Kontrolle und Verlust

yellow police tape on crime scene Lesedauer 4 Minuten

Liegt es am Lebensalter? Oder möglicherweise an der Zeitspanne, die ich nicht mehr im aktiven Dienst bin? Haben sich meine Perspektive und die daraus entstandene andere Sicht auf die Dinge mittlerweile derart ausgewirkt, dass ich zu Ergebnissen gelange, die mich ins “Aus” katapultieren?

Ich arbeitete mit einem Mann zusammen, der mir nahe stand und sich durch seine Andersartigkeit von anderen unterschied. Damals kleidete und gab er sich wie ein Rocker, verkehrte in Lokalen, die auch von echten “Rockern” besucht wurden, fuhr eine Customer-Harley und schraubte ständig an weiteren herum. Sein Vater war einst ebenfalls Kriminalbeamter gewesen. Ich fragte ihn, warum er trotz seiner offensichtlichen Lebenshaltung “Kiffer” verfolgen würde und auch kleinere Mengen nicht übersah. Er begründete es mit seinem “Jagdtrieb”. Der Krieg der Köpfe, den ich selbst ebenfalls praktizierte. Das ist eine recht neutrale Haltung, bei der man als Ermittler Taten niemals persönlich nimmt, sondern die gegenüberliegende Seite respektiert. Aber Jagdtrieb … Nun ja!

Mir war dennoch immer wichtig, was einer oder eine anstellte. Ich weiß, dass will nicht so recht mit dem Legalitätsprinzip zusammen passen. Aber meiner Auffassung nach, sind Technokraten schlechte Polizisten, die an der Sache vorbei “arbeiten” und nicht der gesellschaftlichen Aufgabe einer Polizei in einem freien Land gerecht werden. Nicht ohne Grund gibt es im Ordnungswidrigkeitenrecht das Opportunitätsprinzip.
Aus der Ferne verfolge ich die Verlautbarungen der Gewerkschaftsvertreter, von GdP, DPolG und BDK. In jedem zweiten Satz benutzen sie das Wort Kontrolle. Feinwaagen müssten nun her und Beschaffungen dauern lange. Wie soll der kontrollierende Polizist sonst feststellen, ob es sich um 25 Gramm (legal) oder 26 Gramm (Ordnungswidrigkeit) handelt. Ui! Schlimm! Da kommt doch tatsächlich ein gefährlicher Kiffer mit 26 Gramm davon! Unerhört! Der BDK weint dem Vorschlag hinterher, sich dem portugiesischen Weg anzuschließen. Dort würden ertappte Personen nicht bestraft werden, aber zu einer Drogenberatung einbestellt. Na dann … gleiches Recht für alle: Ich will ab demnächst in jeder Berliner Eckkneipe Berater sitzen sehen. Das wird lustig. Es sei auch schwer den Abstand zu einem Kindergarten, Schule oder ähnlichen Einrichtungen zu ermitteln. Leute, was ist denn der Zweck der Maßnahme? Wenn weder das eine, noch das andere zu sehen ist, dürfte alles in Ordnung sein. Im Übrigen möchte ich dann auch mit gleicher Entfernung und Messgenauigkeit rauchende Eltern verbannt sehen. Ebenfalls könne man nicht nachvollziehen, ob das “Gras” von einem illegal agierenden Dealer stammt oder aus einem “Verein”. Ja, Pech gehabt. Es ist nämlich ziemlich egal. Wem bisher die Qualitätskontrolle schnuppe war, wird sie künftig auch ignorieren.

Und immer wieder wird auf die Organisierte Kriminalität verwiesen. Seit den 60ern Jahren brachten die bisherigen Maßnahmen gar nichts. Genau genommen, gilt dieses nicht nur für den internationalen Rauschgifthandel, sondern allgemein. Deutschland war bis in die 2000er nicht einmal in der Lage, den Begriff Organisierte Kriminalität überhaupt offiziell zu verwenden. Stattdessen wurde von “strukturierter Bandenkriminalität” oder “kriminellen Netzwerken” gesprochen. So was Unschönes wie die OK gab es nur bei den anderen, also Italien, ehemaliger Ostblock, USA, Südamerika. Alles andere hätte Politiker*innen dazu gezwungen, der deutschen Bevölkerung reinen Wein einzuschenken. Ach? Innerhalb der OK sind auch Deutsche aktiv? Deutschland als Hochburg der Geldwäsche in Europa? Wie? Da sind auch deutsche Banken, Firmen, Notare*innen, Rechtsanwälte*innen, Hehlerbanden, Schmugglerringe, Menschenhändler, Abfallentsorger, Chemie-Konzerne, und, und, und … beteiligt? Nein! Doch! Ooh! Und nun wird dem illegalen Markt ein legaler zugefügt? Frechheit! Ausnahmsweise hat die FDP das wirtschaftliche Potenzial erkannt. Ja, aber … dann verdient der Staat doch an etwas schädlichen mit. Stimmt! Wie bei Alkohol, Nikotin, Zucker, Medikamentenmissbrauch und diversen anderen Sachen.

Es ist eine Farce, und zwar eine sehr peinliche. Man könnte bei all den Äußerungen auf die Idee kommen, dass der Polizei eine liebgewordene Tradition weggenommen wird. Eine Behauptung, die bei jungen Leuten bereits längere Zeit kursiert. Ich wollte sie nie wahrhaben. Derzeit werde ich eines Besseren belehrt. Zur Erinnerung: Jugendschutz, Sozialarbeit, Pädagogik, gehören nicht in den originären Aufgabenbereich der Polizei. Polizisten neigen im Allgemeinen dazu, ihre eigene Lebensart als korrekt und gesellschaftlich konform anzusehen. Im Gegenzuge weiß jeder erfahrene Gastronom, dass es keine gute Idee ist, ein Lokal für eine Weihnachtsfeier der Polizei zu vermieten. Mit dem internen Drogenkonsum will ich gar nicht erst anfangen.

