richtet deutlich mehr und nachhaltiger Schäden im Gehirn an, als Cannabis. Andere klauen “Muttern” die Tranquilizer, besorgen sich Tilidin, fressen in rauen Mengen Fastfood, Chips, bis sie an Adipositas leiden. An der Stelle kommen die “Apostel” ums Eck gebogen und reden davon, dass man nicht noch eine schädigende Substanz benötige. Ist es so schwer, in der Realität anzukommen? Cannabis gibt es seit mindestens 30 Jahren leichter zu kaufen, als eine Schachtel Zigaretten. Entscheidend ist es, den Jugendlichen offen und ehrlich zu erklären, welche Risiken bestehen, wie sie mit Drogen sicher umgehen und wovon sie lieber die Finger lassen sollten. Es ist wie mit Sex. Es ist nicht die Frage, ob sie es tun werden, sondern wann, wie und mit wem. Tabuisierung, Verbote, Strafandrohungen sind dabei extrem kontraproduktiv.

Der Verwaltungswahn, die eingenommenen Bußgelder, können nun wirklich kein Argument sein. Ebenso wenig der “Schwarzmarkt”. Den gibt es auch für Alkohol und Zigaretten. Auch dort liegt das Interesse nicht bei der “Volksgesundheit”, sondern bei den dem Staat entgehenden Steuern. Außerdem hätte man diesen Schwarzmarkt im Zuge eines “vernünftigen” Handelns locker austrocknen können. Nämlich im Zuge einer echten Legalisierung. Worum geht es denn? Kontrolle! Und an der Stelle fragt sich, mit welchem Ziel. Um ihrer selbst willen, im Sinne einer Machtdemonstration oder einem Zweck. Die alte amerikanische Prohibition galt den Arbeitern. Die Puritaner (konkret  Pietistic Protestants) befürchteten, vermutlich nicht zu Unrecht, dass sie sich das miese Leben zu arg schön trinken würden und damit als willfährige Lohnsklaven ausfielen. Bekanntlich ging der Schuss nach hinten los. Das kirchliche Konzept, bei dem alle mittels strikter Regeln und Sündenfall bei der Stange gehalten werden, ließ die Ungläubigen kalt. Ab Mitte der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts geriet Cannabis in den Focus. Willkürlich und vor allem Klassenorientiert. Die unten sollten nicht der Freizeit frönen, sondern konzentriert arbeiten, während weiter oben, vor allem in Indien, Ägypten und anderen arabischen Staaten, weiterhin der tausende Jahre alten Tradition gefolgt werden durfte. Es geht also wieder einmal um die Funktionsfähigkeit und Nützlichkeit. Ansonsten wäre es den meisten völlig egal. Schmerztabletten, Psychopharmaka, Antidepressiva, Schlaftabletten, Beruhigungsmittel – alles in Ordnung, solange es der Funktionsfähigkeit dient.

Na ja … und ein wenig Kontrolle, um der reinen Kontrolle willen und Machtausübung, ist ähnlich dem Konzept Kirche auch dabei. Ich sitze hier in der Vorzeit des Ramadan in einem Religionsstaat. Hier existieren allerlei zweckfreie Regeln, die einzig und allen dem Erhalt des islamischen Systems und Sicherung der Macht des Klerus inklusive der männlichen Vormachtstellung dienen. Entsprechend restriktiv ist auch der Umgang mit Drogen. Alle, von Alkohol, Nikotin, Opium, Magic Mushrooms, Kratom (traditionell aus den Blättern des Kratom-Baumes gebrautes Getränk, welches im Gegensatz zu Deutschland in Malaysia verboten ist), konsumieren und werden nur bestraft, wenn sie der Polizei in die Quere kommen – dann aber mit drakonischen Strafen oder Einweisung in islamische Boot-Camps, in denen eine religiöse Gehirnwäsche erfolgt. Es tut mir leid, aber die deutsche Kombination, Bürokratie, gesundheitliche Bevormundung und Strafen ohne therapeutischen Effekt, erscheinen mir ähnlich religiös.

Menschen nehmen Drogen! Fertig. Die Motive und Antriebe mögen unterschiedlicher Natur sein, aber irgendeine Droge nimmt jeder. Es ihnen verbieten zu können, ist ein ideologischer Glaube, wie die Annahme, Sex zum reinen Vergnügen verbieten zu können. Auf solche Dinge kommen nur Leute, die sich daran aufgeilen, anderen etwas verbieten zu können.

Soziale Pedaleure

interior of modern fitness club with various machines and equipment Lesedauer 3 Minuten

Im Zusammenhang mit der Ausarbeitung eines Buchprojekts, entwickelte ich ein Bild, mit dem ich verdeutlichen wollte, wie in unserer Gesellschaft soziales Engagement und systemrelevante Berufe funktionieren. Ich hab es immer noch im “Hinterkopf”, doch bisher ist es noch nicht eingeflossen.

Zunächst eine Stellenausschreibung:

Wir, ein Betrieb mit öffentlichem Tätigkeitsfeld, suchen junge, kräftige, gesunde, engagierte, Mitarbeiter*innen für eine verantwortungsvolle Aufgabe. Du solltest bereit sein, Mehrarbeit zu leisten, Teamfähigkeit mitbringen und Spaß an Herausforderungen finden.

