Krieg

ai generated, apocalypse, kids-8693787.jpg Lesedauer 7 Minuten
Jeder Krieg ist eine Niederlage des menschlichen Geistes
Henry Miller, Schriftsteller, 1891-1980

Ich hab lange gezögert, diesen Beitrag zu schreiben. Selbst derzeit in Südostasien kommt man weder an den Nachrichten über das Weltgeschehen, noch an Gesprächen, Fragen und Erörterungen vorbei. Gaza, Ukraine, Iran, Eskalation ja/nein … das globale System gerät wieder einmal aus den Fugen. Mir geht es nicht darum, Stellung zu beziehen. Ganz und gar nicht, denn ich wüsste nicht, für wen der kriegsführenden Frauen und Männer, die die Macht innehaben über Krieg und Frieden zu entscheiden, ich mich entscheiden sollte oder könnte.

Konstruktionen, wie die attische Demokratie, in der einst die Athener Bürger, zumindest die freien Männer und Stimmberechtigten über Krieg und Frieden entschieden, sind Geschichte. Im absoluten Idealfall, entscheiden heutzutage vom Volk, vernünftig, verständig, gewählte Stellvertreter des Volks, über das Verhalten in einem Konfliktfall. Idealfall! Ideale sind unerreichbare Ziele, nach denen man Leben und seine Handlungen ausrichtet, um wenigstens in die Nähe des Ideals zu kommen.

Das Geschehen ist das Ergebnis eines komplexen Gespinstes. Einzelne Konzerne, Investoren*innen, religiöse Führer*innen, politische Ideologen, Geschäftemacher*innen, Verbrecher*innen, gewählte und gewaltsam an die Macht gekommene, entscheiden über Krieg oder Frieden und niemand weiß, selbst nicht diejenigen, welche entscheiden können, wissen genau, worum es tatsächlich geht. Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht behaupten, dass es immer nur ums Geld und der damit einhergehenden Macht geht, aber immer auch. Dies hat mich das Reisen durch buddhistische Staaten gelehrt. Wenn es eine Philosophie gibt, die sich explizit gegen Macht, Eigentum, Geld, ausspricht, dann ist es der Buddhismus und selbst in diesen Ländern sieht es nicht anders aus, als in allen anderen Ländern. Ich sprach im Verlauf der letzten Jahre mit Hindus, Christen aller Konfessionen, Buddhisten, Taoisten.

Im Grunde genommen haben alle Religionen Klauseln eingebaut, die die Gier einhegen soll. Und in allen hält sich lediglich eine verschwindende Minderheit daran. Selbst buddhistische Mönche sind oftmals eine Mogelpackung. Zwar besitzen sie selbst nichts, leben aber häufig eingebettet in Luxus. Mir ist noch kein Abt begegnet, der zu Fuß zu einer Veranstaltung kam oder nicht im klimatisierten Wagen zum Flughafen gefahren wurde.  

In der Regel betrachten wir Kriege von einer Metaebene aus. Die Ukraine verfügt über ein Existenzrecht, Russland verfolgt strategische Ziele und will sich die Ressourcen sichern, Israel hat ebenso ein Existenzrecht, die Palästinenser wollen einen eigenen Staat, die Iraner wollen die Juden vernichten, die Europäer wollen ihre Sicherheit und Wirtschaft gewährleistet sehen, die USA, die Chinesen … und, und, und. Dazwischen tummeln sich in meinen Augen Volldeppen, die tatsächlich glauben, es hätte etwas mit ihrer Religion zu tun. Mal ganz am Rande: Religionen sind im Wesentlichen ein Mittel gegen die Angst, dass nach dem Tod nichts mehr kommt. Die Antwort, ob man sich dem richtigen Glauben angeschlossen hat, gibt es spätestens nach dem Ableben. Wer die Antwort nicht abwarten kann, soll gefälligst Selbstmord begehen und alle anderen geduldig warten lassen – fertig. Und Institutionen, Gemeinschaften, sind nicht die Religion, sondern eine unbestimmte Anzahl von Menschen, die sich Regeln, eine Hierarchie und ein Repressionssystem ausgedacht haben. Wer da mitmachen will, kann es tun, aber alle anderen sind damit nicht zu belästigen.

In allen diesen Gemeinschaften, gibt und gab es schon immer arrogante, gestörte Charaktere, die anderen ihren Willen aufzwingen wollen. Ein systemimmanentes Problem: Hierarchien bringen zwingend ein Machtproblem mit sich und bedürfen einer funktionierenden Kontrolle der Macht. Ich kenne keine religiöse Hierarchie, in der das halbwegs der Fall ist. Selbst, wenn eine Gemeinschaft nach außen hin friedlich wirkt, bleibt noch zu betrachten, wie intern miteinander umgegangen wird.

Das Individuum, welches gen Himmel schaut, ob gerade mal wieder ein paar Raketen angeflogen kommen, der Soldat, welcher mit kaltem Schweiß auf der Stirn die Gegend sondiert, sich fragt, ob es für ihn ein Leben nach dem Krieg geben wird und warum er das alles veranstaltet, oder beim Anblick geschlachteter Säuglinge, den Verstand verliert und zum Berserker wird, die Kinder in den Trümmern, die aus den Pfützen trinken, Frauen, Männer, deren Geist durch das Gesehene, Gerochene, verspürte, für immer ein anderer sein wird, fragen wir nicht. Wenn überhaupt schauen wir uns wie Affen in Versuchslaboren die Bilder auf der Mattscheibe an, lassen uns in die eine oder andere Richtung lenken, stimmen zu oder empören uns, wenn Leute im Fernsehen befragt werden oder sich in der Presse äußern. 

Die Weltgemeinschaft, bestehend aus allen Individuen, ist es bisher und wird es vermutlich bis zum Ende aller Tage nicht gelingen, das Übel an der Wurzel zu packen. Alle Gerätschaften, die nur zum Zweck des gegenseitigen Abschlachtens und Bauen eben solcher Geräte, abzuschaffen. Gleichfalls müssen wir anerkennen, was indigene Völker nie aufgaben: Grund und Boden, Wasser, Luft, die zum Leben notwendigen Ressourcen, dürfen und können niemanden gehören. Was wir als selbstgerecht als entwickelt bezeichnen, ist in Wahrheit eine Perversion des spärlich behaarten Affen.

Die Mehrheit der Menschen ist im Stadium der frühen Pubertät hängen geblieben und hat nichts aus der über mehrere hunderttausend Jahre andauernden Entwicklung gelernt. Fehler zu begehen, ist normal und logisch. Trial-and-Error, sich zur Wahrheit nach oben irren, ist ein bewährtes Konzept. Immer wieder auf ein Neues, das sich als falsch erwiesene, zu tun, Systeme und Konzeptionen am Leben zu erhalten, die konsequent ins Desaster führen, am Leben zu erhalten, ist entweder verblödet oder für einige Kandidaten extrem nützlich. 

Doch dann sollte sich die Mehrheit mal die Frage stellen, ob es eine gute Idee ist, aus ihrer Mitte immer wieder Leute aufsteigen zu lassen, die für ihre eigenen Zwecke alle ins Verderben reißen.

Ich kann durchaus verstehen, dass manche eine Zweistaatenlösung skeptisch sehen. Den Leuten ist nicht mit einem Religionsstaat, geführt von einem sich selbst bereichernden Klerus, geholfen. Und da die eine sehr spezielle, auf sie zugeschnittene Version verfolgen, wird mindestens die weibliche Bevölkerung Probleme bekommen. Andererseits rechtfertigt dies nicht ein völkerrechtswidriges Verhalten mancher Israelis. Und deren Verhalten rechtfertigt nicht den Wahnsinn einiger muslimischer Machtfantasten, die den Einsatz der pakistanischen Atomwaffen fordern. Wo ist die Enterprise, wenn man sie mal benötigt? Klare Ansage: Entweder alle kriegerischen Handlungen werden sofort eingestellt, die Erde wird zum Protektorat, ihr habt 30 Jahre Zeit ein neues globales System zu erstellen oder wir versetzen Euch zurück ins vorindustrielle Zeitalter – das wäre doch mal was.

Was aber gar nicht geht, ist das Diffamieren, Anprangern, der Menschen, die sich gegen all diesen Irrsinn aussprechen und auf Fehlersuche gehen. Sei es ein Yanis Varoufakis, dem nicht nur eine freie Rede untersagt wurde und den man mittels eines Einreise – und Betätigungsverbotes auf die Stufe eines Faschisten gestellt hat oder ein Didi Hallervorden, dem man wegen eines Gedichtes, untermalt mit Bildern, die keiner sehen will, Antisemitismus unterstellt. Ihm wird auch vorgeworfen, Ursache und Wirkung nicht zu benennen. Er dürfe nicht die Ursprungstat, die widerlichen Verbrechen der Hamas, außer Acht lassen. Hallervorden sagt unter anderen die wahren Worte: Niemand wird als Terrorist geboren. Der Ursprung von allem liegt viel weiter zurück und vermutlich sind nicht einmal die gegenseitigen Verbrechen in den 20er Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts weit genug zurückgedacht. Die haben sich im Nahen Osten alle nichts geschenkt und jeder hat Dreck am Stecken. Man sollte auch nicht vergessen, dass Terror nichts Irrationales ist, sondern eine funktionierende perfide Taktik, die ganz nebenbei auch von einigen Gründern Israels gegenüber den Engländern angewandt wurde. Ein Kalkül des Terrors besteht darin, eine Gegenreaktion zu provozieren, die in die eigene Propaganda eingebaut werden kann. Und wer sich provozieren lässt, ist bereits in die Falle getappt. Die sogenannte Zivilbevölkerung als Schutzschild zu benutzen, gehört ebenfalls zum Einmaleins des Terrors und die Hamas ist nicht von alleine auf die Idee gekommen. Entscheidend ist immer sauber zu trennen. Ein Verbrechen hier, ein anderes dort. Ein Verbrechen mit dem anderen zu rechtfertigen, ist unzulässig. Also kann man machen … aber dann ist man halt auf dem Niveau der Blutrache über Generationen hinweg angekommen und muss damit leben, dass in der Familie immer mal wieder jemand draufgeht.

So wie sich Europa ebenfalls jeden Tag neue Terroristen heranzüchtet. Das weltweite System begünstigt manche, und andere lässt es durchdrehen, zu Fanatikern werden oder macht sie schlicht irre. Wenn wir ganze Generationen in Lagern aufwachsen lassen, Menschen kriminalisieren, die anderen Menschen helfen wollen, ihnen ein menschliches Leben vorenthalten – kommen halt immer mal wieder Terroristen bei heraus. Zynisch gesehen eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Soundsoviele Terroropfer werden mit dem Wohlstand verrechnet. 

Es ist auch eine billige Rhetorik den Deutschen ins Spiel zu bringen, der mit dem Finger auf Israel zeigt und angeblich zwischen den Zeilen sagt: “Schaut mal, ihr aber auch …” Die 100 % Annahme, der nach alle Deutschen Nachfahren der Nazis sind und damit Schuldgefühle in sich tragen, die sie versuchen mit einem “Ihr doch aber auch …” zu kompensieren, zieht nicht. Ganz persönlich kann ich sagen, dass sich in meiner Familie jede Menge Kommunisten tummelten, aber keine Nazis. Meinen Vorfahren muss ich eher die Frage stellen, wie sie zu Stalin, Ulbricht und Honecker, stehen. International hab ich ohnehin den Eindruck, dass es mehr die anderen sind, die Israels Vorgehen, mit dem der Nazis vergleichen und ich stets versuche ihnen dies in Gesprächen auszureden.

Es ist ein respektabler Schachzug im Krieg zwischen Arm und Reich, jeglichen Verweis auf die weltweite Hochfinanz und die begünstigten Bevölkerungsanteile als antisemitisch zu bewerten. Ein absoluter Humbug. Die 10 reichsten Männer haben mit Religionen äußerst wenig am Hut. Und dass beispielsweise der Investmentriese BLACKROCK aus jedem Krieg Kapital für Anleger schlägt, ergibt sich aus der Natur der Sache. Gleiches gilt für die weltweiten Waffenschmieden. 
Es muss dem Einzelnen gestattet sein, dies anzuprangern. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass bisher jede historische Analyse aufzeigte, dass es bei jedem Krieg nicht ums begleitende Blabla ging, sondern Macht und Finanzen, von denen die Kämpfenden maximal ein paar Brotkrumen abbekamen. Nein, es gibt keine dunklen Mächte im Hintergrund, die sich heimlich absprechen und weltweite Strategien entwickeln – aber es gibt einen weltweiten Fetisch: Geld. Ein Fetisch, der im Menschen etwas befriedigt: die Gier. 

Und diejenigen, welche Künstler*innen, Schriftsteller*innen, Intellektuellen, mit Totschlagargumenten den Mund verbieten wollen, müssen sich überlegen, welchen Herren sie dienen. 

Letztens gab es einen “Austausch” zwischen der FDP Politikerin Strack-Zimmermann und dem Linken Gregor Gysi. Sie getraute sich, Gysi einen Traumtänzer zu nennen. Mal ganz davon abgesehen, dass der Mann bei seiner Biografie weit davon entfernt ist, musste ich spontan an ein Lied denken. 

You may say I'm a dreamer But I'm not the only one I hope someday you'll join us And the world will be as one
- John Lennon, Imagine

Während mir eine andere Protagonistin, Sahra Wagenknecht, eher suspekt ist. Egal, mit wem man es zu tun hat, in erster Linie sind die Belange der eigenen Nation in den Vordergrund zu stellen. Das hörte man auch schon von anderer Seite und ist mit Sicherheit nicht die Vision von Frieden à la Lennon, sondern knallharter Nationalismus … der von der neutralen Meta-Ebene aus gedacht, von allen an den Tag gelegt, ins nächste Dilemma führt. 

Keine Ahnung, wie es anderen geht, aber Teile der Presse, Künstler, Autoren, wirken auf mich wie Claqueure. Wer nicht im Reigen der Macht eingebunden ist, darf durchaus auch mal unrealistisch, träumerisch, überzogen, außerhalb des Mainstreams, mahnend, visionär, die Macht verachtend, agieren … oder muss es sogar. Wenn sie es nicht tun, prostituieren sie sich, mutieren zu Werkzeugen, leben als “Kinder” ihrer Zeit, austauschbar … banal. Da halt ich es lieber mit John Lennon oder dem einen oder anderen anarchistischen Vordenker, wie dem Schriftsteller Henry Miller, dem Intellektuellen Noam Chomsky, dem Professor für die Spieltheorie Yanis Varoufakis oder Alt-Anarchisten Erich Mühsam. 

Radikale Gedanken über die Freiheit und Zeitgeschehen

Lesedauer 53 Minuten

Unser Leben wird von unserem Geist geformt und wir werden, was wir denken.

Eingangsvers des Dhammapada

Am Anfang sind wir frei? Oder doch nicht?

Vor etwas mehr als 26 Jahren stand ich zum zweiten Mal im Kreißsaal eines Berliner Krankenhauses und gab meiner zweiten Tochter das Versprechen, welches ich schon meiner ersten gab. “Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit Du als freier Mensch leben kannst.” Das war mir sehr wichtig. Es mag pathetisch klingen. Aber wenn es einen Ort und einen Moment gibt, an dem man dies darf, dann ist es ein Kreißsaal im Anblick eines Neugeborenen. Hätte mich damals jemand gefragt, was ich denn unter frei verstehe und warum mir dies so sehr am Herzen lag, wäre meine Antwort vermutlich nicht sonderlich präzise gewesen. Die meisten mir bekannten Leute wünschen ihren Kindern, was sie selbst nicht sind oder haben, aber gern wären und besäßen. War ich in diesem Moment nicht frei? Mit Sicherheit eine Frage der Relation. Ebenso, was man darunter versteht. Was ist das Gegenteil davon? Eingesperrt? Abhängigkeit? Gehemmt? Unfrei erscheint mir ein wenig banal und einer Antwort nicht dienlich.

Heute denke ich, dass nicht ein Motiv ursächlich war, sondern mich eine Mischung aus Erfahrungen in unterschiedlichen Lebensbereichen antrieb. Schon in der Kindheit, entwickelte ich eine Aversion gegen Verhaltensweisen, die von gar nicht wenigen angewendet werden, um anderen ihr Leben aufzudrücken. Und Kinder werden gern als Mittel zum Zweck benutzt. Da wird Dankbarkeit eingefordert, emotional genötigt und einiges mehr an den Tag gelegt.
Als ich Vater wurde, diente ich bereits bei der Kriminalpolizei. Infolgedessen griff ich sehr praktisch und unmissverständlich in die Rechte und damit auch in die Freiheit anderer Menschen ein. Ich gebe zu, dass mir dabei nicht immer ganz wohl war. Die innere Kritik meldete sich spätestens beim Thema Drogenpolitik. Es ist nicht einfach, sich in einem Freundes- und Bekanntenkreis zu bewegen, der sich nachvollziehbar über eine lächerliche und willkürliche Gesetzgebung hinwegsetzt, wenn man selbst deshalb ermitteln soll.
Außerdem stand ich schon seit der Jugend allem kritisch gegenüber, was mit Macht und Autorität zu tun hat. Macht verändert Menschen und ich nehme mich dabei nicht aus. Und niemand sollte sich dabei etwas vormachen. Selbst Kindererziehung hat etwas mit Macht zu tun, zumal sie immer umfangreicher wird. Ganz früher bedeutete Erziehung einem Kind das Notwendigste beizubringen. Heute bleiben Kinder viel länger zu Hause. Eltern sehen sich dazu verpflichtet, dem Nachwuchs ihre Vorstellungen von einem erfolgreichen Leben in der Gesellschaft zu vermitteln.
Mir kommt dabei häufig der Gedanke: Wenn ich wüsste, wie der ideale Weg aussieht, wäre ich ihn gegangen. Dabei habe ich eine Wandlung vollzogen. In den ersten Jahren dachte ich auch, über vielerlei Bescheid zu wissen. Doch eines Tages sagte ich einer Tochter: “Wenn Du ein Problem mit der Elektrik hast, rufst Du einen Elektriker und keinen Bäckermeister. Bei einem Brand die Feuerwehr und nicht die Polizei. Frag mich zu den Lebensaspekten, bei denen mir zuzutrauen ist, dass ich wirklich etwas weiß. Bei allen anderen Sachen bin ich einer unter vielen, die eine Meinung haben.” Ich denke, einen guten Instinkt für die richtigen Berater zu entwickeln, ist ein wichtiger Lebensaspekt.

In der Polizei wurde meine Skepsis gegenüber Macht und Autorität von Jahr zu Jahr zur Gewissheit. Kurt Tucholsky schrieb: “Wenn Du einen Menschen wirklich kennenlernen willst, mach ihn zu Deinem Vorgesetzten!” Meinen Vorstellungen nach unterläuft den meisten Menschen ein eklatanter Fehler. Sie denken, die Macht und Autorität wurde ihnen verliehen, um andere dahingehend anzuleiten, Aufgabenstellungen zu bewältigen, wie sie es selbst tun würden. Hieraus schlussfolgern sie, dass alle andersartigen zu ihnen passend gemacht werden müssen oder sich wenigstens zu fügen haben. Mit dieser Haltung kann ich nichts anfangen. Ein Führungsgrundsatz lautet: “Führen bedeutet, andere Menschen erfolgreich zu machen!
Das andere bedeutet, mit Autorität die Leute zu abhängigen und gehorsamen Erfüllungsgehilfen zu degradieren. Ist die notwendige Autorität nicht von Natur aus vorhanden, wird sie halt mittels Amt zugeteilt. Letzteres ist der Regelfall, welcher von Ausnahmen bestätigt wird. In vielen Bereichen ist das recht zweckmäßig. Nämlich immer dann, wenn die Leute nichts weiter mit der Arbeit verbindet als Geld. Nach eigenen Vorstellungen gestalten zu können, ist ein wesentlicher Teil der Freiheit. Menschen wollen aktiv sein, etwas erschaffen und damit wirklich werden. Arbeiten ist an sich etwas Gutes und Teil des Lebens. Sie wird erst zum Problem, wenn man von dem, was man tut, entfremdet ist. Deshalb betrachte ich es kritisch, wenn jemand konsequent zwischen Arbeit und Privatleben unterscheidet. Die Entscheidung mag richtig sein, aber meistens ist dann etwas mit der Tätigkeit nicht in Ordnung.
Im Dienst erlebte ich dies im Zusammenhang mit der Zeit, in der die ersten dienstlichen Mobiltelefone verteilt wurden. Anfangs nahmen die Kollegen/innen sie freiwillig mit nach Hause, um im Falle einer unvorhergesehenen Einsatzlage alarmiert werden zu können. Das ging nicht lange gut. Die obere Führungsebene sah diese Bereitschaft schnell als Selbstverständlichkeit und war dann auch nicht mehr gewillt, bezahlte Rufbereitschaften anzuordnen. Eines Abends nach Dienstende schaute ich mit dem Teamleiter auf die Steckdosenleiste. Alle Telefone steckten zum Laden in der Leiste. Er sagte nur: “So kann man auch zeigen, dass man die Nase voll hat!”

Durch den Beruf erhielt ich Einblicke in Bereiche der Gesellschaft, die mir ohne niemals möglich gewesen wären. Manch einer mag jetzt an die sozial schwierigen Bereiche denken. Schwierig auf jeden Fall, aber “unten” hatte ich ohnehin genug gesehen. Ich meine das Milieu der Besserverdiener. Mal die Yuppies mit dem schnellen Geld, andere Male Politiker/innen oder auch die vor Arroganz stinkenden Besitzer/innen der großen Häuser ohne Namensschilder, aber sehr viel Sicherheitsbedürfnis. Zu dem, was ich sah, nahm ich lange Zeit eine fatalistische Haltung ein. “So ist das nun einmal. Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit sind weite Felder mit sehr vielen Grauzonen! Und Du bist nicht Don Quichotte.” Oftmals rettete ich mich der Haltung, dass es nicht mein Job wäre, die Ursachen anzugehen, sondern bei passender Gelegenheit den Auswirkungen die Spitzen zu nehmen.
Mir war klar, dass die jungen serbischen Einbrecher auf der anderen Seite der Schreibmaschine zum Verbrecher geformt wurden. Diejenigen, welche dies zu verantworten hatten, spielten in einer anderen Liga und gehörten vor einen internationalen Gerichtshof. Allerdings gibt es noch andere menschliche Aspekte, die nichts mit dem eigentlichen Delikt zu tun haben. Ich kann irgendwo einbrechen, aber mich dennoch halbwegs fair gegenüber den Opfern verhalten und mir damit selbst beweisen, dass ich noch nicht völlig verroht bin. Dies gilt bei vielen Straftaten.
Anfügen will ich auch noch den Unterschied zwischen einer rein kriminellen Handlung, die der reinen Bereicherung dient oder einer, die aus einer Überzeugung heraus begangen wird. Im zweiten Fall komme ich nicht daran vorbei, mir diese näher anzuschauen. Sie kann darauf ausgerichtet sein, eine politische Ordnung zu erreichen, in der ich und meiner gleichen Vorteile genießen oder ich einen Zustand mit größerer Freiheit für alle anstrebe. Ob dies funktioniert, steht auf einem anderen Blatt Papier. Ich denke dabei zum Beispiel an die anarchisch motivierte Bonnot-Bande, welche in Frankreich 1911 bis 1912 Banküberfälle beging und die Beute nach Robin Hood Manier verteilte. Man mag die Taten der Überzeugungstäter/innen verwerflich finden. Doch ein/e gute/r Ermittler wird sich immer mit den Motiven auseinandersetzen müssen. In einer Zeit der sprachlichen Unschärfe ist es schwer den Leuten begreiflich zu machen, dass nachvollziehen nicht Sympathie oder Zustimmung bedeutet. Wenn jemand völlig irrational, vollkommen frei von erkennbaren Motiven handelt, dann gibt es auch nichts nachzuvollziehen. Entweder ist es Wahn oder psychopathisches Kalkül, wie es Friedrich Dürrenmatt in der Wette zwischen Kommissar Bärlach und Gastmann beschreibt.[1]Der Richter und sein Henker

Heute las ich davon, dass gegen Klima-Aktivisten tatsächlich ein Verfahren wegen des Verdachts der Bildung einer Kriminellen Vereinigung eröffnet wurde. Genau in der Zeit, als meine Kinder geboren wurden, bearbeitete ich bei der Kriminalpolizei erstmalig ein Verfahren mit dieser Überschrift. Die Tatverdächtigen arbeiteten sich einmal quer durch das Strafgesetzbuch: Bewaffneter Raub, Mord, Einbrüche, Kfz-Verschiebung, Kreditkartenbetrug, Waffenhandel, gewerbsmäßige Hehlerei. Letztendlich konnte ich den Nachweis nicht erbringen, weil sich die rund 60 Beteiligten keinen gemeinsamen Namen gegeben hatten. Daran scheiterten damals im Bereich der Organisierten Kriminalität viele Verfahren, bei denen man versuchte den § 129 a StGB anzuwenden. Am Ende nennt sich dann alles kriminelles Netzwerk von organisiert vorgehenden Banden. 2017 entfiel diese Bedingung mit einer Gesetzesänderung.
Dazu muss man wissen, welche Auswirkungen die Annahme des Tatbestands hat. Jeder, der die Vereinigung logistisch oder finanziell unterstützt, ohne selbst die eigentlichen Straftaten zu begehen, hängt mit drin. Deshalb dürfen auch sie mit verdeckten polizeilichen Maßnahmen, Observationen, Kommunikationsüberwachung, Einschleusen von Verdeckten Ermittlern belegt werden. Ich halte es für nachvollziehbar, dass ich meine Verfahren, dem aktuellen bezüglich der Klima-Aktivisten gegenüberstelle. Bei mir löste dies einiges aus. Als dieses Thema aufkam, glaubte ich anfangs noch an das übliche populistische Gerede von Konservativen.
Niemand, der ein wenig in der Materie steckt, käme auf die Idee, die Aktivisten mit Kriminellen in einen Topf zu werfen. Kriminell ist für mich immer noch jemand, der sich auf miese Art bereichern will und dabei keine Skrupel kennt. Mit Sicherheit keine Leute, die sich bei Wind und Wetter für ihre Überzeugung mit nackten Händen an eine Fahrbahn kleben. Man kann das blöd finden, nicht zielführend oder vermessen, aber nicht kriminell. Entsprechend konsterniert las ich dann die Meldung. Der § 129 a StGB wird von manchen auch «Schnüffelparagraf» genannt. Eine minimale Zahl der geführten Verfahren kommt zur Anklage und noch weniger ziehen Verurteilungen nach sich. Aber im Vorfeld wird der Polizei wie bereits erwähnt über den §§ 100 a ff. StPO ein ganzer Blumenstrauß an Maßnahmen ermöglicht.