Kontrolle, Kontrolle, Kontrolle … wir verlieren die Kontrolle über die Einwanderung, den Rauschmittelkonsum, die Einfuhr … die Ausländerkriminalität. Fällt es jemanden auf? Der Wunsch nach Kontrolle entwickelt sich zu einem Fetisch. Bis in die 80er hinein gab es nicht einmal ansatzweise die Kontrollmöglichkeiten, die heute gegeben sind. Jede technische Innovation wurde seither begeistert begrüßt. Endlich gibt es auch eine Kontrolle, wo zuvor Kontrollfreaks Risiken und blinde Flecken hinnehmen mussten. Aber wenn ich mich recht erinnere, kam man mit den Lücken ganz gut zurecht. Zumal einige damit gutes Geld verdienten. Schwachpunkte gibt es in einer freien Gesellschaft immer.

Kommt es mir nur so vor oder nimmt innerhalb der deutschen Gesellschaft die Anzahl an Technokraten, Biedermännern, Engstirnigen, “Korinthenkackern” immer mehr zu? In mir keimt der Plan, mich offen mit einem Joint in Berlin hinzustellen und mir die Show einer Kontrolle zu geben. Die Kollegen dürfen dann in alle vier Himmelsrichtungen den Abstand zur nächsten relevanten Einrichtung abmessen, die Feinwaage bemühen und einen DNA-Test des Inhalts vollziehen. Ich weiß, wie Polizisten argumentieren. Nicht sie sind schuld, sondern die verkorkste Gesetzgebung, die sie umsetzen müssen. Nein, man muss nicht alles umsetzen. Bisweilen kann man auch mit den Schultern zucken und Schwachsinn, Schwachsinn sein lassen. Im Übrigen hätte ihnen die völlige Freigabe auch nicht geschmeckt. Eben auf all die vorgeschobenen Bedenken, haben die Frauen und Männer, die das Gesetz entwarfen, reagiert.

Trip 2024 Kopfschütteln in der Ferne

kush in close up photography Lesedauer 3 Minuten

Bei gefühlten 44 Grad und 70 % Luftfeuchtigkeit verfolge ich die Nachrichten aus Deutschland. Beim SPIEGEL las ich heute:

Auch die niedersächsische Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) zeigte sich verärgert, weil die Justiz mit der geplanten Amnestie in rund 16.000 Fällen überfordert sei. »Es wird unweigerlich landauf, landab zu rechtswidrigen Zuständen und zu Entschädigungspflichten kommen«, sagte Wahlmann »Table.Media«. …
»Wenn der Bund die Justizbehörden der Länder sehenden Auges in eine solche Situation laufen lässt, zeugt das von einer gehörigen Ignoranz gegenüber den tatsächlichen Gegebenheiten«, sagte die Ministerin weiter. Das Mindeste, auf das sich die Bundesregierung nun einlassen müsse, sei eine Verschiebung des Inkrafttretens um sechs Monate.

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/cannabis-legalisierung-laender-wollen-inkrafttreten-von-neuem-gesetz-verzoegern-a-d6f9d79f-349c-40ba-abce-7a810c4950c7

Man mag zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung stehen, wie man will. Fest steht, dass wir Deutsche in dieser, besonders in letzter Zeit immer wieder hervorgehobenen, Demokratie leben. Wird die Legalisierung vom Bundesrat abgesegnet, ist es innerhalb des geforderten Prozesses entstanden. Und wenn die Umsetzung quasi eine Amnestie für zig tausende Bürger bedeutet, deren einziges Vergehen darin bestand, dass sie Cannabis konsumierten, dann ist das so! Da können nicht Politiker*innen daher kommen und die Bürokratie vorschieben. Eins liegt klar auf der Hand. Würde es sich um eine gesetzliche Regelung handeln, die einigen einen erheblichen finanziellen Vorteil verschafft, insbesondere großen Playern des Kapitals, erfolgte die Umsetzung um 00:01 Uhr des anbrechenden Nachfolgetages. Mit Demokratie haben all die Aussagen nichts zu tun. Bei mir lösen sie im Kopf die Frage aus: “Was zum Teufel bilden die sich ein?” Zumal seit Jahren absehbar ist, dass die Legalisierung in irgendeiner Form kommen wird und man sich darauf vorbereiten konnte. Nur Betonköpfe können glauben, dass der aktuelle Zustand auf Dauer anhalten wird.

Das komplette Thema ist eine Farce und zeigt, wo wir stehen. Mir persönlich steht dieses ganze “Geseier” bezüglich eines Jugendschutzes und Schwarzmarkt bis zur Oberkante.

Ja, Drogen, Gifte, alle möglichen Substanzen können schädigen. Jugendliche, vor allem die mit Problemen in der Entwicklung, schädigen sich massiv mit Alkohol. Und der richtet deutlich mehr und nachhaltiger Schäden im Gehirn an, als Cannabis. Andere klauen “Muttern” die Tranquilizer, besorgen sich Tilidin, fressen in rauen Mengen Fastfood, Chips, bis sie an Adipositas leiden. An der Stelle kommen die “Apostel” ums Eck gebogen und reden davon, dass man nicht noch eine schädigende Substanz benötige. Ist es so schwer, in der Realität anzukommen? Cannabis gibt es seit mindestens 30 Jahren leichter zu kaufen, als eine Schachtel Zigaretten. Entscheidend ist es, den Jugendlichen offen und ehrlich zu erklären, welche Risiken bestehen, wie sie mit Drogen sicher umgehen und wovon sie lieber die Finger lassen sollten. Es ist wie mit Sex. Es ist nicht die Frage, ob sie es tun werden, sondern wann, wie und mit wem. Tabuisierung, Verbote, Strafandrohungen sind dabei extrem kontraproduktiv.