Gut, worum geht es bei der Aufgabe? In einem Raum stehen zehn Ergometer, die mit Kabeln an einen Kasten angeschlossen sind, in dem ein Patient liegt, dessen Vitalfunktionen von verschiedenen Installationen (Sauerstoff, Herz-Rhythmus-Maschine, pp.) abhängig sind. Fällt die Stromversorgung unter ein bestimmtes Level ab, stirbt der Patient. An der Wand des Raumes ist ein Smart-Board installiert, welches von jedem Ergometer aus gesehen werden kann. Dort wird die Stromleistung der einzelnen Geräte und die Gesamtleistung angezeigt.

Die Mitarbeiter*innen, anfangs 30 Leute, bekommen nun die Aufgabe mittels “Treten” die lebenserhaltende Box zu versorgen und damit das Überleben des Patienten zu sichern. Am Beginn, geht es tatsächlich ausschließlich um die Versorgung. Im Schichtbetrieb ist das durchaus machbar. Die Mitarbeiter*innen sprechen sich miteinander ab und treten im 3-Schicht-Betrieb in die Pedale. Wenn es hart auf hart kommt, reichen 12 Mitarbeiter, von denen 10 treten und 2 immer mal wieder eine Pause einlegen können. Das geht so lange, bis eine Delegation der Firma auftaucht. Die stellen fest, dass es durchaus möglich ist, etwas mehr Energie zu produzieren, die profitabel verkauft werden kann. Damit wäre man auch weniger von staatlichen Leistungen abhängig.

Die Belegschaft kann sich damit noch abfinden und macht weiter. Aber es spricht sich langsam herum, dass die Arbeit körperlich recht anspruchsvoll ist, die Bezahlung eher mäßig, die Geräte schlecht gewartet werden (Sattel durch, Schrauben lösen sich, Wackelkontakte) und immer mal wieder ausfallen, bis hin die Klimaanlage des Raumes ausfällt und die Belüftung schlecht ist. In den ersten Tagen gab es im Raum noch einen Wasserspender, aber den kennen nur noch die ersten Pedaleure. Auch zusätzliche Leistungen, wie Massagen, Bereitstellung von Sportkleidung, fallen im Laufe der Zeit weg. Das Management muss sparen und steht mittlerweile Aktionären Rede und Antwort.

Die Pedaleure teilen sich in verschiedene Gruppen auf. Einige verließen die Firma bereits nach zwei Jahren. Sie wussten, dass es keinen ausreichenden Nachwuchs geben würde. Aber zu ihrer Beruhigung wussten sie, dass noch genügend andere verblieben und der Patient nicht sterben würde. Nach einem weiteren Jahr sieht das schon anders aus. Der Patient wird nicht sterben, doch die weiter in die Pedale tretenden, geraten an ihre körperlichen Grenzen. Hierdurch kommt es zu Spannungen und heftige Auseinandersetzungen über Urlaub, Pausenzeiten, Ruhezeiten. Das Klima im Raum ist nach und nach vergiftet. Jeder kann sehen, wie bedrohlich das Level sinkt. Irgendwann weiß jede/r, dass eine eigene Minderleistung, ein gesundheitlich bedingter Ausfall, eine Unpässlichkeit, zum Tod des Patienten führen kann. Eingaben ans Management führen nicht zum Erfolg. Man würde wissen, wie schwierig die Situation wäre, aber bekäme Druck von anderer Seite her. Sie seien stolz auf die Leistung der noch anwesenden, verantwortlich agierenden Mitarbeiter*innen. Jeder wisse, wie schlimm alles ist, aber man könne den Patienten nicht einfach sterben lassen. Ehemalige Pedaleure, Angehörige des Patienten, sich mit ihnen solidarisierende Bürger*innen, würden bereits vor dem Gebäude protestieren. Ab und zu verirren sich auch Journalisten*innen in den Raum und interviewen die schnaufenden und keuchenden Pedaleure. Doch ändern tut dies alles nichts.

Zum Ende sind es noch 5 Pedaleure, die alles geben. Sie können mit dem sicheren Tod des Patienten nicht leben. Aber eines Tages brechen 2 weitere auf den Ergometern zusammen … doch nichts passiert. Ein Notstromaggregat springt an und so lange noch Benzin im Tank ist, lebt der Patient weiter. Aber was wird passieren, wenn der Tank leer ist? Darüber sprechen Politiker*innen, Angehörige, Aktivisten, Analysten in Talkshows. Die Uhr tickt. Einige wollen zurück zum Anfang, als noch alles funktionierte. Doch dies würde Geld kosten und man sei auf die Profite angewiesen. Was ein wenig unlogisch ist. Denn im Todesfall hat sich das Thema erledigt. Andere machen den Patienten verantwortlich. Immerhin hätte er frühzeitig an eine ausreichende Tankfüllung denken können. Manche beschimpfen die Pedaleure, welche bereits früh gingen, weil sie die Zeichen der Zeit erkannten. Sie seien ein Spiegel der Gesellschaft. Niemand wäre mehr bereit, Leistungen zu erbringen und auch unter widrigen Umständen zu arbeiten. Ganz Schlaue sehen gar kein Problem, weil bestimmt ein kluger Kopf vor der völligen Entleerung eine bahnbrechende Technologie erfinden wird, die alle Diskussionen und Debatten obsolet werden lässt. Es gibt auch die, welche auf eine Verpflichtung setzen. Man müsse nur ausreichend junge Leute per Gesetz verpflichten, dann gäbe es wieder genug Pedaleure, somit auch ausreichend Profit und bei gerade mal einem Jahr, könne man denen auch einen heruntergekommenen Raum zumuten.