Das ist ein massiver Eingriff staatlicher Institutionen in die Freiheiten eines Bürgers. Vielmehr geht kaum noch. Und all dies wurde nach einer Innenministerkonferenz eingeleitet. Entgegen den unwahren Behauptungen vieler Politiker ist die deutsche Justiz nicht unabhängig. Die Staatsanwaltschaft muss den Vorgaben ihres Vorgesetzten, dem Justizministerium, Folge leisten. Und der Weg von Justiz zur Innensicherheit ist wahrlich nicht weit. Es fällt mir schwer, keine Verbindung zwischen der für die Politik unbefriedigende Verweigerung des Verfassungsschutzes, die Aktivisten als umstürzlerische Extremisten zu betrachten und die Eröffnung eines 129 a – Verfahrens zu sehen. De facto erfolgt die Anwendung mit einer politischen Intention. Die missliebigen Protestierer sollen über die Kriminalisierung und Überwachung zur Räson gebracht werden.

Nochmals zurück ins Krankenhaus. Eins wurde mir in diesen Tagen bewusst. Mit der Geburt wird ein Wesen in die Welt gesetzt, welches mit dem ersten Schrei von bereits existierenden Strukturen beschränkt wird, die lange vor diesem Moment von Menschen konstruiert wurden. Der Ort, das Krankenhaus, die Qualifikation des Krankenhauspersonals, die Standards, die Charaktere der Eltern, wirken auf das Kind ein. Für uns, die Eltern, begann es mit der Anwendung von Silbernitrat, welches Neugeborenen zur Prophylaxe vor einer Gonokokken-Infektion (Tripper) ins Auge geträufelt wird. Das Zeug hieß früher im Volksmund Höllenstein. Und genau so brennt es auch. Doch warum diese Qual, wenn vorher eine Erkrankung der Mutter ausgeschlossen wurde? Außerdem wage ich zu bezweifeln, dass dies allen Müttern und Vätern bekannt ist.
Später ging es um die Trennung von Mutter und Kind. Im Krankenhaus gab es eine neue Neonatologie-Station. Bereits in den 90ern mussten Krankenhäuser Profite erwirtschaften. Medizinische Werte ändern sich ständig und oftmals kommt einem der Verdacht, dass das weniger medizinische Gründe hat, sondern die Herab – oder Heraufsetzung, welche regelmäßig eine Medikation oder Behandlungsprozedur nach sich ziehen. Damals setzten sie die Werte herunter, welche den Verdacht einer Neugeborenen-Gelbsucht indizierten, woraufhin meine erste Tochter prompt auf der neuen Station landete. Ich konnte mich des Verdachts nicht erwehren, dass das etwas mit meiner privaten Krankenversicherung zu tun hatte, zumal da nicht alle Kinder mit identischen Werten landeten. Neue Station, private Krankenversicherung, Chefarztbehandlung (obwohl die eigentliche Chefin im Ring die Hebamme war), Informationen über die Behandlungsmethoden, all dieses gehört zum Aufbau und Struktur des Gesellschaftssystems, in das Kinder hineingesetzt werden.
Außerdem sind es Aspekte, die an einem anderen Ort überhaupt nicht vorhanden sind. Theoretisch müsste ich noch weiter zurückgehen. Vorsorgeuntersuchungen, Lebensumstände der Mutter, Ernährung, Untersuchungen des Fötus, gehören gleichermaßen dazu.

Wenn es heißt, ein Kind wurde geboren, sind wir uns allzu selten dessen bewusst, was das bedeutet. Es ist die Kurzform für: “Vorausgesetzt das Kind ist gesund, wurde ein Lebewesen geboren, welches aufrecht gehen kann, über zwei gegenüberstellte Daumen verfügt, ein Zentrales Nervensystem und Großhirn aufweist, dessen Neokortex es zum Denken und Sprechen befähigt. Somit grundsätzlich zu allem befähigt ist, was jemals ein Mensch tat, jetzt gerade unternimmt oder noch machen wird.”
Im Kinderbett liegt eine zukünftige Atomphysikerin, eine Lehrerin, Architektin, Krankenschwester, Tischlerin, eine geldgierige Frau, eine Buddhistin, eine knallharte Geschäftsfrau, eine eher empathisch ausgerichtete Helferin oder eine Querdenkerin, Faschistin, Esoterikerin. Alles ist möglich!
Und dann geht es los. Wie alles weiter gehen kann, beschrieb Aldous Huxley in seiner Dystopie “Eine schöne neue Welt”, in dem er es überzeichnete. Bereits im Krabbelalter, werden dort die Kinder für ihre künftige vorgesehene Rolle in der Gesellschaft konditioniert. Wenn ich mir die aktuelle Realität anschaue, bin ich mir nicht sicher, ob wir seine ehemals überzeichnete Darstellung längst überflügelten. Psychologen konnten in Experimenten nachweisen, dass Kinder im Jugendalter nicht mehr unterscheiden können, ob sie ein Ereignis tatsächlich erlebten oder es ihnen mit einer Virtuell Reality Brille suggeriert wurde.
Aus älteren Experimenten ist bekannt, wie trügerisch Erinnerungen sein können. Beispielsweise ließ man eingeweihte Geschwister über einen längeren Zeitraum eine frei erfundene Geschichte erzählen. Es dauerte gar nicht lange, bis die unwissenden Schwestern und Brüder glaubten, sie tatsächlich erlebt zu haben. Wende ich dies auf PC-Spiele, dauerhaftes Einwirken von ausgefeilter Werbung, Algorithmen, Manipulationen der Eltern, welche die Ergebnisse an die Kinder weitergeben, an, sind wir längst inmitten der dystopischen Darstellungen. Ich bewundere in diesem Zusammenhang den Anarchisten Francisco Ferrer, welcher lange vor Huxley (Brave New World, 1932) im Jahr 1901 die “Moderne Schule” gründete, in der die Schüler nach anarchistischen Grundsätzen ausgebildet wurden. Von ihm ist die Aussage überliefert, dass von den Absolventen nicht erwartet werden kann, selbst Anarchisten zu werden. Denn dies würde bedeuten, nicht den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, freien, selbst entscheidenden Menschen einen Lebensweg zu eröffnen.

Frei? Versuch einer Herleitung

Was bedeutet, frei zu leben? Für manche besteht die Freiheit darin, mit einer Harley die Route 66 herunterzufahren. Aber irgendwann ist die auch mal zu Ende. Und dann? Andere halten ein Wohnmobil für die Erfüllung. Auf dem Trip war ich auch mal. Doch erstens sind die Dinger extrem teuer und ich stellte fest, dass man damit an Grenzen schnell lernt, wie kompliziert die Welt geworden ist. Und egal wie man es anstellt, wirklich frei ist man mit solchen Aktionen nie. Das Stichwort lautet: Abhängigkeit! Geld ist in den meisten Systemen durchaus ein gutes Mittel sich einen Lebensstil kaufen zu können, aber ist man deshalb frei?

Wenn ich rein theoretisch vollkommen allein auf der Welt wäre, könnte ich alles tun und lassen, was mir gerade in den Sinn kommt. Jedenfalls so lange, bis sich in mir Bedürfnisse regen. Hunger, Durst, Schlaf, Verdauung erzeugen Notwendigkeiten. Zumindest, wenn ich leben will. Dies würde mich dazu zwingen, etwas zu unternehmen. Damit wäre es bereits in diesem Moment mit der totalen Freiheit vorbei. Hieraus ergibt sich für mich eine weitere logische Schlussfolgerung. Die Anzahl der Bedürfnisse bestimmt schon einmal den Grad der Freiheit, ohne dass überhaupt jemand anderes eine Rolle spielt. Gleichzeitig ist sie davon abhängig, wie viel Aufwand ich insbesondere zur Stillung absolut lebensnotwendiger Aspekte betreiben muss. Zu Hunger, Durst, Schlaf, Notdurft, nehme ich noch den Schutz und soziale Kontakte dazu. Alles zusammen setze ich unter die Überschrift: Lebenswille.
Wie sehr sich das praktisch auswirkt, weiß jeder Arme. Wobei ich die echte Armut meine. Sie ist gegeben, wenn ein Mensch objektiv nicht genug zum Leben hat. Relativ ist sie, wenn die Möglichkeiten im Verhältnis zu den gut situierten Mitgliedern einer Gesellschaft arg eingeschränkt sind. Derzeit liegt die absolute Armutsgrenze bei täglichen 1,9 US-Dollar Kaufkapazität. Ich finde diese Art der Bewertung nicht treffend. Sie wird nicht denen gerecht, die ohne Geld leben, aber sich sehr wohl gut versorgen können. Indigene Völker sind, solange sie sich selbst mit Nahrung, Schutz, versorgen können, nicht arm. Gleichfalls sind sie nicht rückständig, sondern leben im Einklang mit dem natürlichen System. Die leben freier als jeder, der sich nur mit finanziellen Mitteln versorgen kann. Die absolute Armut betrifft weltweit rund 700 Millionen Menschen. Davon leben 178.000 in Deutschland. Weil sie monatlich über weniger als 1.162 EUR verfügen können, sind von relativer Armut 13 Millionen Deutsche betroffen.[2]https://moneytransfers.com/de/news/content/armut-weltweit-statistik-2022-fakten-uber-absolute-und-relative-armut#Die-Armutsgrenze-in-Deutschland-2022-liegt-bei-60%-des-Durchschnittseinkommens. Ihre Freiheiten sind in jeder Hinsicht beschränkt. Eine Selbstversorgung ist nicht möglich und sie leben in einem System, in dem man nur mit Geld überleben kann. Früher gab es diese romantische Vorstellung der freien Clochards. Ein Wort, welches besser klingt als Obdachlos. In unseren Breitengraden gibt es bei diesem Leben keine Romantik.
Ich will nicht ausschließen, dass indische Asketen oder ohne Besitz lebende buddhistische Mönche so etwas wie echte Freiheit finden. Doch die müssen sich nicht mit bitterer Kälte herumschlagen und werden von der Bevölkerung unterstützt. Allerdings ließ ich mich persönlich bezüglich der Freiheit von der buddhistischen Logik überzeugen. Abhängigkeiten stehen der Freiheit immer im Weg. Und der Hauslose Weg kommt schon ziemlich nah an echte Freiheit heran.
Doch an Essen, Trinken und ein paar anderen Bedürfnissen kommt man schwer vorbei. All das ganze Gerede über Leistungsanreize und Sanktionen bei Sozialleistungen ist mir zuwider. Sähen die aufrichtigen Leute realistische Optionen, um aus der Misere herauszukommen, würden sie sie ergreifen. Die echten Ganoven, welche das System für ihre Zwecke benutzen, wissen genau, wie sie sich zu verhalten haben. Getroffen werden alle, die es nicht besser wissen, können oder in Schwierigkeiten sind. Eine Bekannte meinte letztens, dass es nicht sein könne, dass jemand mit Sozialleistungen mehr Geld bekäme, als ein Niedriglöhner. Ist dann eventuell der Niedriglohn zu gering angesetzt? Ich denke schon!

Ich darf auch nicht die Natur des Menschen außer Acht lassen. In uns existiert ein Belohnungssystem, welches mit dem Lebenswillen eng verbunden ist. Es ist wie so vieles andere ein Ergebnis der Evolution. Soziales Verhalten, welches eine erfolgreiche Interaktion als Gruppe/Horde ermöglicht, wird mit angenehm empfundenen Emotionen belohnt. Ebenso war es im Frühstadium der Entwicklung existenziell notwendig, eine Vorratshaltung zu betreiben. Da unterscheidet sich der Homo sapiens nicht im Geringsten von anderen Tieren. Nur, dass die anderen Tiere keine Optionen entwickelten, es damit übertreiben zu können oder rituelle Handlungen zu entwickeln, die mit dem eigentlichen Zweck nichts mehr zu tun haben. Ein verunsichertes Huhn, welches auf dem Boden herum pickt, obwohl es dort gar nichts gibt, wirkt komisch. Ein frustrierter Mensch, der sich in einem Einkaufstempel lauter Dinge kauft, die keinen praktischen Zweck aufweisen, eher traurig. Nicht weniger schräg sind die Hamsterkäufe von Nudeln oder Toilettenpapier. Vor allem im Vergleich zu anderen Ländern. In Frankreich wurden die Kondome knapp. Mehr muss man vermutlich nicht wissen. Ist sich jemand nicht bewusst, was das Belohnungssystem für Folgen haben kann, ist es mit der freien Willensbildung vorbei.

Praktisch bin ich nicht allein und lebe auch nicht in einem paradiesischen Milieu, wo mir gebratene Hähnchen vom Himmel entgegenfallen und an den Bäumen Leckereien wachsen. Damit ist klar, dass Freiheit an sich nichts besagt. Vielmehr müssen noch Konkretisierungen hinzukommen. Was ist eigentlich das Gegenteil von einem freien Leben?
Wenn man mich daran hindert, dass ich mich meinem Willen folgend bewege, bin ich im absoluten Fall eingesperrt oder im verminderten in meiner Bewegungsfreiheit beschränkt. Dies kann durch ein natürliches Ereignis, Umstände oder durch ein anderes Lebewesen geschehen. Demnach muss ich die zusätzlich benennen. Dies gilt ebenso für die Redefreiheit, Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit, Religionsfreiheit, Bildungsfreiheit, usw.
Ein besonderer Fall ist für mich die freie Willensbildung. Die kann gemindert werden, in dem mir dafür notwendige Informationen vorenthalten werden oder man mir vorsätzlich falsche gibt. Passe ich nicht auf, werde ich das Opfer von geschickten Manipulationen. Denen zu widerstehen, ist bei uns ermüdend. Egal was wir tun, irgendjemand versucht es immer. Mal sind es visuelle Reize, minimale Abläufe, Gerüche, Gefühlsappelle, alles, was die Ratio ausschaltet, wird angewandt. Nicht einmal, ob wir auf unseren Smartphones nach unten “wischen” oder nach oben ist dem Zufall geschuldet. Mit Probanden wurde untersucht, was den Benutzer länger bei der Stange hält. Oder wie lange welches Bild an welcher Stelle des Bildschirms betrachtet wird. Sie testen einfach alles aus.

Ich kann mir aber auch selbst im Weg stehen. Wenn ich mich von anderen abhängig mache, beschränke ich mich. Dies muss nicht unbedingt negativ sein. Vielleicht ist es der einzige Weg, um andere Hindernisse zu überwinden oder Bedürfnisse zu befriedigen. Mein Gehirn kann sich weit über die notwendigen Grenzen jede Menge Beschränkungen ausdenken. Immerhin sind sie, wenn sie ausschließlich von mir selbst stammen, frei entstanden und die Aufgabe geschah freiwillig. In der Regel sieht es anders aus. Jede Familie hat so ihre eigenen tradierten Verhaltensvorgaben. Nicht selten stammen sie aus längst zurückliegenden Zeiten und besonders erscheinen sie prüfenswert, wenn sie aus alten überkommenen moralischen Konstruktionen entstanden sind oder in Zeiten der Traumata, Not und Wiederaufbau geprägt wurden. Ich kenne noch solche Sprüche, wie: “Gehe nicht zu Deinem Fürsten, wenn Du nicht gerufen wurdest!”; “Lehrjahre sind keine Herrenjahre!”; “Am Abend werden die Faulen fleißig.”; “Müßiggang ist aller Laster Anfang.”; “Das hat noch niemanden geschadet.”, “Was man angefangen hat, muss man auch zu Ende bringen.” Auch die mutwillig entstellten Zitate von griechischen und römischen Philosophen gehören dazu. Eins meiner Favoriten ist “Carpe diem!”. Übersetzt heißt es nicht: “Nutze den Tag!” Und erst recht nicht, ist es eine Aufforderung, die Tagesarbeit zum Abschluss zu bringen, damit der nächste für andere Arbeiten genutzt werden kann. Nicht einmal sich den Tag besonders vollzupacken ist gemeint. Es heißt: “Pflücke den Tag!” Genieße ihn, sei Dir dieses Tages bewusst und lebe im Hier und Jetzt, ist die wahre Bedeutung.
Es besteht auch keinerlei Anlass dafür, das Alter zu respektieren. Alt werden wir alle. Rücksicht nehmen ist eine gute Idee. Denn jeder sollte sich bewusst sein, dass einem jeder alte Mensch die eigene mögliche Zukunft zeigt. Und so wie ich mit den Alten umspringe, ergeht es mir möglicherweise selbst, weil ich an der Gestaltung einer rücksichtslosen Welt beteiligt war. Daran muss ich immer denken, wenn mal wieder ein junger erlebnisorientierter Politiker längere Arbeitszeiten fordert. Warte mal ab! Eines Tages werden Dich Deine eigenen Forderungen einholen. Oder wenn die Privatisierung und Produktivität von Krankenhäusern und Pflegestätten angestrebt wird. Es gibt dieses schöne Märchen von den Gebrüdern Grimm, in dem ein alter Mann immer aus einem Holztrog essen muss, weil er mit seinen zittrigen Händen nicht mehr den Teller halten kann. Eines Abends beobachten die am Tisch sitzenden Eltern ihr Kind dabei, wie es an einem Holz schnitzt. Als sie nachfragen, antwortet das Kind: “Ich schnitze für Euch einen hölzernen Trog, aus dem ihr später essen könnt!”

Der Psychoanalytiker, Theologe, Jesuit und Managementberater Rupert Lay fordert in seinem Buch “Führen durch das Wort” dazu auf, eine Liste von den Überzeugungen, Annahmen aufzustellen, die man selbst nie prüfte und einfach nur erzählt bekam. Ich machte es mal und war erschrocken über die Menge. Mit Sicherheit war die Liste nicht vollständig.
Ähnlich erging es mir mit dem Buch “Die Kunst des Digitalen Lebens” von Rolf Dobelli.[3]https://www.dobelli.com/de/bucher/die-kunst-des-digitalen-lebens/ – Wir sind immer bestens informiert und wissen doch so wenig. Warum? Weil wir ständig News konsumieren – kleine … Continue reading
Ich bin seinem Vorschlag auf Nachrichten zu verzichten nicht gefolgt. Stimme jedoch zu, dass er damit richtig liegt, was die Nachrichten, die eigentlich keine sind, mit uns machen. Was da täglich durch die Medien rauscht, sind Produkte, die entweder verkauft werden müssen oder Mittel zum Zweck sind. Am ehesten wird mir dies bewusst, wenn aus einzelnen Ereignissen eine vermeintlich in sich stimmige Geschichte gestrickt wird. Wir sind so. Unser Gehirn muss Kausalitäten herstellen. Ob die nun vorhanden sind oder nicht. Im Zweifelsfall werden sie halt konstruiert. Machen wir es nicht selbst, sondern kommen sie von anderer Seite, ist Manipulationsalarm angesagt. Objektiv betrachtet gibt es zwischen der Herkunft, Kultur und Straftat eines Täters selten eine Kausalität. Wäre dies der Fall, hätte im jeweiligen Land schon immer Raub, Mord, Totschlag, Vergewaltigungen, Diebstahl, an der Tagesordnung sein müssen. Die Zerstörung der Kultur, der Überlebenskampf, die Ausweglosigkeit, die Umstände der Flucht, die bestehenden Verhältnisse, die Traumata, der Wahnsinn, sind ursächlich. Ich sah einmal ein Flüchtlingsboot mit mehreren hundert Flüchtlingen aus Myanmar an einem Strand anlanden. Ich erfuhr, dass sie ursprünglich mit 250 Leuten mehr starteten, die auf dem fast zwei Monate dauernden Horrortrip verhungerten, verdursteten, ertranken. Was müssen sich auf diesem Boot für unvorstellbare Szenen abgespielt haben? Und welcher Mensch übersteht dies ohne Folgen?
Auch die Tat an sich ist völlig irrelevant. Um mich herum finden täglich Straftaten statt: Frauen werden halb tot geschlagen, Kinder misshandelt, Leute prügeln sich, Diebstähle finden statt. Ob Karl-Heinz, Mandy oder Achmed Täter/in ist, hat keinerlei Bedeutung. Und auch nicht, ob das in Bangkok, Tunis, Tirana oder Istanbul geschieht. Dort wo es passiert, muss man sich um die Opfer und Täter kümmern. Eine Abschiebung führt dazu, dass sie/er an einer anderen Stelle der Erde neue Opfer findet und sich das Leid fortsetzt. Sollte irgendjemand ein echtes Interesse an der Verhinderung von Straftaten haben, muss eine Suche nach den Ursachen stattfinden. Im zweiten Schritt könnten sie dann beseitigt werden. Konjunktiv! Die Ursachen sind vielfach bekannt. Aber wenn wir die angingen, käme dies einer Weltrevolution gleich. Wie auch immer. Jene, die da ständig Kausalitäten zusammenbasteln, führen nichts Gutes im Schilde. Vor allem haben sie nicht meine Freiheit, mein freies Denken, im Sinn. Sie wollen mich manipulieren. Ich schaue weiter Nachrichten und höre mir das alles an. Doch mein Ansatz ist ein anderer: Ich will wissen, was mein Gegner macht. Ich achte weniger darauf, was inhaltlich rübergebracht wird. Mich interessiert, wie es geschieht, welche Wörter benutzt werden und zu welchem Zeitpunkt die Nachrichten auftauchen.

Frei, hat eine Menge mit Interaktionen zu tun. Wenn mindestens zwei Personen eine Rolle spielen, ergeben sich logischerweise zwei Perspektiven. Ich will frei sein und der oder die andere ebenfalls. Gleichsam unterliegen wir den gleichen Beschränkungen. Es ist unwahrscheinlich, dass wir beide immer exakt zum gleichen Zeitpunkt identische Bedürfnisse verspüren. Spätestens an der Stelle werden wir Arrangements finden müssen. Ich kann auch davon ausgehen, dass die andere Seite genau registriert, wie ich mich verhalte. Sind wir beide halbwegs intelligent, werden wir beide dies erkennen. Hierzu gehört auch die Erkenntnis, dass es keine absolute Freiheit geben kann. Zu gleichen Teilen müssen wir Einschränkungen hinnehmen. Tun wir es nicht, wird sich unser Verhältnis sehr schwierig gestalten. Übertreibe ich es mit meinen Anforderungen oder Ansprüchen, wird dies nicht ohne Folgen bleiben. Auf der anderen Seite sieht es genauso aus. Ich denke, aus dieser zwingenden Logik heraus ergaben sich in Folge der Evolution diverse Anlagen des Homo sapiens. Allein hatte der Primat Homo sapiens zu keinem Zeitpunkt eine Überlebenschance. Kooperation, gegenseitiges Einverständnis, Rücksichtnahme, Fürsorge, Einfühlungsvermögen, Gerechtigkeitssinn, sind tief in uns verwurzelt und sind auch bei unseren nahen Verwandten zu beobachten.

Hieraus ergeben sich notwendige, natürliche, Beschränkungen der eigenen Freiheit. Das meiste davon, ohne so etwas wie eine Sozialisierung durch Eltern. Die Natur hat es so eingerichtet, dass bereits Säuglinge beginnen, dies mittels Beobachtungen und Ausprobieren zu erlernen (Belohnungssystem!).
Das Kind schaut sich, was es tun muss, damit es sich gut fühlt und die Bedürfnisse erfüllt werden oder was bewirkt eher das Gegenteil?
Dazu gehört auch die feste Bindung zu einer Bezugsperson, im Regelfall die Mutter, die quasi in Besitz genommen wird. (Hierzu hat Erich Fromm einiges im Buch “Haben oder Sein” ausgeführt. Er ersieht das Loslassen als eine Emanzipation des Erwachsenen, der sich nicht anklammern muss, sondern sich aus eigener Kraft im Leben zurechtfindet. Während das “Klammern” mehr Ausdruck eines infantil stehengebliebenen Menschen ist)
Eine Sozialisierung, im Sinne der Anpassung an eine Gesellschaft, bewirkt unter Umständen einiges, was mit Freiheit, Emanzipation, nichts zu tun hat.