Der Verwaltungswahn, die eingenommenen Bußgelder, können nun wirklich kein Argument sein. Ebenso wenig der “Schwarzmarkt”. Den gibt es auch für Alkohol und Zigaretten. Auch dort liegt das Interesse nicht bei der “Volksgesundheit”, sondern bei den dem Staat entgehenden Steuern. Außerdem hätte man diesen Schwarzmarkt im Zuge eines “vernünftigen” Handelns locker austrocknen können. Nämlich im Zuge einer echten Legalisierung. Worum geht es denn? Kontrolle! Und an der Stelle fragt sich, mit welchem Ziel. Um ihrer selbst willen, im Sinne einer Machtdemonstration oder einem Zweck. Die alte amerikanische Prohibition galt den Arbeitern. Die Puritaner (konkret  Pietistic Protestants) befürchteten, vermutlich nicht zu Unrecht, dass sie sich das miese Leben zu arg schön trinken würden und damit als willfährige Lohnsklaven ausfielen. Bekanntlich ging der Schuss nach hinten los. Das kirchliche Konzept, bei dem alle mittels strikter Regeln und Sündenfall bei der Stange gehalten werden, ließ die Ungläubigen kalt. Ab Mitte der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts geriet Cannabis in den Focus. Willkürlich und vor allem Klassenorientiert. Die unten sollten nicht der Freizeit frönen, sondern konzentriert arbeiten, während weiter oben, vor allem in Indien, Ägypten und anderen arabischen Staaten, weiterhin der tausende Jahre alten Tradition gefolgt werden durfte. Es geht also wieder einmal um die Funktionsfähigkeit und Nützlichkeit. Ansonsten wäre es den meisten völlig egal. Schmerztabletten, Psychopharmaka, Antidepressiva, Schlaftabletten, Beruhigungsmittel – alles in Ordnung, solange es der Funktionsfähigkeit dient.

Na ja … und ein wenig Kontrolle, um der reinen Kontrolle willen und Machtausübung, ist ähnlich dem Konzept Kirche auch dabei. Ich sitze hier in der Vorzeit des Ramadan in einem Religionsstaat. Hier existieren allerlei zweckfreie Regeln, die einzig und allen dem Erhalt des islamischen Systems und Sicherung der Macht des Klerus inklusive der männlichen Vormachtstellung dienen. Entsprechend restriktiv ist auch der Umgang mit Drogen. Alle, von Alkohol, Nikotin, Opium, Magic Mushrooms, Kratom (traditionell aus den Blättern des Kratom-Baumes gebrautes Getränk, welches im Gegensatz zu Deutschland in Malaysia verboten ist), konsumieren und werden nur bestraft, wenn sie der Polizei in die Quere kommen – dann aber mit drakonischen Strafen oder Einweisung in islamische Boot-Camps, in denen eine religiöse Gehirnwäsche erfolgt. Es tut mir leid, aber die deutsche Kombination, Bürokratie, gesundheitliche Bevormundung und Strafen ohne therapeutischen Effekt, erscheinen mir ähnlich religiös.

Menschen nehmen Drogen! Fertig. Die Motive und Antriebe mögen unterschiedlicher Natur sein, aber irgendeine Droge nimmt jeder. Es ihnen verbieten zu können, ist ein ideologischer Glaube, wie die Annahme, Sex zum reinen Vergnügen verbieten zu können. Auf solche Dinge kommen nur Leute, die sich daran aufgeilen, anderen etwas verbieten zu können.

Soziale Pedaleure

interior of modern fitness club with various machines and equipment Lesedauer 3 Minuten

Im Zusammenhang mit der Ausarbeitung eines Buchprojekts, entwickelte ich ein Bild, mit dem ich verdeutlichen wollte, wie in unserer Gesellschaft soziales Engagement und systemrelevante Berufe funktionieren. Ich hab es immer noch im “Hinterkopf”, doch bisher ist es noch nicht eingeflossen.

Zunächst eine Stellenausschreibung:

Wir, ein Betrieb mit öffentlichem Tätigkeitsfeld, suchen junge, kräftige, gesunde, engagierte, Mitarbeiter*innen für eine verantwortungsvolle Aufgabe. Du solltest bereit sein, Mehrarbeit zu leisten, Teamfähigkeit mitbringen und Spaß an Herausforderungen finden.

Gut, worum geht es bei der Aufgabe? In einem Raum stehen zehn Ergometer, die mit Kabeln an einen Kasten angeschlossen sind, in dem ein Patient liegt, dessen Vitalfunktionen von verschiedenen Installationen (Sauerstoff, Herz-Rhythmus-Maschine, pp.) abhängig sind. Fällt die Stromversorgung unter ein bestimmtes Level ab, stirbt der Patient. An der Wand des Raumes ist ein Smart-Board installiert, welches von jedem Ergometer aus gesehen werden kann. Dort wird die Stromleistung der einzelnen Geräte und die Gesamtleistung angezeigt.