Es gäbe noch einige andere Aussagen. Doch ich denke, die kann sich jede/r alleine ausmalen. Der Patient heißt Gesellschaft. Manche reden, einige profitieren, einige versuchen es wenigstens, aber begreifen, dass sie am Ende selbst draufgehen und wiederum andere strampeln so lange, bis sie kaputt sind. An sich war die ursprüngliche Idee gar nicht verkehrt. Aber das Profitstreben, die mangelnde Wertschätzung, die schwindende Attraktivität, das “verheizen” der Engagierten, wirkte sich desaströs aus. Und irgendwann wird der Tank leer sein … und dann?

Böse Gewerkschaft

a black and red train Lesedauer 3 Minuten

Ich lese grundsätzlich keine Produkte aus dem Hause SPRINGER oder artverwandte propagandistische Manipulationsmittel für die Massengesellschaft. Wenn, dann werde ich beim Kauf meiner Zigaretten in einem Kiosk über die Aufreißer auf den präsentierten Titelseiten belästigt. Ausnahmsweise trieften die Schlagzeilen und Aufmacher mal nicht vor Hetze gegen warum auch immer in Deutschland anwesende Ausländer*innen. Nein, heute ging es um “Streik-Opfer” und eine massive Stimmungsmache gegen die GDL und damit gegen die Lokführer*innen. Ich schreibe hier bewusst “GDL” und nicht Claus Weselsky. So ein Streik wird nämlich nicht von einer Person beschlossen, sondern mittels Urabstimmung. Und dabei müssen 75 % für einen Streik votieren. Bei der GDL waren es satte 97 %! Also nichts mit einem narzisstischen Machtkampf ausgehend von Herrn Weselsky. Aber die Personifizierung und darauf folgende Dämonisierung gehört noch zu den simpelsten Propaganda-Strategien. Nicht nur bei Tarifverhandlungen, sondern allgemein, wenn es um Bewegungen geht. Interessant finde ich, wie sich die Medien ins Zeug legen. Um authentische Aussagen von Lokführern oder wenigstens mal eine Darstellung zu bekommen, wie deren Arbeitsbedingungen aussehen, muss man recht lange suchen. Fündig bin ich bei der Berliner TAZ geworden.

Aber die Arbeitsbedingungen wurden in den vergangenen Jahren immer schlechter, und ich habe festgestellt, dass ich immer unzufriedener werde. Ich habe gemerkt, ich muss was tun, nicht mehr nur meckern mit den Kollegen im Pausenraum. Deshalb habe ich mich vor zwei Jahren ehrenamtlich bei der GDL als Vorsitzender der Ortsgruppe Köln starkgemacht. Da kann ich meinen Kollegen helfen, ihre Probleme weitertragen und bekomme dafür Wertschätzung zurück. Das Gefühl kannte ich als Lokführer gar nicht, beim Unternehmen DB ist die Wertschätzung gleich null.

Quelle: TAZ, 24.1.2024, 08:00  Uhr, Aussage eines Bahnmitarbeiters.

Im Artikel werden Arbeitsbedingungen beschrieben, die mir nur allzu gut bekannt vorkommen. Bei der Polizei nannte sich das “Bedarfsorientierter Dienst”. Keinerlei Regelmäßigkeiten bei den Arbeitszeiten, Sonn- und Feiertage inklusive, Übernachtungen in Hotels, auch ohne Vorausplanung, Dienstantritte auch mitten in der Nacht, kaum Ruhezeiten … eine Autobahn in die Scheidung (insofern für ein Kennenlernen und Beziehungsaufbau Zeit blieb) und ins Burnout. Nur sind die bei der Bahn keine Beamten*innen, sind nicht Pensionsberechtigt und sie können nicht mal eben innerhalb des Konzerns etwas anderes machen.

Aber so etwas interessiert den “Deutschen Michel” in der Regel nicht. Es sei denn, ihn oder sie betrifft es selbst. Machen wir uns nichts vor, die sogenannten “system-relevanten” Tätigkeiten werden einerseits oft mies bezahlt, die Arbeitszeiten sind der Natur der Sache geschuldet, im Regelfall äußerst belastend und andererseits ist eine Gegenwehr schwierig. “Die können doch nicht einfach das Land lahmlegen!” Tja, da kann man mal sehen, wie wichtig diese wenig wertgeschätzten Tätigkeiten sind. Wenn wir schon im Kapitalismus leben, sollte es auch konsequent geschehen. Es darf auch gefragt werden, wo das Management hin will. Die GDL, als Berufsvertretung der Leute, die wirklich tagtäglich unter harten Bedingungen “draußen” arbeiten, ist ein Stachel im Fleisch. Die Vertretungen der Drehstuhl-Jockeys sind da handzahmer. Sie finanziell in die Knie zu zwingen, wäre seitens des Managements bestimmt nicht unerwünscht.