Kein menschliches Handeln ohne Motiv! Wird die Freiheit bewusst beschränkt, muss es eins und einen Grund geben. Es ist zweckmäßig, zeitweilig die Anweisungen einer anderen Person zu befolgen. Wer beißenden Hunger verspürt, aber keinerlei Vorstellung hat, wie er sich mit Jagen, Fischen oder Sammeln sein Essen besorgen kann, ist auf Hilfe angewiesen. Sich dann einem erfahrenen Jäger unterzuordnen, seine Kommandos zu befolgen, kann die Rettung sein. Aber wenn die Nummer vorbei ist oder eine andere Situation eintritt, in de man selbst der Wissende ist, hat sich das erledigt. In unserer Gesellschaftsordnung sieht das anders aus. Jemand wird aus den unterschiedlichsten Gründen zur Autorität ernannt. Außerdem bekommt er Machtmittel überreicht. Einmal in der Position bleibt er dort oder steigt stetig weiter auf. Ob er nun kompetent ist oder nicht. Einige behaupten sogar, dass in einer Hierarchie die Beförderung nach oben so lange andauert, bis jemand die Position erreicht, in der die größte mögliche Inkompetenz erreicht ist.[4]„In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen.“ Laurence J.Peter/William Morrow, The Peter Principle

Eine Spezialität ist der Fortpflanzungstrieb. Die Evolution denkt nicht, sondern probiert chaotisch aus, was sich als vorteilhaft erweist. In der Natur erwies es sich von Nutzen, wenn sich die Exemplare einer Gruppe paarten, die die vielversprechendsten Gene für einen Fortbestand und Weiterentwicklung einer Art mit sich brachten. Ein hohes Aggressionspotenzial, welches keine Schranken kennt und mit dem Tod des Gegners endet, ist de facto nicht förderlich. Aus diesem Grund entwickelten alle hoch entwickelten Wirbeltiere Turnierkämpfe.[5]Bei Wölfen wurde die Tötung von Welpen beobachtet, die sich im Spiel besonders aggressiv ggü. Rudelmitgliedern verhielten.
Exemplare mit anderen Anlagen treten immer mal wieder auf, aber setzen sich, solange die Art Bestand hat, nicht durch. Welches Verhältnis gefährlich wird, kann man mathematisch ausrechnen. Aber an der Stelle bin ich im Biologie-Leistungskurs ausgestiegen. Mathematik war nie mein Ding.
Ich denke, nicht einmal der Homo sapiens macht dabei eine Ausnahme. Der Fehler besteht in der Entwicklung des Großhirns, die es möglich machte, dass die Ausnahmefälle über Möglichkeiten verfügen, die mit natürlichen Vorgaben kurzen Prozess machen. Meiner Erfahrung nach verfügen die meisten psychisch gesunden Menschen über instinktive Hemmungen, die sie in einem unmittelbaren körperlichen Kampf mit einer Person, der sie sich in irgendeiner Art verbunden fühlen, bremsen.
Erwürgen, vorsätzliches Totschlagen mit Fäusten und Tritten muss erst einmal “erlernt” werden. Anders sieht es aus, wenn Hilfsmittel oder gar Distanzwaffen hinzukommen. Die Folgen eines Messerstichs sind schwer absehbar und bei einer Schusswaffe spielt der Abstand eine Rolle. Alles ändert sich komplett, wenn zur reinen physikalischen Distanz auch noch eine Innere hinzukommt. Je fremder mir ein anderer vorkommt, desto einfach wird alles. Entfremdung ist ein wichtiger Faktor. Instinktiv tun Menschen in Bedrohungslagen eine ganze Menge, um irgendwie eine Beziehung herzustellen, die sie retten könnte. Dazu gehören auch Demutsgesten, die Urinstinkte anspringen lassen. Das Wort Mitleid indiziert es. Dies kann ich nur empfinden, wenn ich mich auf die/den anderen einlasse, womit es auch unwahrscheinlicher wird, dass ich töte oder wenigstens schwer verletze. Man kennt das auch vom Töten anderer Lebewesen. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob ich eine Kuh schlachten soll oder die Kuh Elsa, welche meine Kinder so lieb haben. Genau aus diesem Grund empfinde ich z.B. Kampfdrohnen als eine absolute Perversion. Mehr Abstand zwischen einer/einem die/der tötet und dem Opfer kann nicht mehr hergestellt werden. Das Töten wird zu etwas vollkommen Abstrakten. Ich schrieb bewusst: psychisch gesund! Bei jemanden, der im unmittelbaren Kampf mit einem anderen keine Hemmungen besitzt, auf Demutsgebärden nicht reagiert und keinerlei Bezug zu einem Artgenossen herstellen kann, müssen einige Schalter umgelegt sein. Die Hintergründe können sehr unterschiedlich sein. Keinesfalls ersehe ich einen solchen Menschen noch als frei. Es fehlt schlicht am eigenen, freien Willen. Der ist entweder durch vorhergehende Ereignisse abhandengekommen, war aufgrund biologischer Voraussetzungen nie vorhanden, gezielt ausgeschaltet oder die Überwindung wurde antrainiert.
Anders sieht es aus, wenn ich unter Zwang handeln muss. Doch allein das Wort impliziert, dass es sich um eine Lage handelt, in der ich nicht mehr frei und aus eigenem Antrieb handle. Wird mein Leben oder das eines anderen, mit mir in Bezug[6]Was jemand darunter versteht, ist ziemlich individuell. Manchen genügt z.B. die gemeinsame Nationalität, während sich andere auf eine unmittelbare Bekanntschaft reduzieren. Bei … Continue reading stehenden Personen bedroht, muss ich mich zwischen Leben und Tod bzw. mindestens Unversehrtheit entscheiden.

In einer Gesellschaft wie der unseren sind in vielen Teilen die körperlichen Voraussetzungen ohnehin sekundär. Die Paarungsbereitschaft kann mittels Kreditkarte und Konto-Deckung erkauft werden. Doch selbst in modernen Gesellschaften mit anderen Planungskriterien schlägt das Affige durch. In Fitnessstudios pumpen sich Männer auf. Frauen versuchen, eine Figur zu modellieren, die dem Zeitgeist entspricht. „Beten sollte man darum, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper sei.“ Dies schrieb der Römer Juvenal spöttisch beim Anblick seiner Mitbürger, die sich öffentlich mit eingeölten, trainierten Körpern der Öffentlichkeit präsentierten.
Doch muss ich mich über die Straftaten von jungen Männern wundern, wenn ich ihnen vermittle, dass sie die Anerkennung über teure Autos, Kleidung, ein dickes Portemonnaie, Kreditkarten bekommen, und sie auf die Art für die ebenso sozialisierten Frauen interessant werden? Vor allem, wenn sie gar keine andere Chancen bekommen? Schnelles Geld mit wenig Aufwand zu verdienen, wird erst zur Straftat, wenn ich illegitime Mittel anwende. Stehen mir legale zur Verfügung, ist alles in Ordnung. Starte ich mit einem ausreichenden Kapital, Bildung, dem notwendigen Wissen darüber, wie ich Leuten das Geld aus der Tasche ziehe oder am Fiskus vorbeibringe, bleiben die legalen Wege nicht lange verschlossen. Hab ich all dies nicht, muss ich andere finden. Wäre es dann für die Gesellschaft nicht zweckdienlicher, Werte höher zu schätzen, die ohne Geld, Statussymbole, auskommen? Gleichzeitig dieses ganze dekadente Gehabe der Reichen, Schönen, Pop – und Filmsternchen zu ächten, statt zu favorisieren?
Ich spielte beruflich damit eine Weile herum. Nichts ist in Deutschland einfacher, als mit wenigen gezielt ausgewählten Accessoires, einem passenden Fahrzeug und Auftreten, eine Illusion zu erzeugen. Auch wenn er mich bei Twitter geblockt hat, bin ich ein großer Bewunderer der Fähigkeiten des Hochstaplers Gert Postel. Der Mann bediente 17 Jahre lang all die Vorurteile, Annahmen, Wertvorstellungen, seines Umfelds. Ihm zuzuhören ist eine “böse” Freude.
Was wir wertschätzen, findet größten Teils im Kopf statt. Ein indischer Guru beschrieb dies am Beispiel eines kleinen Mädchens, welches mit einem “kostbaren” Diadem spielt. Böte man dem Kind zum Tausch ein schönes Spielzeug an, würde es sicherlich zustimmen. Wenn die Verfechter des Kapitalismus von Verknappung und damit verbundener Wertsteigerung sprechen, lassen sie etwas aus. Zunächst muss ein Bedürfnis danach bestehen. Wenn ich etwas nicht mag, ist es mir vollkommen egal, ob es selten und teuer ist. Anders sieht es aus, wenn ich etwas zum Überleben benötige. Einige Spezialisten leiten davon ab, dass man auch Wasser zu einem Produkt machen sollte. Ihrer Logik nach gingen die Verbraucher dann umsichtiger damit um. Warum dann nicht auch gleich noch die Atemluft? Mit dem Boden wird es ja bereits getan.
Trinkwasser wird aufgrund der Umtriebe der Industriestaaten und der globalen Geschäftemacher ohnehin knapp. Bei dem Wasser, welches zur Produktion verwendet wird, unterscheidet man zwischen grünem, grauen und blauen Wasser. Grünes Wasser ist der gute alte Niederschlag, der in den Boden geht. Nur dumm, wenn der sturzartig kommt und weder vom Boden noch von den Pflanzen aufgenommen werden kann. Auch schlecht, wenn er außerhalb der Wachstumsperioden fällt, aber zum richtigen Zeitpunkt ausbleibt. Blaues Wasser wird für alles Mögliche in den Haushalten, der Industrie, Tierhaltung, Plantagen usw. benutzt. Es stammt aus den Oberflächengewässern oder wird aus tieferen Erdschichten hochgepumpt. In vielen Regionen so viel, dass die ökologischen Systeme zusammenbrechen. Graues Wasser wird derart übel verseucht, dass es gereinigt werden muss oder ins Ökosystem gerät, um dort massive Schäden zu verursachen. Spätestens hier grätschen die Verfechter des Produkts Wasser hinein. Sollen sich die Leute doch sauberes Trinkwasser aus Flaschen kaufen. Merkwürdigerweise sind es die gleichen Kandidaten, welche das graue und blaue Wasser exzessiv nutzten. Mit den größten Wasserverbrauch weist die Textilindustrie auf. Jedenfalls, wenn man alles berücksichtigt, was dazu gehört. Chemische Herstellung, Anpflanzung von Baumwolle, Tierhaltung, Färben, Herstellung, Transport, da kommt was zusammen. In einer Jeans stecken 11.000 Liter Wasser. Aber: Ohne Bedürfnisse nach ständig neuer modischer Kleidung, keine Wasserverschwendung, leider auch kein Profit und Wachstum. Was hat das mit Freiheit zu tun?
Ich denke, wenn Leute täglich ums Wasser kämpfen müssen, ist es damit schnell vorbei. Und wenn nicht ein paar arme Teufel in einer Region darum kämpfen müssen, sondern ganze Regionen, nennt sich das am Ende Krieg. Und wenn ich zähneknirschend Zugeständnisse an äußerst unethische politische Aktivitäten machen muss, empfinde ich dies auch nicht als frei. Wie brisant die Lage ist, zeigt sich bei den Chinesen. Die zapfen im Himalaya die großen Ströme gleich oben an und sorgen dafür, dass das Wasser bei ihnen und ihrer Industrie landet und nicht am alten Ort. Dies finden wiederum auf Dauer die betroffenen Staaten nicht witzig. Nun, bei uns in Mitteleuropa scheint es langsam auch interessant zu werden.

Ist die Freiheit des Individuums ein Recht oder eine Notwendigkeit?

Die Eigenart von Rechten besteht darin, dass es eine Instanz geben muss, die sie einräumt oder versagen kann. Außerhalb der Vorstellungswelt des Großhirns gibt es in der Natur nichts Vergleichbares. Wir nennen manche Vorgänge so, aber ich stelle dies infrage. In einer Affenhorde übernimmt ein dominierendes Männchen eine naturgegebene Rolle. Nämlich die Begattung der Weibchen zur Weitergabe der Gene, die wiederum den Bestand der Art sichern. Der macht da keine großen Unterschiede. Wie man so schön sagt, alles, was nicht schnell genug auf dem Baum ist, wird besprungen. Ob es allerdings tatsächlich zu einer Befruchtung kommt, entscheidet das Weibchen, im Zweifel mit körperlichen Reaktionen. Die Rolle wird nicht auf Lebenszeit zugeteilt, sondern zu ihr gehört die ständige Verteidigung. Wer gerade welche Rolle übernimmt, entscheiden sich ergebende Notwendigkeiten, welche sich aus seitens des natürlichen Systems vorgegebenen Aufgabenstellungen ergeben. Diverse Primaten leben in einzeln voneinander bestehenden Gruppen, die sich notwendigenfalls zu einem Verband zusammenschließen können. Hierbei wird schlagartig die Gruppenstruktur aufgelöst und eine neue mit anderen Leittieren gebildet, die mit solchen Situationen Erfahrungen haben. Was wir unter Rechten verstehen, ist etwas anderes. Auf jeden Fall wurden Menschenrechte formuliert, die für Mitglieder der Spezies Homo sapiens Geltung haben sollten. Wir wissen, dass dies nicht der Fall ist. In allen Regionen der Erde werden sie dauerhaft missachtet.
Aber wie und warum ist man dann überhaupt auf die Idee gekommen, so etwas wie Rechte zu konstruieren? Ich denke, dass das auf der Einsicht beruht, welche Folgen Handlungen haben, die dagegen verstoßen. Es sind Ideale, von denen man weiß, dass sie niemals erreicht werden, aber es sich lohnt, dieses wenigstens zur Maxime des Handelns zu deklarieren.

Jedes wilde Tier versucht erst einmal einer Gefangenschaft zu entkommen. In besonderen Fällen kann es zur Erkenntnis kommen, dass die vorübergehend einen Vorteil bedeutet. Zum Beispiel, wenn es merkt, dass der Mensch eine Verletzung behandeln will. Notwendigkeit! Auch kulturell den Menschen begleitende Tiere, wie zum Beispiel Hunde, sind auf ihren Vorteil bedacht und erkennen im gewissen Sinne die erweiterten Möglichkeiten der Symbiose. Währenddessen ein Kettenhund lediglich ums Überleben kämpft, weil ihn ein spärlich behaarter Affe quält. Schlimmstenfalls verkümmert er und beginnt dahin zu vegetieren. Womit ich schon mal zwei verschiedene Begriffe benutze: Vegetieren und Leben. Das Großhirn befähigt den Homo sapiens zu teilweise unvorstellbaren Leistungen, um aus einer Gefangenschaft, die Beschränkung der Bewegungsfreiheit, auszubrechen. Überhaupt betrachten wir die Fähigkeit, sich zu befreien, als einen Beweis für Intelligenz. Deshalb sind Fluchtversuche aus einer Vollzugsanstalt nicht strafbar. Also nicht wegen der Intelligenz, die hat den Häftling u.U. in die Anstalt gebracht, sondern der Trieb nach Freiheit. Sich nicht frei bewegen zu können, ist tief verankert als ein das Leben bedrohender Zustand, den es mit allen Fähigkeiten zu ändern gilt.

Aber möglicherweise ist es auch ganz anders. Ich denke dabei an einen Vogel in einem Käfig mit einer offenen Tür. Im Käfig besteht eine nicht zu verachtende Sicherheit und gute Versorgungslage. Draußen lauern Raubtiere, der Vogel muss sich sein Fressen und Wasser allein suchen und ein nächtlicher sicherer Platz will auch gefunden werden. Immerhin ist er frei in seiner Entscheidung, ob er bleibt oder nicht. Doch es gibt ein Risiko. Was passiert, wenn die Versorger ihre Dienste einstellen? Wenn er bleibt, muss er darauf vertrauen. Und er muss sich eingestehen, dass er niemals erfahren wird, wie das Leben außerhalb des Käfigs aussieht. Vielleicht haben ihm andere etwas davon berichtet, wissen kann er es nicht. Womit wiederum feststeht, dass er sich, insofern die Fähigkeit vorhanden wäre, einige Gedanken machen müsste, was er sich von seiner Existenz verspricht.

Ich finde, das Käfig-Modell lässt sich in vielen Bereichen auf den Menschen anwenden. Ein fremdes, nicht von mir selbst formuliertes, über Notwendigkeiten hinausgehendes moralisches Konzept, kann einem Käfig gleichgesetzt werden. Gleiches gilt für ein gesellschaftliches Konstrukt mit Vorgaben und Regeln. Verlasse ich es, bin ich u.U. auf mich alleine gestellt und meine Risiken steigen. Oder ich schließe mich einer Gruppe an, womit sich neue Abhängigkeiten und Grenzen ergeben. Die Entscheidung kann nur individuell getroffen werden. Teilweise lege ich damit auch die Notwendigkeiten fest. Sehe ich ein Leben als einen Prozess, der von ständiger Veränderung, Vervollständigung und Verwirklichung des Selbst geprägt ist, muss ich den Käfig verlassen.

Ein anderer Punkt ist, was ich als die Natur des Menschen bezeichnen möchte. Verwirklichung, Gestaltung der Welt und Gerechtigkeit sind im Menschen tief verankert. Verwehre ich ihm dies, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gegenreaktion stattfindet. Diese hat wiederum Folgen für die Freiheiten der anderen. Oftmals sind die Reaktionen: Frustration, Aggressionen, Gewalttaten, Rache, Vergeltung.
Alles Verhalten, die wiederum neue Reaktionen auslösen. Rational, verständig, vernünftig wäre es somit darauf zu achten, dass für alle innerhalb von logischen Grenzen die Freiheit unberührt bleibt.
Wobei ich dabei die Gerechtigkeit mit hineinnehme. Wenn zwei jeweils ihr Auskommen haben, aber einer ein wenig mehr hat, kommt es selten zu einem Problem. Verfügt aber einer über zu wenig und muss ständig zwingende Handlungen vollziehen, während der andere im Überfluss lebt, bleibt das nicht lange ohne Konsequenzen. Ist das Angebot dergestalt, dass es bei einer gerechten Verteilung ausreicht, aber bei einer ungerechten eine Seite in die Bredouille gerät, ist der Kampf sicher. Um diesen einigermaßen unter Kontrolle zu halten, wurden u.a. Gesetze erdacht. Helfen die nicht weiter, müssen die mit der Überversorgung aufrüsten. Im Kleinen und im Großen! Die Einzelnen mit Tresoren, Alarmanlagen, Waffen, Polizei, und die Gemeinschaft mit Grenzzäunen, bewaffneten Truppen, Raketen. Man muss kein Kommunist, Sozialist, Anarchist sein, um die logischen Konsequenzen für die Zukunft zu sehen.

Richtig schwierig wird es, wenn die Grundversorgung für beide nicht reicht. Ursprünglich gab es dieses Problem nicht. Über 100.000 Jahre lebte der Homo sapiens in einem sich selbst regenerierenden System. Immer mal wieder gerieten Völker in einen Konflikt. Aber alles spielte sich regional begrenzt ab. Was interessierte es Azteken, Olmeken, wenn sich an einer anderen Stelle der Erde Makedonier, Griechen und Römer prügelten?
Wenn sich heutzutage Russen und Ukrainer, China und USA, Indien und Pakistan oder alle gegeneinander und miteinander nicht die Freiheit gönnen, haben alle was davon. Gleichfalls, wenn die Europäer in Saus und Braus leben, während in anderen Regionen, Hunger, Not und Elend herrschen.
Doch man muss dabei nicht so weit schauen. In den Metropolen prallen immer heftiger diejenigen, welche bereits von Geburt an keine Chance bekamen, auf jene mit den Privilegien. Für die Chancenlosen ist Freiheit in jeder Form eine Erzählung. Sie wurden an der falschen Stelle der Erde geboren, kamen einst daher oder ihre Eltern nahmen sie hoffnungsvoll mit. Die Privilegierten empören sich über ihre Undankbarkeit, wenn sie auf der Straße randalieren und alles zerstören. Sie verfügen nicht über Gestaltungsfreiheit, die Freiheit sich zu verwirklichen, eine etablierte Identität anzueignen, die sie an der verfassungsgemäßen Freiheit teilhaben ließe. Für die meisten ist ab der Geburt der weitere Lebensverlauf vorgezeichnet und von Fremden gelenkt.
Ich persönlich nenne es immer die präsentierte Rechnung für eine lange Party. Über Jahre hinweg ließen es sich die europäischen Staaten auf Kosten diverser anderer Länder gut gehen. Jede Party ist irgendwann zu Ende. Eine/r muss zahlen. Das alte Partypublikum modert vielfach bereits in den Gräbern. Die Folgen der Party müssen nun die Nachkommen der Opfer und der alten Gäste miteinander ausmachen. Man dachte sich, dass es ausreichen würde, sie ins Land kommen zu lassen und in Siedlungen am Rande der Städte vegetieren zu lassen. Es scheint, dass das nicht funktioniert. Man kann vom französischen Werk “Der kommende Aufstand – L’Insurrection qui vient” halten, was man will, aber es gibt ganz gut wieder, wo sich die französischen Randgesellschaften in den Banlieus hinentwickeln oder bereits stehen. Die europaweit immer wieder aufflammenden Riots nicht zur Kenntnis zu nehmen oder falsch als ein Einwanderungsproblem zu interpretieren, wird sich rächen.[7]https://www.spiegel.de/kultur/der-kommende-aufstand-a-8ea7f45e-0002-0001-0000-000075261508?context=issue

Freiheit ist ein Recht, weil Menschen dies so festlegten. Aber sie ist in erster Linie eine Notwendigkeit für ein friedliches Zusammenleben. Jede unmittelbare Beschränkung oder Handlungen, die mittelbar darauf einwirken, starten einen Prozess, in dem es zu Gegenreaktionen, die sich langfristig auf den ursprünglich Akteur auswirken. Anzustreben ist ein Gleichgewicht zwischen allen.

Grenzen der Freiheit

Für mich ergeben sich aus den oben beschriebenen Aspekten,

logische, zum Überleben notwendige Grenzen,
auferlegte Grenzen, die darüber hinaus gehen und jene,
– die sich aus der Interaktion mit Personen ergeben,
– die durch über eine übermäßige Anspruchshaltung, die logischen überschreiten.

Hinzugezogen werden muss eine Konkretisierung, inwiefern welche Freiheit eingeschränkt wird. Und es bedarf einer Selbstbetrachtung, ob möglicherweise ich selbst die logischen Grenzlinien verletze.

Die Logik ergibt, dass sich alles in einem zuträglichen und ausgewogenen Verhältnis zwischen Individuum, Zweisamkeit, Gruppe, Gesellschaft, Weltgemeinschaft, bewegen muss. Ist es gestört, gibt es Zoff und alle beschränken sich die Freiheit abhängig von Können und Mitteln gegenseitig. Dabei sollte sich jeder darüber klar sein, dass jede von einem/r ausgehende Grenzüberschreitung eines Tages Folgen für einen selbst bedeuten können. Dass unsere alltägliche Lebensrealität anders aussieht, weiß jeder.

Bewusst einen anderen Menschen mit einer anderen Krankheit zu infizieren, obwohl ich etwas dagegen tun könnte, ist eine Grenzverletzung. Bin ich beispielsweise mit einer übertragbaren Geschlechtskrankheit infiziert, weiß darum, ist es logisch, den anderen nicht in Gefahr zu bringen. Früher, als die Leute nichts über die Übertragungswege wussten und auch wenig Gegenmaßnahmen kannten, doch durchaus die Gefahr eines Kontakts erkannten, separierten sie die Erkrankten. Es sei denn, es herrschte Krieg. Da wurden die Pesttoten schon mal über die Stadtmauer geworfen. Eine andere Abwehrmethode boten die Religionen. Der Unvernunft, Verständnislosigkeit, Egozentrik, wurden Regeln vorgesetzt. Die Kombination Schweinefleisch und Hitze ergaben tödliche Krankheiten, die linke Hand wurde zu unrein und nach der Notdurft durfte nur die rechte Hand mit anderen in Kontakt kommen, Schuhe, die durch den Kot verunreinigt waren, wurden aus dem Zelt verbannt usw. Später ergab sich nach und nach Wissen, wie man einigen Krankheiten anders begegnen konnte. Gleichfalls lernte man zwischen ernsthaft gefährlichen Krankheiten und denen zu unterscheiden, wogegen man Mittel entwickelt hatte. Einige Zeitgenossen übersehen, dass die Masern, Windpocken, Scharlach, Röteln, Keuchhusten, durchaus immer noch die gleichen gefährlichen Krankheiten sind, die einst ganze indigene Völker ausrotteten, aber dank moderner Mittel halbwegs ihre Schrecken verloren. Und nur, weil bei uns aufgrund hygienischer Standards die Cholera, Typhus, Diphtherie oder die Syphilis seltener geworden sind, sind sie nicht weg. Das Verhalten, die Maßnahmen, haben sie eingedämmt! Ohne dem, würde es in Europa anders aussehen.

Vor diesem Hintergrund erscheinen mir Mitmenschen, die simple Eindämmungsmaßnahmen, wie das Tragen einer Maske oder einen von der Wahrscheinlichkeit her geringen Eingriff, wie eine Impfung zum unzulässigen Eingriff in ihre persönliche Freiheit machen, äußerst seltsam strukturiert.
Fest steht, dass die Wahl eines geeigneten Mittels der Abwehr eine logische Entscheidung ist, deren Unterlassen sich auch auf meine Freiheit auswirkt. In erster Linie bin ich ein potenzieller Ausscheider und verhindere mit einer Maske die Ansteckung anderer. Erst an zweiter Stelle schütze ich mich vor einer Infektion. Es geht also um die Ausgewogenheit des Verhältnisses zwischen mir und der Gruppe, Gesellschaft. Nehme ich das Risiko einer Infektion anderer billigend in Kauf, kann ich mich nicht beschweren, wenn die dies bei anderer Gelegenheit ebenfalls tun. Jede bewusste, nicht abwendbare Schädigung, legitimiert ein identisches Verhalten beim anderen und wird sich auf mich selbst auswirken. Insofern sollte ich mir dies gut überlegen.

Rücksichtslosigkeit ist kein Akt der Freiheit, sondern eine Grenzüberschreitung, die einen Prozess einleitet. Auf sie kann am Ende nur mit neuen Regeln und Gesetzen reagiert werden. Rücksichtnahme, sich selbst als einen Teil des Ganzen zu sehen, die Wirkungen des eigenen Handelns zu bedenken, sind absolute Grundlagen für die Freiheit.

Doch wie strukturiere ich eine Gesellschaft, in der natürliche, logische Grenzen nicht mehr eingehalten werden? Eine Option ist, dem sich daraus ergebenden Prozess freien Lauf zu lassen und das sich nach den Gesetzen der Logik eintretende Gleichgewicht abzuwarten. Die Verluste werden ziemlich hoch ausfallen, aber es ist am Ende nur eine Frage der Zeit. Eine andere ist das Festlegen von Regeln, Gesetzen und Strafen, die nicht vorhandene bzw. abhandengekommene Vernunft und den Verstand, wenigstens ansatzweise ersetzen. De facto würde man in einer idealen Ausgangslage keinerlei Regeln und Gesetze dieser Art benötigen.
Exakt an dieser Stelle ist ein Haken, mit dem sich alle Anarchisten auseinandersetzen müssen. Zwei Faktoren lassen sich nicht bestreiten. Es gibt rücksichtslose Menschen, die nicht weiter denken. Und es existiert eine Struktur, in der dieses mangelnde Denkvermögen stetig auf ein Neues generiert wird. Bis sich das reguliert, müsste eine Phase des Chaos hingenommen werden. Entsteht es von allein, weil sich das System selbst zerlegt, soll es so sein. Aber künstlich kann es nicht erzeugt werden und ist auch nicht individuell zu verantworten. Zumal der Grundsatz gilt, dass alle Handlungen eine Legitimation für jeden anderen darstellen. Übe ich Gewalt aus, warum auch immer, gestehe ich sie im gleichen Atemzuge auch meinem Gegenüber zu. Gewaltsame Revolutionen setzen die Option in die Welt und jeder andere, der mit dem entstandenen Zustand nicht zufrieden ist, kann sich auf die vorhergehende berufen.