Die Mitarbeiter*innen, anfangs 30 Leute, bekommen nun die Aufgabe mittels “Treten” die lebenserhaltende Box zu versorgen und damit das Überleben des Patienten zu sichern. Am Beginn, geht es tatsächlich ausschließlich um die Versorgung. Im Schichtbetrieb ist das durchaus machbar. Die Mitarbeiter*innen sprechen sich miteinander ab und treten im 3-Schicht-Betrieb in die Pedale. Wenn es hart auf hart kommt, reichen 12 Mitarbeiter, von denen 10 treten und 2 immer mal wieder eine Pause einlegen können. Das geht so lange, bis eine Delegation der Firma auftaucht. Die stellen fest, dass es durchaus möglich ist, etwas mehr Energie zu produzieren, die profitabel verkauft werden kann. Damit wäre man auch weniger von staatlichen Leistungen abhängig.

Die Belegschaft kann sich damit noch abfinden und macht weiter. Aber es spricht sich langsam herum, dass die Arbeit körperlich recht anspruchsvoll ist, die Bezahlung eher mäßig, die Geräte schlecht gewartet werden (Sattel durch, Schrauben lösen sich, Wackelkontakte) und immer mal wieder ausfallen, bis hin die Klimaanlage des Raumes ausfällt und die Belüftung schlecht ist. In den ersten Tagen gab es im Raum noch einen Wasserspender, aber den kennen nur noch die ersten Pedaleure. Auch zusätzliche Leistungen, wie Massagen, Bereitstellung von Sportkleidung, fallen im Laufe der Zeit weg. Das Management muss sparen und steht mittlerweile Aktionären Rede und Antwort.

Die Pedaleure teilen sich in verschiedene Gruppen auf. Einige verließen die Firma bereits nach zwei Jahren. Sie wussten, dass es keinen ausreichenden Nachwuchs geben würde. Aber zu ihrer Beruhigung wussten sie, dass noch genügend andere verblieben und der Patient nicht sterben würde. Nach einem weiteren Jahr sieht das schon anders aus. Der Patient wird nicht sterben, doch die weiter in die Pedale tretenden, geraten an ihre körperlichen Grenzen. Hierdurch kommt es zu Spannungen und heftige Auseinandersetzungen über Urlaub, Pausenzeiten, Ruhezeiten. Das Klima im Raum ist nach und nach vergiftet. Jeder kann sehen, wie bedrohlich das Level sinkt. Irgendwann weiß jede/r, dass eine eigene Minderleistung, ein gesundheitlich bedingter Ausfall, eine Unpässlichkeit, zum Tod des Patienten führen kann. Eingaben ans Management führen nicht zum Erfolg. Man würde wissen, wie schwierig die Situation wäre, aber bekäme Druck von anderer Seite her. Sie seien stolz auf die Leistung der noch anwesenden, verantwortlich agierenden Mitarbeiter*innen. Jeder wisse, wie schlimm alles ist, aber man könne den Patienten nicht einfach sterben lassen. Ehemalige Pedaleure, Angehörige des Patienten, sich mit ihnen solidarisierende Bürger*innen, würden bereits vor dem Gebäude protestieren. Ab und zu verirren sich auch Journalisten*innen in den Raum und interviewen die schnaufenden und keuchenden Pedaleure. Doch ändern tut dies alles nichts.

Zum Ende sind es noch 5 Pedaleure, die alles geben. Sie können mit dem sicheren Tod des Patienten nicht leben. Aber eines Tages brechen 2 weitere auf den Ergometern zusammen … doch nichts passiert. Ein Notstromaggregat springt an und so lange noch Benzin im Tank ist, lebt der Patient weiter. Aber was wird passieren, wenn der Tank leer ist? Darüber sprechen Politiker*innen, Angehörige, Aktivisten, Analysten in Talkshows. Die Uhr tickt. Einige wollen zurück zum Anfang, als noch alles funktionierte. Doch dies würde Geld kosten und man sei auf die Profite angewiesen. Was ein wenig unlogisch ist. Denn im Todesfall hat sich das Thema erledigt. Andere machen den Patienten verantwortlich. Immerhin hätte er frühzeitig an eine ausreichende Tankfüllung denken können. Manche beschimpfen die Pedaleure, welche bereits früh gingen, weil sie die Zeichen der Zeit erkannten. Sie seien ein Spiegel der Gesellschaft. Niemand wäre mehr bereit, Leistungen zu erbringen und auch unter widrigen Umständen zu arbeiten. Ganz Schlaue sehen gar kein Problem, weil bestimmt ein kluger Kopf vor der völligen Entleerung eine bahnbrechende Technologie erfinden wird, die alle Diskussionen und Debatten obsolet werden lässt. Es gibt auch die, welche auf eine Verpflichtung setzen. Man müsse nur ausreichend junge Leute per Gesetz verpflichten, dann gäbe es wieder genug Pedaleure, somit auch ausreichend Profit und bei gerade mal einem Jahr, könne man denen auch einen heruntergekommenen Raum zumuten.

Es gäbe noch einige andere Aussagen. Doch ich denke, die kann sich jede/r alleine ausmalen. Der Patient heißt Gesellschaft. Manche reden, einige profitieren, einige versuchen es wenigstens, aber begreifen, dass sie am Ende selbst draufgehen und wiederum andere strampeln so lange, bis sie kaputt sind. An sich war die ursprüngliche Idee gar nicht verkehrt. Aber das Profitstreben, die mangelnde Wertschätzung, die schwindende Attraktivität, das “verheizen” der Engagierten, wirkte sich desaströs aus. Und irgendwann wird der Tank leer sein … und dann?