Was allerdings schon wieder einen Jens Spahn umtreibt, erschließt sich mir nicht. Er bezeichnet die Mitglieder der GDL als Erpresser. Also vermutlich meint er Weselsky, aber Herr Spahn wird doch wohl nicht so populistisch sein, dass er den verfassungsgemäßen demokratischen Aufbau der Gewerkschaft übersieht. Doch er will noch mehr: Er fordert neue gesetzliche Regelungen für Streiks. Da entfleucht mir der Inflektiv: Uff! Das geht in Richtung Klassenkampf! In einer kapitalistischen, hierarchisch, organisierten Gesellschaft ist der Streik das Arbeitskampfmittel gegen die Macht der “Produktionsmittelinhaber*innen” schlechthin. Konservatismus in allen Ehren, aber DAS ist eine Kampfansage an alle Arbeitnehmer.

Immerhin, es wird nicht langweilig in der BR Deutschland und irgendwann wird sich noch zeigen, wohin die UNION will bzw. ihre Rechnung aufgeht oder sie aus Versehen, die Vögel im falschen Käfig fütterte.

Vor 40 Jahren

Lesedauer 6 Minuten

In wenigen Tagen liegen zwischen Georg Orwells dystopischen Jahr “1984” und der Zeit in der wir leben 40 Jahre und wiederum 75 Jahre sind seit der Veröffentlichung 1949 vergangen. Orwell konnte nichts über die heutigen technischen Möglichkeiten wissen. Er orientierte sich daran, wie er eine bestimmte Sorte Mensch einschätzte und was passieren würde, wenn man diesen Leuten die Möglichkeit der Überwachung und Manipulation in die Hände geben würde. Den Drang zur Kontrolle, Manipulation, vordergründig zur Minimierung aller Risiken, tatsächlich zur Herrschaftsausübung, gab es bereits ’49, aber im Verhältnis zur Jetztzeit waren sie äußerst beschränkt.

Bei Heise Online las ich über die Pläne der sich konstituierenden großen Koalition in Hessen. Unter anderen ist dort nachzulesen:

Die geplante schwarz-rote Koalition in Hessen hat sich auf ein umfassendes Überwachungspaket verständigt. Sie will damit unter anderem Sicherheitsbehörden wie Polizei und Geheimdiensten “in engen Grenzen und mit richterlicher Anordnung” den “Zugang zu bestehenden privaten audiovisuellen Systemen” gestatten. Fahnder und Agenten sollen so im Rahmen der bestehenden rechtlichen Befugnisse “beispielsweise die Wohnraumüberwachung durchführen” können, heißt es im Koalitionsvertrag, den CDU und SPD am Montag unterzeichneten. Das Vorhaben erinnert an die umstrittene Initiative der Innenministerkonferenz 2019, intelligente Sprachassistenten wie Amazon Alexa, Google Home oder Apple Siri genauso anzuzapfen wie “intelligente” Fernseher, Kühlschränke oder Türklingeln.

https://www.heise.de/news/Polizeibefugnis-CDU-und-SPD-in-Hessen-wollen-digitale-Wanzen-im-Wohnzimmer-9577621.html

Die Taktik wird seit Jahrzehnten verfolgt. “Wir wollen doch nur Sicherheitsrisiken minimieren. Alles im rechtlichen Rahmen und unter Vorbehalt eines Richters!” Meiner Erfahrung nach sind Richter*innen keine Überwesen und unter ihnen befinden sich genügend Charaktere, die mit Vorsicht zu genießen sind. Allerspätestens mit der Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens gegen “Klima-Aktivisten*innen” wegen der Bildung einer “Kriminellen Vereinigung” hat die seit 1989 bestehende Bundesrepublik Deutschland ihre Unschuld verloren und signalisiert, wo es hingehen soll. Wie ich es bereits einige Male im BLOG darlegte, hängt an diesem Paragrafen einiges dran. Mit dem Verfahren ist klar erkennbar, wie niedrig die Schwelle geworden ist, bis Mitbürger*innen für entscheidende Stellen des Systems zu bedrohlichen Extremisten und Kriminellen werden. Außerdem werden umfassende polizeiliche Maßnahmen zur Überwachung der unmittelbaren Protagonisten, aber auch ihres weiteren Umfelds ermöglicht. Und mir scheint, dass die Schwelle kontinuierlich gesenkt wird.

Bemerkenswert finde ich dabei den Umstand, dass die Verfassungsschützer die Einstufung als gefährliche Extremisten verneinte und im gleichen Zuge die Überwachung mit nachrichtendienstlichen Mitteln ablehnte. Später folgte die Innenministerkonferenz und mit einem Mal gelangte die Kriminelle Vereinigung in den Diskurs. Wobei ich mir die Frage stelle, warum nicht gleich als „lex specialis“ die Terroristische Vereinigung angewendet wird. Immerhin treten Vertreter von allen im Bundestag vertretenen Parteien ans Pult und sprechen von Terroristen*innen. Wenn schon, dann richtig.