Freiheit, Geld, Würde und der Macht dienliche Regeln

Doch Gesetze und Regeln bestimmen noch mehr. Sie dienen außerdem der Strukturierung und Regelung des Systems. In Deutschland ist das System hierarchisch. Der Idee nach wählen mündige, verständige, vernünftige Bürger, sie vertretende und repräsentierende Frauen und Männer. Die sollen Belange regeln, die von einer/einem Einzelnen nicht ohne Koordinierung, Hinzuziehung von Spezialisten, Wissenschaftlern und auch Leuten, die sich mit ethischen sowie theoretischen politischen Fragen auseinandersetzen, angegangen werden können. In dieser Konstruktion ist es notwendig, den temporären Machtinhabern Mittel an die Hand zu geben, mit denen sie ihre Entscheidungen auch gegen einen Widerstand durchsetzen können. Wie und in welcher Form dies geschieht, ist mittels Gesetzen zu regeln, die innerhalb eines regulären Verfahrens entstanden. Jedes Handeln staatlicher Institutionen muss auf der Basis eines solchen Gesetzes erfolgen. Dies ist die Definition des Rechtsstaats und nicht der ganze andere Quatsch, der populistisch verbreitet wird. Soweit die theoretische Vorstellung.

Konsequent trauten auch die Mütter und Väter des Grundgesetzes dem nicht naiv über den Weg und bauten einige Sicherheitsmechanismen ein. Aber nichts ist von ewiger Dauer, auch nicht, wenn man es als Grundlage bezeichnet. Wenn etwas von Dauer ist, dann sind es die erkennbaren Ideen, Motive, Ziele und ethischen Ansprüche, welche ins Grundgesetz einflossen. Ebenfalls darf meiner Meinung nach nicht außer Acht gelassen werden, dass nicht alle damals Beteiligten wirklich freiheitsliebend und dem demokratischen Konzept positiv zugewandt waren.
Teilweise kann ich das durchaus nachvollziehen. Bereits Platon hatte Zweifel und brachte Kritik an. Skeptisch fragte er, ob es eine gute Idee wäre, wirklich alle an der Herrschaft über ein Volk zu beteiligen, da dann auch die beteiligt würden, die nur sich selbst sehen, von Trieben gesteuert sind, von Demagogen manipuliert wurden oder aufgrund ihres schlichten Gemüts eher unfähig wären, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Er favorisierte deshalb eine Herrschaft der Philosophen (damals hatten die noch Format), die unter Beteiligung von Auserwählten die Entscheidungen treffen. [8]https://freidenker.cc/platons_demokratiekritik/1

Meinem Empfinden nach fand eine Umdeutung statt. Vernünftig und verständig sind nunmehr alle Handlungen, die der Mehrung von Gütern, Steigerung des Profits und der Vergrößerung des Abstands zwischen dem ursprünglichen Leben und einer menschlichen Idee davon dienen. Menschen in industrialisierten Ländern setzten sich in den Mittelpunkt und alles Geschehen hat ihren Bedürfnissen, Vorstellungen, Ideen, zu dienen. Auf Basis dieses Denkens entstanden Begriffe wie Umwelt, Umweltschutz, Umweltzerstörung. Reduziert man dies alles auf eine Welt, in der die Spezies Mensch gleichbedeutender Bestandteil wie alles andere ist, entsteht ein völlig anderer Ansatz. Würde es Wesen geben, welche höher entwickelt sind und die Erde als ihren Garten betrachten, müssten sie gegen uns Vernichtungsmittel einsetzen.
Was den Mitgliedern der Industriestaaten möglich ist, darf und wird auch getan. Diese Ignoranz des Wirkungsprinzips, in dem jede Handlung auf das Gesamte hat und sich somit auch auf den Menschen selbst auswirkt, zeigt immer mehr die vorhersehbaren Folgen und wirkt sich vielfältig die Freiheit beschränkend aus. Die eigentlichen Bedeutungen von Vernunft und Verstand und darauf basierende Handlungen sind chancenlos.
Nahezu alles ist vorsätzlich zu einem ver- oder käuflichen Produkt geworden. Dinge und Handlungen können einen ideellen oder einen monetären Wert haben. Dabei hat sich insbesondere die Wertbemessung von allem, was mit Leben zu tun hat, zugunsten der toten Sachen verschoben. Berufe, die mit dem Leben zu tun haben, werden deutlich schlechter bezahlt, als die sich mit der Mehrung von Geld, Profiten und Gütern beschäftigen. Leistung bezieht sich nicht mehr auf die zwischenmenschlichen Aspekte, sondern auf die monetäre Wertschöpfung. Wer zwar noch lebt, aber nicht mehr diesem Leistungsprinzip entspricht, ist nicht mehr von Interesse. Das betrifft sogar den viel gepriesenen medizinischen Fortschritt der “Wohlstandsgesellschaften”. Unter dem Deckmantel eines ethischen Dilemmas werden Menschen an profitable Maschinen angeschlossen. Bei Behandlungen wird immer seltener nach den Vorteilen für die Patienten gefragt, sondern die Rentabilität entscheidet. Dies geht so weit, dass Investoren von Präparaten abgeraten wird, die eine schnelle Heilung versprechen, da mit dem längeren Krankheitsverlauf mehr zu verdienen ist.
Und wenn die Investitionsriesen wie BlackRock doch mal umschwenken, reagiert das herrschende Kapital äußerst empfindlich. Mit der Begründung, BlackRock setze zu wenig auf Rendite und zu viel auf Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung (ESG), zogen die Bundesstaaten Florida, Missouri und Louisiana erhebliches Kapital ab.[9]https://www.boersen-zeitung.de/florida-zieht-milliarden-von-blackrock-ab-1ce8048a-7210-11ed-8cfa-6235c3898d79 So wie Status, Anerkennung, Identität, soziale Stellung, zum käuflichen Produkt wurden, ist auch die Freiheit eins geworden. Ob dieses Produkt noch etwas mit echter Freiheit zu tun hat, wage ich zu bezweifeln. Autofirmen bewerben ihre Produkte als Mittel für die Erzielung von Freiheit. Nur, dass ich die erstmal aufgeben muss, um es mir leisten zu können und dann eher enttäuscht mit einem SUV über die Dörfer und nicht durch die Weiten nordischer Landschaften kurve. Ich frage mich stets auf ein Neues, welchen Geruch ein Parfum für 100 EUR verströmen soll, wenn es der Duft von Freiheit ist. Das Portemonnaie ist leichter und drückt nicht mehr in der Hosentasche. Allerdings gilt dies nicht, wenn ich eine Kredit-Karte benutze, bei der mir die Werbung ebenfalls Freiheit verspricht. Im Ergebnis sitze ich vor dem tollen neuen Fernseher, bekomme neue Bedürfnisse suggeriert, und jongliere mit den Kreditkarten herum.
Der bürgerliche Standardlebensentwurf, bei dem sich junge Leute für ein Haus und Auto verschulden, über Jahre hinweg, für die Bank arbeiten, alles Mögliche auf Ratenzahlung abstottern, deshalb beruflich alles schlucken müssen, um nicht den Job zu verlieren, klingt ebenfalls nicht nach einem selbstbestimmten freien Leben. Auch hier spitzt sich die Situation, auch in Deutschland, zu. Bei vielen, die sich in das Lebensmodell einfügten und mit geringem Eigenkapital und niedrigen Zinsen ein Eigenheim bauten, fällt nach und nach die Zinsbindung weg. Bei der aktuellen Entwicklung werden aus 1000,– EUR monatliche Belastung um die 2000,– EUR. Möglich, dass die Banken schon aus eigenem Interesse eine gute Anschlussfinanzierung anbieten. Aber der Knebel wird fester.

Im Grundgesetz steht: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wenn ich durch Berlin laufe, bekomme ich einen anderen Eindruck. Würde, muss man sich leisten können. Der Begriff ist schwer zu fassen. Nahezu alle bekannten Philosophen setzten sich damit auseinander. In einem Punkt sind sich alle einig: Der Mensch ist keine Sache und darf deshalb auch nicht als solche behandelt werden. Was macht man alles mit Sachen?
Ich kann sie besitzen und insofern ich niemanden damit gefährde oder etwas unerlaubt zerstöre, damit nach Gutdünken anstellen, was ich will. Jedenfalls in einer Gesellschaft, die hierfür wenig ethische Grundsätze kennt und sich ausschließlich auf das Haben konzentriert. Sicher im Artikel 14 des Grundgesetzes steht im zweiten Absatz: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Aber in der Realität bricht beim Verweis auf diesen Artikel ein bundesweites Geheul und Gezeter aus. Und wenn es nach den Neoliberalen ginge, würden sie diesen Artikel gern ersatzlos streichen lassen. Jedenfalls kann ich ein Urteil fällen, ob ich einen Gegenstand benötige, er einen Zweck erfüllt, mir dienlich sein kann oder ich mich damit schmücke. Das Herzeigen eines Gegenstands, den ich für viel Geld kaufte, kann mir Anerkennung und Ansehen verschaffen. Und wenn ich keinerlei Zweck mehr dafür habe, werfe ich ihn weg.
Lese ich mir die vorhergehenden Worte durch, wird es ziemlich eng. Wird eine Frau oder Mann nicht unmittelbar in ihrem Leben oder Unversehrtheit bedroht, wird es mit dem Flüchtlingsstatus schwierig. Verlässt jemand das Geburtsland, weil er im eigenen keine Perspektive sieht (Bewegungsfreiheit), sprechen wir von Aus- bzw. Einwanderern.
Diverse Zeitgenossen wollen diese Leute aber nur bei uns sehen, wenn sie einen tatsächlichen nachweisbaren Nutzen für die Gesellschaft darstellen. Manche reden sogar von einem Mehrwert. Der neoliberale deutsche Politiker Christian Lindner sagte in einem Interview, dass es kein Menschenrecht wäre, sich seinen Aufenthaltsort frei auszusuchen. Damit hat er sogar recht.
Die Menschenrechte (Artikel 12 UN-Charta) beziehen sich auf die Freiheit der Ausreise und die Rückkehr. Aber die bisher dokumentierte Geschichte zeigt uns, dass sich größere Wanderungen nicht langfristig aufhalten lassen. Als Flüchtling gilt im Völkerrecht (Genfer Konventionen) jemand, der aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung verfolgt und bedroht wird und darum das Land verlässt. Materielle Notlagen, Hunger, Krieg, gehören nicht dazu. GREENPEACE Studien gehen im Verlauf der nächsten 30 Jahre von 200 Millionen Menschen aus, die sich notgedrungen auf den Weg machen müssen. Die überall aufzuhalten, wird “spannend” und konfliktträchtig.
Wie wollen wir es halten? Die mit einem “Nutzen” lassen wir leben und die “nutzlosen” sollen verrecken oder werden in Lagern gesammelt? Oder setzen wir weiter auf die Karte, dass sie es gar nicht bis zu uns schaffen und der EU-Politik geschuldet, im Mittelmeer ersaufen oder es nicht durch die Wüsten schaffen? Immerhin bewiesen die es dann doch noch schaffen, dass sie widerstandsfähig und körperlich fit sind. Ich finde es immer schön, wenn alles schön und sauber dargestellt wird. Seit geraumer Zeit wird die Europäische Außengrenze mit dem System EUROSUR (European border surveillance system) ausgebaut. Dazu gehören der Einsatz von Drohnen, Aufklärungsflügen, Sensoren, Satellitenüberwachung. Natürlich will man damit nicht nur die Grenze dichtmachen. Ganz human sollen auch Menschen in Not gefunden werden.
Meine Prognose sieht ein wenig anders aus. Die Tendenz beim Militär geht dahin, die maximale Distanz zu schaffen, damit das gegenseitige Töten seine unmittelbaren Schrecken verliert. Das Mitglied der ultra-rechten (meiner persönlichen Meinung nach, faschistisch geprägten) AfD Gauland sagte unlängst in ein Mikrofon: “Man muss die Grenzen schließen und die entstehenden Bilder sind auszuhalten.” Ganz falsch liegt er damit nicht. Ohne Gewalt lassen sich die Leute nicht dauerhaft abweisen. Aber vielleicht lassen sich die Bilder verhindern? Die Technik, vor allem die “perverse” schreitet unaufhaltsam voran. Zumindest besteht die Option, die brutalen Vorgänge nur wenige Personen auf Monitoren sehen zu lassen. Und was mit Frauen und Männern passiert, die solche Dinge anprangern oder veröffentlichen, wissen wir seit Snowden und Assange. Auch dies hat ein Eskalationspotenzial und wird sich nicht gut auf die Freiheit aller auswirken.

Nun könnte man sich fragen, welchen Anteil der Way of Life in den reicheren Ländern am Umstand der Perspektivlosigkeit hat. Welche Auswirkungen sind auf die politischen Aktivitäten der letzten 200 Jahre, in denen parallel hier Wohlstand und Überverbrauch an Ressourcen stattfand, zurückzuführen? Wie viele Staaten wurden destabilisiert, damit dort niemand auf die Idee kommt, den Industriestaaten gefährlich zu werden? Oder welche Gelder flossen an Despoten, Tyrannen, Oligarchen, Gangster, damit der Zugang zu den Märkten geöffnet und die Rohstoffe exklusiv an die “richtigen” Leute geliefert wurden? Findet nicht gerade eine umstrittene Weltmeisterschaft statt, bei deren Vergabe die Rohstofflieferungen eine entscheidende Rolle spielten? Und das Geld an wenige zweifelhafte Autokraten fließt? Nochmals: Freiheit funktioniert auf Dauer niemals in eine Richtung. Eines Tages rächen sich übermäßige Übervorteilungen.

Wie ausgeführt, muss ein Mensch, der viel Aufwand für sein Überleben leisten muss, erhebliche Abstriche bei der Freiheit machen. Wenn öffentlich kund getan wird, dass jede Hilfe so weit eingeschränkt wird, bis die Empfänger bereit sind für jede Bezahlung auch noch den miesesten Job oder vielleicht besser, schlecht bewerteten, anzunehmen, klingt dies auch nach Zweckmäßigkeit. Und wenn ich auf deren Rücken auch noch Ressentiments für meine eigenen Zwecke schüre, erscheint mir dies als Instrumentalisierung, was nichts anderes bedeutet, als dass ich einen Menschen gegenständlich benutze. Besonders verwerflich wirkt dies auf mich, wenn das von Leuten ausgeht, deren Bezahlung nicht nur in schwindelerregenden Bereichen liegt, sondern auch noch genau wegen solcher Aussagen von Aufsichtsräten ergänzt wird.

Bei oberflächlicher Betrachtung erscheint es ins Absurde zu gehen, wenn ausgerechnet Leute, die sich liberal oder libertär auf die Fahne schreiben, an solchen Prozessen beteiligen. Genauer betrachtet wird es logisch. Hauptsächlich geht es um freie Geldflüsse und eine von menschlichen, ethischen Vorbehalten befreite Wirtschaft. Wobei die Vertreter gern den Begriff Moral vorwerfen. Wolfgang Schäuble, CDU, sagte bei Markus Lanz: “In der moralischen Besserwisserei sind wir Weltspitze”. Wenn ich ihn richtig verstehe, geht dies in die Richtung einer Kritik an eine Werteorientierte Außenpolitik. Auch ihm muss ich zustimmen. Deutschland und jeder andere mitteleuropäische Staat würde deutlich schlechter dastehen, wenn nicht mit jedem Staat, in dem die völkerrechtlich verbürgten Menschenrechte keinerlei Bedeutung besitzen, Geschäftsbeziehungen beständen.
Wie sich dies langfristig auswirkt, wird man sehen. Allerdings ist die Kritik daran oder an die Staaten keine moralische Besserwisserei. Bei mir laufen unter Moral alle Regeln des Zusammenlebens, die von der jeweils aktuell dominanten Gruppe der Gesellschaft bestimmt werden. Die ändern sich immer mal wieder. Ethik überdauert die Epochen und entspricht dem roten philosophischen Faden, der sich von der Antike bis heute durch die Geschichte zieht. Vielleicht eine etwas altmodische Unterscheidung. Doch ich finde sie sehr nützlich, um Entgleisungen der Geschichte, in denen auch von Moral gesprochen wurde, von den anderen Betrachtungen abzugrenzen.
Wirtschaften diente einst dem Wohl der Leute. Ein Bäcker wollte natürlich Geld verdienen, aber er trug auch eine Verantwortung für die Versorgung. Dies galt für jeden Handwerker oder Händler. Dies funktionierte halbwegs, bis alles komplizierter wurde. Spätestens mit dem Ansatz, dass sich alles über Angebot, Nachfrage, Verfügbarkeit selbst regulieren würde, ging es den Bach herunter. Menschen sind eine stetig nachwachsende Ressource. Und solange ich Typen finde, die für ein paar Vergütungen und ein wenig Besserstellung aufmüpfige Arbeiter/innen zusammenschießen, bin ich meistens auf der sicheren Seite. Problematisch wird es, wenn ich es zur falschen Zeit übertreibe.
Ethik und Menschenrechte sind keine moralische Besserwisserei. Und wenn ein Verbrecher sagt: “Wenn ich es nicht mache, macht es ein anderer. Warum soll ich nicht daran verdienen?” ist es eine zusammengeschusterte Rechtfertigung, mit der ich alles gerade biegen kann.
Kommt sie von einem, der sich als Christ bezeichnet, ist es Heuchelei. OK, dann sind wir Deutschen schlicht genau solche miesen Kanaillen wie alle anderen auch. Aber dann sollten wir es auch zugeben! Ebenfalls, dass wir an der Architektur einer alles zerstörenden industriellen Welt beteiligt sind. Klare Sache: “Wir haben zusammen mit anderen beschlossen, die Sache mit dem uns bis jetzt bekannten Leben zu Ende zu bringen!” Damit kann jeder etwas anfangen. Aber dieses Herumeiern, ständig irgendwelche Konferenzen abzuhalten, vom Erhalt der Schöpfung zu labern, einigen eine Hoffnung auf eine Zukunft zu suggerieren, ist schlicht schäbig und stillos. Außerdem kann dann jeder, der damit nicht einverstanden ist, seine Handlungen sauber rechtfertigen. Denn spätestens hier geht es um Gegengewalt.

Der amerikanische Ökonom John Maynard Keynes stellte fest: „Der Kapitalismus basiert auf der merkwürdigen Überzeugung, dass widerwärtige Menschen aus widerwärtigen Motiven irgendwie für das allgemeine Wohl sorgen werden.“
So wie ich in meiner Zeit als Kriminalbeamter die Befürworter des Kapitalismus in der aktuellen Ausgestaltung erlebte, kann ich dies bestätigen. Im Gegenzuge bin ich auch kein Freund des Kommunismus. Die angesprochenen Widerwärtigen verschwinden nicht plötzlich von Bildfläche, sie übernehmen nur andere Funktionen. Ich denke, wir müssten irgendwie eine zweigleisige Strategie fahren, in deren Folge, vernünftige und verständige Menschen in der Gesellschaft eine tragende Rolle einnehmen und das wirtschaftliche Handeln wieder einem echten Wohl, Zufriedenheit, echter Freiheit, dient.
Dafür müssten alle für die ökologischen Vorgänge und Erträge mit in die Verantwortung genommen werden. Aber woher die Zeit nehmen?
Mir ist dabei völlig egal, wie die Argumente für den Kapitalismus oder den Kommunismus lauten. Ich orientiere mich an dem, wie die Realität aussieht und die ist Beweis genug, dass beides nicht funktionierte. Die Bewohner der industrialisierten Regionen haben nicht nur Flora, Fauna, am Boden, in der Luft und im Wasser an die Wand gefahren, sondern auch noch das globale Klima. Dies dürfte Nachweis genug sein, dass mit Teilen der Spezies Homo sapiens etwas aus dem Ruder läuft. Die geschätzten, 477 Millionen Angehörigen indigener Völker trifft keine Schuld.[10]https://de.statista.com/infografik/27934/geschaetzte-anzahl-angehoeriger-indigener-voelker-pro-region-in-2019/ Ganz im Gegenteil! Die melden sich immer mal wieder, zumeist Angehörige der First Nations, mahnend zu Wort. Nützt ihnen aber nichts. Mittlerweile kommt unser Status einem globalen Virus gleich, der sich erst dann nicht weiter ausbreitet, wenn die Wirtspopulation ausgestorben ist.

Liberale und Konservative ersehen Geld, Luxus, Überkonsum, eine gute Versorgung als Ansporn für Leistung. In der Realität ist weniger die echte Lebensleistung ausschlaggebend, sondern dass die richtige Wahl getroffen wurde. Wähle ich einen Beruf oder ein Studium, welches sich mit den Regeln des Systems beschäftigt (z.B. Jura, BWL) steigt die Wahrscheinlichkeit, mit wenig Leistung deutlich mehr Geld verdienen zu können, als ein Beschäftigter im Handwerk, der hart körperlich arbeiten muss. Hinzu kommen all die Vorgaben, die sich bereits bei der Geburt ergeben. Muss man besonders misstrauisch sein, wenn man annimmt, dass Teile des Regelwerks diejenigen bevorteilt, welche sie aufstellen? Und dass die breite Masse gar nichts vom Ausmaß der begünstigenden Regeln hat? Dieses Spezialisten vorbehalten ist, die wiederum Unsummen mit dem kreativen Auslegen der Regeln verdienen? In unserem System ist Geld gleichzeitig Macht.
2017 gaben die Parteien, CDU/CSU 71,0 Mio. Euro, SPD 56,2 Mio. Euro, FDP 17,5 Mio. Euro, Grüne 15,8 Mio. Euro, AfD 13,0 Mio. Euro, Die Linke 10,5 Mio. Euro aus.[11]https://www.t-online.de/region/berlin/news/id_90757944/so-viel-kostet-wahlkampf-fuenf-bundestagskandidaten-legen-ihr-budget-offen.html Unter anderen fließt das Geld an die Kandidaten, die damit Termine, Plakate, Flyer, pp., finanzieren. Das Geld muss irgendwo herkommen. Spannend ist beispielsweise der Besuch von Parteiveranstaltungen, bei denen Tafeln mit den Sponsoren aufgestellt werden. Allein für die Erwähnung auf der Tafel, zahlen die genannten Firmen horrende Summen, die in die Parteikassen fließen.
Im Ergebnis können Mandy, Silvio, Karl-Heinz, Gabi, nur hoffen, dass der Reigen der besser Gestellten auch manchmal an sie denkt.

Der Kraftaufwand für ein freies Leben wird immer höher

Wichtige Steuerungselemente für Massengesellschaften ergeben sich aus den psychologischen Effekten, die sich aus dem Zusammenleben in der Gruppe ergeben. Individuelle Werte, Moral, Vorstellungen, Anschauungen, Geschmack, Traditionen, Rituale werden zugunsten der Gruppe aufgegeben. Also wieder zurück zur alten Horde, die das Überleben sicherte und somit alles, was den Zusammenhalt stärkte, evolutionär zweckmäßig war. Mit einem wichtigen Unterschied: Heute nutzen diese alten Anlagen gewiefte Leute, um die Massen nach ihren Vorstellungen zu lenken. Im etwas kleineren Rahmen und lange nicht so ausgefeilt taten dies bereits früher große Heerführer, Herrscher, Pharaonen, Imperatoren und Cäsare.
Heute bestehen zu allen Industrienationen umfangreiche Datenbanken. Einige behaupten, dass Daten mittlerweile finanziell wertvoller sind, als Edelmetalle, Öl oder andere Ressourcen. Datenbanken können mit Kriterien abgefragt werden. Suche ich nach Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten, bekomme ich Gruppen geliefert. Alter, Geschlecht, Bildung, Tätigkeiten, Hobbys, Musikgeschmack, Ernährungsweise, Krankheiten, Bewegungsmuster, bevorzugte Fortbewegungsmittel, die Möglichkeiten sind schier unbegrenzt. Damit kann man arbeiten. Ich kann diesen Gruppen gezielt griffige Schlagwörter zur Verfügung stellen, Bedürfnisse wecken oder bedienen, Versprechungen machen, gemeinsame Außenfeinde zur Erzeugung einer stärkeren inneren Einigkeit anbieten, falsche oder echte Informationen zuspielen, sie treffsicher mit Werbung ansprechen, verunsichern, Fakten entkräften, in dem ich einfach jede Menge Alternativen präsentiere und alle Präsentierer gleich unglaubwürdig erscheinen lasse. Um mich mit anderen austauschen zu können, benötige ich eine gemeinsame Sprache und es wichtig, dass wir zu einem Begriff, identische Vorstellungen, positive, negative Konnotationen, Emotionen, innehaben. Doch alles darf nicht zu kompliziert sein. Differenzierungen, Trennschärfe, Konkretisierungen sind unerwünscht und regen lästiges Nachdenken an. Wenn bestimmte Worte benutzt werden, muss ich sofort erkennen: Das sind meine Leute oder meine Gegner!
Menschen benötigen eine Identität, mit der sie sich auf einer sinnbildlichen Landkarte verankern können. Ich bin ein Deutscher (Gruppe) – aufrecht, pünktlich, fleißig, zuverlässig, ehrlich, verwurzelt in der deutschen Geschichtserzählung (Gruppenmoral). Leistung ist wichtig. Der Mensch an sich ist faul und wenn er nicht gefordert wird, passiert gar nichts. Anerkennung muss man sich verdienen (Gruppendenken). Frauen und Männer aus kulturfremden Regionen (Schlagwort – grauslich, was einem da alles entgegenkommt, wenn man es bei einer Suchmaschine eingibt) wollen nur in unser Sozialsystem einwandern (Außenfeind). Will man seinem eigenen Algorithmus entkommen bzw. verstehen, wie man selbst angesteuert wird, benötigt man lediglich den TOR – Browser, der bei der Suche im Internet eine andere zufällige Identität vorgaukelt. Die Unterschiede bei den Suchergebnissen sind bisweilen verstörend.

Die engagierten Klima-Aktivisten und ein Jan Böhmermann haben in letzter Zeit einige aus der Deckung gelockt. Bereits die Anfänge, als es mit Fridays for Future losging, gestalteten sich spannend und aufschlussreich. Es war beeindruckend, wie viele vermeintliche wissenschaftliche Koryphäen plötzlich aus den staubigen Hinterzimmern gezerrt wurden. Gleichzeitig tauchten Studien auf, die in den 30 Jahren zuvor niemand zur Kenntnis nahm, weil sie in der seriösen Wissenschaftswelt im gleichen Papierkorb landeten, wo auch die Discounterwerbung hinkommt. Hinzu kam ein Stakkato an Schlagwörtern. Parallel wurden die GRÜNEN und LINKEN aufs Korn genommen. GRÜN ist mittlerweile links. Was eine an ökologischen Aspekten ausgerichtete Politik zum Sozialismus oder Kommunismus werden lässt, erschließt sich mir nicht. Noch weniger, wenn ich an die alten Konflikte zwischen Realos und Fundis denke, der damals eindeutig von den Realos entschieden wurde, die unter dem Strich zu großen Teilen aus Konservativen mit schlechtem Gewissen bestehen. Aber die Strategen haben es hinbekommen, dass Leute, die Kraftfahrzeuge kritisch sehen, zu Linken werden. Dem alten Ford und Rockefeller würde dies gefallen.
Deutsche haben es nicht so mit religiösen Eiferern und Sekten (es sei denn, sie kommen aus der Umgebung Freiburg im Breisgau). Da war es naheliegend, Greta zur religiösen Ikone werden zu lassen und alle anderen als Jünger, Gefolge, zu diffamieren. Religion, Glaube, ist anders als wissenschaftliche Fakten, passt! Nahezu orchestriert streuten große Zeitungen die Kampagnen unter die Leute, woran wiederum der Godfather der PRStrategien Edward Bernays seine Freude gehabt hätte. Hinter Lindner, Söder, Scholz, Dobrindt, Laschet, der kompletten Parteiführungsriege konnte man förmlich die grauen Schatten der Ghost Negotiator und Spin-Doktors sehen. Zu dieser Zeit zeichnete sich ab: Wenn die bereits bei Schülern aus vollen Rohren feuern, kommt bei der nächsten Stufe mehr.