Vor 40 Jahren

Lesedauer 6 Minuten

In wenigen Tagen liegen zwischen Georg Orwells dystopischen Jahr “1984” und der Zeit in der wir leben 40 Jahre und wiederum 75 Jahre sind seit der Veröffentlichung 1949 vergangen. Orwell konnte nichts über die heutigen technischen Möglichkeiten wissen. Er orientierte sich daran, wie er eine bestimmte Sorte Mensch einschätzte und was passieren würde, wenn man diesen Leuten die Möglichkeit der Überwachung und Manipulation in die Hände geben würde. Den Drang zur Kontrolle, Manipulation, vordergründig zur Minimierung aller Risiken, tatsächlich zur Herrschaftsausübung, gab es bereits ’49, aber im Verhältnis zur Jetztzeit waren sie äußerst beschränkt.

Bei Heise Online las ich über die Pläne der sich konstituierenden großen Koalition in Hessen. Unter anderen ist dort nachzulesen:

Die geplante schwarz-rote Koalition in Hessen hat sich auf ein umfassendes Überwachungspaket verständigt. Sie will damit unter anderem Sicherheitsbehörden wie Polizei und Geheimdiensten “in engen Grenzen und mit richterlicher Anordnung” den “Zugang zu bestehenden privaten audiovisuellen Systemen” gestatten. Fahnder und Agenten sollen so im Rahmen der bestehenden rechtlichen Befugnisse “beispielsweise die Wohnraumüberwachung durchführen” können, heißt es im Koalitionsvertrag, den CDU und SPD am Montag unterzeichneten. Das Vorhaben erinnert an die umstrittene Initiative der Innenministerkonferenz 2019, intelligente Sprachassistenten wie Amazon Alexa, Google Home oder Apple Siri genauso anzuzapfen wie “intelligente” Fernseher, Kühlschränke oder Türklingeln.

https://www.heise.de/news/Polizeibefugnis-CDU-und-SPD-in-Hessen-wollen-digitale-Wanzen-im-Wohnzimmer-9577621.html

Die Taktik wird seit Jahrzehnten verfolgt. “Wir wollen doch nur Sicherheitsrisiken minimieren. Alles im rechtlichen Rahmen und unter Vorbehalt eines Richters!” Meiner Erfahrung nach sind Richter*innen keine Überwesen und unter ihnen befinden sich genügend Charaktere, die mit Vorsicht zu genießen sind. Allerspätestens mit der Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens gegen “Klima-Aktivisten*innen” wegen der Bildung einer “Kriminellen Vereinigung” hat die seit 1989 bestehende Bundesrepublik Deutschland ihre Unschuld verloren und signalisiert, wo es hingehen soll. Wie ich es bereits einige Male im BLOG darlegte, hängt an diesem Paragrafen einiges dran. Mit dem Verfahren ist klar erkennbar, wie niedrig die Schwelle geworden ist, bis Mitbürger*innen für entscheidende Stellen des Systems zu bedrohlichen Extremisten und Kriminellen werden. Außerdem werden umfassende polizeiliche Maßnahmen zur Überwachung der unmittelbaren Protagonisten, aber auch ihres weiteren Umfelds ermöglicht. Und mir scheint, dass die Schwelle kontinuierlich gesenkt wird.

Bemerkenswert finde ich dabei den Umstand, dass die Verfassungsschützer die Einstufung als gefährliche Extremisten verneinte und im gleichen Zuge die Überwachung mit nachrichtendienstlichen Mitteln ablehnte. Später folgte die Innenministerkonferenz und mit einem Mal gelangte die Kriminelle Vereinigung in den Diskurs. Wobei ich mir die Frage stelle, warum nicht gleich als „lex specialis“ die Terroristische Vereinigung angewendet wird. Immerhin treten Vertreter von allen im Bundestag vertretenen Parteien ans Pult und sprechen von Terroristen*innen. Wenn schon, dann richtig.

Ein weiterer Aspekt bleibt häufig unbeachtet. Überwachung erforderte in analogen Zeiten einen erheblichen finanziellen, personellen und logistischen Aufwand. Bereits dies setzte die Messlatte recht hoch. Ob und in welchem Umfang Personen überwacht wurden, erforderte eine Kosten/Nutzen – Analyse. Im Zeitalter der Digitalisierung ist vieles deutlich günstiger geworden. Rhetorisch ergeben sich zwei Richtungen. Entweder, kann Dank der Digitalisierung im erforderlichen Maß überwacht werden, wohingegen noch in den 90ern ein gefährliches Defizit bestand oder es besteht die Gefahr des Übermaßes.

Wenn es um Überwachung geht, sind Menschen nicht objektiv und rational, sondern im höchsten Maße irrational und paranoid unterwegs. Ein wenig spukt bei vielen im Kopf herum: “Ich hab zwar nichts gemacht, aber wer weiß …” Allein schon, weil Deutsche bezüglich der Überwachung auf ganz eigene Erfahrungen zurückblicken können. Machen wir uns nichts vor, die Möglichkeiten der Staatssicherheit sind im Vergleich zu denen im Jahr 2023 ein Kindergeburtstag gewesen. Ausschlaggebend ist nicht, was tatsächlich passiert, sondern was als möglich angenommen wird. Solche Sachen verändern eine Gesellschaft oder anders gesagt, sie sind ein schleichendes Gift.

Hinsichtlich der Faktenlage gebe ich auch zu bedenken, welchen erheblichen Aufwand mittlerweile investigative Journalisten*innen betreiben müssen, um ihnen zugespieltes Material an einflussreichen Politikern*innen, Personen aus der freien Marktwirtschaft, die mit ihnen vernetzt sind und Institutionen, wie BfV, BND, BKA, vorbeizuschmuggeln, damit sie veröffentlicht werden können (z.B. Panama Papers, BND U-Boot Affäre, Cum Ex-Files).