Ein weiterer Aspekt bleibt häufig unbeachtet. Überwachung erforderte in analogen Zeiten einen erheblichen finanziellen, personellen und logistischen Aufwand. Bereits dies setzte die Messlatte recht hoch. Ob und in welchem Umfang Personen überwacht wurden, erforderte eine Kosten/Nutzen – Analyse. Im Zeitalter der Digitalisierung ist vieles deutlich günstiger geworden. Rhetorisch ergeben sich zwei Richtungen. Entweder, kann Dank der Digitalisierung im erforderlichen Maß überwacht werden, wohingegen noch in den 90ern ein gefährliches Defizit bestand oder es besteht die Gefahr des Übermaßes.

Wenn es um Überwachung geht, sind Menschen nicht objektiv und rational, sondern im höchsten Maße irrational und paranoid unterwegs. Ein wenig spukt bei vielen im Kopf herum: “Ich hab zwar nichts gemacht, aber wer weiß …” Allein schon, weil Deutsche bezüglich der Überwachung auf ganz eigene Erfahrungen zurückblicken können. Machen wir uns nichts vor, die Möglichkeiten der Staatssicherheit sind im Vergleich zu denen im Jahr 2023 ein Kindergeburtstag gewesen. Ausschlaggebend ist nicht, was tatsächlich passiert, sondern was als möglich angenommen wird. Solche Sachen verändern eine Gesellschaft oder anders gesagt, sie sind ein schleichendes Gift.

Hinsichtlich der Faktenlage gebe ich auch zu bedenken, welchen erheblichen Aufwand mittlerweile investigative Journalisten*innen betreiben müssen, um ihnen zugespieltes Material an einflussreichen Politikern*innen, Personen aus der freien Marktwirtschaft, die mit ihnen vernetzt sind und Institutionen, wie BfV, BND, BKA, vorbeizuschmuggeln, damit sie veröffentlicht werden können (z.B. Panama Papers, BND U-Boot Affäre, Cum Ex-Files).

Ohne jegliche Überwachung oder Infiltration krimineller, terroristischer Kreise geht es innerhalb der von uns gewählten Ordnung nicht. Aber zwei Fragen müssen zwingend auf dem Tisch liegen und überdacht werden: Wann wird ein Kipppunkt erreicht, an dem die Nachteile der Überwachung die Vorteile überschatten? Was passiert, wenn die vorhandenen Mittel, Freigaben und Gesetze, denen in die Finger gelangen, die man abwehren wollte? Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eben genau dies eins der Ziele von Terror ist: die Provokation von Reaktionen, die nach und nach die freie Gesellschaft abschaffen und aus Sicht der Terroristen zur Demaskierung zwingen.

Sicherheit und Freiheit liegen auf einer Strecke. Je mehr ich mich gegen alles Erdenkliche absichere und die Risiken minimiere, umso mehr gebe ich von der Freiheit auf. Ein hermetisch abgeriegelter Bunker ist ein sicherer Platz, gleichzeitig ist er aber auch Gefängnis. Wie viele Risiken muss eine freie Gesellschaft aushalten? Wie groß ist das Interesse an ihr oder ist sie einer gesellschaftlichen Mehrheit unheimlich bzw. zu anfällig für Gefahren?

Wobei an der Stelle auch zu betrachten ist, welche Gefahren, welcher Qualität, von wem und für was gesehen werden. Ob zum Beispiel eine Straßenblockade ein zu- oder unzulässiges Mittel des Protestes ist und welche Gefahrenlage durch sie entsteht, ist nicht davon abhängig, wer sie durchführt. Die Gefahr an sich wird nicht durch die Häufigkeit der Blockaden qualifiziert. Jede ist für sich zu betrachten. Jedenfalls, solange sie nicht Teil einer konzertierten Aktion ist und mehrere gleichzeitig stattfinden. Ein Bauernprotest, in dessen Zuge eine Blockade mit landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen herbeigeführt wird, erzeugt die gleiche Gefahrenlage, wie ein Protest gegen die unzulänglichen Maßnahmen der Regierung bezüglich der Klimakatastrophe. Eine unterschiedliche Bewertung ist unlogisch und dennoch findet sie medial, gesellschaftlich und politisch statt. Es erschließt sich mir nicht, warum die einen Protagonisten „Kriminelle“ sind die anderen nicht.

Bezüglich der Klimaaktivisten wurde angeführt, dass Rettungskräfte nicht mehr ihren Aufgaben nachkommen könnten. Sollte es an dem tatsächlich sein, haben wir in Deutschland ein eklatantes Sicherheitsproblem. Dies bedeutete, dass jede Baustelle, jeder Stau und auch jedes terroristische Szenario die Rettungs- und Sicherheitskräfte vor unlösbare Aufgaben stellen würde. Gut, dass das nicht der Fall ist. Versierte gut ausgebildete Kraftfahrer finden ihren Weg und relevante Gebäude haben aus solchen Gründen mehrere Zu – und Ausfahrten. Wenn es eine handfeste Gefahr gibt, dann ist es die Reduzierung der Anzahl von Rettungsfahrzeugen und Personal. Insofern ist die Argumentation vorgeschoben und verschleiert, worum es tatsächlich geht. Der Protest ist lästig und ihm soll deshalb der Garaus gemacht werden. Kurzum: Der Protest wird in interessanter Art und Weise kriminalisiert, damit wiederum die Überwachung des Protestes legitim erscheint.