Bei den aktuellen Klima-Aktivisten und denen, die sich mit RWE anlegen, wird die Gangart härter. Bei letzteren ging es sofort in die alte, bewährte Richtung. Spinner, Langhaarige, mit Exkrementen werfende Freaks, die auch noch in Bäumen sitzen. Wer denkt da nicht an Affen? Bei Laschet’s Fauxpas, bei dem er falsche Tatsachen in die Welt setzte, um noch rechtzeitig Ruhe ins Spiel zu bringen, hätte für ihn normalerweise Schluss sein müssen. Doch still ruhte der mediale Blätterwald. Von Extremisten war es nicht weit bis zur Kriminellen Vereinigung und danach zum deutschen Schreckgespenst RAF. Da muss bei Böhmermann und Crew der Kragen geplatzt sein. Zuvor zündete die lang vorbereitete Bombe, als in Berlin auf tragische Weise eine Frau ums Leben kam. Ich persönlich erwartete eine schief gehende Geburt. Ein mehr als billiges Tor. Sie mussten nur auf etwas ansatzweise Passendes warten.
Mit dem Fahndungsplakat und Rückzahlung in gleicher Münze war Böhmermann vielleicht nicht sonderlich kreativ, aber sehr erfolgreich. Selbst Leute, die man nicht unbedingt auf dem Zettel hatte, zeigten sich, in dem sie sich brav künstlich empörten und ihr Geld und Gefallen abarbeiteten. Man darf auf die Fortsetzung gespannt sein. Auch wenn alles einen bitterernsten Hintergrund hat. Besonders, wenn man sich vor Augen hält, dass in Deutschland 2022 politische Aktivisten in eine seit 1945 nie dagewesene lange Vorbeugehaft genommen wurden.

Eine vollkommen zweckfreie Reaktion der Macht. Was soll passieren? Die sind überzeugt! Drinnen waren sie nun ohnehin, alle Eintragungen bestehen und die Zahlungen kommen weitestgehend aus Spendengeldern. Wenn sie nicht die Kriminelle Vereinigung durchbekommen, wovon ich ausgehe, ist das Pulver verschossen. Wer sich im Winter auf die Straße setzt, macht es im Sommer erst recht. Und es soll auch noch andere Protestformen geben. Wenn es für die Sicherheitsbehörden ganz dumm läuft, wurde mit der Reaktion die derzeit tief schlafende Autonome Szene getriggert. Ich weiß auch nicht, was die sich alle denken. Glauben, die ernsthaft an eine wieder einschlafende Bewegung? Morgen haben alle das Klima wieder vergessen?

Vorbeugehaft und Bußgelder sind bürgerliche Reaktionen, die auf etwas hinweisen. Das eine ist ein Eingriff in die Bewegungsfreiheit und das andere soll den Geldbeutel treffen, mit dem man sich die Ersatzprodukte kaufen kann. Blöd, wenn die Betroffenen vollkommen anders unterwegs sind. Die Haft ist mehr Ehrung und Signal, den richtigen Nerv getroffen zu haben. Einem biederen Bürger wäre sie peinlich. Und Leuten, die sich über Aktionen, Widerstand, Ungehorsam und Auflehnung gegen das dröge Establishment identifizieren, mit Geldstrafen zu kommen, kann nicht funktionieren. Da wurde aus Sicht der Macht bei FFF einiges richtig gemacht. In dem man sie auf Veranstaltungen einlud und einfach reden ließ, nahm man ihnen das Feuer unter dem Kessel weg. Sie wurden nett beklatscht, alle machten betroffene Gesichter, das war’s.

Offensichtlich erkennbare Autorität, die die Freiheit beschneidet, ist fair und ihr kann mit Widerstand begegnet werden. Viel schwieriger gestaltet sich die versteckte. Meiner Auffassung nach hatten einige Querdenker recht und unrecht zugleich. Was sie als Meinung bezeichneten, war keine. Denn die ist eine ansatzweise vertretbare, für wahr angenommene Aussage, ohne dass ein Beweis angebracht werden kann. Mir fällt nichts ein, wie man Chips in Spritzenkanülen, eine Weltverschwörung oder eine international organisierte Bevölkerungsreduzierung vertreten soll. Dann wäre alles, auch 2+2=7 eine Meinung. Nein, dies ist schlicht Quatsch. Ebenso wie diese LSD Fantasien, in den Kindern das Blut abgezapft wird oder die QAnon-Verschwörung, bei der sich einige sogar die Mühe machten, den Ursprung zu ermitteln.
Doch wäre es eine Meinung gewesen, hätten sie es mit der versteckten Autorität zu tun bekommen. “Natürlich darfst Du alles sagen. Aber dann wird es wohl nichts mit der neuen Stelle.” Kinder lernen die anders kennen. “Wir können Dich nicht daran hindern, aber dann sind Mama und Papa von Dir enttäuscht.” In diversen Abwandlungen begegnet sie uns täglich. Vor allem steht die Sicherheit gebende Gruppenzugehörigkeit auf dem Spiel. Bedingt durch die Social Media wird dieser Druck und die Wirkung der versteckten Autorität immer heftiger.

Beschränkungen der Freiheit, jenseits der logischen Grenzen, können nur von Autoritäten mit den passenden Macht – und Druckmitteln vorgenommen werden. Insofern ist das ganze Gerede einer angeblichen “links-diktatorischen Tendenz” Humbug bzw. reine PR-Strategie. Die Macht befindet sich in den Händen derjenigen mit den notwendigen finanziellen Mitteln, jenen in den Aufsichtsräten, Banken, den besten Einflussmöglichkeiten auf die Medien, dem größten Budget für PR-Kampagnen, besten Netzwerken und etablierten Seilschaften. Und all dies sind nicht die Linken oder die Grünen. Die mit der Macht haben beispielsweise einen Robert Habeck sauber auflaufen lassen. Es sind die gleichen, welche eine Diffamierungskampagne nach der anderen durchziehen und Argumente damit vom Tisch schaffen, in dem sie die primitiven Areale aktivieren.
Einfach zu behaupten, die anderen würden über die Macht verfügen, ist schon wieder so einfach, dass man beleidigt sein müsste. Ähnlich simpel sind diese lächerlichen Geplänkel bezüglich des Genderns.

Weltweit verdienen sich gerade einige an den aktuellen Krisen eine goldene Nase und schalten zusätzlich Konkurrenten aus. Die wenigen deutschen Kritiker müssen mehr oder weniger hilflos zuschauen. Wichtige Staaten bereiten sich auf die kommenden Klima-Ereignisse vor und sichern sich Ressourcen, wo sie nur können. Auf kurz oder lang setzen sich ganze Völker in Bewegung. Länder, die gesellschaftlich nicht darauf vorbereitet sind und Deutschland, ein Land, in dem einige immer noch den provinziellen Traum der Bonner-Republik träumen und die vorgegaukelte Illusion der DDR nicht hinter blickt haben, ist alles, aber nicht bereit. Immer mehr Arbeitsplätze werden der Digitalisierung zum Opfer fallen und altbackene Konservative setzen auf längere Lebensarbeitszeiten. In welchen Berufen wird es wohl richtig knapp? Richtig, in denen, wo noch körperlich hart gearbeitet wird. Viel Freude mit dem 72-jährigen Dachdecker oder Bauarbeiter, wobei die selten geworden sind, weil sie durch Osteuropäer ersetzt wurden. Überall wird wieder aufgerüstet und Drohszenarien werden entworfen.

Und was passiert in Deutschland in puncto freier Meinungsbildung, Informationsbeschaffung, Grundlagenausbildung?
Fußball, Gendern, Kriminalisierung von eher harmlosen Aktivisten, eine organisierte Diffamierung aller missliebigen Wissenschaftler, die noch nicht mitbekamen, dass es nicht mehr um die Abwendung einer Klima-Krise geht, sondern um den verzweifelten Versuch eine Anpassung hinzubekommen, bis ihnen was anderes einfällt. Und alle, die noch nicht genug verblödet sind, bekommen ihre tägliche Dosis Gefühls-Appelle, an denen sie sich abarbeiten können. Ganz nebenbei tobt ein Krieg, in dem die NATO-Staaten mit Waffenlieferungen mitspielen. Auch da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen und schon gar nicht alles Safe. Wenn es um Kriege geht, glaube ich persönlich erst einmal gar nichts. Russland hat die Ukraine angegriffen, so viel ist sicher. Doch wer da jetzt welche Pläne schmiedet oder vielleicht seinen Tag gekommen sieht, wird sich noch herausstellen. Na ja, und wie die Sache mit dem Finger auf andere zeigen wirkt, schrieb ich bereits. Putin hat doch vielen Leuten einen Gefallen getan. Eine Milliarde EURO liegen allein in Deutschland im Pott. Die anderen rüsten auch auf. Für diverse Konzerne hat er den Platz geräumt und die übernehmen jetzt das Energiegeschäft. Die Ukraine war gut entwickelt. Da sind sie unsere kompatiblen zweckdienlichen Einwanderer. Diverse andere geopolitische Sauereien lassen sich wunderschön begründen. Was will man mehr, wenn man keine Skrupel kennt und nicht moralischer Besserwisser spielen will?

Sich alledem zu entziehen, ist auf Dauer nahezu unmöglich. Mir kommt es vor wie ein Boxkampf, bei dem man rechtzeitig den Zeitpunkt zum Handtuch werfen erkennen sollte. Innerhalb des Systems wird es eine echte Freiheit nicht mehr lange geben. Wer sie dennoch leben will, muss sich nach Außen begeben. Und wer Spaß dran hat, kann versuchen es zu hacken. Eine aus meiner Sicht unterschätzte Gefahr. Innerhalb der kommenden 15 Jahre, wird der Cyber-Krieg völlig neue Dimensionen annehmen. Offizielle untereinander, die “Anarchisten” und die Kriminellen werden eine explosive Mischung ergeben. Da kommen dann die ins Staunen, die einen Rechner an und aus machen können, oder ahnungslos in einer virtuellen Welt leben. Was ist eine Truppe Klima-Aktivisten im Verhältnis zu Hackern, die einfach mal ein paar Versorgungsstationen oder ganz simpel alle Kreuzungen auf Grün schalten?

Überwachung und Repression

“Wer nichts zu verbergen hat, braucht die Überwachung nicht zu fürchten!” Die in dieser Behauptung innewohnende Rhetorik kommt aus der Hierarchie von ganz oben. Zunächst einmal gibt es welche, die die Überwachung anordnen, weil sie etwas wissen wollen, was sie anders nicht in Erfahrung bringen können. Hinzu kommen die überwachenden Personen, sowie die Überwachten. Überwacht werden aber nicht alle, sondern eine Auswahl. Treffe ich eine Auswahl, muss es Kriterien geben. Ich schaue mir an, wie der Versuch endet, Vorstandssitzungen eines großen Konzerns zu überwachen. Gleichfalls ist es unwahrscheinlich, dass die überwacht werden, welche selbst die Anordnungen aussprachen. Da ist schon mal ein Haken.
Wer davon ausgehen muss, dass eine Überwachung stattfindet, bewegt und handelt instinktiv nicht mehr frei. Man fühlt sich schlicht beobachtet und eine Menge findet im Unterbewusstsein statt. Insbesondere gilt dies, wenn ich nur eine vage Vorstellung von den Möglichkeiten habe. An dem Punkt findet eine Veränderung statt. Lange Zeit nahmen die Leute mehr an, als es Möglichkeiten gab. Mittlerweile ist dieser Punkt überschritten und es ist mehr machbar, wie sich die meisten vorstellen. Und die Entwicklung dauert an.
Doch auch die Klassiker genügen völlig aus. Zum Leben eines Kriminellen gehört eine gesunde Paranoia dazu. Ständig muss er oder sie auf der Hut davor sein, am Telefon nichts Kompromittierendes von sich zu geben, seinen Mitmenschen zu sehr zu vertrauen, neue Bekannte ins Leben zu lassen, weil es ein Spitzel oder ein eingeschleuster Verdeckter Ermittler sein kann. Politische Aktivisten kennen dieses Lebensgefühl ebenfalls. Denn wer tatsächlich Extremist oder Radikaler ist, bestimmen sie nicht selbst, sondern andere aus höheren Bereichen der offiziellen und inoffiziellen Hierarchie. Besonders diejenigen, welche sich in einer als linke Szene definierten Umfeld bewegen, kennen dies zur Genüge. Doch auch die andere Seite, weiß darum. Man denke dabei nur an die NPD, von der aus ein geschickter Schachzug ausging. Der Vorstand ließ alle antreten und unterbreitete ein Angebot. “Es ist nicht schlimm, wenn ihr mit dem Verfassungsschutz redet. Geld kann jeder gebrauchen. Aber es wäre nett, wenn ihr uns unterschreibt, dass ihr bei denen auf der Liste steht.” Eben jene Liste legten sie dann im Rahmen des Verbotsverfahrens auf den Tisch und behaupteten, dass alles gar nicht so wäre, weil es größten Teils wegen der Unterwanderung passierte. Chapeau!
Bedingt durch die neuesten Entwicklungen können sich alle Klimaaktivisten darauf einrichten, dass Teilnehmer an den Aktionen u.U. auf der Gehaltsliste von Sicherheitsbehörden stehen. So wie jeder, der mit einem/einer Aktivisten/ in telefoniert, sich des unbekümmerten Privaten nicht mehr sicher sein kann. Gleichfalls können sich alle Eltern, die ihre Kinder bei sich gemeldet haben, auf einen Besuch der Polizei einrichten. Und wie sich in der Vergangenheit zeigte, sind dies keine Besuche von zwei freundlich auftretenden, gesitteten Kriminalbeamten, sondern das Besteck, was früher bei Schwerverbrechern anrückte. Damit meine ich nicht das SEK. Sechs finster dreinblickende Beamte/innen des polizeilichen Staatsschutzes tun es auch.

Letztens fragte mich ein Beschäftigter der BSR, wie ich als Fachmann die Aktionen der Klimaaktivisten sehen würde. Ich antwortete: “Ich gebe Dir keine Antwort, als KHK a.D., sondern als Vater von zwei Töchtern im Alter von 27 und 30 Jahren, die, wenn es für sie gut läuft, noch um die 40 – 50 Jahre leben. Alle unsere Proteste, Wählerstimmen, politische Diskussionen, sind in den vergangenen 30 Jahren schlicht im leeren Raum verhallt. Vielleicht sah ich nicht viel von Welt, aber genug, um zu wissen, was wir anrichten. Ich sah die Folgen in den Dolomiten, in den Pyrenäen, in der Mongolei, in Laos, Thailand und Malaysia. Der Gletscher, wo ich mit meinen Eltern zum Skilaufen war, ist fast weg. In den Bergen sah ich beim Wandern die Mondlandschaften, die der Skizirkus hinterlässt. Im Mittelmeer den Müll und am Strand die Reste von angespülten gekenterten Booten und Rettungswesten von Kindern. In Osteuropa sah ich, was dort alles angerichtet wird. In Laos den Raubbau am Dschungel, die Verstümmelten von den Hinterlassenschaften des Vietnam-Kriegs und die Folgen der veränderten Regenzeiten. In Malaysia den europäischen Müll. In der Mongolei die Folgen des Klimawandels, weil im Sommer die brütende Hitze die Steppe ausdorrt und im Winter das zu schwache Vieh in der Extrem-Kälte verendet. Ebenso die Folgen des Raubbaus durch die Minengesellschaften. An der Nord – und Ostsee bin ich Öl-Brocken getreten. Als Vater sage ich Dir: Die haben schlicht und ergreifend recht.” Und ausnahmsweise wirkte mein Wortschwall überzeugend.

Die Aktionen der Klima-Protestbewegungen werfen alte Fragen neu auf. Die Aktivisten greifen in die Bewegungsfreiheit ihrer Mitbürger ein, um ihrer Überzeugung nach, eben genau weiteren Aspekten der Freiheit aller zu dienen. Sie beziehen sich auf den wissenschaftlichen Konsens, dass innerhalb kürzester Zeit weltweite massive und radikale Maßnahmen nötig sind, um die sich ohnehin bereits katastrophal entwickelnde Situation abzuschwächen oder zu stoppen. [12]https://www.de-ipcc.de/355.phpJedes Land auf der Erde ist dazu aufgefordert, seinen Beitrag zu leisten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich jede Maßnahme erst in ca. 60 Jahren signifikant auswirkt.
Die Aktivisten haben sich den Namen “Letzte Generation” gegeben, weil alles während ihrer Existenz passieren muss. Eins ist klar, die tatsächliche Handlungsmacht liegt derzeit nicht bei ihnen. Die Gewalt gegen das ökologische System und alle Lebewesen auf der Erde, geht von allen wirtschaftlichen Unternehmungen aus, die in irgendeiner Form das ökologische System schädigen. Sei es durch Produktion, Finanzierung oder Bewerbung dieser Produkte. Hinzu kommen die Frauen und Männer in der Politik, den Machtmittel zugestanden wurden, sie aber nicht zur Abwendung der Gefahren benutzen, sondern die Profite, Umsätze, höherwertiger einschätzen.
Ihrer Argumentation nach können nur mit ihnen Lebenssysteme gehalten und erschaffen werden. Heute kam eine Meldung über die Ticker, dass US-amerikanische Wissenschaftler einen kleinen Erfolg beim Heiligen Gral der Energiegewinnung der Wasserstofffusion erzielten. Erstmalig wurde minimal mehr Energie gewonnen, als man hineinsteckte. Doch sie vermeldeten gleichzeitig, dass sie Jahrzehnte von einem echten Durchbruch entfernt sind. Solche Meldungen sind seit dem Ende der 70er immer mal wieder zu vernehmen. Es ist fraglich, ob die Fusion jemals funktionieren wird. Davon bekommt man bereits in der Oberschule zu hören.
Aber Christian Lindner, seines Zeichens einer dieser von vernünftigen, verständigen, mündigen Bürgern als repräsentativer Vertreter gewählter Mann, frohlockt bei Twitter, dass dieser “Durchbruch” zeigen würde, wie sehr Innovation wirkt. Alles, was ich dazu gern äußern würde, ist strafbar. Immerhin sagte er selbst: “Wenn man in der Schule sitzt und man sitzt seine Zeit ab, weiß, dass man telefonieren, den Kunden besuchen oder Arbeit erledigen müsste, dann kommt man sich so vor, als wäre die Zeit durch den Schredder gelaufen.”[13]https://www.buzzfeed.de/buzz/inspirierende-zitate-des-18-jaehrigen-christian-lindners-als-motivationsposter-zum-teilen-90143553.htmlIch tippe, er meinte seinen Physikunterricht.

Bei den Blockaden kommt es zu einer sogenannten Praktischen Konkordanz. Die ist gegeben, wenn mehrere Grundrechte aufeinanderprallen. Die Leute, welche in ihrem Fahrzeug sitzen und in der im Grundgesetz verbürgten Bewegungsfreiheit beschränkt sind, treffen auf die Leute, welche vom Recht Gebrauch machen, zu protestieren. Allerdings tun sie dies in der Regel nicht innerhalb der gesetzlichen Vorgaben. Unter Umständen aber genauso, wie sich dies manche Mütter und Väter des Grundgesetzes einst vorstellten. Seit den 80ern werden Sitzblockaden als eine Form der Gewalt interpretiert. Der Philosoph Herbert Marcuse wies in einem Gespräch mit Ivo Frenzel und Willy Hochkeppel darauf hin, dass der Begriff Gewalt alleinstehend keine Bedeutung innehat, sondern zu klären ist, wogegen sie sich richtet (im verlinkten Video ab 12:38) Legitim kann sie sein, wenn sie sich gegen vorhergehende unterdrückende Gewalt ausgehend von einer Machtposition als Gegengewalt richtet. Dies ist nicht beliebig, sondern kann analysiert werden. Wer sich faktisch in keiner Machtposition befindet, kann nicht unterdrücken. Insofern kann seitens der Klimaaktivisten/innen nachweislich keinerlei unterdrückende Gewalt ausgehen und schon überhaupt nicht mittels auf die Straße setzen. Fraglich ist lediglich, ob die seitens untätiger oder aus wissenschaftlicher Perspektive unverantwortlich agierende Politik, unterdrückende Gewalt ausübt. Schwierig! Immerhin scheint es, dass mittels der vorgesehenen Mittel der wissenschaftlichen Vernunft nicht Geltung verschafft werden kann, sondern das Irrationale regiert.
Nunmehr kommt es mit der Perversion des Begriffes “kriminell” und darauf basierender Maßnahmen untrüglich zu einer unterdrückenden Gewaltanwendung. Perversion allein schon, weil man sich fragen muss, welche neuen Begriffe man sich für Mafiosi, bewaffnete Räuber, russische Banden und andere Zeitgenossen ausdenkt.

Als sich die Innenminister/innen trafen und erstmalig das Thema “Kriminelle Vereinigung” angeschnitten wurde, dachte ich noch an das übliche populistische Gerede am Rednerpult. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass jemand ernsthaft auf diesen Zug aufspringen würde. Wie gesagt, müssen immerhin mehrere Staatsanwälte/innen gewillt sein, dieses Verfahren zu eröffnen und auch richterliche Beschlüsse einholen. Wobei gewillt nicht korrekt ist. Im Gerichtsverfassungsgesetz steht seit 1879: „Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen.“ Und diese Vorgesetzten sind die Justizminister/innen. Bleibt noch die Hürde: Unabhängige/r Richter/in. Doch auch die beugten sich offenkundig dem politischen Willen. An der Stelle war ich fassungslos. Dies sind Zustände aus dem Kaiserreich, Volksgerichtshof bis hin zur DDR. Ja, ich weiß, darüber mokierte ich mich bereits am Anfang.

Ein anderer Begriff, der ebenfalls viel mit der Freiheit innerhalb eines Ordnungssystems zu tun hat, ist der Zivile Widerstand. Wie soll sich ein freier Geist, der mittels vernünftiger und verständiger Überlegung zum Ergebnis kommt, dass die innerhalb von ihm akzeptierten Ordnung installierte Macht/Herrschaft nachvollziehbar unethisch handelt, verhalten? Schweigen? Hinnehmen? Diesem Problem widmeten sich schon griechische und römische Denker. Eine vollkommen andere Nummer steht zur Betrachtung, wenn jemand die Ordnung an sich nicht akzeptiert, oder massive Gewalt anwendet, um klarzustellen, wen es treffen soll. Dann wäre man grob in Richtung Propaganda der Tat und Rote Armee Fraktion unterwegs.

Es bleibt nur die Entscheidung, schweigend dem ethischen Verstoß zuzusehen und sich damit individuell zum Mitwisser oder Mitläufer zu machen, oder sich dagegenzustemmen und dabei niederrangige Regelverstöße der Ordnung in Kauf zu nehmen.

“Der Satz ‘man muss Gott mehr gehorchen, als den Menschen’ bedeutet nur, dass, wenn die letzten etwas gebieten, was an sich böse (dem Sittengesetz unmittelbar zuwider) ist, ihnen nicht gehorcht werden darf und soll.”
Immanuel Kant: “Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft.” 1793

Ich denke, es ist nicht unzulässig, wenn ich als jemand, der kein Christ ist, an Stelle von Gott, die Ethik einsetze. Meinem Verständnis nach muss man auch nicht in einem Unrechtsstaat leben, von dem unmittelbar erkennbare unsittliche Handlungen begangen werden, um sittliche Zuwiderhandlungen begründen zu können. Wenn das staatliche Handeln oder einzelner Institutionen, geeignet ist, sich an der gemeinschaftlichen Herbeiführung einer alle Lebewesen betreffenden Katastrophe zu beteiligen, ersehe ich die Unsittlichkeit erfüllt. Noch weniger ist es relevant, ob nur Deutschland oder andere Staaten mit beteiligt sind. Ein/e Staatsbürger/in ist in erster Linie dem eigenen Staat gegenüber verpflichtet. Das unsittliche Handeln weiterer Staaten kann die nicht die Rechtfertigung meines eigenen sein.

Ob man richtig liegt oder nicht, entscheidet in der Regel die Zukunft. Wer sich gegen die Proteste stellt und vehement empört reagiert, aber gleichzeitig zustimmt, dass die Klimamaßnahmen nicht ansatzweise ausreichen und wir tatsächlich auf eine Katastrophe zu laufen, befindet sich auf dünnem Eis. Denn dann ist absehbar, dass das Unterlassen Folgen haben wird. Die Menschen aus den Regionen, die es in naher Zeit trifft, werden dies zu interpretieren wissen und als Grenzüberschreitung empfinden. Denn unsere übermäßige, rücksichtslose “freie” Nutzung der Ressourcen und Emissionen, greifen massiv in ihre Freiheiten ein. In den Social Media machen sich einige darüber lustig, in dem sie schreiben: “Und Opa, was hast Du gegen die Klimakatastrophe getan? Ich klebte mich auf der Straße fest!” Immerhin! Die das lustig finden, können nur antworten: “Außer Rumpöbeln und lustig machen, hab ich gar nichts getan.”

Ganz nebenbei ist das Klima, eine von vielen Baustellen. Draußen sinken die Temperaturen witterungsbedingt auf – 7 Grad. In den Wäldern, Flüchtlingscamps, harren Frauen, Kinder, Männer, in Zelten aus. Sie leiden, erfrieren oder kommen gerade noch irgendwie durch. Was wird da wohl in den Köpfen entstehen, wenn sie es doch noch irgendwie schaffen, um dann im “gelobten” Land festzustellen, dass sie hier auch nicht wirklich eine Chance bekommen? Dankbarkeit? Ich kann Riots, Übergriffe, psychisch Kranke, die meine Freiheiten und die meiner Kinder einschränken, nicht auf den oder die Einzelne herunterbrechen. Ich muss es auf die gesamte Welt gesehen analysieren und nach Ursachen, Wirkungen, Ausschau halten.