Ohne jegliche Überwachung oder Infiltration krimineller, terroristischer Kreise geht es innerhalb der von uns gewählten Ordnung nicht. Aber zwei Fragen müssen zwingend auf dem Tisch liegen und überdacht werden: Wann wird ein Kipppunkt erreicht, an dem die Nachteile der Überwachung die Vorteile überschatten? Was passiert, wenn die vorhandenen Mittel, Freigaben und Gesetze, denen in die Finger gelangen, die man abwehren wollte? Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eben genau dies eins der Ziele von Terror ist: die Provokation von Reaktionen, die nach und nach die freie Gesellschaft abschaffen und aus Sicht der Terroristen zur Demaskierung zwingen.

Sicherheit und Freiheit liegen auf einer Strecke. Je mehr ich mich gegen alles Erdenkliche absichere und die Risiken minimiere, umso mehr gebe ich von der Freiheit auf. Ein hermetisch abgeriegelter Bunker ist ein sicherer Platz, gleichzeitig ist er aber auch Gefängnis. Wie viele Risiken muss eine freie Gesellschaft aushalten? Wie groß ist das Interesse an ihr oder ist sie einer gesellschaftlichen Mehrheit unheimlich bzw. zu anfällig für Gefahren?

Wobei an der Stelle auch zu betrachten ist, welche Gefahren, welcher Qualität, von wem und für was gesehen werden. Ob zum Beispiel eine Straßenblockade ein zu- oder unzulässiges Mittel des Protestes ist und welche Gefahrenlage durch sie entsteht, ist nicht davon abhängig, wer sie durchführt. Die Gefahr an sich wird nicht durch die Häufigkeit der Blockaden qualifiziert. Jede ist für sich zu betrachten. Jedenfalls, solange sie nicht Teil einer konzertierten Aktion ist und mehrere gleichzeitig stattfinden. Ein Bauernprotest, in dessen Zuge eine Blockade mit landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen herbeigeführt wird, erzeugt die gleiche Gefahrenlage, wie ein Protest gegen die unzulänglichen Maßnahmen der Regierung bezüglich der Klimakatastrophe. Eine unterschiedliche Bewertung ist unlogisch und dennoch findet sie medial, gesellschaftlich und politisch statt. Es erschließt sich mir nicht, warum die einen Protagonisten „Kriminelle“ sind die anderen nicht.

Bezüglich der Klimaaktivisten wurde angeführt, dass Rettungskräfte nicht mehr ihren Aufgaben nachkommen könnten. Sollte es an dem tatsächlich sein, haben wir in Deutschland ein eklatantes Sicherheitsproblem. Dies bedeutete, dass jede Baustelle, jeder Stau und auch jedes terroristische Szenario die Rettungs- und Sicherheitskräfte vor unlösbare Aufgaben stellen würde. Gut, dass das nicht der Fall ist. Versierte gut ausgebildete Kraftfahrer finden ihren Weg und relevante Gebäude haben aus solchen Gründen mehrere Zu – und Ausfahrten. Wenn es eine handfeste Gefahr gibt, dann ist es die Reduzierung der Anzahl von Rettungsfahrzeugen und Personal. Insofern ist die Argumentation vorgeschoben und verschleiert, worum es tatsächlich geht. Der Protest ist lästig und ihm soll deshalb der Garaus gemacht werden. Kurzum: Der Protest wird in interessanter Art und Weise kriminalisiert, damit wiederum die Überwachung des Protestes legitim erscheint.

Nochmals: Überwachung an sich ist bis zu einem gewissen Maße, an den richtigen Stellen eins von vielen notwendigen Mitteln der Abwehr von Gefahren, bei denen das Eintreten eines erheblichen Schadens im hohen Maß wahrscheinlich ist oder wenn es um die Aufklärung schwerwiegender oder gemeingefährlicher Taten geht.

Edward Snowden deckte auf, welche Ausmaße die Überwachung in den USA hat. Es wäre wahrlich naiv, US-amerikanische Verhältnisse für Deutschland als unmöglich einzustufen. Ganz im Gegenteil, wenn man berücksichtigt, dass offen gefordert wird, in den USA angewendete Software, Stichwort: Palantir Gotham u.a., in Deutschland zu legitimieren. Die von Palantir gelieferte Software ist keine, die der Überwachung und Erlangung von Daten dient, sondern sie ermöglicht die Analyse und Verknüpfung großer Datenmengen.

Zuerst müssen die Daten vorhanden sein, ansonsten ist die Software nutzlos. Wer sie also fordert, sitzt bereits auf einer ganzen Menge Datensätze und benötigt ein Werkzeug, mit dem sie effizient ausgewertet werden können. Mich macht das nachdenklich. Einige Systemkritiker sehen als eine der größten Gefahren für die freien demokratischen Gesellschaften die fortschreitende Verzahnung der Wirtschaft, hier besonders multinationale Konzerne, mit der Politik. Sie begründen dies mit dem Aufbau der Konzerne, die mit Demokratie gar nichts am Hut haben, sondern rein über Profite, Wachstum, strukturiert sind und eine Hierarchie aufweisen, die nach den vorstehenden Kriterien von oben nach unten wirkt. Deshalb fordern sie von den Regierungen einen Schutz der Bevölkerungen vor den Begehrlichkeiten der Konzerne.

Wenn nun privatwirtschaftlich gesammelte Daten mit aus staatlichen Verwaltungsdaten und mittels polizeilicher bzw. nachrichtendienstlicher Vorgänge generierten, zusammenfinden, übergreifend mit Programmen ausgewertet werden, ist die alte Dystopie endgültig Realität geworden und neue Befürchtungen entstehen.