Nochmals: Überwachung an sich ist bis zu einem gewissen Maße, an den richtigen Stellen eins von vielen notwendigen Mitteln der Abwehr von Gefahren, bei denen das Eintreten eines erheblichen Schadens im hohen Maß wahrscheinlich ist oder wenn es um die Aufklärung schwerwiegender oder gemeingefährlicher Taten geht.

Edward Snowden deckte auf, welche Ausmaße die Überwachung in den USA hat. Es wäre wahrlich naiv, US-amerikanische Verhältnisse für Deutschland als unmöglich einzustufen. Ganz im Gegenteil, wenn man berücksichtigt, dass offen gefordert wird, in den USA angewendete Software, Stichwort: Palantir Gotham u.a., in Deutschland zu legitimieren. Die von Palantir gelieferte Software ist keine, die der Überwachung und Erlangung von Daten dient, sondern sie ermöglicht die Analyse und Verknüpfung großer Datenmengen.

Zuerst müssen die Daten vorhanden sein, ansonsten ist die Software nutzlos. Wer sie also fordert, sitzt bereits auf einer ganzen Menge Datensätze und benötigt ein Werkzeug, mit dem sie effizient ausgewertet werden können. Mich macht das nachdenklich. Einige Systemkritiker sehen als eine der größten Gefahren für die freien demokratischen Gesellschaften die fortschreitende Verzahnung der Wirtschaft, hier besonders multinationale Konzerne, mit der Politik. Sie begründen dies mit dem Aufbau der Konzerne, die mit Demokratie gar nichts am Hut haben, sondern rein über Profite, Wachstum, strukturiert sind und eine Hierarchie aufweisen, die nach den vorstehenden Kriterien von oben nach unten wirkt. Deshalb fordern sie von den Regierungen einen Schutz der Bevölkerungen vor den Begehrlichkeiten der Konzerne.

Wenn nun privatwirtschaftlich gesammelte Daten mit aus staatlichen Verwaltungsdaten und mittels polizeilicher bzw. nachrichtendienstlicher Vorgänge generierten, zusammenfinden, übergreifend mit Programmen ausgewertet werden, ist die alte Dystopie endgültig Realität geworden und neue Befürchtungen entstehen.

Ich kann mir gut vorstellen, das ein bestimmtes Konsumverhalten, Seh- und Leseverhalten, bevorzugte Aktivitäten, einige dazu verleiten könnten, eine „Gefährderanalyse“ durchzuführen, die dann wiederum bisher unauffällige Personen in den Fokus rückt. Schulden, mangelnde Kreditwürdigkeit, bei Amazon subversive Literatur bestellt, in der Playlist diverse Protestsongs gelistet, Internet-Recherchen zu Themen wie Ökologie, Klima, Umtriebe von multinationalen Konzernen, Wirtschaftskriminalität, fertig ist der potenzielle politische Gefährder, dem man etwas genauer unter die Lupe nehmen sollte.

Immerhin existieren bereits Programme, die Bewegungen und Verhalten von Passanten oder Besuchern öffentlicher Plätze, Flug – und Bahnhöfen analysieren und bei bestimmten Parametern Alarm schlagen. Ich finde den Gedanken naheliegend, dies auf das oben dargestellte auszuweiten – wenn es denn der allgemeinen Sicherheit dient, warum nicht? Und wer die richtigen Bücher liest, nicht zu sehr alles hinterfragt und hinnimmt, was offiziell proklamiert wird, sich auf kommerziellen Mainstream beschränkt, hat nichts zu befürchten. So what?

Wie eingangs gesagt: Orwell entwickelte seine Dystopie auf Basis der vorhandenen Bedürfnisse der Mächtigen und einiger Gesellschaftsanteile, ohne dass alle notwendigen Techniken existierten. Darüber sind wir hinaus. Was technisch möglich ist und sein wird, zeichnet sich konkret ab. Stellt sich nur eine Frage: Haben sich die damaligen Bedürfnisse und Begehrlichkeiten verändert? Die Antwort lasse ich offen.

Konflikt oder Mobbing

wood figurines set on surface Lesedauer 3 Minuten

Bei der Berliner Polizei soll es angeblich kein Mobbing geben – und das schon seit Jahren. Der Innenexperte der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Niklas Schrader, fragt regelmäßig bei der Senatsinnenverwaltung ab, wie groß das Problem Mobbing in der Polizei ist. Aus der jüngsten Antwort und früheren Anfragen ergibt sich: Seit dem Jahr 2012 wurden bei der Polizei Berlin keine Vorfälle von Mobbing am Arbeitsplatz registriert.

https://www.tagesspiegel.de/berlin/die-pflege-eines-saubermann-images-ist-wichtiger-angeblich-kein-mobbing-bei-der-berliner-polizei–seit-jahren-10261105.html

Was Alexander Fröhlich vom Tagesspiegel hier aufgreift, geht bis ins Jahr 2000 zurück. Anlässlich des Suizids einer jungen Polizistin, bei dem ein Verdacht auf vorhergehendes Mobbing bestand, wurde seitens der Berliner Polizeibehörde eine Kommission einberufen, die ausschließlich mit Beamten des Höheren Dienstes besetzt wurde.