Dies ist ein sehr langer Text geworden. Aber immerhin kein Buch. Danke, wenn Du bis zum Ende gelesen hast. Vielleicht ist es mir gelungen, die eine oder andere gedankliche Anregung zu geben. Mir waren die geschriebenen Worte wichtig. Ich lernte, dass man sich nur distanzieren kann, wenn man zuvor an einem Punkt war. Als Kriminalbeamter war ich bezüglich einiger angerissener Punkte an Stellen, wo ich für die Ordnung eintrat. Mit dem, was heute passiert, dem Missbrauch der Polizei, Einspannen der Justiz für die Politik, den Zeitgenossen, die dumpf darauf pochen “frei” mit ihren Autos fahren zu können, Politikern/innen, die ihre Macht nicht zu nutzen wissen, einer Ordnung, die als glänzende Schale das Grundgesetz besitzt, aber innen immer mehr verfault, all den Konservativen, die längst auf den Pfaden der Neuen Rechten wandeln und stetigen Zulauf bekommen, will ich nichts zu tun haben – ich distanziere mich. Dies gilt auch für all die Technokraten, die auf die Buchstaben des Gesetzes zeigen. Gesetze sollen den Menschen und ihren Bedürfnissen dienen. Wenn der Mensch zum Gegenstand der Gesetze wird, er mithilfe von Rechtsgelehrten instrumentalisiert wird, läuft einiges böse schief.

Der dominierende Teil der Gesellschaft ergeht sich in Rücksichtslosigkeit und verwechselt die übermäßige Erfüllung der eigenen Bedürfnisse mit Freiheit. Außerdem wird die Freiheit auf dem Altar des Mammons geopfert. Für viele ist sie gleichbedeutend mit Geld. Wer es hat, hat viel Freiheit und wer wenig hat, kann sie sich halt nicht leisten. Nein, das ist nicht meine Vorstellung von einer gesellschaftlichen Ordnung, für die ich gewillt bin einzutreten. Da sollen sich andere im aktiven Dienst die Hände mit schmutzig machen. Aber ich tue auch nichts dagegen. Schon allein deshalb nicht, weil dies ein zweckloses Unterfangen ist. Gegen die tumbe Masse kann man nichts ausrichten. Da bleibt einem nur das eigene freie Leben, mit persönlichen Maximen.
Heute wurden mit den angesprochenen Durchsuchungen ein deutliches Zeichen gesetzt. Jeder kann sehen, wer die Herrschaft hat und wie sie gedenken, sie auszuüben. Dies sind keine freiheitsliebenden Leute, sondern Anhänger einer autoritären Ordnung. Was sie hassen, ist Unruhe. Sie wollen, dass ihre Entscheidungen kommentarlos hingenommen werden, da sie angeblich wissen, was gut ist. Alles soll seinen geordneten Gang gehen. Im Zweifel diszipliniert in den Abgrund. Ich kenne sie und ihre Denkart. Oben buckeln und nach unten treten ist ihre Erfüllung.
In der Behörde, wo ich herkomme, herrschte lange ein Kampf, wer die Oberhand gewinnt. Die Sieger scheinen festzustehen. Es wird immer von Spaltung der Gesellschaft gesprochen. Nun, jetzt vollzieht sie sich. Auch die Klimaaktivisten/innen haben Leute hinter sich. Da geht es nicht nur ums Klima, sondern auch um Skepsis gegenüber der Arroganz der Macht. Und all diejenigen erhielten in diesen Tagen eine unmissverständliche Botschaft.

In Deutschland ist vieles besser und freier, als in anderen Ländern. Doch kann dies mein Maßstab sein? Ich denke nicht. Die Menschen, die andere Länder unfreier gestalten, sind mit denen hier identisch. Nur haben sie dort andere Möglichkeiten. Gebietet man ihnen nicht Einhalt, hält sie in Zaum, werden sie sich immer mehr durchsetzen. All die Aktivisten, als links bezeichneten Gesellschaftskritiker, die Intellektuellen, welche keine Kompromisse mit der Macht eingehen, sind nicht die, welche die Freiheit bedrohen, sondern das Gegengewicht. Wer auf die Rhetorik hineinfällt, dass Reichsbürger, Querdenker, Mitglieder der AfD, Neue Rechte, systemkritische Freiheitsdenker sind, hat schon im Ansatz verloren. Sie wollen, dass die Macht noch mehr einschränkend eingreifen kann, eine strikte Ordnung besteht, die sie beherrschen und strukturieren.

Alle menschlichen Ordnungen liegen auf einer Strecke, die durch die Punkte totale Freiheit und maximale Beschränkung durch den Menschen selbst gebildet wird. Eine totale Freiheit kann es aus den dargelegten Gründen nicht geben. Also wird sich das menschliche Dasein immer ein paar Zentimeter von diesem Punkt entfernt befinden. Danach kommen alle Ordnungen, deren Standort sich anhand der Beschränkungen ermitteln lässt. Und alle Systemtheoretiker finden Gründe dafür, warum und welche Beschränkungen notwendig sind. Diese gilt es ständig zu hinterfragen und zu prüfen.
Die Verortung des Menschen in der Mitte des Geschehens, halte ich für einen grundlegenden und schwerwiegenden Fehler, besonders wenn sie dazu führt, dass die Grundregeln missachtet werden: Jede Handlung hat eine Wirkung und löst weitere Reaktionen aus. Der Mensch ist eingebettet in eine Welt und sie ist damit auch Teil von ihm. Alles, was ein Lebewesen tut, hat Folgen für sich selbst und die gesamte Welt. Der Homo sapiens besitzt ein Bewusstsein, woraus nicht nur eine Einsicht in diese Regeln resultiert, sondern auch die Verpflichtung, sie zu beachten.

Quellen/Fußnoten

Quellen/Fußnoten
1 Der Richter und sein Henker
2 https://moneytransfers.com/de/news/content/armut-weltweit-statistik-2022-fakten-uber-absolute-und-relative-armut#Die-Armutsgrenze-in-Deutschland-2022-liegt-bei-60%-des-Durchschnittseinkommens.
3 https://www.dobelli.com/de/bucher/die-kunst-des-digitalen-lebens/ – Wir sind immer bestens informiert und wissen doch so wenig. Warum? Weil wir ständig News konsumieren – kleine Häppchen trivialer Geschichten, schreiende Bilder, aufsehenerregende „Fakten“. Doch News tun uns nicht gut: Sie vernebeln unseren Geist, verstellen uns den Blick für das wirklich Wichtige, rauben uns Zeit, machen uns depressiv und lähmen unsere Willenskraft. Rolf Dobelli lebt seit zehn Jahren gänzlich ohne News – und kann die befreiende Wirkung dieser Freiheit aus erster Hand schildern. Machen Sie es wie er: Klinken Sie sich aus. Radikal. Und genießen Sie ein Leben mit klarerem Denken, wertvolleren Einsichten und besseren Entscheidungen.
4 „In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen.“ Laurence J.Peter/William Morrow, The Peter Principle
5 Bei Wölfen wurde die Tötung von Welpen beobachtet, die sich im Spiel besonders aggressiv ggü. Rudelmitgliedern verhielten.
6 Was jemand darunter versteht, ist ziemlich individuell. Manchen genügt z.B. die gemeinsame Nationalität, während sich andere auf eine unmittelbare Bekanntschaft reduzieren. Bei Versuchen mit Kleinkindern wurde festgestellt, dass sie grundsätzlich ein instinktives Beistandsverhalten und einen Gerechtigkeitssinn innehaben. Wurden ihnen Situationen gezeigt, in denen von einem Versuchsleiter erkennbare ungerechte oder gewalttätige Handlungen vollzogen wurden, reagierten sie auf diesen später negativ. Allerdings gab es Abstufungen. Umso mehr die/der Betroffene sich von ihnen selbst unterschied, je geringer war die Intensität der Ablehnung
7 https://www.spiegel.de/kultur/der-kommende-aufstand-a-8ea7f45e-0002-0001-0000-000075261508?context=issue
8 https://freidenker.cc/platons_demokratiekritik/1
9 https://www.boersen-zeitung.de/florida-zieht-milliarden-von-blackrock-ab-1ce8048a-7210-11ed-8cfa-6235c3898d79
10 https://de.statista.com/infografik/27934/geschaetzte-anzahl-angehoeriger-indigener-voelker-pro-region-in-2019/
11 https://www.t-online.de/region/berlin/news/id_90757944/so-viel-kostet-wahlkampf-fuenf-bundestagskandidaten-legen-ihr-budget-offen.html
12 https://www.de-ipcc.de/355.php
13 https://www.buzzfeed.de/buzz/inspirierende-zitate-des-18-jaehrigen-christian-lindners-als-motivationsposter-zum-teilen-90143553.html

Schnell, schnell!

time lapse photography of brown concrete building Lesedauer 12 Minuten

Statt zu sagen: Sitz nicht einfach nur da – tu irgendetwas, sollten wir das Gegenteil fordern: Tu nicht einfach irgendetwas – sitz nur da.

Thích Nhất Hạnh, buddhistischer Mönch und Schriftsteller

Es ist eine banale Erkenntnis, dass das Leben in westlichen Industriestaaten deutlich schneller getaktet ist, als dies z.B. noch vor 100 Jahren vor sich ging. Die Verheißung hieß einst: Maschinen übernehmen die Arbeit der Menschen und die können sich dann um andere Dinge kümmern. Wobei sich da bereits die Frage eröffnet: Was sind denn diese anderen Dinge?
Schaue ich im eigenen Leben zurück, lebte ich gefühlt um ein Doppeltes schneller, denn ich es heute tue. Und schon wieder bin ich in einer Formulierungsfalle gelandet. Leben ist Leben! Man kann es nicht schneller leben. Präziser formuliert, will der Mensch, innerhalb der gleichen Zeitspanne mehr erledigen, wahrnehmen, verarbeiten, gestalten, kommunizieren. Begleitet wird das von der Überzeugung, dass ein Mensch dazu imstande ist. Ist das so?
Seit geraumer Zeit stehen uns technische Möglichkeiten zur Verfügung, die uns dabei unterstützen. Was war zuerst da? Der Wille mehr in eine Zeitspanne packen zu können oder die Technik? Ich denke, es war der Wille. Bei Wille denke ich sofort an Motivation. Die alte Phrase: “Zeit ist Geld!” wird allgemein Benjamin Franklin zugeschrieben, weil er diese Worte 1748 in einem Ratgeber für junge Kaufleute niederschrieb. Etwas tiefer schürfende Texte führen einen auf eine weitere Fährte. Allgemein werden die Worte zum Antreiben benutzt. Wer im Akkord arbeitet, kann viele Produkte herstellen, welche wiederum veräußert werden können. Ganz anders sieht die Interpretation aus, wenn man die Worte auf die Texte des Römers Seneca anwendet. Er fordert dazu auf, Zeit mit Geld gleichzusetzen. Eine Schatztruhe mit Münzen kann sich jeder vorstellen. Ist sie gut gefüllt, sind Ausgaben leicht. Oftmals ist man dazu geneigt, jedenfalls wenn man nicht geizig ist, das Geld auch für Dinge auszugeben, die absolut unnötig sind. Leert sich die Kiste allmählich, wird man bedächtiger. Die Wertschätzung wird immer mehr zum Thema. Seneca setzt die Münzen mit der Lebenszeit gleich. Ständig veräußern wir Sekunden, Minuten, für irgendwelche Aktionen. Wenige Menschen wissen den Schlaf zu schätzen, obwohl er der Gesundheit dient. Tatsächlich geben wir damit einige Stunden für unseren Körper aus. Unterhalten wir uns, geben wir Lebenszeit aus und kassieren gleichzeitig die Zeit eines anderen Menschen. Denken wir über etwas oder einen anderen nach, stellt dies eine Ausgabe dar. An der Stelle kritisiert Seneca, wie oft Zeit für Smalltalk ohne Inhalt verschwendet wird oder wie wenig Wertschätzung die Menschen für die Zeit aufbringen, die andere für sie investieren. Auch jetzt in diesem Augenblick gebe ich Zeit aus. Wenn ich den Text fertig habe, wird Zeit vergangen sein und was da am Ende herauskommt, ist ein Produkt, aber keins, welches ich gegen Geld verkaufen kann. Hieraus ergibt sich wiederum, dass ich dabei andere Aspekte heranziehen muss. Was hat für mich einen derart großen Wert, dass ich bereit bin, hierfür Lebenszeit zu veräußern? Andersherum investiert ein anderer Mensch beim Lesen Zeile für Zeile Lebenszeit. Eine Ausgabe, die ich wertschätzen sollte.

Klassische Produkte besitzen in der Regel die unangenehme Eigenschaft der Vergänglichkeit oder wir verlieren sie mit absoluter Sicherheit beim Sterben. Noch spannender wird es beim Thema Geld. Geld an sich, also gegenständlich, hat absolut keinerlei eigenen Nutzen. Der Nährwert eines Geldscheins ist nicht sonderlich hoch. Auch wenn ich Scheine verbrenne, komme ich nicht weit. Papier brennt schnell ab und ist für eine längerfristige Wärmeabgabe vollkommen ungeeignet. Münzen bestehen immerhin noch aus Metall, welches sich zu nützlichen Dingen umfunktionieren lässt. Erst durch die Ausgabe, den Tausch Ware-gegen-Geld, erfährt das Geld einen Wert. So lautete jedenfalls der Grundgedanke. Geld, welches nur noch digital existiert, sprengt alles. Ich treibe die Überlegung mal auf die Spitze. Bei uns ist ein großer Teil des Lebens ist davon bestimmt, dass für Geld gearbeitet wird. Vollkommen anders zu sehen ist die Zeit, welche für Arbeit an etwas verausgabt wird, was man selbst nutzt und in den Händen hält. Die Arbeitszeit, welche mit Geld entlohnt wird, führt im Prinzip zu einer Transformation. Schaue ich auf das Geld, sehe ich meine dafür benutzte Lebenszeit. Liegt das Geld auf dem Konto, schaue ich auf die Tage, Wochen, Monate oder bisweilen Jahrzehnte, die ich dafür hergab. Erst, wenn ich etwas kaufe, erfolgt eine weitere Umwandlung. Betrachte ich die neu gekaufte modische Jacke, ist dies u.U. jene Zeit, die ich nicht mit meinen Kindern verbrachte, mir nicht dafür nahm, um mich selbst zu regenerieren oder einfach mal alles baumeln ließ. Doch auch hier gibt es einen Haken. Manche Leute bekommen als Gegenleistung für einen halben Tag, gerade mal eine warme Mahlzeit und andere einen Betrag, mit dem sie sofort eine Luxuslimousine kaufen könnten.

Konsequent muss die Erkenntnis lauten: Bei dieser Konstellation hat die Lebenszeit des einen weniger Wert, als die eines anderen.

Theoretisch kann sich jemand, der für wenig Lebenszeit viel Geld bekommt, entspannt zurücklehnen und es sich leisten, nicht alles gleichzeitig zu machen. Nicht von ungefähr sagt man auch: Der oder die lässt das Geld für sich arbeiten. Gleichsam könnte sich so ergeben, dass finanziell gut gestellte Zeitgenossen genügend Zeit haben, sich über all die Aspekte des Lebens Gedanken zu machen, zu denen die anderen nicht kommen. Meinem Eindruck nach funktioniert dies nicht. Ganz im Gegenteil! Häufig sind es die, welche hart für jeden EURO arbeiten und erheblichen Zeitaufwand betreiben müssen, um über die Runden zu kommen, diejenigen mit den weiseren Aussagen. Wo ist der Haken? Mir scheint, dass es etwas mit der Wertschätzung zu tun hat. Eine Betrachtung, die auf dem direkten Weg in die Tiefen des menschlichen Daseins führt.

Ohne die Kooperation ist der Mensch nichts und wäre nicht einmal ansatzweise so weit gekommen, wo er heute steht. Angefangen bei der Horde, die einst durch die Gegend streifte, und später bei der ersten Arbeits- und Wissensteilung. Damit ist die gegenseitige Hilfe, Unterstützung, Kommunikation, voneinander Lernen, sehr weit oben angesiedelt. Dies gilt selbst beim Plündern. Was habe ich davon, wenn ich mir gewaltsam etwas aneigne, dessen Funktion ich nicht verstehe? Nur Völker, die dies verstanden, konnten sich weiter entwickeln. Griechen, Römer, Theben, Phönizier, Perser, Karthager, Makedonier, gründeten in der europäischen Antike große Reiche und machten sich darüber Gedanken. Nicht anders sah es in anderen Teilen der Welt aus. Immer schwang dabei auch die Überlegung mit, was einem mehr einbringt. Der Krieg oder der Frieden? Lange friedliche Phasen brachten stets Entwicklungsschübe mit sich. Und dazu gehörte auch, über das Dasein, das Wesen des Menschen, die Art und Weise, wie man die begrenzte Lebenszeit zufriedenstellend nutzt, nachzudenken. Schlicht, weil der Mensch in der Evolution etwas entwickelte, was er selbst als Denken bezeichnete. Rückschlüsse aus dem ziehen, was gesehen, gehört, gerochen und gefühlt wird. All diese Denkprozesse werden als Verstand definiert. Man nimmt seine Umwelt wahr und wertet sie passend aus. Hinzu kommt die Fähigkeit, nicht sinnlich Erfassbares anzunehmen, logisch abzuleiten oder für die Zukunft zu prognostizieren. Jenes nennen wir die Vernunft.

Aber welchen Wert bemessen wir diesen existenziellen Fähigkeiten bei? Vor allem, wie will man sie anwenden, wenn dafür gar keine Zeit bleibt? Wäre es nicht zweckmäßig, für die Fähigkeiten, welche den Menschen von anderen Spezies unterscheidet, Lebenszeit zu verwenden? Was unterscheidet uns sonst von einem Bonobo-Schimpansen, der den Entwicklungsstand eines vierjährigen Menschen erreichen kann? In einer dekadenten Wohlstandsgesellschaft komme ich grundsätzlich mit wenig Benutzung von Vernunft und Verstand durch. Bei sehr vielen Vorgängen verstehe ich überhaupt nicht, was da gerade passiert. Ich kann stundenlang auf einen modernen Motor starren und werde trotzdem nicht nachvollziehen können, was da in diesem kunstvoll zusammengeschraubten Wirrwarr aus Gummi, Metall, Kunststoff, vor sich geht. Erst recht nicht, wie dieser Laptop vor mir funktioniert, aus welchen Bestandteilen das Ding im Einzelnen besteht und wie es möglich ist, dass das Geschriebene im Internet landet. Ich benutze es einfach, ohne es zu verstehen. Die Überlegung ist simpel. Träte jetzt im nächsten Moment eine Dystopische Situation ein und ich wäre auf mich alleine gestellt, würde sich zeigen, über welche Fähigkeiten ich wirklich verfüge. Kann ich ein Feuer machen? Nahrung herbei schaffen? Mich mit anderen zusammen tun? Wäre ich vernünftig, empathisch, kooperativ genug, um in einem Zusammenschluss mit anderen Menschen agieren zu können?

Doch die Überlegungen gehen darüber hinaus. Welchen Wert bemesse ich persönlich meinem Dasein über den Tod hinaus bei? Ist es mir wichtig, wie die Menschen danach über mein Wirken denken oder es bewerten? Möglicherweise ist es mir egal. “Nach mir die Sintflut!”, wie einige sagen, denken und vor allem handeln. Oder was ist meinem Wirken in der Gegenwart? Erfüllt es mich oder gibt es mir eine Befriedigung, wenn ich in meinem Sinne Einfluss nehme? Einfluss nehme ich immer, dagegen kann ich mich nicht wehren. Egal was ich tue, es hat eine Wirkung, fraglich ist nur, wie es vonstattengeht und inwieweit ich eine Kontrolle darüber habe. Bin ich aggressiv unterwegs, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Aggression über mehrere Stationen fortsetzt. Maule ich die Kassiererin oder den Kassierer im Supermarkt an, wird das Folgen nach sich ziehen. Ich lege auf dieses immer mehr Wert. Was genau bewirke ich jetzt gerade?

Für diese Überlegungen benötige ich Zeit, die ich mir nehmen muss. So wie ich sie mir gönnen musste, um überhaupt auf diesen Stand zu kommen. Schenke ich dem Augenblick keinerlei Beachtung, werde ich auch nicht erkennen, was gerade passiert. Wer schnell “lebt”, reiht eine ganze Kette von Handlungen aneinander, ohne sich der Wirkung bewusst zu sein. Gleichzeitig kommt es zu jeder Menge Fehlern beim Denken. Das Gehirn erzählt sich innerhalb von Sekunden lauter kleine Geschichten, die immer weiter miteinander verkettet werden. Gern werden dabei Umstände miteinander verbunden, die objektiv nichts miteinander zu tun haben. Nimmt man sich die Zeit, nachträglich nochmals alles sauber auseinanderzunehmen und zu analysieren, nennen wir diesen Prozess “Nach/denken”, woraufhin eventuell andere Ergebnisse zustande kommen. Das meiste, was wir bei Mitmenschen als Dummheit bezeichnen, ist die Folge vom falschen Zusammenziehen mehrerer Ereignisse zu einer Geschichte, die schlicht unstimmig ist, aber leider die Basis für weitere Handlungen darstellt. Im Ergebnis steigt aufgrund der Schnelligkeit, dem übermäßigen Füllen eines Zeitraums mit Handlungen, die Gefahr Dummes zu tun oder verbal abzusondern. Dem lässt sich nur mit Nachdenken begegnen, ein Vorgang, wenn er sich auf das bezieht, was wir den lieben “langen” Tag so anstellen, als Selbstreflexion bezeichnet wird. Ich will davon nicht zwingend ableiten, dass hektische Menschen, Leute, die alles gleichzeitig machen wollen, sich stets “busy” geben, dumm sind. Aber die Wahrscheinlichkeit steigt an. Parallel wird es unwahrscheinlich, dass sich die Menschen selbst reflektieren.

Warum sie sich nicht die Zeit nehmen, steht auf einem anderen Blatt.

Bei einigen ist es die Gier. Andere sehen sich verpflichtet, von anderer Seite her gestellte Aufgaben bzw. Anforderungen zu erfüllen. Vielleicht sind es subjektive Existenzängste oder oftmals tatsächlich bestehende Gefahren, weil man z.B. sonst seinen Job verliert. Ebenso kann es das Heischen nach Anerkennung sein oder eine angenommene moralische Verpflichtung. Als Mensch komme ich nicht daran vorbei, ein gesundes Verhältnis zur Ausgabe meiner Lebenszeit zu finden. Unter gesund verstehe ich dabei eine dem Leben zuträgliche Taktung, mit anderen Worten zu einem Zustand der Ausgeglichenheit führt. Schaue ich in die Wildnis, kann ich eine ganze Menge ableiten. Prädatoren sind auf Effizienz angewiesen. Eine Löwin kann es sich nicht leisten, unzählige halbherzige Versuche zu unternehmen. Jeder neue Ansatz erfordert immense Energie und zu viele erfolglose führen zum Tod. Zur Steigerung der Chancen tun sie sich im Rudel zusammen. Im gewissen Sinne wird vorher genau überlegt und im Fall des Scheiterns ausgewertet. Die meisten kleinen, hektischen Lebewesen werden nicht sonderlich alt. Die ältesten Lebewesen des Planeten sind eher behäbig. Tiere in Gefangenschaft, die ausreichend und ihrer Art angepasst versorgt werden, sind vom nervenaufreibenden Beschaffen von Nahrung befreit, werden oftmals älter als ihre Artgenossen in der Wildnis. Dies gilt auch für diejenigen, welche kaum Fressfeinde zu fürchten haben. Verkürzend wirkt sich allerdings die Verkümmerung aus, wenn sie nicht wie gewohnt agieren können oder in Interaktion treten können. Auch für letzteres benötigen sie und auch wir: Zeit!

Zeit ist ein kostbares Gut, nicht komprimierbar und im Fall des Daseins eine unbestimmbare Größe. Was habe ich davon, wenn sie auf meinem Konto in Form einer Zahl dargestellt wird und ich die Transformation, die eigentlich eine Art bestimmungsgemäße Rückführung darstellt, zu einem Zeitpunkt in die Zukunft verschiebe, den ich u.U. gar nicht erlebe? Oder was ist mit der Zeit, die ich in Produkte investiere, von denen die Gesellschaft, in die ich hineingeboren wurde, behauptet, dass sie wichtig sind, während ich andere Prioritäten setze?
Letztens hatte ich darüber mit einer Frau einen interessanten Austausch. Unser Einstieg war die Frage nach dem Sinn eines Lebens und die Gefahr eines Suizids, wenn man eben diesen nicht mehr sieht. Vorab: Für mich gibt es keinen fremdbestimmten Sinn eines Lebens. Würde ich dies akzeptieren, müsste ich auch irgendjemanden die Definitionshoheit zugestehen. Was mache ich, wenn ich diese Definition nicht erfülle? Ist mein Leben dann sinnlos? Kann ich es dann nicht auch beenden? Meiner eigenen Vorstellung nach, ist keine Existenz, wie auch immer sie sich darstellt, aus dem Gesamten zu entfernen. Gäbe es nichts, was ich als böse ansehe, würde auch alles Gute wegfallen. Alles Negative, ist gleichzeitig geeignet, eine positive Gegenreaktion auszulösen. Selbst ein früher Tod erinnert andere Menschen an die mögliche Kürze des Lebens. Bei allem gilt: Es steht nicht in meiner Macht, hierüber die Kontrolle zu haben. Mir bleibt tatsächlich nur der Versuch, eventuell mit der eigenen Lebensart über die Gesetze der Wechselwirkung eine von mir erwünschte Richtung, Struktur, zu begründen. Ein Suizid setzt für andere eine Lösung in die Welt. Aber er wird nichts daran ändern, was mich mein Leben als nicht lebenswert empfinden ließ. Wenn ich den anderen zeigen will, dass es so ist, bitte, aber dies ist ohnehin bereits allgemein bekannt. Ergo, kann ich es auch lassen und weiter leben, um anderes auszuprobieren. Richtig kompliziert wird es bei Schmerzen. Beispielsweise wird im Buddhismus der dem Tod vorangehende Schmerz als eine Zeit für die Vorbereitung des nächsten Lebens betrachtet, während der plötzliche Tod eher unglücklich ist, weil der oder die Betroffene, das Leben nicht bewusst zu Ende brachte.