Ich kann mir gut vorstellen, das ein bestimmtes Konsumverhalten, Seh- und Leseverhalten, bevorzugte Aktivitäten, einige dazu verleiten könnten, eine „Gefährderanalyse“ durchzuführen, die dann wiederum bisher unauffällige Personen in den Fokus rückt. Schulden, mangelnde Kreditwürdigkeit, bei Amazon subversive Literatur bestellt, in der Playlist diverse Protestsongs gelistet, Internet-Recherchen zu Themen wie Ökologie, Klima, Umtriebe von multinationalen Konzernen, Wirtschaftskriminalität, fertig ist der potenzielle politische Gefährder, dem man etwas genauer unter die Lupe nehmen sollte.

Immerhin existieren bereits Programme, die Bewegungen und Verhalten von Passanten oder Besuchern öffentlicher Plätze, Flug – und Bahnhöfen analysieren und bei bestimmten Parametern Alarm schlagen. Ich finde den Gedanken naheliegend, dies auf das oben dargestellte auszuweiten – wenn es denn der allgemeinen Sicherheit dient, warum nicht? Und wer die richtigen Bücher liest, nicht zu sehr alles hinterfragt und hinnimmt, was offiziell proklamiert wird, sich auf kommerziellen Mainstream beschränkt, hat nichts zu befürchten. So what?

Wie eingangs gesagt: Orwell entwickelte seine Dystopie auf Basis der vorhandenen Bedürfnisse der Mächtigen und einiger Gesellschaftsanteile, ohne dass alle notwendigen Techniken existierten. Darüber sind wir hinaus. Was technisch möglich ist und sein wird, zeichnet sich konkret ab. Stellt sich nur eine Frage: Haben sich die damaligen Bedürfnisse und Begehrlichkeiten verändert? Die Antwort lasse ich offen.

Einzelfall oder auch Weisser Schimmel

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Jan Böhmermann hat wieder zugeschlagen. Und vorab möchte ich feststellen, völlig richtig, notwendig und wichtig. Worum ging es? Sieben Polizisten einer Frankfurter Wache gründeten eine WhatsApp-Gruppe unten schickten sich gegenseitig auf dem Messengerdienst Texte, Bilder, Memes, mit rechtsradikalen und sexuellen Botschaften zu. Teilweise sind diese, wenn sie öffentlich präsentiert werden, strafbar. Wer sie sich antun möchte, kann sie unter dem Link itiotentreff.chat nachlesen. Allerdings warne ich vor: Geschmacklos ist noch untertrieben. Das Thema wurde auf zwei Sendetermine der Satiresendung ZDF Magazin Royale aufgeteilt. Im ersten geht es “nur” um den Chat, im zweiten wird eine Querverbindung zur NSU, konkret zur NSU 2.1 hergestellt. Obwohl hierzu bereits eine Verurteilung stattfand, steht der Verdacht im Raum, dass irgendwie eine Verbindung zwischen den Beamten/innen der Polizeiwache und wenigstens dem ersten Bedrohungsschreiben besteht. Dazu will ich mich in keiner Art und Weise äußern. Hierzu sind Ermittlungen der Staatsanwaltschaft anhängig und ich vertraue darauf, dass die Kriminalpolizei ihren Job macht.

Und dennoch möchte ich ein ABER aussprechen. Wie viele andere stellen Böhmermann und Redaktion mit den Begriffen Einzelfall und Einzeltäter süffisant in den Raum, dass diese Vorgänge lediglich die Spitze des Eisbergs seien. Mag sein … möglicherweise auch nicht. So einfach ist das alles nicht. Wie auch immer, mit den beiden genannten unsinnigen Begriffen, kommt man dabei nicht weiter.

Im Deutschen gibt es Plural und Singular. Der Täter, die Täterin (sing.), die Täter (plu.) – der Fall (sing.), die Fälle (plu.). Bei Einzelfall und Einzeltäter reitet der “Weiße Schimmel” durch die Gegend. Wer diese Begriffe verwendet, tut es rhetorisch und will zum Ausdruck bringen, dass es eben nicht um eine alleine handelnde Person geht. Nicht einmal eine konkrete Gruppe, von der ab drei Personen auszugehen ist, wird angesprochen, sondern gemeint ist eine unbegrenzte Anzahl von Personen, die unter einem gemeinsamen Merkmal zusammengefasst werden. Hier konkret der Berufsstand “Polizei”.

Angefangen haben damit die Rechtspopulisten, in dem sie sie bei ausländischen Tätern und Täterinnen anwandten, um zu suggerieren, dass sich gesetzeskonform verhaltene Flüchtlinge, Einwanderer, Asylanten die Ausnahme sind, während die Kriminellen die Regel darstellen. Bei Böhmermann läuft es darauf hinaus, dass der polizeiliche Standard rechts steht, es aber Ausnahmen gibt, die sich anders positionieren. Das Prinzip ist gleich und meiner Meinung nach gehen damit diejenigen, welche sich gegen den Rechtsruck in Deutschland stellen wollen, den Rhetorikern der anderen Seite auf den Leim bzw. arbeiten an den gesellschaftlichen Grundvoraussetzungen mit, die seitens der Rechten genutzt werden.

Mir drängt sich dabei stets ein Vergleich mit einem Datenverarbeitungsprogramm auf. Die verwaltete, digital erfasste Gesellschaft, wird je nach Interesse mit wenigen Suchkriterien abgefragt und die Ergebnisse in Gruppen zusammengefasst. Das Individuum und seine Betrachtung, ist irrelevant. Und genau da wollen die Strippenzieher von Rechtsaußen hin. Eine Bevölkerung, in der in den Köpfen die Gruppe das Denken bestimmt und die differenzierte Herangehensweise verkümmert.: die Polizei, die da oben, die Asylanten, die Flüchtlinge, die Ausländer, die Muslime, die Homosexuellen, usw.