Nach Arbeitsaufnahme wurde dort zunächst geprüft, welche der zahlreichen Definitionen für Mobbing zur Arbeitsgrundlage herangezogen wird[1]Sie hierzu auch weiterführende Informationen https://arbeits-abc.de/mobbinghandlungen/. Hierbei ist anzumerken, dass sich die wissenschaftlichen Untersuchungen im Lauf der Jahrzehnte immens entwickelten. Ursprünglich wurde das Phänomen seitens Arbeitsmedizinern/innen festgestellt und untersucht. Ganz am Anfang wurde ein Katalog mit Verhaltensmustern geschaffen. Erst wenn mehrere beobachtete Verhaltensmuster und Reaktionen dem Katalog zugeordnet werden konnten, wurde von Mobbing ausgegangen. Halt wissenschaftliches Vorgehen.

Im zweiten Schritt ließ sich die Kommission verdächtige Sachverhalte vorlegen und analysierte sie auf zur gewählten Definition passende Muster. Im Ergebnis passte keiner der Sachverhalte. Mit diesem Ergebnis meldete die Kommission nach “oben”, dass es in der Berliner Polizei kein Mobbing gäbe. Eine Aussage, die in keiner Weise haltbar sein konnte, da bereits umfassende internationale Studien nachwiesen, dass jeder größere Betrieb, vor allem im Falle von Non-Profit-Unternehmen, von dem Phänomen Mobbing betroffen ist, da es ein normales Verhaltensphänomen ist, welches erwartbar bei sozialen Interaktionen in unterschiedlichen Ausprägungen auftritt. Aber man darf dem nicht freien Lauf lassen und es muss so weit wie möglich eingedämmt werden.

Diese Aussage, entweder ungeschickt formuliert oder taktischen Erwägungen geschuldet, traf auf den Widerstand der Personalvertretungen. Der Konflikt wurde beigelegt, in dem die Einrichtung einer Konfliktkommission beschlossen wurde, der zwei Vertreter*innen aus dem Gehobenen Dienst der Schutz- u. der Kriminalpolizei ohne Führungsaufgaben zugeordnet wurden. Außerdem wurde festgelegt, dass die Kommission ausschließlich dem/der Polizeipäsidenten/in unterstellt ist.

Ab diesem Zeitpunkt wurden die vorgelegten Fälle als “Schwerwiegende Konflikte, die innerhalb der Linienführungsstruktur bzw. Hierarchie nicht zufriedenstellend gelöst werden konnten” behandelt. Ziel war, ich gehe davon aus, dass dies immer noch der Fall ist, den Konflikt aufbereitet und beratend in die vorgesehene Struktur zurückzugeben.


Um dies alles von außen her zu verstehen, bedarf es einiger Grundlagen:

  • Eine Polizeibehörde funktioniert nach dem Linienführungsprinzip. Dies bedeutet, dass ein Mitarbeiter ein “Problem” zunächst seinem direkten Vorgesetzten mitzuteilen hat und diesen nicht übergehen darf. Lässt sich mit diesem keine Lösung herbeiführen, kommt es zur Eskalation zur nächst höheren Position. Wobei Eskalation hier lediglich rein formalistisch gemeint ist und keinerlei negativen Beigeschmack haben sollte.
    Faktisch betrachten schlechte Führungskräfte die mangelnde Konfliktlösung als eigenes Versagen und reagieren entsprechend.
  • Der Begriff Mobbing ist populär, äußerst negativ konnotiert. Eine Behördenleitung hat keinerlei Interesse, “negativ” in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Dass Mobbing, wie dargestellt, in jedem Non-Profit-Unternehmen anzutreffen ist, es weniger um das Phänomen an sich geht, denn darum, was dagegen und präventiv unternommen wird, welche Hilfsangebote unterbreitet werden, lässt sich in Zeiten des fortschreitenden Populismus schwer kommunizieren.
  • Mobbing wird als Führungsschwäche interpretiert. Wer “Schwäche” zeigt, wird nicht befördert und verliert Reputation. Gleichsam wurde die vermeintlich inkompetente Führungskraft von der nächst höheren Stelle eingesetzt und befindet sich damit auch im “Schussfeld”.
  • Behörden verfügen in der Regel über eine “unterirdisch schlechte” Fehlerkultur, die bei vielen Hierarchien systemimmanent ist. Wenn Fehler nicht als wichtige Markierungen für notwendige Maßnahmen zur Verbesserung gesehen werden, sondern die Behauptung im Raum steht, dass jemand innerhalb eines idealen Systems einen persönlich vorzuwerfenden Fehler gemacht hat, der nicht passiert wäre, wenn sie/er sich an die Vorschriften gehalten hätte, besteht keinerlei Interesse, sie einzuräumen. Im Gegenteil, es wird alles unternommen, um sie zu vertuschen.
    Das deutsche Behördenwesen ist beinahe schon legendär und steht in enger Verbindung mit der deutschen Mentalität.
    Kommt es zu einem Ereignis, welches den überzogenen politischen Versprechungen zuwider läuft, muss an irgendeiner Stelle eine Person/Institution verantwortungslos, inkompetent, gehandelt haben, sonst wäre nichts passiert. Die Stelle muss gefunden und bestraft werden, damit man die Illusion aufrechterhalten kann, dass beim Funktionieren der Zuständigen alles zu 100 % sicher ist.
    Tatsächlich wäre beim Mobbing ein Wert um die ~2 % der inneren Konflikte völlig akzeptabel.
  • Ein Kriterium bei Mobbing lautet: Die/der Gemobbte, soll aus dem Arbeitsbereich entfernt werden u. da keine legitimen Mittel gesehen werden, tatsächlich existieren oder nicht von der Führungsebene ergriffen werden, wird gemobbt.
    Dabei ist es schwierig, eine Abgrenzung zum “Sozialen Mülleimer” zu finden. Außerdem spielt das Verhalten “Niedermachen eines anderen, hebt den eigenen sozialen Status” eine Rolle. Dies ist u.a. der Grund, warum Mobbing vermehrt in Non-Profit-Unternehmen eine Rolle spielt.
    Weitere Abgrenzungen können sich zum sog. “Negativen Konfliktverlauf” [2]https://de.wikipedia.org/wiki/Phasenmodell_der_Eskalationergeben.
  • Führungskräfte werden in den seltensten Fällen aufgrund ihrer persönlichen Fähigkeiten zum Führen von Mitarbeitern ausgewählt. Im Bereich der Theorie der Dialektischen Führung durch das Wort (u.a. vertreten vom kürzlich verstorbenen Managementberater Rupert Lay[3]https://www.buecher.de/shop/fachbuecher/fuehren-durch-das-wort/lay-rupert/products_products/detail/prod_id/20822739/) gilt der Führungsgrundsatz “Andere führen, bedeutet sie erfolgreich machen”. Wenn die unmittelbaren Vorteile der Behörde/Betrieb, des/der Vorgesetzten, im Vordergrund stehen, kann das nicht funktionieren. Infolgedessen werden z.B. häufig Frauen und Männer zu Führungskräften, die in ihrem Bereich eigene Erfolge zu verbuchen haben und durchaus kompetent in ihren Arbeitsaufgaben sind. Aber das hat nichts mit Menschenführung zu tun. “Ein/e kompetente/r Sachbearbeiter/in ist auch eine kompetente Führungskraft”, ist aus den Köpfen nicht herauszubekommen.
  • Mobbing ist immer auch anteilig Strukturbedingt. Die hat jemand zu verantworten, sind bereits länger existent und werden oftmals als “heilige Kühe” behandelt. Auch wenn jede Führungskraft sich dazu berufen fühlt, eigene Markierungen zu setzen, gehen sie im Regelfall nicht die Grundstrukturen an, da sie dann die längste Zeit auf ihrem Posten waren.
  • Oberstes Gebot in einer deutschen Behörde ist die “Ruhe”, womit ein reibungsloser, leiser, unauffälliger, innerer Ablauf der Dienstgeschäfte gemeint ist. Jegliche “hörbare” Unruhe, die im schlimmsten Fall in den Medien landet, ist zu vermeiden und seitens der Führungskräfte zu verhindern.

Wenn man all dieses berücksichtigt, kann man das Verhalten der Mobbing-Kommission, als auch die Aussage, bei der Berliner Polizei gibt es kein Mobbing nachvollziehen. Ebenso, dass die anerkannten Konflikte in der Regel mit Angeboten geregelt werden, die Betroffene selten ablehnen. Auf niedriger Stufe wird den Betroffenen eine höher dotierte Stelle angeboten. Führungskräfte werden dorthin versetzt, wo sie entweder keinen weiteren Schaden anrichten können oder unter Kontrolle stehen. Nur extrem selten werden die auslösenden Ur-Konflikte angegangen. Eine Anforderung, der sich jede/r Mediator/in stellen muss.
Ich persönlich sehe keinerlei Möglichkeit, Mobbing-Fälle intern zu regeln, sondern würde eine Auslagerung favorisieren. Auf jeden Fall ist aber positiv zu sehen, dass die Kommission, zumindest von Beginn bis 2010, eng mit dem psychologischen Dienst zusammenarbeitete und den Vorsitz ein Psychologe innehatte. Zu allem anderen unterliege ich einer Schweigepflicht.

Ganz zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen: Mobbing kann tödlich enden und zerstört nicht nur den/die unmittelbar Betroffenen/ne, sondern trifft das gesamte Umfeld einer Person. Oder wie es einst die Leiterin des damaligen Sozialen Dienstes sagte: “Kein Mensch lebt für sich allein!”

Anmerkung: Ich war von 2000- 2010 Mitglied (“Zugleichaufgabe” parallel zu anderer dienstlicher Verwendung) der damaligen Konfliktkommission beim Polizeipräsidenten in Berlin. Die angeführten Grundlagen basieren auf meinen persönlichen Erfahrungen und erheben nicht den Anspruch, dass sie wissenschaftlichen Studien standhalten, sondern haben die Qualität einer Meinung (Fürwahrhalten einer Ansicht ohne den Beweis antreten zu können).