All diese Gedankengänge setzen voraus, dass ich in einem Leben mehr sehe, als wirtschaftliche Produktivität, Mehrung des allgemeinen materiellen Wohlstands, Erfüllung vorgefertigter gesellschaftlicher Vorgaben oder Ansprüchen, die andere an mich richten.

Der von der Gesellschaft ausgehende Druck ist immens. Hinsichtlich des Zeitmanagements bestehen Vorgaben, deren Erfüllung erwartet werden und wer sich dagegen stellt, muss dafür Kraft aufbringen. Hierfür ein alltägliches Beispiel. Wer einen Supermarkt betritt, soll darin Zeit verbringen, die irgendwann in Konsum mündet. Das ändert sich schlagartig, wenn die Sachen auf dem Laufband landen. Geschwindigkeit und Länge sind kein Zufall, sondern ein ausgetüfteltes Forschungsergebnis[1]https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/der-deutsche-testmarkt-das-hassloch-experiment-1.907694. Spätestens wenn das Geld von A nach B transferiert wurde, ist der oder die Kunde/in uninteressant. Die Leute sind darauf konditioniert. Hungrig nach Befriedigung hineingehen, Beute machen, befriedigt sein, bezahlen, schnell weg. Es ist interessant, wer in kleineren Märkten lautstark als Erstes die Öffnung einer weiteren Kasse fordert. Entweder es sind von ihren Kindern genervte Eltern oder Zeitgenossen mit oder nur Spirituosen im Einkaufswagen. Die einen wollen den Nachwuchs ruhig stellen und die anderen haben die tägliche Dosis schon vor Augen. Schwierig wird es, wenn ältere Leute, die noch auf die alte Taktung konditioniert sind oder körperlich nicht schneller können, ins Spiel kommen. Richtig übel sind Kandidaten, wie meine Wenigkeit. Registriere ich allzu ungehaltene Personen, die auch noch pöbeln, kommt bei mir die Rebellion zum Vorschein. Es ist nicht verboten, seinen Einkauf zu Dritteln und einzeln zu bezahlen oder lange das Kleingeld zu zählen, um dann doch mit Karte zu bezahlen. Schon dem Druck standzuhalten, bereitet mir Vergnügen.

Ähnliches lernte ich in letzter Zeit über Onlinebanking. Ein Konto eröffnet man heutzutage sehr einfach. Mit wenigen Klicks ist alles erledigt. Zack, Zack, hat die Bank Geld verdient. Um so komplizierter wird die Auflösung. Mich würde mal interessieren, wie viele Senioren aufgeben, nachdem sie sich stundenlang im Dschungel der Untermenüs verirrten. Auch das ist Druck. Es ist nahezu unmöglich, sich all der Onlineportale, Apps, Digitalisierung zu entziehen, die einzig einen Zweck erfüllen: Beschleunigung! Um so schneller und einfacher sich zum Beispiel eine Ratenzahlung abschließen lässt, desto unüberlegter wird die Ausgabe nebst ihrer langfristigen Folgen. Wer sich nicht übers Ohr hauen lassen will, muss ständig auf der Höhe der Entwicklung bleiben.

Entschleunigung, Achtsamkeit, Bewusstes Leben

All die oben genannten Begriffe haben in der breiten Gesellschaft einen zweifelhaften Ruf. Das geht bei esoterischer Spinnerei los, zumeist als Modeerscheinung abgetan und spült viel Geld in Kassen von Therapeuten/innen. Gut, wenn es sich dabei nicht um Scharlatane handelt. Aus meiner Haltung und Sicht auf die Gesellschaft heraus ist dies nicht verwunderlich. In einer Zeit, die von Zahlen, Geld, Statistiken, Daten, bestimmt ist, sind diese Begriffe die Bezeichnungen für Schadprogramme. Machen wir uns nichts vor. Selbst mit Burnout-Patienten/innen, Depressiven, psychosomatischen Erkrankungen, lässt sich ein gutes Geschäft machen. Erst recht gilt dies für alles, was entweder beschleunigt oder die Grenzüberschreitung des dem Menschen möglichen Tempos ermöglicht. Die Grauzone zwischen illegalen “Drogenmissbrauch” (der in dem Fall streng genommen nicht einmal ein Missbrauch ist) und Medikamenten-Behandlung ist riesig. Jede Menge therapeutische Maßnahmen sind mehr Perversion, als wirklich hilfreich. Wie sonst sollte man die Aufforderung zu meditieren verstehen, damit man im Sinne der Gesellschaft mehr leisten kann? Wie viele Ärzte, Psychiater, Psychologen, versuchen Menschen zur Geschwindigkeit kompatibel umzugestalten?

Passend zum Thema Geschwindigkeit, tobt in Deutschland eine Debatte über ein Tempolimit, welches selbst US-Medienvertreter zum Staunen bringt. Was genau passiert eigentlich mit dem oder der Fahrer/in bei einer hohen Geschwindigkeit? Geht es wirklich um das schnellere Ankommen? Dies lässt sich überprüfen und das Ergebnis ist reine Mathematik. Selbst bei halsbrecherischer Fahrt, sind die Zeitgewinne nicht der Rede wert und ob ein Meeting zehn Minuten früher oder später stattfindet, ist objektiv egal. Wenn überhaupt Geschwindigkeit eine Rolle spielt, dann bei den Hochgeschwindigkeitstransfers im Finanzwesen. Etwa innerhalb des Intervalls zwischen 100 und 120 km/h steigt der normale untrainierte Mensch aus und Technik, Zufall, Glück, übernehmen. Es macht Klack im Kopf und der/die Fahrer/in schaltet ab. Befragte nennen dies oftmals Entspannung. Eine Alternative wäre, den Zug zu nehmen. Prompt sitzen viele dort vor einem Laptop und “nutzen” die Zeit, um Geschäftliches zu erledigen. Ich nehme für mich in Anspruch, dabei ein wenig mitreden zu können. Schlicht, weil beides Bestandteile meines Lebens waren. Was das bei mir verursachte, wird mir erst danach immer mehr bewusst. Alles passierte, mein Gehirn speicherte, der Körper speicherte, aber kaum etwas davon, drang wirklich in das mir zugängliche Bewusstsein vor. Dennoch ist, wie ich im Nachgang feststellte, alles da. Kaum befand ich mich in einer längeren, vom Körper erzwungenen Ruhephase, ging es mit den Flashbacks los. Mal in Form von plötzlich auftauchenden Erinnerungen, manchmal nur Bilder, Emotionen, die nicht im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Geschehen standen oder körperlichen Reaktionen, die unpassend bzw. zusammenhanglos erschienen. Wer nicht auf solche Selbstexperimente steht, sollte rechtzeitig die Notbremse ziehen.
Man muss es nicht gleich übertreiben, aber ich möchte anmerken, dass es im ZEN – Buddhismus eine schöne Betrachtung gibt. Wie lange dauert ein Leben? Exakt einen Atemzug. Der Mensch, welcher dazu ansetzte, ist beim Ausatmen ein anderer. Nach dieser Betrachtung ist ein Mensch, der sich am Tag nur einige Minuten Zeit des Bedenkens zugesteht oder meditativ den Synapsen ein wenig Ruhe gönnt, hektisch. Bedenkenswert ist ebenso, ob eine/r, die/der einfach nur dasitzt und denkt, wirklich untätig ist. Der vorhergehende Doppler ist gewollt. Folge ich den Vorgaben der Gesellschaft, in der ich lebe, müsste ich von Faulheit, Untätigkeit, ausgehen. Doch wie bewerte ich dann das Verhalten von Gläubigen, wenn sie längere Zeit beten oder buddhistische Mönche, wenn sie mehrfach am Tag stundenlang meditieren? Ist das auch Faulheit? Wie wäre es mit einem Vergleich zu jemanden, der sich 1,5 Stunden lang einen mehr oder weniger belanglosen Film ansieht? Ich sehe da Unterschiede.

Je enger das Leben getaktet wird, hektisch zu geht, Versuche unternommen werden, die Zeit zu komprimieren, um so mehr Lebensqualität, Bewusstsein, gehen verloren und Dummheit breitet sich aus. Mal ganz davon abgesehen, dass damit körperliche und geistige Krankheiten, Drogenkonsum und Aggressionen, gefördert werden. Wie bereits beschrieben, könnten all die tollen technischen Innovationen der Entschleunigung dienen. Tun sie aber nicht, weil eine andere Vorgabe herrscht. Ich sehe in der stetig zunehmenden Geschwindigkeit einen von mehreren Sargnägeln der Zivilisation. Sich seiner Handlungen bewusst zu sein, sich selbst zu sehen und einordnen zu können, sind unabdingbare Voraussetzungen des Einzelnen, um Mensch zu sein. Viele Einzelne bilden dann eine Gesellschaft, in der Vernunft, Verstand, Kooperation, Kommunikation, Bewusstsein, verantwortliches Handeln, einander ergänzen und erzeugen, was als Kultur und Zivilisation bezeichnet wird. Eine funktionierende Menge an Individuen, die nach funktionalen Regeln zuverlässig, produktiv, zusammen agieren, erinnert mich eher an einen Insektenstaat. Zumindest für mich selbst, strebe ich jeden Tag an, ein wenig mehr Tempo herauszunehmen. Einfach ist das nicht, da ich mich leider immer wieder in einem Kontext bewege, innerhalb dessen mir anderes aufgedrückt wird. Aber es ist besser geworden.



Pazifismus

Lesedauer 13 Minuten
„Der klügste Krieger ist der, der niemals kämpfen muss.“
Chinesischer General, vermutl. 543 v. Chr. - 495 v. Chr.

Eine Weltanschauung, wie der Pazifismus, hat derzeit keinen leichten Stand. Da hilft es es auch nicht, wenn die Christen zu Ostern die Auferstehung eines Heilands oder den Sohn Gottes feiern. Wobei sich in den letzten Tagen wieder einmal zeigte, wie wenig Christen ihre eigene Religion verstehen. Sich Gott als eine Figur vorzustellen, daraus einen Mann, einen Vater zu machen, am besten noch als einen alten Mann mit weißen Haaren und dann darüber auch noch eine Gender-Diskussion anzustreben, ist freundlich ausgedrückt ziemlich simpel. Auf diese Art brachte man damals seitens der katholischen Kirche dem einfachen Volk die christliche Weltanschauung bei. Gott ist abstrakt, ein Neutrum und Sohn bedeutet im eigentlichen Sinne, dass sich das Abstrakte in Menschengestalt manifestierte. Michelangelo war ein Genie, aber bei den Bildern im Kopf, auch Kind seiner Zeit. Dieser Exkurs nur am Rande zur Darstellung, wo sich Teile der Gesellschaft derzeit befinden.

Das dialektische Gegenteil oder auch Antonym des Pazifismus ist der Bellizismus. Einmal die Ablehnung des Krieges und auf der anderen Seite die Befürwortung. Die vollkommene Ablehnung von Gewalt, auch in einer Notwehr – oder Nothilfesituation, ist eine Spielart des Pazifismus. Wie immer, wenn Gedankengänge unter einem einzigen Begriff zusammengefasst werden, wird es unscharf. Also worum geht es denn eigentlich?
Seit tausenden von Jahren machen sich Menschen Gedanken über Krieg und Gewalt. Lao Tze soll beispielsweise gesagt haben: “Ich kann nicht viel voraussagen, aber wer die Gewalt bevorzugt, wird eines gewalttätigen Todes sterben.” Ich bleibe an der Stelle die Quelle schuldig. Es steht irgendwo im “Tao des Lebens”. Er und diverse andere, inklusive Buddha und Konfuzius, wiesen stets auf die Wechselwirkung hin. Bin ich gewalttätig, löse ich weitere Gewalt aus. Das ist logisch nachvollziehbar und bedeutet in der Konsequenz, dass ich für den Fall, dass ich keine Gewalt haben will, selbst keine ausüben darf. In einem idealen theoretischen Gedankenmodell, endet die Gewalt, wenn sich alle daran halten. Nicht mehr oder weniger besagt der Pazifismus. Fraglich ist, wie ich mich verhalte, wenn ich angegriffen werde, also ein anderer die Wechselwirkung nicht berücksichtigt. Selbst Sun Zi, der General und Schöpfer des Werks “Die Kunst des Krieges” hatte einen gesunden Respekt davor. Doch er sah auch die Notwendigkeit, unter Umständen in den Krieg zu ziehen.

Folge ich der Logik, erfolgt durch die Wechselwirkung weitere Gewalt. Nehme ich mir einen gedanklichen Nullpunkt, startet die Gewalt also nicht mit dem Pazifismus, sondern mit dem Bellizismus. Es ist ein sich verzweigendes Ablaufdiagramm, bei dem an der obersten Position zwei Entscheidungen möglich sind. Entscheide ich mich zusammen mit allen anderen für den Pazifismus, endet damit auch schon alles und jeder lebt in Frieden. Der Bellizismus wird sich über eine lange Strecke nach unten weiter verzweigen. Demnach kann der Pazifismus bis hierin für friedliebende Menschen die einzig richtige Entscheidung sein. Aber verpflichtet mich diese Haltung zum Verzicht auf eine Gegenwehr?

In jeder Religion stößt man dabei schnell auf Widersprüche. Zum Beispiel ist für Buddhisten das jetzt geführte Leben lediglich eine Art Episode, somit eine flüchtige Begebenheit innerhalb eines größeren Zusammenhangs, innerhalb derer, wie auch in allen anderen vorhergehenden und noch kommenden, das Karma geformt wird. Solange, bis man es salopp gesagt: Endlich verstanden hat! Jeder kennt die sagenhaften Kampfkünste der Shaolin. Alles was sie tun ist auf Verteidigung ausgerichtet. Sie haben nicht die Ursache gesetzt, aber sind durchaus in der Lage sich zu verteidigen. Doch wäre es nicht konsequent für das eigene Karma auf eine Gewaltanwendung, zu verzichten, um dann in der nächsten “Episode” auf einem neuen höheren Level, weiterzumachen?
Im christlichen Glauben sieht es nicht viel anders aus. Einerseits soll man nicht töten und im Zweifel die andere Wange hinhalten, andererseits ist die Rede von Auge um Auge, Zahn um Zahn. Im alten Testament ist eine Menge legitime Gewalt geschildert. Hauptsache, Gott hatte sie irgendjemand befohlen. Dann ging es immer richtig zur Sache. An sich eine schlüssige Konzeption. Was man auch bei ein paar tausend Jahren Entwicklungszeit erwarten darf. Töte ich konsequent alle, die sich nicht an die Vorgabe Pazifismus halten, setze ich alles wieder auf Null. Sollte ich es als Laie in Sachen Christentum richtig verstanden haben, läuft es in der Bibel darauf immer hinaus. Beim Propheten Hesekiel spricht Gott von all dem Gräuel und fordert, dass alle, die damit ein Problem haben, gekennzeichnet werden sollen und alle ohne Zeichen im Nachgang erwürgt werden müssen. Warum nicht alles belassen, wie es ist und den Job Satan in der Hölle überlassen. Ja, ich weiß, die Hölle ist eine recht späte Erfindung des Christentums und der Teufel, Luzifer, der gefallene Engel, noch später. Wie einfach hatten es da doch die Wikinger? Ein ordentlicher Tod im Kampf war eine gute Sache. Die Griechen setzten auf die Nachkommen. Bei der Erzählung über die Irrfahrten des Odysseus tröstet Achilles den Helden in der Unterwelt mit dem Hinweis, dass die Lebenden respektvoll über ihn sprechen. All dies scheinen mir Ideen von Typen zu sein, die irgendwie den Krieg, den keiner wirklich wollte, schmackhaft zu machen. Da fand ich die Episode bei Sketch History, in der Alexander der Große versucht seine Armee zu motivieren, während die nicht so richtig wollen, ziemlich amüsant. Machen wir uns nichts vor, wenn um Dich herum die ersten Leichen verwesen, Leute mit heraushängenden Gedärmen unter Stöhnen verrecken, gehen Achilles die Argumente aus.

Ich habe mir zu diesen Ungereimtheiten meine eigene These zu Recht gelegt. Buddha soll zu seinen Schülern gesagt haben, dass sie die Letzten wären, welche seine tatsächlichen Worte zu hören bekommen. Später werden sie aufgeschrieben werden und jeder fügt seine Interpretation hinzu oder ergänzt im eigenen Sinne. Selbst wenn er es nicht gesagt haben sollte, hat der Urheber dieser Worte Wahres gesprochen. Immer, wenn etwas nicht mit der Grundidee zusammen passen will, besteht der Verdacht einer nachträglichen Änderung. Selbst Buddha, der Lehrer, war nicht frei von Zwängen. In einem hinduistisch geprägten Gesellschaftsgefüge radikal alles auf den Kopf zu stellen, wäre äußerst unklug gewesen. Seine Botschaften wären in Empörung untergegangen.

Die Nummer mit dem Sterben, vor allem im Krieg, und den Religionen ist ohnehin eine eher zweifelhafte Angelegenheit. Wenn es mir zu Lebzeiten dreckig geht, alldieweil sich eine wenige ein gutes Leben gönnen und dafür über Leichen gehen, wird mir unterdessen eine bessere Zukunft im Jenseits vorausgesagt, während der sündige “Brutalinski” oder “Despot”, nach seinem Tod in der Hölle schmort, riecht verdächtig nach einer Konstruktion, die von Typen erfunden wurde, welche zu Lebzeiten unbehelligt andere ausbeuten wollten. Im Ursprung nachvollziehbar. Wenn ich als Sklave (Hebräer/Ägypten) geboren werde, brauche ich irgendetwas, woran ich mich hochziehen kann. Später kam dies einigen sehr entgegen (Absolutismus/Katholische Kirche).
Der Buddhismus erscheint einem auch erstmal ziemlich suspekt. Nichts zu besitzen, soll besser sein als Reichtum? Klingt erst einmal nach Christian Lindner & Friends, weil sie damit dem unvermögenden Pöbel die Lebenssituation attraktiv machen wollen, während sie sich mit kreativen Wirtschaftsmodellen bedienen. Wenn man etwas tiefer einsteigt, wird es logisch. An vergänglichen Dingen festzuhalten und das Leben an ihnen auszurichten, führt zwingend zu einer Frustration (Leid), die spätestens mit der konkreten Erkenntnis, dass das letzte Hemd keine Taschen hat, eintritt.
Hinzu kommt, dass viele Kulturen in Abwandlungen die Weisheit “Wer Wind sät, wird Sturm ernten!”, kennen. In Asien heißt es: “Wer einen Mangobaum pflanzt, darf keine Bananenstauden erwarten.”

Der Übeltäter mag ja glücklich sein, solange er nicht erntet, was er gesät hat, aber sobald es ans Ernten geht, übermannt ihn der Kummer. Der Gute mag ja leiden, solange er nicht erntet, was er gesät hat, aber sobald es ans Ernten geht, übermannt ihn die Freude.
buddha mudra mara
Siddhartha Gautama, Buddha
Aus dem Dhammapada

Voreilig auf Pazifisten zu schimpfen ist demnach ein unüberlegter Schnellschuss aus der Hüfte. Spirituell wird es zu einer ziemlich komplizierten Angelegenheit. Zu welcher Überzeugung kommt man? Einen feuchten Dreck darauf, wenn mich jemand tötet? Wir werden sehen, was danach passiert? Hat jemand mit einer spirituellen Einstellung, jenseits der Griechen, Römer, Wikinger u.a., auf das richtige Pferd gesetzt, ist Putin sozusagen richtig am Arsch. Entweder hat er in der nächsten Episode innerhalb des Universums eine richtig miese Zeit oder in der Vorstellung eines Hieronymus Bosch, eine sehr lange BDSM-Nummer vor sich, die ihm wenig Spaß bereiten wird.

Im  Krieg zu sterben, gewalttätig, vor Ablauf der natürlichen/schicksalhaften Ablaufzeit, kommt immer mit der Erklärung eines Sinns daher. Auch eins dieser Wörter, mit denen ich ein wenig hadere. Im Besonderen gilt dies für den Sinn des Lebens. Wer soll darüber bestimmen, was einen Sinn stiftet und was nicht? Und wird meine Existenz sinnlos, wenn ich mit meinem Leben nicht den Vorgaben entspreche? Ein wenig griffiger ist der Zweck. So oder so müssen Kriege seitens desjenigen, welcher in den Krieg ziehen will, begründet werden. Man stirbt für die Freiheit, um einen oder eine Wahn|sinnige zu stoppen, einen Irr|sinn zu beenden oder das eigene Volk gegenüber einem anderen Volk zu verteidigen (anders: eine Gemeinschaft von x-Mitgliedern der Spezies Homo sapiens gegen eine andere Gemeinschaft von x-Mitgliedern derselben Spezies). Ganz abstrakt wird es, wenn das Vaterland und Schutz desselben herangezogen wird. Ein Gedankenkonstrukt, welches meiner Auffassung nach, vollkommen daneben ist. Es stammt noch aus der Zeit, in der der besetzte Boden die Einnahmequelle für Klerus und Adelige war. Ob nun durch Zufall oder eine Fügung des Universums in Verbindung mit angenommen inneren Regeln, habe ich mir die Geburt an einer konkreten Stelle des Planeten Erde nicht ausgesucht. Erweitert gesehen, gilt dies auch für den Planeten.

Der Erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen: "Das gehört mir" und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Morde, Kriege, wie viel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand seine Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: "Hütet Euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemanden gehört."

Jean-Jaques Rousseau, * 26.6.1772 in Genf; † 2.7.1778
französischsprachiger Schriftsteller, Philosoph, Pädagoge, Naturforscher

Rousseau gilt als einer der wichtigsten Wegbereiter der Französischen Revolution. Heutzutage würden sie ihn als Linksextremisten einordnen. Die “Heilige Schrift” des Kapitalismus, Der Wohlstand der Nationen – Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, wurde noch zu Lebzeiten Rousseaus von Adam Smith 1776 veröffentlicht. Es ist interessant, wie weit einige am Vorabend der Revolution waren und wem am Ende zugestimmt wurde.

Was scheren mich die Interessen eines Kaisers, Königs, Diktators oder des Managers eines Konzerns? Nehmen wir an, dass der Ukraine-Krieg sich ausweitet und der Dritte Weltkrieg ausbricht, wofür sollte ich kämpfen? Für die Freiheit? Werde ich getötet, hat sich das Thema für mich ultimativ erledigt. Für die Freiheit der anderen? Erstens, was hab ich damit zu tun und zweitens, haben große Teile ohnehin merkwürdige Vorstellungen von Freiheit. Für die Freiheit meiner Nachkommen? OK, da ist eine Klippe. Fraglich ist, ob mein Kampf wirklich zu Freiheit führt oder einfach nur einigen anderen, die auch nichts davon halten, Vorteile verschaffen.

Der Krieg, derzeit noch in der Ukraine, bringt existenzielle Fragen mit sich. Wir schauen auf einen Diktator mit imperialistischen Ideen. Ein Thema, das nie vom Tisch war. Nicht nur Putin trauert einem Imperium nach. Konservative Briten sind traurig, die Franzosen ebenso, mongolische Rockbands sinnieren in Texten darüber, was eigentlich schiefgelaufen ist, Chinesen aus der politischen Führung hätten gern ihr altes Reich in Gänze zurück, die USA, ehemals selbst Kolonie, würden gern, wenn es nach den Republikanern geht, ihren Großmacht-Status behalten, die Türken, insofern sie Anhänger von Erdogan sind, trauern ebenfalls, und bei einigen Deutschen bin ich mir nicht sicher. Zumindest bin ich mir nicht klar darüber, ob es eine gute Idee anderer europäischer Staaten ist, von Deutschland eine Führungsrolle einzufordern. Von der grundlegenden Mentalität her können wir das. Allein schon sprachlich und via Sprachmelodie (Schwaben ausgenommen) sind wir militärisch klar im Vorteil. In keiner anderen europäischen Sprache klingen Befehle so überzeugend, wie auf Deutsch. Aber gleichzeitig ist Deutsch eine sehr präzise Sprache. Was einem bei Befehlen entgegenkommt. Paradox ist dabei, dass sie damit auch der Philosophie zuträglich ist.

Imperialismus ist aktuell eine durchaus nachvollziehbare Idee. Die Ressourcen werden knapp, der Hunger nach Energie steigt ins Unermessliche und um innerhalb der sich abzeichnenden Klimakatastrophe überlebensfähig zu bleiben, braucht es Technologie, Rohstoffe, Energie und profane Landgebiete, die entweder ausgebeutet werden können oder sichere Transportwege für kostbare Güter gewährleisten. Die Alternative wäre eine sich einig werdende Weltgemeinschaft. Ich nehme an, den Glauben haben nahezu alle aufgegeben. Allerdings muss ich für mich sagen, dass ich hierfür tatsächlich zur Waffe greifen würde. Für das, was sich aktuell abzeichnet, eher nicht.

Ferndiagnosen funktionieren in der Regel nicht. Aber man kann es trotzdem versuchen. Zumindest ist es nicht verboten. Putin ist ein Mensch mit einem Großhirn. Also, was geht da vor? Pazifist ist er schon einmal nicht. Die Antwort hat er gegeben. Ich denke, er glaubt an eine globale Lösung so wenig wie ich. Ich gehe davon aus, weil er ein intelligenter Mann ist, gibt er nichts auf diese ganzen Klimaleugner. Ist er ein spiritueller Typ? Glaube ich persönlich nicht. Eher sieht er Religionen, spirituelle Betrachtungen als etwas für Leute an, die sich nicht der Lebensrealität stellen wollen. Ich denke, er gibt auch nicht sonderlich viel auf das Leben anderer Menschen. Jeder, der sich zur verfügbaren Masse machen lässt, ist in seinen Augen selbst schuld. Jetzt in diesem Moment habe ich ihn gerade als nackten Mann, ohne all den ganzen Mist, den man ihm unvorsichtig in die Hand gab, vor Augen. Denn das ist Krieg. “Arschloch, Du willst mich umbringen? Zeig mal, was Du drauf hast!” Das ist die Dschungel-Lage! Versuch ich Kontakt aufzunehmen? Werden wir uns irgendwie einig? Oder geht es wirklich nur ums gegenseitige Töten?