Im konkreten Fall sind es zunächst einmal sieben Frauen und Männer. Sollten sie tatsächlich und nachweisbar Straftaten begangen haben, sind es sieben Straftäter/innen, die mindestens in einen Ermittlungsvorgang (Chatgruppe) involviert sind. Die Drohbriefe sind ein weiterer Ermittlungsvorgang bzw. Sachverhalt, zu dem der/die Urheber/in/innen zu ermitteln sind. Deshalb heißt es in einem “guten” Ermittlungsbericht:

Zum beschriebenen Sachverhalt wurden zu nachfolgenden Personen Ermittlungserkenntnisse erlangt, die einen dringenden Tatverdacht hinsichtlich der Verwirklichung des Tatbestands i.S. xy StGB ergeben.

Ermittelt wird zunächst nicht gegen die Personen, sondern das Geschehen wird aufgeklärt, strafrechtlich eingeordnet und hierzu der Beitrag der jeweils handelnden Beteiligten ermittelt.

Gesellschaftlich ist die Funktion, hier Polizei, natürlich nicht irrelevant. Ob Frauen und Männer mit diesen charakterlichen Voraussetzungen und Persönlichkeitsstrukturen geeignet sind, ihre Aufgaben zu erfüllen, erscheint mehr als fraglich. Ebenso darf hinterfragt werden, wie es sein kann, dass solche Personen nicht längst im Focus von Vorgesetzten/innen standen und diese es versäumten geeignet zu intervenierten. Oder konnten sie vielleicht gar nicht? Was mache ich mit Mitarbeitern/innen, bei denen ich eine verfassungsfeindliche Gesinnung erkenne? Gesinnung ist nicht gleich zwingend eine vorzuhaltende Handlung. Und dass nicht alle auf der Wache so unterwegs sind, ergibt sich aus den Texten selbst, da die Mitglieder immer mal wieder auf Kollegen/innen hinweisen, vor denen man sich in “Acht” nehmen müsse.

Beim vorliegenden Chat berührte mich noch etwas ganz anderes unangenehm. Nahezu alles, was da auftaucht, wurde nicht von den zur Rede stehenden Personen erstellt. Es ist eine Ansammlung von Widerlichkeiten, die im Internet kursieren. Etwas ganz anderes wären Bilder oder Texte, die von ihnen selbst erstellt wurden – z.B. im Zusammenhang mit Mobbing. Nein, sie sind anfällig für diese Machwerke und sie verfügen über keine inneren Grenzen, die sie Abstoß empfinden ließen. Einiges erscheint mir pubertär. “Ui, Ui, das ist total verboten, also teile ich es mal.” Das entspricht der Haltung von 13-Jährigen, die Genitalien an die Toilettenwand malen. Auch hier differenziere ich. Wer beispielsweise den Hitlergruß zeigt, einer scheint es getan zu haben, macht es entweder aus purer Überzeugung, oder aus eben dieser genannten pubertären Persönlichkeit heraus.

Diese Haltung ist in unserer Gesellschaft immer häufiger anzutreffen. “Wenn mir die GRÜNEN dieses oder jenes untersagen wollen, drehe ich die Heizung erst recht auf, rase mit 250 km/h über die Bahn oder packe mir 10 Kilogramm Fleisch auf den Grill.” Ähnlich bewerte ich all die debilen Aufkleber auf Fahrzeugen.

Will ich mich mit diesen Prozessen, Phänomenen, auseinandersetzen, benötige ich andere Begriffe, Analysen, Betrachtungen, als die süffisanten Anmerkungen “Einzelfall”, “Einzeltäter”, welche wie ausgeführt geschickt seitens der “Rechten” in den Diskurs eingebracht wurden. Welche innergesellschaftlichen Prozesse spiegeln sich da in dieser Chatgruppe? Die Drohbriefe sind nochmals etwas ganz anderes. Die/der Verfasser/in sind klar und deutlich strafrechtlich relevant und rechtsradikal unterwegs. Da wurde nichts übernommen, sondern selbst formuliert und vorsätzlich, mit dem Ziel Ängste zu erzeugen, abgesandt.

 

Ich spreche mich selbst nicht frei von der skizzierten pubertierenden Haltung. Auch ich hab das eine oder andere Mal provoziert, bisweilen gedankenlos. Nicht auf der politischen Ebene, sondern mit sexuellen Inhalten (Kalender) oder spöttischen Allerlei bezüglich des immer noch schwelenden Ossi-Wessi- Konflikts. Persönlich halte ich wenig von Null – Toleranz – Programmen. Besser, ein Konflikt ist offensichtlich, als dass er im Untergrund vor sich hin schwelt. Doch es gibt Grenzen, die sich aus dem “natürlichen” Bauchgefühl ergeben, welches jede/r Polizist/in empfinden können sollte.
Dies ist auch bei der politischen, verfassungsgemäßen Haltung relevant. Empathie, Toleranz, eine gesunde stabile Persönlichkeit, sind zuverlässige Abwehrmechanismen gegen faschistoide Haltungen. Ja, der Polizeiberuf bringt vieles mit sich, was Menschen abgleiten lassen kann und wenn dann noch Persönlichkeitsstörungen hinzukommen, wird es gefährlich. Aus diesem Grund sehe ich nur eine einzige Möglichkeit der Prävention: die psychologische Supervision. So wie eine turnusmäßige Untersuchung der Sehkraft, des Gehörs, muss in regelmäßigen Abständen das Oberstübchen betrachtet werden und bei signifikanten Feststellungen, muss es Konsequenzen geben. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, ist es zu spät.