Menschen ist in solchen Momenten seit Urzeiten eine Menge durch den Kopf gegangen. Was ist die beste Strategie? Lange, hat bestimmt funktioniert: “Alter, ich will auch nur leben!” An der Front in der Ukraine passiert dies mit Sicherheit auch. Aber nicht bei einem Biden, einem Putin oder einem Xi Ping. Die leben in einer anderen Welt, die ihnen das Großhirn suggeriert. Jeder Schritt nach weiter oben bedeutet mehr Abstand vom anfassbaren Leben. Blut hat einen Geruch, Leben, was aus den Augen weicht, kann man sehen, Schreie kann man nicht ignorieren, den vorwurfsvollen Blick, der bedeutet, was machst Du mit mir, wird man nie wieder los. Es sei denn, man hat zugelassen, dass ein paar Aspekte, die den Menschen ausmachen, abgeschaltet wurden. Aber dann sei die Frage erlaubt, ob man dann noch die Bezeichnung “Mensch” verdient?

Ich persönlich bin dem Bundeskanzler, den ich nicht gewählt habe, für seine als zögerlich betrachtete Haltung dankbar. Eskaliert alles in einen konventionellen Krieg, was nicht realistisch ist, würde er nicht darin kämpfen. Kommt es zu einem nuklearen Krieg, stirbt er ein paar Monate nach dem gemeinen Volk. Steht einem ein Homo sapiens gegenüber, der das Großhirn nicht übermäßig nutzt, ist grundsätzlich der erste Schlag eine gute Idee. Trage ich die Verantwortung für ein ganzes Volk, sollte ich einen Gedanken mehr verschwenden. Denn dann gehen eine Menge Menschen in den Tod, die ich nicht einmal kenne. Putin hat sich von den Möglichkeiten des Homo sapiens verabschiedet. Er wird seine Gründe haben. Spirituell muss ich mir von ihm nicht aufs Auge drücken lassen, wo ich stehe. Dies gilt auch für die Ethik. Hätte ich die Möglichkeit, Gelegenheit und eine 9 mm zur Hand, gäbe es für mich auf seine Person bezogen kein Problem. Aber was kann Andrej, 25 Jahre, russischer Bürger, dafür?

In den letzten Tagen melden sich vehement diejenigen zu Wort, die es angeblich schon immer besser wussten. Putin wäre schon immer ein Potentat, Diktator, Despot, mit imperialistischen Zielen gewesen, und die “Dummen” hätten dies nur nicht erkannt. Es sei ein Fehler gewesen, mit ihm Verträge im Sinne der von Kanzler Schmidt geprägten Worte an Jimmy Carter:  “Wer miteinander Handel treibt, schießt nicht aufeinander!”, einzugehen. Rückblickend sei bereits die Ost-Politik von Kanzler Willy Brandt ein Schritt in die falsche Richtung gewesen.
Allen, die da so reden, unterläuft ein Gedankenfehler. Zu jeder Entscheidung gibt es sogenannte alternative Pfade. [1]Rolf Dobelli, Die Kunst des klaren Denkens, 52 Denkfehler, die Sie besser anderen überlassen, dtv-Verlag, 2014, S.57, der Rückschaufehler, engl. hindsight bias Niemand kann auch nur ansatzweise mit Sicherheit sagen, wohin andere Entscheidungen geführt hätten bzw. wohin die alternativen Pfade geführt hätten. Die Kritiker setzen sich rückwärtig in die Position eines perfekten Prognostikers oder Propheten. Die damaligen Entscheidungen waren getragen von der Hoffnung, dass sie Gutes bewirken und schlechte Verläufe, wie einen erneuten Krieg, verhindern. Keiner kann sagen, ob andere Optionen nicht bereits vor 20 Jahren in einem Weltkrieg gemündet wären. Unter Umständen hätte es keine Wiedervereinigung gegeben? Oder die Wirtschaft hätte sich vollkommen anderes entwickelt. Die einzige existente Realität findet jetzt in diesem Moment statt. Selbstredend gilt dies für ebenfalls für die NATO-OST Erweiterung und die damit in Verbindung stehenden Verträge. 

Aus guten Gründen lassen sich Zukunftsforscher und ganz nebenbei auch gute Einsatzleiter nicht auf Prognosen ein, sondern Szenarien, in denen die wahrscheinlichsten Ergebnisse aufgestellt werden. Für den Ukraine-Krieg habe ich dazu auf der Seite des stark von der Spieltheorie geprägten Zukunftsinstituts 8 mögliche Szenarien gefunden. [2] Future War: 8 Szenarios über den Ausgang eines unvorhersehbaren Krieges, https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/szenarien-ukraine-krieg-matthias-horx/ , . Interessant ist dabei, dass im Netzwerk des Instituts Prof. Christian Riek mitwirkt, dessen YouTube-Channel “Spieltheorie” ich in meiner Link-Liste habe. [3]https://www.youtube.com/channel/UCSExr_QUT6h-4sGW5hGjrCA Vor dem Ukraine-Krieg kam er zum Ergebnis, dass Putin den Krieg nicht führen wird, weil der Krieg ein “dummer” Spielzug ist. Allerdings wurde er damit nicht zum Scharlatan, da er immer wieder betont keine Prognosen zu erstellen, sondern Szenarien analysiert.

Im März analysierte er die öffentlich übelst bepöbelte Aussage des Philosophen Precht, in der er die Aufgabe der Ukraine als eine Option darstellte. Es ist und bleibt ein denkbares Szenario. Aber rational ist es nur bei zwei Annahmen zu favorisieren. 1. Russland gewinnt auf kurz oder lang den Krieg. 2. Bei einer Kapitulation lässt Putin die Bevölkerung in Ruhe. Im Falle eines sich anschließenden Terrorregimes (wovon ich persönlich ausgehe), scheidet die Kapitulation aus.

In die Kategorie Denkfehler fällt für mich auch die Aussage, dass “Schwere Waffen” zu einer Provokation führen, die Putin zum Anlass für einen Atomschlag nehmen könnte. Nicht seine Gegner bestimmen, was eine Provokation ist, sondern er ganz alleine. Fraglich ist, wie er sie anderen in seinem Umfeld überzeugend verkauft. Ob ein Justizminister Buschmann, FDP nach rechtlicher Prüfung meint, dass die Lieferung der Waffen völkerrechtlich gedeckt ist oder nicht, geht einem Putin am bekannten Allerwertesten vorbei. Wie seine Haltung zu Völkerrecht ist, hat er brachial bewiesen. Zumindest ist zu Bedenken, dass die Lieferung als ein möglicher Anlass geeignet ist. Allerdings kann genauso gut angenommen werden, dass Putins Masterplan ohnehin die Eskalation in einen Atomkrieg ist oder blufft. Wir wissen es nicht.

Das Gebaren einiger Politiker finde ich nicht sonderlich hilfreich. Die Situation ist kein Brettspiel zur Unterhaltung gelangweilter Vorstädter in Einfamilienhäusern. Überall läuft alles auf Hochtouren. Die Nachrichtendienste, ihre Berichterstatter, Analysten, arbeiten Rund-um-Uhr. Ein Heer von hoch qualifizierten Beratern aus den militärischen Bereichen, den Think-Tanks, erarbeiten verschiedene Szenarien und versuchen zu ermitteln, wie man hierauf am erfolgreichsten reagieren kann. Wer glaubt, dass ein Kanzler oder andere Regierungsführer einsam und alleine ihre Ideen umsetzen, ist naiv. Dem normalen Volk sei dies zugestanden, aber nicht Politikern und schon gar nicht, die Manipulation für irgendwelche Machtspielchen. Keiner von den Gegnern Putins ruft ihn einfach mal an und reist ohne Absprachen nach Russland. Gleichsam trifft Deutschland die Entscheidung über die schweren Waffen nicht ohne Absprache mit den NATO-Partnern. Was wäre, wenn die für den Fall eines Übergriffs auf andere Staaten in den Vorhalt genommen werden? Jeder, der mal in einem Führungsgeschehen involviert war, weiß um die Rollenverteilungen. Eine pöbelt, ein anderer macht auf verbindlich, die nächste gibt die Verständnisvolle, alles orchestriert für ein gemeinsames Ziel. Wenn Scholz weniger Präsenz zeigt, wird dies Gründe haben.

Ich habe bei Putin einen Eindruck, der den Pazifismus gegenstandslos werden lässt. In meinen Augen ist er kein politisch denkender Mann, sondern mich erinnert er an einen Schwerkriminellen. Was wäre zum Beispiel, wenn er tatsächlich Anschläge initiierte, bei denen russische Bürger starben und die dann den Tschetschenen untergeschoben wurden? Was, wenn die Welt es bei Putin mit einem Psychopathen zu tun hat, der keinerlei Skrupel, Hemmungen oder irgendetwas in dieser Richtung empfindet? Da bleibt jedem von uns nur noch die spirituelle Sicht und die sich daraus ergebende Frage: Was lade ich auf mich, wenn ich töte?
Einem Politiker kann man mit Geld, Staatsbankrott, die Aussicht auf die Vernichtung des eigenen Volkes kommen. Doch was war z.B. mit Adolf Hitler? Der war vom Volk enttäuscht und kam zum Ergebnis, dass es dann auch keine Überlebensberechtigung hat. Es sind keine einfachen Zeiten angebrochen. Am Ende bleibt dem “normalen” Menschen nur das hilflose Zusehen und darauf zu hoffen, dass nicht das 8te Szenario [4]Das Ende der Welt oder: Das UnvorstellbareEin lang anhaltender Mehrfrontenkrieg bricht aus, der sich atomar hochschaukelt.Große Teile des eurasischen Kontinents und Amerikas werden … Continue reading eintritt.
Zumindest sollte man dies berücksichtigen.

Quellen/Fußnoten

Quellen/Fußnoten
1 Rolf Dobelli, Die Kunst des klaren Denkens, 52 Denkfehler, die Sie besser anderen überlassen, dtv-Verlag, 2014, S.57, der Rückschaufehler, engl. hindsight bias
2 Future War: 8 Szenarios über den Ausgang eines unvorhersehbaren Krieges, https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/szenarien-ukraine-krieg-matthias-horx/ ,
3 https://www.youtube.com/channel/UCSExr_QUT6h-4sGW5hGjrCA
4 Das Ende der Welt oder: Das Unvorstellbare
Ein lang anhaltender Mehrfrontenkrieg bricht aus, der sich atomar hochschaukelt.
Große Teile des eurasischen Kontinents und Amerikas werden verwüstet,
200 Millionen Menschen sterben sofort, weitere 300 Millionen an Hunger
und den Folgeschäden. Trotzdem stirbt die Menschheit nicht aus, Afrika
und Südamerika, China sowie die pazifischen Räume sind weitgehend
verschont geblieben. Im Jahr 2035 eröffnet Elon Musk die erste Aussiedler-Stadt auf dem Mars mit dem Namen Newkrainehttps://www.zukunftsinstitut.de/artikel/szenarien-ukraine-krieg-matthias-horx/ , abgerufen am 19.4.2022, 23:00 Uhr

Anti, Anti

buddha mudra mara

Lesedauer 8 Minuten

Ständig lese ich, dass sich Leute als Anti – Kapitalisten, Anti – Rassisten, Anti – Sexist usw. bezeichnen. OK! Damit weiß ich, wogegen sie sind. Auf der anderen Seite kommt es oftmals reflexartig zur Interpretation wofür diese Leute stehen. Wer gegen den Kapitalismus ist, muss ein Linker sein. Wer gegen Rassisten ist, kann selbst keiner sein? Anti – Sexisten*innen stehen jetzt wofür genau?

Vorausgesetzt ich weiß, wofür ich stehe, kann mich theoretisch niemand davon abhalten, eine eindeutige Stellung zu beziehen. Ich denke hier beginnen für viele die Probleme. Wie könnte die Alternative aussehen? Die Einfältigkeit der Opposition spricht für sich selbst. Als einzige fällt ihnen der Kommunismus, den etwas differenzierter Denkenden unter Umständen noch der Sozialismus, ein. Es gäbe zum Beispiel den Weg der Genossenschaften, in denen die Werktätigen am Gewinn, den Auswirkungen auf ihr direktes Umfeld, den Investitionen, beteiligt werden. Allgemein könnte man an der umfassenden Veränderung der Anforderungen nachdenken. Jeder der ein Produkt herstellen will, muss sich den Fragen einer fachlich kompetenten Kommission stellen. Wie generierst Du ökologisch vertretbar die notwendige Energie für Dein Produkt? Welche Abfallprodukte entstehen bei der Herstellung, wie können die neutral entsorgt werden und wie steht es mit der Entsorgung Deines fertigen Produkts, wenn es defekt ist oder sich jemand dessen entledigen will? Welche Überlegungen bestehen hinsichtlich einer festzulegenden ethischen Kompatibilität? Wofür kann das Produkt zweckentfremdet werden?

Wie häufig habe ich die Frage bereits gestellt? Ist eine/r, die/der aufgrund eigener Analysen oder dem Lesen fremder zum Ergebnis kommt, dass der bisher eingeschlagene Weg in die Katastrophe führt, ein LINKER? Steht dieses Synonym mittlerweile für Vernunft und Verständigkeit? Stehen konservativ, nationalistisch, rechtskonservativ und rechts für das sture Treten des Gaspedals, die ungebremste Fahrt in Richtung Abgrund?

Ich stelle fest, dass die derzeit bestehenden kapitalistischen Theorien, allen voran der Liberalismus und der Neoliberalismus in den Anfängen des 20. Jahrhunderts eine Konkretisierung erfuhren. Also zu einer Zeit, in der die Auswirkungen auf die Lebensräume und die Begrenztheit der Ressourcen gänzlich unbekannt waren. Prinzipiell der Unterschied zwischen einem jungen und einem alten Menschen. Der jüngere Mensch denkt, es wird sein gesamtes Leben immer weiter gehen, wie es ist, während der Ältere merkt, dass dies nicht der Fall ist. Wir, die Menschheit, haben die Erde in ein Burnout getrieben. Der Verbrauch übersteigt die Regeneration um ein Vielfaches. Davon konnten die alten Theoretiker nichts wissen, für den modernen Menschen kommt diese Ausflucht nicht infrage.

Ich stelle weiterhin fest, dass sich prinzipiell alle Weisen, Religionsstifter, Philosophen der 2000 Jahre vor der industriellen Revolution mit den Themen Gier, Profit, Wachstum, dem Missbrauch von Macht, der Überheblichkeit des menschlichen Großhirns über die Prinzipien der Natur, auseinandersetzten und warnend den Finger hoben. Geht es nach denen, die auf der anderen Seite ihrer Position ausschließlich LINKE sehen, waren Laotse, Konfuzius, der historische Buddha, Mose, Jesus, Sokrates und einige mehr, LINKE, oder womöglich Kommunisten, was natürlich blanker Unsinn ist. Vielleicht erleben wir schlicht ein gigantisches Babylon?

Sind diejenigen, welche überall LINKE sehen, der König Belšazar? Steht an der Wand schon seit geraumer Zeit: Mene mene tekel u-parsin? Wären dann die als LINKE gescholtenen Daniel, die die Nachricht zu deuten wissen? Nun, immerhin wurde Daniel für seine Deutung belohnt.

Wie auch immer, die Sache hat einen nicht unerheblichen psychologisch bedingten Haken. Es betrifft in der Regel nicht die Entscheider, sondern ihre Kinder und Enkel. Und den Jungen, die sich ins Fahrwasser der alten Starrköpfe hängen, ist nicht mehr zu helfen. Einer Generation später die Gräber auszuheben ist eine Sache, es für sich selbst zu tun, eine vollkommen andere.

Es wäre aber genauso verfehlt, einen Anti – Kommunisten, als Rechten zu bezeichnen. Für diese Leute gilt selbstverständlich die Logik ebenso. Jeder Anarchist oder Autonomer ist ein Anti – Kommunist. Doch immerhin sagen beide wenigstens, wofür sie stehen. Vielleicht können einfach gestrickte Konservative nicht aus ihrer Rolle heraus. Wahrscheinlich glauben nicht wenige von ihnen an den Anti – Christen. Jener, welcher absurderweise lediglich den Christen bekannt ist.

Wir sollten niemals vergessen, dem allerersten Radikalen über die Schulter zu schauen: all unseren Legenden nach, Mythologie und Geschichte (und wer weiß, wo Mythologie aufhört und Geschichte beginnt – oder was ist was), war der erste der Menschheit bekannte Radikale, welcher gegen das Establishment effektiv rebellierte, sodass er sein eigenes Reich bekam – Luzifer.

Saul D. Alinsky, Rules for Radicals

Im westlichen Verständnis wird der buddhistischen Figur Mara die Rolle des Teufels, der gefallene Engel Luzifer, zugeschrieben. Dabei ist Mara der Versucher, der die Menschheit vom richtigen Weg abbringen will, damit sie auf immer und ewig im Kreislauf des Leidens bleiben, somit in seinem Reich leben. Versuchung! Gier nach Besitz, immer mehr, Profit, Anhäufen von flüchtigen Dingen, die den Tod nicht überdauern. Wenn man so will, ist Mara die Personifizierung des Kapitalismus. Interessant, dass bei Konservativen, insofern sie den Kapitalismus favorisieren, die Genügsamkeit, das Auskommen mit dem Vorhandenen, mit einem Verzicht gleichgesetzt wird und im Zweifelsfall im Kommunismus endet. Ich würde gern mal von einer/m, die/der Anti – Kapitalisten ausschließlich als Kommunisten verstehen kann, wissen, ob für sie/ihn Benediktiner Mönche ebenfalls Kommunisten sind.

Vielleicht könnte dies Teil der Antwort sein, wofür man steht: Genügsamkeit, Demut gegenüber dem Lebensprinzip auf der Erde, Anerkennung der Lebensberechtigung aller Lebewesen, ohne sich selbst oder den Menschen mangels Legitimierung, über andere zu erheben. Praktisch ist dabei, dass diese Haltung alle anderen anfangs genannten Anti – Aussagen inkludiert.


Kapitalisten kontern Kritik gern mit dem Hinweis darauf, dass sie nicht auf etwas verzichten wollen. Verzicht! Was bedeutet dieses Wort konkret? Zunächst einmal muss etwas existieren, worauf ich verzichten kann. Mehr noch, ohne meinen Verzicht würde es in mein Eigentum übergehen. Aber warum sollte dies passieren? In der Regel, weil ich ein Anrecht darauf habe. Ich kann mir auch alles Mögliche einfach nehmen, schlicht, weil ich es kann. Doch dann wäre es ein Unterlassen und kein Verzicht. Bei Verzicht geht es um das eigene Versagen von etwas, worauf ich ohne diesen Akt einen Anspruch hätte. Hierbei kann ich jetzt unterschiedliche Perspektiven einnehmen. Ich kann meine Ansprüche davon ableiten, dass ich in einer bestimmten Stadt lebe. Nehme ich ein wenig mehr Abstand, würde ich es von meiner Staatsangehörigkeit abhängig machen. Mit noch mehr Distanz wäre ich bei meinen Ansprüchen als Europäer. Irgendwann käme ich an dem Punkt, wo ich mir die Frage nach der Berechtigung meiner Ansprüche als Lebewesen auf dem Planeten Erde stellen würde. Wie sehen die aus? Ich wurde geboren. Damit bin ich erst einmal existent, nichts und niemand kann mir verwehren, alles dran zu setzen, diesen Zustand aufrechtzuerhalten. Kein anderes Lebewesen hat das Recht, mir dies zu untersagen. Bei näherer Betrachtung würde ich feststellen, dass ein Übermaß an Forderungen, mich in meinem Anspruch selbst sabotiert. Demnach geht es unter Umständen gar nicht um den Verzicht auf etwas mir legitim Zustehendes. Es könnte darum gehen, nicht mehr zu fordern, als mir zusteht. Dies wäre ein Unterlassen! Wenn mir jemand sagt, das ich eine Handlung unterlassen soll, frage ich meistens nach: Warum? Bekomme ich eine nachvollziehbare plausible Antwort, entsteht bei mir eine Einsicht, die sich nahezu immer darauf bezieht, dass ich den Erfolg meiner Handlung nicht möchte. Wenn Du dieses oder jenes tust, wird Folgendes passieren! OK!

Fazit, ich fordere eine/n Kapitalistin/en nicht zum Verzicht auf, sondern ich fordere sie/ ihn auf, die Handlungen einzustellen, weil sie zu einem Erfolg führen werden, den keiner von uns will. Und da es nur eine Welt gibt, habe ich keine Chance, sie einfach machen zu lassen, denn unser Schicksal ist miteinander verbunden. Wir sind auf hoher See in einem Boot unterwegs und die nächste Insel können wir nur mit vereinten Kräften erreichen. Einer allein wird es nicht schaffen. Da ist es schlecht, wenn einer allein alle Wasservorräte aufbraucht, die anderen sterben und nur einer übrig bleibt, der am Ende auch verdurstet. Als Odysseus mit seiner Mannschaft auf der Insel der Herde des Gottes Helios landete, schlachteten sie entgegen der Warnungen der Zauberin Kirke einen großen Teil der Rinder. Ihr Argument: Besser satt auf dem Meer sterben, als den grausamen Tod des Verhungerns zu wählen und Helios würde dieses einsehen. Jedes Rind symbolisierte einen Tag und Helios drohte damit, fortan nur noch für die Toten in der Unterwelt die Sonne aufgehen zu lassen, woraufhin ihm Zeus grünes Licht für die Rache gab. Wenn wir nach Ithaka zurückwollen, sollten wir aufhören die Rinder zu schlachten. Das Verhungern ist nicht sicher, der Tod auf dem Meer durchaus.

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Welchen legitimen Anspruch kann ich gegenüber den anderen Lebewesen anmelden, woraufhin ich gönnerhaft von einem Verzicht sprechen könnte? Weil ich mehr geleistet habe? Will ich mich wirklich mit der Leistung von Ameisen für den Fortbestand des Lebens auf diesem Planeten messen? Mit der von all den anderen Lebewesen? Da verliere ich. Wenn ich mir kein neues superaktuelles Smartphone kaufe, verzichte ich dann auf eins? Oder unterlasse ich es aus Überzeugung? Wenn ich beschließe meine im Kleiderschrank vorhandenen Sachen so lange wie irgendwie möglich zu tragen, verzichte ich dann darauf jeden Trend mitzumachen oder versuche ich mittels Unterlassen eines Neukaufs, das Quälen eines kleinen Jungen in Bangladesch zu mindern? Verzichte ich auf Luxus, oder unterlasse ich es, noch mehr Unheil anzurichten?

Was ist mit den Obdachlosen, den Flaschensammlern, den Rentern in Armut? Verzichten die auf etwas? Oder, und dies halte ich für die korrekte Formulierung, bekommen die etwas nicht, was ihnen zusteht? Wie kann dann jemand im gleichen Land, dessen Grundbedarf in Gänze erfüllt ist, von einem Verzicht auf etwas Legitimes ihm Zustehendes sprechen? Kann eine begründete Legitimität nicht erst dann konstituiert werden, wenn der Grundbedarf aller gedeckt ist?

Ich muss nicht nach Laos, in die Mongolei oder andere Länder fahren, um verstörende Bilder zu sehen. Wenn ich einkaufen gehe, komme ich derzeit nicht daran vorbei in ein beheiztes Einkaufszentrum zu gehen. Ein Konsumtempel, derzeit ein wenig von Corona ausgebremst. Trotz allem beheizt und beleuchtet. Überall in den Ecken stehen Frauen und Männer mit Plastiktüten, in denen zur Tarnung eine Kleinigkeit offen präsentiert wird. Sie können sich nicht setzen oder gar für einige Minuten auf die Bänke legen, dann würden sie vom Sicherheitspersonal herausgeworfen. Die Banken heizen und beleuchten die gesamte Nacht über die Räume, in denen die Geldautomaten stehen. Aber ab 22:00 Uhr werden sie geschlossen, damit sich dort kein/e Obdachlose/r zum Schlafen hinlegen kann. Ein Service für die zahlenden Kunden.

Kapitalismus bedeutet, dass es Menschen gibt, die auf Dinge verzichten können, die sich sie sich selbst zugestehen, während andere weniger als das Minimum haben. Und es werden immer mehr werden. In letzter Zeit stelle ich mir immer wieder eine Frage. In einem meiner Lieblingsbücher “Per Anhalter durch die Galaxis” wird auf einem fernen Planeten dem Super – Computer “Deep Thought” die Frage nach dem Sinn des Lebens gestellt. Nach tausenden Jahren versammeln sich die Erbauer und erwarten eine Antwort. “Deep Thought” antwortet: “42”. Auf weiteres Nachfragen hin, erklärt er, dass ein noch größerer Computer, Achtung Spoiler!, die Erde, die Antwort liefern wird. Ich stelle mir aus Gründen nicht die Frage nach dem Sinn. Aber ich finde es etwas erbärmlich, dass nach über 2000 Jahren des Nachdenkens, Buddha, Sokrates, Laotse, Konfuzius, Kant, Schopenhauer, Nietzsche, Kierkegaard, Sartre, und wie sie alle heißen, nicht mehr herausgekommen ist, als Kapitalismus. Noch erbärmlicher finde ich es, dass es Menschen gibt, die Zugang zu all dem Wissen haben, die nur einzige Antwort zum Thema haben: Anti – Kapitalisten sind Linke. Solche Typen sind für mich Menschen, die beim Anblick von “Deep Thought” die Frage stellen, ob sie auf ihm “Football Manager 2020” zum Laufen bekommen.

Nun gut, vielleicht ist alles ein Kampf gegen die Zeit. Wenn es gut läuft, vernichtet sich die Menschheit, bevor sie den letzten Überlebenden, die Chance einer weiteren Existenz nimmt. Dann wäre es taktisch klug, damit dieses Elend endlich ein Ende hat, Kapitalisten auch noch die letzte Tür aufzuhalten.

Irgendwie hätte dies Charme. Das Großhirn wäre dann am Ende doch noch intelligent gewesen und hätte die eigene Auslöschung, als einzig konsequente und richtige Lösung erkannt. Ein durchaus interessanter Gedanke.

Ach ja … ein letzter Hinweis noch. Der zum Beitrag ausgewählte Buddha hat eine Handstellung die auf seine Auseinandersetzung mit Mara hinweist. Mara fragte ihn, nachdem er alles nur Erdenkliche angeboten hatte, warum er denn zu den Menschen zurückkehren wolle. Es wäre doch vollkommen sinnlos, er, der Erleuchtete, würde sie niemals seinen Fängen der Versuchung entreißen. Gautama Siddhartha soll ihm gesagt haben, dass er die Hoffnung nicht aufgeben werde.